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Allgemeine Zeitung. Nr. 107. Augsburg, 16. April 1840.

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Einfuhrartikel aus jenem Lande dazu genommen, darf man das aus unserm Verkehr mit China sich ergebende Staatseinkommen zu ungefähr 4 Millionen berechnen. Was dann Indien betrifft, so lassen sich dessen Gesammteinkünfte auf 20 Millionen Pf. St. jährlich anschlagen; davon rühren, wenn ich nicht irre, volle 2 Millionen aus dem Handel mit China her, und da eine Hauptschwierigkeit in unserm Verkehr mit China die Geldremittenzen sind, so war es ein besonders günstiger Umstand, daß in den letzten fünf Jahren, eines ins andere gerechnet, gegen 1,300,000 Pf. St. baares Geld aus China nach Indien strömte, ja im vorigen Jahre sogar 1,700,000 Pf. Dieser Geldpunkt ist um so wichtiger, als unsere dermaligen Hauptverlegenheiten im Inland wie in Indien financieller Natur sind. Erwägen wir nun ferner den besondern Charakter, die ungeheure Wichtigkeit und Macht des chinesischen Reichs. Wir stehen am Vorabend eines Kriegs mit diesem Reiche, und nichts ist unweiser, als einen Feind im voraus verachten. Ich glaube, daß in England sehr allgemein irrthümliche Ansichten über China und seine Hülfsquellen herrschen. (Hört!) Wir schöpfen unsere Kenntnisse von jenem fernen Land fast nur aus unserm Verkehr mit einem einzelnen Hafen, in welchen allein brittische Unterthanen bis jetzt zugelassen wurden; außer Canton kennt man gewöhnlich nichts von China. Das ist aber ungefähr der gleiche Fall, als wenn ein Fremder, der in Nore Anker würfe und dann in Wapping landete, wo sein Aufenthalt einer strengen Beschränkung unterworfen wäre, unter diesen Umständen gleichwohl ein entschiedenes Urtheil über Hülfsquellen, Geist und Charakter des brittischen Reichs aussprechen wollte. Die Wahrheit, Sir, ist, China ist von 350 (?) Millionen Menschen bewohnt, alle dem Willen eines Einzigen unterthan, alle Eine Sprache redend, alle durch einen einzigen Gesetzescodex regiert, alle (?) eine einzige Religion bekennend, alle von demselben Nationalstolz, derselben Nationalsympathie erfüllt. Die Chinesen datiren ihren Ursprung nicht von Jahrhunderten, sondern von Jahrtausenden her, die sie unter patriarchalischen Regierungen verlebten; sie rühmen sich Bildung, Künste, namentlich die Buchdruckerkunst, so wie viele Lebensbequemlichkeiten gekannt und besessen zu haben, während Europa noch in Barbarei versunken, und das Licht der Wissenschaft auf unsrer westlichen Halbkugel noch verdunkelt war. Sie besitzen ein jährliches Einkommen von 60 Millionen Pf. St., welche regelmäßig eingehen, haben keine Staatsschuld, bewohnen den größten und schönsten Theil Asiens, der fast zum Drittel unter dem anmuthigsten Klima liegt; der fruchtbare Boden, den sie bebauen, ist von den schönsten Strömen bewässert, durchschnitten von einem 1200 (engl.) Meilen langen Canal - einem der Wunderwerke der Welt. Und in diesem unermeßlichen Reich herrscht Ein gleichförmiges System, das gleiche eifersüchtige Mißtrauen gegen Fremde, wie an den Küsten des gelben Meeres, so an den Gränzen von Indien, Ava, Tibet und Nepal. Ist es nicht weiser, mit einer solchen Nation friedlichen Verkehr zu pflegen, als sie zu bekriegen? Ihre Eifersucht gegen Fremde steigert sich noch gegenüber von Großbritannien. Und das ist ganz natürlich zu erklären. Sie brauchen nur jenseits des Himalaya zu blicken, so sehen sie Hindostan zu Großbritanniens Füßen liegen. (Hört!) Sie sind nicht so unwissend, um nicht die Politik zu durchschauen, welche zu dieser Eroberung führte. Kaum ist ein Jahrhundert verflossen, seit unser indisches Reich aus kleinen Anfängen erstand. Und wie erstand es? Unter den Vorwänden des Handels, unter dem Schein friedlichen Verkehrs. Wir begannen damit, eine Factorei zu bauen; wir umgaben sie mit Mauern; wir fügten einen Graben bei; wir bewaffneten unsre Arbeiter; wir vermehrten die Zahl der Europäer; wir bildeten eine Besatzung; wir unterhandelten mit den einheimischen Mächten; wir entdeckten ihre Schwäche; unsre Besatzung rückte aus; Clive erschien; Arcot wurde genommen und vertheidigt; die Schlacht von Plassey wurde gewonnen; was Clive begann, vollendeten die Wellesleys; Seringapatam ward erobert, Mysore unterworfen, der Mahrattenkrieg durch die Schlacht von Assaye beendigt, und Indien war unser. (Hört!) Das ist aber nicht Alles; der Indus und der Ganges vermochten nicht länger unser Reich in Schranken zu bannen; wir gingen über den Hydaspes; Kabul und Kandahar schauten den Fortschritt unsrer Heere; Central-Asien zittert vor unsrer Gegenwart, und huldigt uns fast als seinen Herrn. Und an den Gränzen eines solchen Reichs sollten die Chinesen nicht, nachdem sie solches gesehen, mit äußerstem Argwohn auf die Niederlassung auch nur Eines Britten in ihrem Gebiete blicken? - Zwei Hauptpunkte sind es, auf welche ihre Politik gerichtet ist: Ausschließung der Fremden von der Erwerbung eines Rechts auf den Aufenthalt innerhalb ihrer Gränzen, und das Verbot unmittelbarer Communication zwischen ihnen und den Vicekönigen." Der Redner führte nun die Geschichte der zweihundertjährigen Handelsverbindung Englands mit China aus, erörterte, wie es damit zur Zeit des Monopols der ostindischen Compagnie für diesen Handel gestanden, und welche, nach seiner Ansicht unkluge und traurige Aenderungen darin seit dem Aufheben dieses Monopols eingetreten. Die ostindische Compagnie, bemerkte er, habe es sich angelegen seyn lassen, ihren Supercargos in China immer das nachsichtigste und geschmeidigste Betragen gegen die Chinesen zu empfehlen. Resolutionen in gleichem Sinne seyen von Sir George Staunton im Hause der Gemeinen vorgeschlagen worden, als der Handel mit China freigegeben wurde. Damals habe man zwei Fehler begangen, deren üble Folgen die Erfahrung gezeigt habe, ohne daß man sie zu verbessern gesucht. Der eine Fehler sey die Weisung an den königlichen Handelssuperintendenten gewesen, seinen Wohnsitz in Canton aufzuschlagen; der andere Fehler die ihm zugleich ertheilte Instruction, mit dem Vicekönig direct, anstatt wie bisher durch Vermittlung der Hongkaufleute, zu verhandeln. Im Archiv des auswärtigen Amtes liege eine vom Herzog v. Wellington während des kurzen Peel'schen Ministeriums verfaßte Denkschrift, welche die Richtschnur seiner Nachfolger hätte werden sollen; nichtsdestoweniger habe Lord Palmerston an jenen beiden Fehlern festgehalten. Die Denkschrift empfehle die Errichtung eines Criminal- und Admiralitätsgerichtshofs unter dem Vorsitz des Handelsoberaufsehers für englische Unterthanen in China, deßgleichen die Maaßregel, eine tüchtige Fregatte und ein kleineres Kriegsschiff immer im Bereich dieses Beamten stationirt zu haben. Beide Empfehlungen seyen vernachlässigt worden. Lord Strathallan habe nachdrücklich gerathen, daß von Englands Souverän ein eigenhändiges Schreiben an den Kaiser von China als Grundlage freundlicher Beziehungen gerichtet werde, und ein Handelsoberaufseher in Canton nach dem andern habe diesen Rath wiederholt, aber nichts dergleichen sey geschehen. Eine fünf Jahre lang zwischen China und England gepflogene Correspondenz habe nichts bewirkt, als einmal den nutzlos gebliebenen Vorschlag, im Parlament eine Specialcommission zu ernennen, um mit der chinesischen Regierung Anordnungen hinsichtlich des Opiumhandels zu treffen. Capitän Elliot, der jetzige Handelsoberaufseher in China, habe bald die Mangelhaftigkeit seiner Vollmachten gefühlt, wiederholt um eine Erweiterung derselben nachgesucht, und seine kritische Lage auseinander gesetzt, aber vergebens. Mittlerweile sey der Schmuggelhandel mit dem Opium zu einer gefährlichen Höhe angewachsen. Als Capitän Elliot in

Einfuhrartikel aus jenem Lande dazu genommen, darf man das aus unserm Verkehr mit China sich ergebende Staatseinkommen zu ungefähr 4 Millionen berechnen. Was dann Indien betrifft, so lassen sich dessen Gesammteinkünfte auf 20 Millionen Pf. St. jährlich anschlagen; davon rühren, wenn ich nicht irre, volle 2 Millionen aus dem Handel mit China her, und da eine Hauptschwierigkeit in unserm Verkehr mit China die Geldremittenzen sind, so war es ein besonders günstiger Umstand, daß in den letzten fünf Jahren, eines ins andere gerechnet, gegen 1,300,000 Pf. St. baares Geld aus China nach Indien strömte, ja im vorigen Jahre sogar 1,700,000 Pf. Dieser Geldpunkt ist um so wichtiger, als unsere dermaligen Hauptverlegenheiten im Inland wie in Indien financieller Natur sind. Erwägen wir nun ferner den besondern Charakter, die ungeheure Wichtigkeit und Macht des chinesischen Reichs. Wir stehen am Vorabend eines Kriegs mit diesem Reiche, und nichts ist unweiser, als einen Feind im voraus verachten. Ich glaube, daß in England sehr allgemein irrthümliche Ansichten über China und seine Hülfsquellen herrschen. (Hört!) Wir schöpfen unsere Kenntnisse von jenem fernen Land fast nur aus unserm Verkehr mit einem einzelnen Hafen, in welchen allein brittische Unterthanen bis jetzt zugelassen wurden; außer Canton kennt man gewöhnlich nichts von China. Das ist aber ungefähr der gleiche Fall, als wenn ein Fremder, der in Nore Anker würfe und dann in Wapping landete, wo sein Aufenthalt einer strengen Beschränkung unterworfen wäre, unter diesen Umständen gleichwohl ein entschiedenes Urtheil über Hülfsquellen, Geist und Charakter des brittischen Reichs aussprechen wollte. Die Wahrheit, Sir, ist, China ist von 350 (?) Millionen Menschen bewohnt, alle dem Willen eines Einzigen unterthan, alle Eine Sprache redend, alle durch einen einzigen Gesetzescodex regiert, alle (?) eine einzige Religion bekennend, alle von demselben Nationalstolz, derselben Nationalsympathie erfüllt. Die Chinesen datiren ihren Ursprung nicht von Jahrhunderten, sondern von Jahrtausenden her, die sie unter patriarchalischen Regierungen verlebten; sie rühmen sich Bildung, Künste, namentlich die Buchdruckerkunst, so wie viele Lebensbequemlichkeiten gekannt und besessen zu haben, während Europa noch in Barbarei versunken, und das Licht der Wissenschaft auf unsrer westlichen Halbkugel noch verdunkelt war. Sie besitzen ein jährliches Einkommen von 60 Millionen Pf. St., welche regelmäßig eingehen, haben keine Staatsschuld, bewohnen den größten und schönsten Theil Asiens, der fast zum Drittel unter dem anmuthigsten Klima liegt; der fruchtbare Boden, den sie bebauen, ist von den schönsten Strömen bewässert, durchschnitten von einem 1200 (engl.) Meilen langen Canal – einem der Wunderwerke der Welt. Und in diesem unermeßlichen Reich herrscht Ein gleichförmiges System, das gleiche eifersüchtige Mißtrauen gegen Fremde, wie an den Küsten des gelben Meeres, so an den Gränzen von Indien, Ava, Tibet und Nepal. Ist es nicht weiser, mit einer solchen Nation friedlichen Verkehr zu pflegen, als sie zu bekriegen? Ihre Eifersucht gegen Fremde steigert sich noch gegenüber von Großbritannien. Und das ist ganz natürlich zu erklären. Sie brauchen nur jenseits des Himalaya zu blicken, so sehen sie Hindostan zu Großbritanniens Füßen liegen. (Hört!) Sie sind nicht so unwissend, um nicht die Politik zu durchschauen, welche zu dieser Eroberung führte. Kaum ist ein Jahrhundert verflossen, seit unser indisches Reich aus kleinen Anfängen erstand. Und wie erstand es? Unter den Vorwänden des Handels, unter dem Schein friedlichen Verkehrs. Wir begannen damit, eine Factorei zu bauen; wir umgaben sie mit Mauern; wir fügten einen Graben bei; wir bewaffneten unsre Arbeiter; wir vermehrten die Zahl der Europäer; wir bildeten eine Besatzung; wir unterhandelten mit den einheimischen Mächten; wir entdeckten ihre Schwäche; unsre Besatzung rückte aus; Clive erschien; Arcot wurde genommen und vertheidigt; die Schlacht von Plassey wurde gewonnen; was Clive begann, vollendeten die Wellesleys; Seringapatam ward erobert, Mysore unterworfen, der Mahrattenkrieg durch die Schlacht von Assaye beendigt, und Indien war unser. (Hört!) Das ist aber nicht Alles; der Indus und der Ganges vermochten nicht länger unser Reich in Schranken zu bannen; wir gingen über den Hydaspes; Kabul und Kandahar schauten den Fortschritt unsrer Heere; Central-Asien zittert vor unsrer Gegenwart, und huldigt uns fast als seinen Herrn. Und an den Gränzen eines solchen Reichs sollten die Chinesen nicht, nachdem sie solches gesehen, mit äußerstem Argwohn auf die Niederlassung auch nur Eines Britten in ihrem Gebiete blicken? – Zwei Hauptpunkte sind es, auf welche ihre Politik gerichtet ist: Ausschließung der Fremden von der Erwerbung eines Rechts auf den Aufenthalt innerhalb ihrer Gränzen, und das Verbot unmittelbarer Communication zwischen ihnen und den Vicekönigen.“ Der Redner führte nun die Geschichte der zweihundertjährigen Handelsverbindung Englands mit China aus, erörterte, wie es damit zur Zeit des Monopols der ostindischen Compagnie für diesen Handel gestanden, und welche, nach seiner Ansicht unkluge und traurige Aenderungen darin seit dem Aufheben dieses Monopols eingetreten. Die ostindische Compagnie, bemerkte er, habe es sich angelegen seyn lassen, ihren Supercargos in China immer das nachsichtigste und geschmeidigste Betragen gegen die Chinesen zu empfehlen. Resolutionen in gleichem Sinne seyen von Sir George Staunton im Hause der Gemeinen vorgeschlagen worden, als der Handel mit China freigegeben wurde. Damals habe man zwei Fehler begangen, deren üble Folgen die Erfahrung gezeigt habe, ohne daß man sie zu verbessern gesucht. Der eine Fehler sey die Weisung an den königlichen Handelssuperintendenten gewesen, seinen Wohnsitz in Canton aufzuschlagen; der andere Fehler die ihm zugleich ertheilte Instruction, mit dem Vicekönig direct, anstatt wie bisher durch Vermittlung der Hongkaufleute, zu verhandeln. Im Archiv des auswärtigen Amtes liege eine vom Herzog v. Wellington während des kurzen Peel'schen Ministeriums verfaßte Denkschrift, welche die Richtschnur seiner Nachfolger hätte werden sollen; nichtsdestoweniger habe Lord Palmerston an jenen beiden Fehlern festgehalten. Die Denkschrift empfehle die Errichtung eines Criminal- und Admiralitätsgerichtshofs unter dem Vorsitz des Handelsoberaufsehers für englische Unterthanen in China, deßgleichen die Maaßregel, eine tüchtige Fregatte und ein kleineres Kriegsschiff immer im Bereich dieses Beamten stationirt zu haben. Beide Empfehlungen seyen vernachlässigt worden. Lord Strathallan habe nachdrücklich gerathen, daß von Englands Souverän ein eigenhändiges Schreiben an den Kaiser von China als Grundlage freundlicher Beziehungen gerichtet werde, und ein Handelsoberaufseher in Canton nach dem andern habe diesen Rath wiederholt, aber nichts dergleichen sey geschehen. Eine fünf Jahre lang zwischen China und England gepflogene Correspondenz habe nichts bewirkt, als einmal den nutzlos gebliebenen Vorschlag, im Parlament eine Specialcommission zu ernennen, um mit der chinesischen Regierung Anordnungen hinsichtlich des Opiumhandels zu treffen. Capitän Elliot, der jetzige Handelsoberaufseher in China, habe bald die Mangelhaftigkeit seiner Vollmachten gefühlt, wiederholt um eine Erweiterung derselben nachgesucht, und seine kritische Lage auseinander gesetzt, aber vergebens. Mittlerweile sey der Schmuggelhandel mit dem Opium zu einer gefährlichen Höhe angewachsen. Als Capitän Elliot in

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Einfuhrartikel aus jenem Lande dazu genommen, darf man das aus unserm Verkehr mit China sich ergebende Staatseinkommen zu ungefähr 4 Millionen berechnen. Was dann Indien betrifft, so lassen sich dessen Gesammteinkünfte auf 20 Millionen Pf. St. jährlich anschlagen; davon rühren, wenn ich nicht irre, volle 2 Millionen aus dem Handel mit China her, und da eine Hauptschwierigkeit in unserm Verkehr mit China die Geldremittenzen sind, so war es ein besonders günstiger Umstand, daß in den letzten fünf Jahren, eines ins andere gerechnet, gegen 1,300,000 Pf. St. baares Geld aus China nach Indien strömte, ja im vorigen Jahre sogar 1,700,000 Pf. Dieser Geldpunkt ist um so wichtiger, als unsere dermaligen Hauptverlegenheiten im Inland wie in Indien financieller Natur sind. Erwägen wir nun ferner den besondern Charakter, die ungeheure Wichtigkeit und Macht des chinesischen Reichs. Wir stehen am Vorabend eines Kriegs mit diesem Reiche, und nichts ist unweiser, als einen Feind im voraus verachten. Ich glaube, daß in England sehr allgemein irrthümliche Ansichten über China und seine Hülfsquellen herrschen. (Hört!) Wir schöpfen unsere Kenntnisse von jenem fernen Land fast nur aus unserm Verkehr mit einem einzelnen Hafen, in welchen allein brittische Unterthanen bis jetzt zugelassen wurden; außer Canton kennt man gewöhnlich nichts von China. Das ist aber ungefähr der gleiche Fall, als wenn ein Fremder, der in Nore Anker würfe und dann in Wapping landete, wo sein Aufenthalt einer strengen Beschränkung unterworfen wäre, unter diesen Umständen gleichwohl ein entschiedenes Urtheil über Hülfsquellen, Geist und Charakter des brittischen Reichs aussprechen wollte. Die Wahrheit, Sir, ist, China ist von 350 (?) Millionen Menschen bewohnt, alle dem Willen eines Einzigen unterthan, alle Eine Sprache redend, alle durch einen einzigen Gesetzescodex regiert, alle (?) eine einzige Religion bekennend, alle von demselben Nationalstolz, derselben Nationalsympathie erfüllt. Die Chinesen datiren ihren Ursprung nicht von Jahrhunderten, sondern von Jahrtausenden her, die sie unter patriarchalischen Regierungen verlebten; sie rühmen sich Bildung, Künste, namentlich die Buchdruckerkunst, so wie viele Lebensbequemlichkeiten gekannt und besessen zu haben, während Europa noch in Barbarei versunken, und das Licht der Wissenschaft auf unsrer westlichen Halbkugel noch verdunkelt war. Sie besitzen ein jährliches Einkommen von 60 Millionen Pf. St., welche regelmäßig eingehen, haben keine Staatsschuld, bewohnen den größten und schönsten Theil Asiens, der fast zum Drittel unter dem anmuthigsten Klima liegt; der fruchtbare Boden, den sie bebauen, ist von den schönsten Strömen bewässert, durchschnitten von einem 1200 (engl.) Meilen langen Canal &#x2013; einem der Wunderwerke der Welt. Und in diesem unermeßlichen Reich herrscht Ein gleichförmiges System, das gleiche eifersüchtige Mißtrauen gegen Fremde, wie an den Küsten des gelben Meeres, so an den Gränzen von Indien, Ava, Tibet und Nepal. Ist es nicht weiser, mit einer solchen Nation friedlichen Verkehr zu pflegen, als sie zu bekriegen? Ihre Eifersucht gegen Fremde steigert sich noch gegenüber von Großbritannien. Und das ist ganz natürlich zu erklären. Sie brauchen nur jenseits des Himalaya zu blicken, so sehen sie Hindostan zu Großbritanniens Füßen liegen. (Hört!) Sie sind nicht so unwissend, um nicht die Politik zu durchschauen, welche zu dieser Eroberung führte. Kaum ist ein Jahrhundert verflossen, seit unser indisches Reich aus kleinen Anfängen erstand. Und wie erstand es? Unter den Vorwänden des Handels, unter dem Schein friedlichen Verkehrs. Wir begannen damit, eine Factorei zu bauen; wir umgaben sie mit Mauern; wir fügten einen Graben bei; wir bewaffneten unsre Arbeiter; wir vermehrten die Zahl der Europäer; wir bildeten eine Besatzung; wir unterhandelten mit den einheimischen Mächten; wir entdeckten ihre Schwäche; unsre Besatzung rückte aus; Clive erschien; Arcot wurde genommen und vertheidigt; die Schlacht von Plassey wurde gewonnen; was Clive begann, vollendeten die Wellesleys; Seringapatam ward erobert, Mysore unterworfen, der Mahrattenkrieg durch die Schlacht von Assaye beendigt, und Indien war unser. (Hört!) Das ist aber nicht Alles; der Indus und der Ganges vermochten nicht länger unser Reich in Schranken zu bannen; wir gingen über den Hydaspes; Kabul und Kandahar schauten den Fortschritt unsrer Heere; Central-Asien zittert vor unsrer Gegenwart, und huldigt uns fast als seinen Herrn. Und an den Gränzen eines solchen Reichs sollten die Chinesen nicht, nachdem sie solches gesehen, mit äußerstem Argwohn auf die Niederlassung auch nur Eines Britten in ihrem Gebiete blicken? &#x2013; Zwei Hauptpunkte sind es, auf welche ihre Politik gerichtet ist: Ausschließung der Fremden von der Erwerbung eines Rechts auf den Aufenthalt innerhalb ihrer Gränzen, und das Verbot unmittelbarer Communication zwischen ihnen und den Vicekönigen.&#x201C; Der Redner führte nun die Geschichte der zweihundertjährigen Handelsverbindung Englands mit China aus, erörterte, wie es damit zur Zeit des Monopols der ostindischen Compagnie für diesen Handel gestanden, und welche, nach seiner Ansicht unkluge und traurige Aenderungen darin seit dem Aufheben dieses Monopols eingetreten. Die ostindische Compagnie, bemerkte er, habe es sich angelegen seyn lassen, ihren Supercargos in China immer das nachsichtigste und geschmeidigste Betragen gegen die Chinesen zu empfehlen. Resolutionen in gleichem Sinne seyen von Sir George Staunton im Hause der Gemeinen vorgeschlagen worden, als der Handel mit China freigegeben wurde. Damals habe man zwei Fehler begangen, deren üble Folgen die Erfahrung gezeigt habe, ohne daß man sie zu verbessern gesucht. Der eine Fehler sey die Weisung an den königlichen Handelssuperintendenten gewesen, seinen Wohnsitz in Canton aufzuschlagen; der andere Fehler die ihm zugleich ertheilte Instruction, mit dem Vicekönig direct, anstatt wie bisher durch Vermittlung der Hongkaufleute, zu verhandeln. Im Archiv des auswärtigen Amtes liege eine vom Herzog v. Wellington während des kurzen Peel'schen Ministeriums verfaßte Denkschrift, welche die Richtschnur seiner Nachfolger hätte werden sollen; nichtsdestoweniger habe Lord Palmerston an jenen beiden Fehlern festgehalten. Die Denkschrift empfehle die Errichtung eines Criminal- und Admiralitätsgerichtshofs unter dem Vorsitz des Handelsoberaufsehers für englische Unterthanen in China, deßgleichen die Maaßregel, eine tüchtige Fregatte und ein kleineres Kriegsschiff immer im Bereich dieses Beamten stationirt zu haben. Beide Empfehlungen seyen vernachlässigt worden. Lord Strathallan habe nachdrücklich gerathen, daß von Englands Souverän ein eigenhändiges Schreiben an den Kaiser von China als Grundlage freundlicher Beziehungen gerichtet werde, und ein Handelsoberaufseher in Canton nach dem andern habe diesen Rath wiederholt, aber nichts dergleichen sey geschehen. Eine fünf Jahre lang zwischen China und England gepflogene Correspondenz habe nichts bewirkt, als einmal den nutzlos gebliebenen Vorschlag, im Parlament eine Specialcommission zu ernennen, um mit der chinesischen Regierung Anordnungen hinsichtlich des Opiumhandels zu treffen. Capitän Elliot, der jetzige Handelsoberaufseher in China, habe bald die Mangelhaftigkeit seiner Vollmachten gefühlt, wiederholt um eine Erweiterung derselben nachgesucht, und seine kritische Lage auseinander gesetzt, aber vergebens. Mittlerweile sey der Schmuggelhandel mit dem Opium zu einer gefährlichen Höhe angewachsen. Als Capitän Elliot in<lb/></p>
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[0850/0002] Einfuhrartikel aus jenem Lande dazu genommen, darf man das aus unserm Verkehr mit China sich ergebende Staatseinkommen zu ungefähr 4 Millionen berechnen. Was dann Indien betrifft, so lassen sich dessen Gesammteinkünfte auf 20 Millionen Pf. St. jährlich anschlagen; davon rühren, wenn ich nicht irre, volle 2 Millionen aus dem Handel mit China her, und da eine Hauptschwierigkeit in unserm Verkehr mit China die Geldremittenzen sind, so war es ein besonders günstiger Umstand, daß in den letzten fünf Jahren, eines ins andere gerechnet, gegen 1,300,000 Pf. St. baares Geld aus China nach Indien strömte, ja im vorigen Jahre sogar 1,700,000 Pf. Dieser Geldpunkt ist um so wichtiger, als unsere dermaligen Hauptverlegenheiten im Inland wie in Indien financieller Natur sind. Erwägen wir nun ferner den besondern Charakter, die ungeheure Wichtigkeit und Macht des chinesischen Reichs. Wir stehen am Vorabend eines Kriegs mit diesem Reiche, und nichts ist unweiser, als einen Feind im voraus verachten. Ich glaube, daß in England sehr allgemein irrthümliche Ansichten über China und seine Hülfsquellen herrschen. (Hört!) Wir schöpfen unsere Kenntnisse von jenem fernen Land fast nur aus unserm Verkehr mit einem einzelnen Hafen, in welchen allein brittische Unterthanen bis jetzt zugelassen wurden; außer Canton kennt man gewöhnlich nichts von China. Das ist aber ungefähr der gleiche Fall, als wenn ein Fremder, der in Nore Anker würfe und dann in Wapping landete, wo sein Aufenthalt einer strengen Beschränkung unterworfen wäre, unter diesen Umständen gleichwohl ein entschiedenes Urtheil über Hülfsquellen, Geist und Charakter des brittischen Reichs aussprechen wollte. Die Wahrheit, Sir, ist, China ist von 350 (?) Millionen Menschen bewohnt, alle dem Willen eines Einzigen unterthan, alle Eine Sprache redend, alle durch einen einzigen Gesetzescodex regiert, alle (?) eine einzige Religion bekennend, alle von demselben Nationalstolz, derselben Nationalsympathie erfüllt. Die Chinesen datiren ihren Ursprung nicht von Jahrhunderten, sondern von Jahrtausenden her, die sie unter patriarchalischen Regierungen verlebten; sie rühmen sich Bildung, Künste, namentlich die Buchdruckerkunst, so wie viele Lebensbequemlichkeiten gekannt und besessen zu haben, während Europa noch in Barbarei versunken, und das Licht der Wissenschaft auf unsrer westlichen Halbkugel noch verdunkelt war. Sie besitzen ein jährliches Einkommen von 60 Millionen Pf. St., welche regelmäßig eingehen, haben keine Staatsschuld, bewohnen den größten und schönsten Theil Asiens, der fast zum Drittel unter dem anmuthigsten Klima liegt; der fruchtbare Boden, den sie bebauen, ist von den schönsten Strömen bewässert, durchschnitten von einem 1200 (engl.) Meilen langen Canal – einem der Wunderwerke der Welt. Und in diesem unermeßlichen Reich herrscht Ein gleichförmiges System, das gleiche eifersüchtige Mißtrauen gegen Fremde, wie an den Küsten des gelben Meeres, so an den Gränzen von Indien, Ava, Tibet und Nepal. Ist es nicht weiser, mit einer solchen Nation friedlichen Verkehr zu pflegen, als sie zu bekriegen? Ihre Eifersucht gegen Fremde steigert sich noch gegenüber von Großbritannien. Und das ist ganz natürlich zu erklären. Sie brauchen nur jenseits des Himalaya zu blicken, so sehen sie Hindostan zu Großbritanniens Füßen liegen. (Hört!) Sie sind nicht so unwissend, um nicht die Politik zu durchschauen, welche zu dieser Eroberung führte. Kaum ist ein Jahrhundert verflossen, seit unser indisches Reich aus kleinen Anfängen erstand. Und wie erstand es? Unter den Vorwänden des Handels, unter dem Schein friedlichen Verkehrs. Wir begannen damit, eine Factorei zu bauen; wir umgaben sie mit Mauern; wir fügten einen Graben bei; wir bewaffneten unsre Arbeiter; wir vermehrten die Zahl der Europäer; wir bildeten eine Besatzung; wir unterhandelten mit den einheimischen Mächten; wir entdeckten ihre Schwäche; unsre Besatzung rückte aus; Clive erschien; Arcot wurde genommen und vertheidigt; die Schlacht von Plassey wurde gewonnen; was Clive begann, vollendeten die Wellesleys; Seringapatam ward erobert, Mysore unterworfen, der Mahrattenkrieg durch die Schlacht von Assaye beendigt, und Indien war unser. (Hört!) Das ist aber nicht Alles; der Indus und der Ganges vermochten nicht länger unser Reich in Schranken zu bannen; wir gingen über den Hydaspes; Kabul und Kandahar schauten den Fortschritt unsrer Heere; Central-Asien zittert vor unsrer Gegenwart, und huldigt uns fast als seinen Herrn. Und an den Gränzen eines solchen Reichs sollten die Chinesen nicht, nachdem sie solches gesehen, mit äußerstem Argwohn auf die Niederlassung auch nur Eines Britten in ihrem Gebiete blicken? – Zwei Hauptpunkte sind es, auf welche ihre Politik gerichtet ist: Ausschließung der Fremden von der Erwerbung eines Rechts auf den Aufenthalt innerhalb ihrer Gränzen, und das Verbot unmittelbarer Communication zwischen ihnen und den Vicekönigen.“ Der Redner führte nun die Geschichte der zweihundertjährigen Handelsverbindung Englands mit China aus, erörterte, wie es damit zur Zeit des Monopols der ostindischen Compagnie für diesen Handel gestanden, und welche, nach seiner Ansicht unkluge und traurige Aenderungen darin seit dem Aufheben dieses Monopols eingetreten. Die ostindische Compagnie, bemerkte er, habe es sich angelegen seyn lassen, ihren Supercargos in China immer das nachsichtigste und geschmeidigste Betragen gegen die Chinesen zu empfehlen. Resolutionen in gleichem Sinne seyen von Sir George Staunton im Hause der Gemeinen vorgeschlagen worden, als der Handel mit China freigegeben wurde. Damals habe man zwei Fehler begangen, deren üble Folgen die Erfahrung gezeigt habe, ohne daß man sie zu verbessern gesucht. Der eine Fehler sey die Weisung an den königlichen Handelssuperintendenten gewesen, seinen Wohnsitz in Canton aufzuschlagen; der andere Fehler die ihm zugleich ertheilte Instruction, mit dem Vicekönig direct, anstatt wie bisher durch Vermittlung der Hongkaufleute, zu verhandeln. Im Archiv des auswärtigen Amtes liege eine vom Herzog v. Wellington während des kurzen Peel'schen Ministeriums verfaßte Denkschrift, welche die Richtschnur seiner Nachfolger hätte werden sollen; nichtsdestoweniger habe Lord Palmerston an jenen beiden Fehlern festgehalten. Die Denkschrift empfehle die Errichtung eines Criminal- und Admiralitätsgerichtshofs unter dem Vorsitz des Handelsoberaufsehers für englische Unterthanen in China, deßgleichen die Maaßregel, eine tüchtige Fregatte und ein kleineres Kriegsschiff immer im Bereich dieses Beamten stationirt zu haben. Beide Empfehlungen seyen vernachlässigt worden. Lord Strathallan habe nachdrücklich gerathen, daß von Englands Souverän ein eigenhändiges Schreiben an den Kaiser von China als Grundlage freundlicher Beziehungen gerichtet werde, und ein Handelsoberaufseher in Canton nach dem andern habe diesen Rath wiederholt, aber nichts dergleichen sey geschehen. Eine fünf Jahre lang zwischen China und England gepflogene Correspondenz habe nichts bewirkt, als einmal den nutzlos gebliebenen Vorschlag, im Parlament eine Specialcommission zu ernennen, um mit der chinesischen Regierung Anordnungen hinsichtlich des Opiumhandels zu treffen. Capitän Elliot, der jetzige Handelsoberaufseher in China, habe bald die Mangelhaftigkeit seiner Vollmachten gefühlt, wiederholt um eine Erweiterung derselben nachgesucht, und seine kritische Lage auseinander gesetzt, aber vergebens. Mittlerweile sey der Schmuggelhandel mit dem Opium zu einer gefährlichen Höhe angewachsen. Als Capitän Elliot in

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 107. Augsburg, 16. April 1840, S. 0850. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_107_18400416/2>, abgerufen am 19.04.2024.