Allgemeine Zeitung. Nr. 103. Augsburg, 12. April 1840.sein reger Geist Nacht und Tag nur darauf, zu entkommen, um sich vom Schimpfe rein zu waschen, der nach seinen Begriffen auf ihm lasten müsse wegen des unglücklichen Ausgangs seines jüngsten Zugs nach Catalonien. Zuerst kam es darauf an, die Aufmerksamkeit seiner Wächter zu täuschen, und ihnen jeden Gedanken an Flucht seinerseits als unmöglich erscheinen zu lassen; er stellte sich krank, altersschwach und halb verrückt. Ein und ein halbes Jahr lang kam er nicht aus seinem Bette, beschnitt weder Bart noch Nägel, sprach mit Niemanden, las und betete den ganzen Tag. Er schrieb nie, bekam nie Briefe, und doch war er stets in unausgesetzter Verbindung mit dem königlichen Hauptquartier in Navarra und mit seinen Anhängern in Catalonien. Endlich kam der wahre Moment. Nach fünf vergeblichen Reisen vom königlichen Hauptquartier nach Lille und zurück, kam der Graf v. Fonollar im Jun. 1838, mit allen königlichen Vollmachten versehen, in Lille an. Die Flucht ward besprochen und sogleich ausgeführt. Einige unserer Freunde, die nicht genannt seyn wollen, wirkten mit eben so viel Muth als Selbstaufopferung bei diesem gefährlichen Unternehmen. Es gelang wider alle Erwartung. Am 26 Junius langte Graf de Espanna in Toulouse an; Tags darauf in Foix. Seit fünfzig Jahren sah er das erstemal seinen Geburtsort wieder; auf dem Rücken eines berühmten Contrebandiers ward er durch die Schluchten der Maledetta getragen; am 1 Julius traf er auf dem neutralen Gebiet von Andorra ein; am 2ten empfing ihn El Ros de Eroles in den Thälern des Urgel unter den Kanonen der Seu, und am 4ten hielt der alte Feldherr seinen Einzug in Berga. Alles jubelte und schien freudig; eine glückliche Zukunft sollte uns werden, alle Kräfte in gemeinsamer Tendenz zusammenwirken; doch als Graf de Espanna begann Ordnung und Disciplin herstellen zu wollen, als er an diesem großen Augiasstall rüttelte, ihn mit Einemmal zu reinigen, da fingen sie an zu murren, alle jene, deren unrechtmäßige Erwerbsquellen er versiegen gemacht hatte. Die Junta, welch die frühern Generalcapitäne ein- und abgesetzt hatte, war nun dem neuen Chef untergeordnet, der mit den ausgedehntesten königlichen Gewalten auftrat. Er schickte sie nach Avia, einem kleinen Dorfe zwischen den Kanonen von Berga und seinem Hauptquartier Caserras. Keiner durfte sich ohne specielle Erlaubniß entfernen. In financieller und administrativer Hinsicht führte er bedeutende Verbesserungen ein; bloß regelmäßige Steuerbeträge wurden gefordert, und diese flossen direct an die Generalintendantur. Alle eigenmächtigen Erpressungen wurden mit dem Leben bestraft. Den zügellosesten Häuptlingen wurden ihre Banden abgenommen und unschädliche Stellen angewiesen. Die Guerrillas, früher in ungleichmäßige Haufen getheilt, wurden bataillonisirt, gekleidet, genährt und bezahlt. Das ganze Land schien aufzuleben, von einem großen Drucke befreit. Unsere Operationen nahmen einen kriegerischen Gang; Barcelona zitterte wieder vor dem Namen des Grafen de Espanna. So war die Lage der Dinge in Catalonien, als der König im September 1839 den französischen Boden betrat; denn, wenn gleich die neue Ordnung der Dinge den Häuptlingen und der Junta nicht gefallen konnte, so war ihr Einfluß doch neutralisirt, und sie waren darauf beschränkt, Intriguen mit dem königlichen Hauptquartier zu unterhalten, nachtheilige Gerüchte auszustreuen, das Vertrauen des Königs und der Armee zu untergraben und überall gegen die Autorität des Grafen de Espanna aufzuwiegeln. Graf de Espanna kannte alle diese Umtriebe; er verachtete sie, vielleicht zu sehr. Als die Nachricht nach Catalonien kam, daß der König Spanien verlassen, befürchtete de Espanna die Folgen des ersten Eindrucks. Diesen zuvorzukommen, dem sinkenden Enthusiasmus einen neuen Impuls zu geben, suchte der Graf alle Erinnerungen zu wecken, die im Herzen jedes Spaniers aus den großen Zeiten ihres Befreiungskampfes fortleben. Eine Maaßregel, welche in dieser heroischen Epoche von den bedeutendsten Folgen gewesen war, schien geeignet, gleichen Anklang zu finden - es ist die Souveränetät und königliche Machtvollkommenheit der Provincial-Juntas während der Abwesenheit und Gefangenschaft des Königs. - So viele trübe, unglückliche Ereignisse hatten sich wiederholt, die gewaltsame Abdication im Schlosse von Marrac und der Verrath auf den Feldern von Bergara; Ferdinands VII Gefangenschaft in Valencay, und Karls V Gefangenschaft in Bourges - sollten denn die glanzvollen Momente sich nicht wiederfinden? - Der Generalcapitän Graf de Espanna erklärte also unterm 1 Oct. 1839 die Regierungsjunta von Catalonien, deren Präsident er war, souverän während der Abwesenheit und Gefangenschaft des Königs (Junta superior gubernativa, soberana durante la ausencia y cautividad del Rey N. S). - Dieß kostete ihm das Leben. Der Präsident jeder spanischen Junta hat nur zwei Stimmen; die Junta kann sich legal in seiner Abwesenheit unter Vorsitz eines Vocals - Vicepräsidenten - versammeln, und in ihrem Pleno bei absoluter Majorität abschließen und decretiren. Der erste Beschluß der nun souverän gewordenen Junta, in geheimer Sitzung gefaßt, war: die Absetzung und Entfernung ihres Generalcapitäns und Präsidenten, des Grafen de Espanna. Doch wagte sie nicht ihr Decret zu veröffentlichen, die Stimme der Armee scheuend, die enthusiastisch an ihrem Führer hing. Ein geheimes Mittel, eine unwürdige Falle wurde auserwählt, in die sie den alten Feldherrn lockten. An einem bestimmten Tage fanden sich mehrere unzufriedene Häuptlinge in Avia ein, und als sie ihrer Helfershelfer versichert waren, ließen die Mitglieder der Junta durch ihren Secretär Narciso Ferrer, einen Advocaten aus Barcelona, dem Grafen de Espanna nach Caserras schreiben: einige wichtige Geschäfte erheischten seine Gegenwart; sie bäten ihn zu kommen, einer Sitzung zu präsidiren. Nur von wenigen Reitern und einem seiner Adjutanten, dem Oberstlieutenant Don Luis de Adell begleitet, traf der Generalcapitän noch denselben Morgen in Avia ein, und ward vor dem Regierungsgebäude von einigen Mitgliedern der Junta empfangen. Als er in den Sitzungssaal trat, ging einer der Vocale zum zurückgebliebenen Adjutanten, und schickte ihn, vorgeblich im Auftrage des Generalcapitäns, sogleich nach Berga. Die Escorte der Junta, zu deren Sicherheit und als Amtsboten ihr beigegeben, bemächtigte sich der wenigen übrigen Begleiter. Diese Escorte bestand aus vierzig Gendarmen, die von der Junta längst gewonnen worden waren. Während dieses sich mit der größten Schnelligkeit ereignete, trat Graf de Espanna arglos in den Sitzungssaal. Er war ein Mann von untersetzter Statur; seine vornehmen Gesichtszüge hatten einen auffallenden bourbonischen Schnitt; sein Auge war freundlich und geistreich, doch in Momenten der Aufregung und Strenge in dunkler, unheimlicher Gluth leuchtend. Kurzes weißes Haar umspielte Stirn und Schläfe. Er hielt viel auf äußern Anstand und militärische Haltung; sein erstes Auftreten war imposant und Ehrfurcht gebietend. Am oben erwähnten Tage trug er einen blauen militärischen Oberrock ohne alle Abzeichen seiner Würde, und nur mit dem Ritterkreuz von Santiago geziert, den Generalshut mit weißer Feder, einen krummen Säbel und ein spanisches Rohr mit goldenem Knopfe, worauf das Wappen seines Hauses gravirt. Auf diesen Stock gestützt, ihn nach hinten haltend, stand der General vor dem Kamin im Sitzungssaal; allein, unter vierzehn sein reger Geist Nacht und Tag nur darauf, zu entkommen, um sich vom Schimpfe rein zu waschen, der nach seinen Begriffen auf ihm lasten müsse wegen des unglücklichen Ausgangs seines jüngsten Zugs nach Catalonien. Zuerst kam es darauf an, die Aufmerksamkeit seiner Wächter zu täuschen, und ihnen jeden Gedanken an Flucht seinerseits als unmöglich erscheinen zu lassen; er stellte sich krank, altersschwach und halb verrückt. Ein und ein halbes Jahr lang kam er nicht aus seinem Bette, beschnitt weder Bart noch Nägel, sprach mit Niemanden, las und betete den ganzen Tag. Er schrieb nie, bekam nie Briefe, und doch war er stets in unausgesetzter Verbindung mit dem königlichen Hauptquartier in Navarra und mit seinen Anhängern in Catalonien. Endlich kam der wahre Moment. Nach fünf vergeblichen Reisen vom königlichen Hauptquartier nach Lille und zurück, kam der Graf v. Fonollar im Jun. 1838, mit allen königlichen Vollmachten versehen, in Lille an. Die Flucht ward besprochen und sogleich ausgeführt. Einige unserer Freunde, die nicht genannt seyn wollen, wirkten mit eben so viel Muth als Selbstaufopferung bei diesem gefährlichen Unternehmen. Es gelang wider alle Erwartung. Am 26 Junius langte Graf de España in Toulouse an; Tags darauf in Foix. Seit fünfzig Jahren sah er das erstemal seinen Geburtsort wieder; auf dem Rücken eines berühmten Contrebandiers ward er durch die Schluchten der Maledetta getragen; am 1 Julius traf er auf dem neutralen Gebiet von Andorra ein; am 2ten empfing ihn El Ros de Eroles in den Thälern des Urgel unter den Kanonen der Seu, und am 4ten hielt der alte Feldherr seinen Einzug in Berga. Alles jubelte und schien freudig; eine glückliche Zukunft sollte uns werden, alle Kräfte in gemeinsamer Tendenz zusammenwirken; doch als Graf de España begann Ordnung und Disciplin herstellen zu wollen, als er an diesem großen Augiasstall rüttelte, ihn mit Einemmal zu reinigen, da fingen sie an zu murren, alle jene, deren unrechtmäßige Erwerbsquellen er versiegen gemacht hatte. Die Junta, welch die frühern Generalcapitäne ein- und abgesetzt hatte, war nun dem neuen Chef untergeordnet, der mit den ausgedehntesten königlichen Gewalten auftrat. Er schickte sie nach Avia, einem kleinen Dorfe zwischen den Kanonen von Berga und seinem Hauptquartier Caserras. Keiner durfte sich ohne specielle Erlaubniß entfernen. In financieller und administrativer Hinsicht führte er bedeutende Verbesserungen ein; bloß regelmäßige Steuerbeträge wurden gefordert, und diese flossen direct an die Generalintendantur. Alle eigenmächtigen Erpressungen wurden mit dem Leben bestraft. Den zügellosesten Häuptlingen wurden ihre Banden abgenommen und unschädliche Stellen angewiesen. Die Guerrillas, früher in ungleichmäßige Haufen getheilt, wurden bataillonisirt, gekleidet, genährt und bezahlt. Das ganze Land schien aufzuleben, von einem großen Drucke befreit. Unsere Operationen nahmen einen kriegerischen Gang; Barcelona zitterte wieder vor dem Namen des Grafen de España. So war die Lage der Dinge in Catalonien, als der König im September 1839 den französischen Boden betrat; denn, wenn gleich die neue Ordnung der Dinge den Häuptlingen und der Junta nicht gefallen konnte, so war ihr Einfluß doch neutralisirt, und sie waren darauf beschränkt, Intriguen mit dem königlichen Hauptquartier zu unterhalten, nachtheilige Gerüchte auszustreuen, das Vertrauen des Königs und der Armee zu untergraben und überall gegen die Autorität des Grafen de España aufzuwiegeln. Graf de España kannte alle diese Umtriebe; er verachtete sie, vielleicht zu sehr. Als die Nachricht nach Catalonien kam, daß der König Spanien verlassen, befürchtete de España die Folgen des ersten Eindrucks. Diesen zuvorzukommen, dem sinkenden Enthusiasmus einen neuen Impuls zu geben, suchte der Graf alle Erinnerungen zu wecken, die im Herzen jedes Spaniers aus den großen Zeiten ihres Befreiungskampfes fortleben. Eine Maaßregel, welche in dieser heroischen Epoche von den bedeutendsten Folgen gewesen war, schien geeignet, gleichen Anklang zu finden – es ist die Souveränetät und königliche Machtvollkommenheit der Provincial-Juntas während der Abwesenheit und Gefangenschaft des Königs. – So viele trübe, unglückliche Ereignisse hatten sich wiederholt, die gewaltsame Abdication im Schlosse von Marrac und der Verrath auf den Feldern von Bergara; Ferdinands VII Gefangenschaft in Valençay, und Karls V Gefangenschaft in Bourges – sollten denn die glanzvollen Momente sich nicht wiederfinden? – Der Generalcapitän Graf de España erklärte also unterm 1 Oct. 1839 die Regierungsjunta von Catalonien, deren Präsident er war, souverän während der Abwesenheit und Gefangenschaft des Königs (Junta superior gubernativa, soberana durante la ausencia y cautividad del Rey N. S). – Dieß kostete ihm das Leben. Der Präsident jeder spanischen Junta hat nur zwei Stimmen; die Junta kann sich legal in seiner Abwesenheit unter Vorsitz eines Vocals – Vicepräsidenten – versammeln, und in ihrem Pleno bei absoluter Majorität abschließen und decretiren. Der erste Beschluß der nun souverän gewordenen Junta, in geheimer Sitzung gefaßt, war: die Absetzung und Entfernung ihres Generalcapitäns und Präsidenten, des Grafen de España. Doch wagte sie nicht ihr Decret zu veröffentlichen, die Stimme der Armee scheuend, die enthusiastisch an ihrem Führer hing. Ein geheimes Mittel, eine unwürdige Falle wurde auserwählt, in die sie den alten Feldherrn lockten. An einem bestimmten Tage fanden sich mehrere unzufriedene Häuptlinge in Avia ein, und als sie ihrer Helfershelfer versichert waren, ließen die Mitglieder der Junta durch ihren Secretär Narciso Ferrer, einen Advocaten aus Barcelona, dem Grafen de España nach Caserras schreiben: einige wichtige Geschäfte erheischten seine Gegenwart; sie bäten ihn zu kommen, einer Sitzung zu präsidiren. Nur von wenigen Reitern und einem seiner Adjutanten, dem Oberstlieutenant Don Luis de Adell begleitet, traf der Generalcapitän noch denselben Morgen in Avia ein, und ward vor dem Regierungsgebäude von einigen Mitgliedern der Junta empfangen. Als er in den Sitzungssaal trat, ging einer der Vocale zum zurückgebliebenen Adjutanten, und schickte ihn, vorgeblich im Auftrage des Generalcapitäns, sogleich nach Berga. Die Escorte der Junta, zu deren Sicherheit und als Amtsboten ihr beigegeben, bemächtigte sich der wenigen übrigen Begleiter. Diese Escorte bestand aus vierzig Gendarmen, die von der Junta längst gewonnen worden waren. Während dieses sich mit der größten Schnelligkeit ereignete, trat Graf de España arglos in den Sitzungssaal. Er war ein Mann von untersetzter Statur; seine vornehmen Gesichtszüge hatten einen auffallenden bourbonischen Schnitt; sein Auge war freundlich und geistreich, doch in Momenten der Aufregung und Strenge in dunkler, unheimlicher Gluth leuchtend. Kurzes weißes Haar umspielte Stirn und Schläfe. Er hielt viel auf äußern Anstand und militärische Haltung; sein erstes Auftreten war imposant und Ehrfurcht gebietend. Am oben erwähnten Tage trug er einen blauen militärischen Oberrock ohne alle Abzeichen seiner Würde, und nur mit dem Ritterkreuz von Santiago geziert, den Generalshut mit weißer Feder, einen krummen Säbel und ein spanisches Rohr mit goldenem Knopfe, worauf das Wappen seines Hauses gravirt. Auf diesen Stock gestützt, ihn nach hinten haltend, stand der General vor dem Kamin im Sitzungssaal; allein, unter vierzehn <TEI> <text> <body> <div type="jArticle" n="1"> <p><pb facs="#f0011" n="0819"/> sein reger Geist Nacht und Tag nur darauf, zu entkommen, um sich vom Schimpfe rein zu waschen, der nach seinen Begriffen auf ihm lasten müsse wegen des unglücklichen Ausgangs seines jüngsten Zugs nach Catalonien. Zuerst kam es darauf an, die Aufmerksamkeit seiner Wächter zu täuschen, und ihnen jeden Gedanken an Flucht seinerseits als unmöglich erscheinen zu lassen; er stellte sich krank, altersschwach und halb verrückt. Ein und ein halbes Jahr lang kam er nicht aus seinem Bette, beschnitt weder Bart noch Nägel, sprach mit Niemanden, las und betete den ganzen Tag. Er schrieb nie, bekam nie Briefe, und doch war er stets in unausgesetzter Verbindung mit dem königlichen Hauptquartier in Navarra und mit seinen Anhängern in Catalonien. Endlich kam der wahre Moment. Nach fünf vergeblichen Reisen vom königlichen Hauptquartier nach Lille und zurück, kam der Graf v. Fonollar im Jun. 1838, mit allen königlichen Vollmachten versehen, in Lille an. Die Flucht ward besprochen und sogleich ausgeführt. Einige unserer Freunde, die nicht genannt seyn wollen, wirkten mit eben so viel Muth als Selbstaufopferung bei diesem gefährlichen Unternehmen. Es gelang wider alle Erwartung. Am 26 Junius langte Graf de España in Toulouse an; Tags darauf in Foix. Seit fünfzig Jahren sah er das erstemal seinen Geburtsort wieder; auf dem Rücken eines berühmten Contrebandiers ward er durch die Schluchten der Maledetta getragen; am 1 Julius traf er auf dem neutralen Gebiet von Andorra ein; am 2ten empfing ihn El Ros de Eroles in den Thälern des Urgel unter den Kanonen der Seu, und am 4ten hielt der alte Feldherr seinen Einzug in Berga. Alles jubelte und schien freudig; eine glückliche Zukunft sollte uns werden, alle Kräfte in gemeinsamer Tendenz zusammenwirken; doch als Graf de España begann Ordnung und Disciplin herstellen zu wollen, als er an diesem großen Augiasstall rüttelte, ihn mit Einemmal zu reinigen, da fingen sie an zu murren, alle jene, deren unrechtmäßige Erwerbsquellen er versiegen gemacht hatte. Die Junta, welch die frühern Generalcapitäne ein- und abgesetzt hatte, war nun dem neuen Chef untergeordnet, der mit den ausgedehntesten königlichen Gewalten auftrat. Er schickte sie nach Avia, einem kleinen Dorfe zwischen den Kanonen von Berga und seinem Hauptquartier Caserras. Keiner durfte sich ohne specielle Erlaubniß entfernen. In financieller und administrativer Hinsicht führte er bedeutende Verbesserungen ein; bloß regelmäßige Steuerbeträge wurden gefordert, und diese flossen direct an die Generalintendantur. Alle eigenmächtigen Erpressungen wurden mit dem Leben bestraft. Den zügellosesten Häuptlingen wurden ihre Banden abgenommen und unschädliche Stellen angewiesen. Die Guerrillas, früher in ungleichmäßige Haufen getheilt, wurden bataillonisirt, gekleidet, genährt und bezahlt. Das ganze Land schien aufzuleben, von einem großen Drucke befreit. Unsere Operationen nahmen einen kriegerischen Gang; Barcelona zitterte wieder vor dem Namen des Grafen de España.</p><lb/> <p>So war die Lage der Dinge in Catalonien, als der König im September 1839 den französischen Boden betrat; denn, wenn gleich die neue Ordnung der Dinge den Häuptlingen und der Junta nicht gefallen konnte, so war ihr Einfluß doch neutralisirt, und sie waren darauf beschränkt, Intriguen mit dem königlichen Hauptquartier zu unterhalten, nachtheilige Gerüchte auszustreuen, das Vertrauen des Königs und der Armee zu untergraben und überall gegen die Autorität des Grafen de España aufzuwiegeln. Graf de España kannte alle diese Umtriebe; er verachtete sie, vielleicht zu sehr.</p><lb/> <p>Als die Nachricht nach Catalonien kam, daß der König Spanien verlassen, befürchtete de España die Folgen des ersten Eindrucks. Diesen zuvorzukommen, dem sinkenden Enthusiasmus einen neuen Impuls zu geben, suchte der Graf alle Erinnerungen zu wecken, die im Herzen jedes Spaniers aus den großen Zeiten ihres Befreiungskampfes fortleben. Eine Maaßregel, welche in dieser heroischen Epoche von den bedeutendsten Folgen gewesen war, schien geeignet, gleichen Anklang zu finden – es ist die Souveränetät und königliche Machtvollkommenheit der Provincial-Juntas während der Abwesenheit und Gefangenschaft des Königs. – So viele trübe, unglückliche Ereignisse hatten sich wiederholt, die gewaltsame Abdication im Schlosse von Marrac und der Verrath auf den Feldern von Bergara; Ferdinands VII Gefangenschaft in Valençay, und Karls V Gefangenschaft in Bourges – sollten denn die glanzvollen Momente sich nicht wiederfinden? – Der Generalcapitän Graf de España erklärte also unterm 1 Oct. 1839 die Regierungsjunta von Catalonien, deren Präsident er war, souverän während der Abwesenheit und Gefangenschaft des Königs (Junta superior gubernativa, soberana durante la ausencia y cautividad del Rey N. 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An einem bestimmten Tage fanden sich mehrere unzufriedene Häuptlinge in Avia ein, und als sie ihrer Helfershelfer versichert waren, ließen die Mitglieder der Junta durch ihren Secretär Narciso Ferrer, einen Advocaten aus Barcelona, dem Grafen de España nach Caserras schreiben: einige wichtige Geschäfte erheischten seine Gegenwart; sie bäten ihn zu kommen, einer Sitzung zu präsidiren. Nur von wenigen Reitern und einem seiner Adjutanten, dem Oberstlieutenant Don Luis de Adell begleitet, traf der Generalcapitän noch denselben Morgen in Avia ein, und ward vor dem Regierungsgebäude von einigen Mitgliedern der Junta empfangen. Als er in den Sitzungssaal trat, ging einer der Vocale zum zurückgebliebenen Adjutanten, und schickte ihn, vorgeblich im Auftrage des Generalcapitäns, sogleich nach Berga. Die Escorte der Junta, zu deren Sicherheit und als Amtsboten ihr beigegeben, bemächtigte sich der wenigen übrigen Begleiter. Diese Escorte bestand aus vierzig Gendarmen, die von der Junta längst gewonnen worden waren. Während dieses sich mit der größten Schnelligkeit ereignete, trat Graf de España arglos in den Sitzungssaal. Er war ein Mann von untersetzter Statur; seine vornehmen Gesichtszüge hatten einen auffallenden bourbonischen Schnitt; sein Auge war freundlich und geistreich, doch in Momenten der Aufregung und Strenge in dunkler, unheimlicher Gluth leuchtend. Kurzes weißes Haar umspielte Stirn und Schläfe. Er hielt viel auf äußern Anstand und militärische Haltung; sein erstes Auftreten war imposant und Ehrfurcht gebietend. Am oben erwähnten Tage trug er einen blauen militärischen Oberrock ohne alle Abzeichen seiner Würde, und nur mit dem Ritterkreuz von Santiago geziert, den Generalshut mit weißer Feder, einen krummen Säbel und ein spanisches Rohr mit goldenem Knopfe, worauf das Wappen seines Hauses gravirt. 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sein reger Geist Nacht und Tag nur darauf, zu entkommen, um sich vom Schimpfe rein zu waschen, der nach seinen Begriffen auf ihm lasten müsse wegen des unglücklichen Ausgangs seines jüngsten Zugs nach Catalonien. Zuerst kam es darauf an, die Aufmerksamkeit seiner Wächter zu täuschen, und ihnen jeden Gedanken an Flucht seinerseits als unmöglich erscheinen zu lassen; er stellte sich krank, altersschwach und halb verrückt. Ein und ein halbes Jahr lang kam er nicht aus seinem Bette, beschnitt weder Bart noch Nägel, sprach mit Niemanden, las und betete den ganzen Tag. Er schrieb nie, bekam nie Briefe, und doch war er stets in unausgesetzter Verbindung mit dem königlichen Hauptquartier in Navarra und mit seinen Anhängern in Catalonien. Endlich kam der wahre Moment. Nach fünf vergeblichen Reisen vom königlichen Hauptquartier nach Lille und zurück, kam der Graf v. Fonollar im Jun. 1838, mit allen königlichen Vollmachten versehen, in Lille an. Die Flucht ward besprochen und sogleich ausgeführt. Einige unserer Freunde, die nicht genannt seyn wollen, wirkten mit eben so viel Muth als Selbstaufopferung bei diesem gefährlichen Unternehmen. Es gelang wider alle Erwartung. Am 26 Junius langte Graf de España in Toulouse an; Tags darauf in Foix. Seit fünfzig Jahren sah er das erstemal seinen Geburtsort wieder; auf dem Rücken eines berühmten Contrebandiers ward er durch die Schluchten der Maledetta getragen; am 1 Julius traf er auf dem neutralen Gebiet von Andorra ein; am 2ten empfing ihn El Ros de Eroles in den Thälern des Urgel unter den Kanonen der Seu, und am 4ten hielt der alte Feldherr seinen Einzug in Berga. Alles jubelte und schien freudig; eine glückliche Zukunft sollte uns werden, alle Kräfte in gemeinsamer Tendenz zusammenwirken; doch als Graf de España begann Ordnung und Disciplin herstellen zu wollen, als er an diesem großen Augiasstall rüttelte, ihn mit Einemmal zu reinigen, da fingen sie an zu murren, alle jene, deren unrechtmäßige Erwerbsquellen er versiegen gemacht hatte. Die Junta, welch die frühern Generalcapitäne ein- und abgesetzt hatte, war nun dem neuen Chef untergeordnet, der mit den ausgedehntesten königlichen Gewalten auftrat. Er schickte sie nach Avia, einem kleinen Dorfe zwischen den Kanonen von Berga und seinem Hauptquartier Caserras. Keiner durfte sich ohne specielle Erlaubniß entfernen. In financieller und administrativer Hinsicht führte er bedeutende Verbesserungen ein; bloß regelmäßige Steuerbeträge wurden gefordert, und diese flossen direct an die Generalintendantur. Alle eigenmächtigen Erpressungen wurden mit dem Leben bestraft. Den zügellosesten Häuptlingen wurden ihre Banden abgenommen und unschädliche Stellen angewiesen. Die Guerrillas, früher in ungleichmäßige Haufen getheilt, wurden bataillonisirt, gekleidet, genährt und bezahlt. Das ganze Land schien aufzuleben, von einem großen Drucke befreit. Unsere Operationen nahmen einen kriegerischen Gang; Barcelona zitterte wieder vor dem Namen des Grafen de España.
So war die Lage der Dinge in Catalonien, als der König im September 1839 den französischen Boden betrat; denn, wenn gleich die neue Ordnung der Dinge den Häuptlingen und der Junta nicht gefallen konnte, so war ihr Einfluß doch neutralisirt, und sie waren darauf beschränkt, Intriguen mit dem königlichen Hauptquartier zu unterhalten, nachtheilige Gerüchte auszustreuen, das Vertrauen des Königs und der Armee zu untergraben und überall gegen die Autorität des Grafen de España aufzuwiegeln. Graf de España kannte alle diese Umtriebe; er verachtete sie, vielleicht zu sehr.
Als die Nachricht nach Catalonien kam, daß der König Spanien verlassen, befürchtete de España die Folgen des ersten Eindrucks. Diesen zuvorzukommen, dem sinkenden Enthusiasmus einen neuen Impuls zu geben, suchte der Graf alle Erinnerungen zu wecken, die im Herzen jedes Spaniers aus den großen Zeiten ihres Befreiungskampfes fortleben. Eine Maaßregel, welche in dieser heroischen Epoche von den bedeutendsten Folgen gewesen war, schien geeignet, gleichen Anklang zu finden – es ist die Souveränetät und königliche Machtvollkommenheit der Provincial-Juntas während der Abwesenheit und Gefangenschaft des Königs. – So viele trübe, unglückliche Ereignisse hatten sich wiederholt, die gewaltsame Abdication im Schlosse von Marrac und der Verrath auf den Feldern von Bergara; Ferdinands VII Gefangenschaft in Valençay, und Karls V Gefangenschaft in Bourges – sollten denn die glanzvollen Momente sich nicht wiederfinden? – Der Generalcapitän Graf de España erklärte also unterm 1 Oct. 1839 die Regierungsjunta von Catalonien, deren Präsident er war, souverän während der Abwesenheit und Gefangenschaft des Königs (Junta superior gubernativa, soberana durante la ausencia y cautividad del Rey N. S). – Dieß kostete ihm das Leben.
Der Präsident jeder spanischen Junta hat nur zwei Stimmen; die Junta kann sich legal in seiner Abwesenheit unter Vorsitz eines Vocals – Vicepräsidenten – versammeln, und in ihrem Pleno bei absoluter Majorität abschließen und decretiren. Der erste Beschluß der nun souverän gewordenen Junta, in geheimer Sitzung gefaßt, war: die Absetzung und Entfernung ihres Generalcapitäns und Präsidenten, des Grafen de España. Doch wagte sie nicht ihr Decret zu veröffentlichen, die Stimme der Armee scheuend, die enthusiastisch an ihrem Führer hing. Ein geheimes Mittel, eine unwürdige Falle wurde auserwählt, in die sie den alten Feldherrn lockten. An einem bestimmten Tage fanden sich mehrere unzufriedene Häuptlinge in Avia ein, und als sie ihrer Helfershelfer versichert waren, ließen die Mitglieder der Junta durch ihren Secretär Narciso Ferrer, einen Advocaten aus Barcelona, dem Grafen de España nach Caserras schreiben: einige wichtige Geschäfte erheischten seine Gegenwart; sie bäten ihn zu kommen, einer Sitzung zu präsidiren. Nur von wenigen Reitern und einem seiner Adjutanten, dem Oberstlieutenant Don Luis de Adell begleitet, traf der Generalcapitän noch denselben Morgen in Avia ein, und ward vor dem Regierungsgebäude von einigen Mitgliedern der Junta empfangen. Als er in den Sitzungssaal trat, ging einer der Vocale zum zurückgebliebenen Adjutanten, und schickte ihn, vorgeblich im Auftrage des Generalcapitäns, sogleich nach Berga. Die Escorte der Junta, zu deren Sicherheit und als Amtsboten ihr beigegeben, bemächtigte sich der wenigen übrigen Begleiter. Diese Escorte bestand aus vierzig Gendarmen, die von der Junta längst gewonnen worden waren. Während dieses sich mit der größten Schnelligkeit ereignete, trat Graf de España arglos in den Sitzungssaal. Er war ein Mann von untersetzter Statur; seine vornehmen Gesichtszüge hatten einen auffallenden bourbonischen Schnitt; sein Auge war freundlich und geistreich, doch in Momenten der Aufregung und Strenge in dunkler, unheimlicher Gluth leuchtend. Kurzes weißes Haar umspielte Stirn und Schläfe. Er hielt viel auf äußern Anstand und militärische Haltung; sein erstes Auftreten war imposant und Ehrfurcht gebietend. Am oben erwähnten Tage trug er einen blauen militärischen Oberrock ohne alle Abzeichen seiner Würde, und nur mit dem Ritterkreuz von Santiago geziert, den Generalshut mit weißer Feder, einen krummen Säbel und ein spanisches Rohr mit goldenem Knopfe, worauf das Wappen seines Hauses gravirt. Auf diesen Stock gestützt, ihn nach hinten haltend, stand der General vor dem Kamin im Sitzungssaal; allein, unter vierzehn
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