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Allgemeine Zeitung. Nr. 100. Augsburg, 9. April 1840.

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Arago und die Naturforscher von Deutschland und Italien.

Es mußte jedem, der den Verhandlungen des französischen Instituts in den letzten Jahren mit Aufmerksamkeit gefolgt war, eine besondere Vorliebe für alles auffallen, was die italienischen Naturhistoriker irgend als neue Entdeckung in Anspruch nahmen. Kaum war ein unbekanntes Experiment, ein neues Apercu in irgend einem Winkel Italiens zum Vorschein gekommen, so ward es nach Paris an Arago gefördert, damit es durch ihn der Nachwelt unverloren bliebe. Da Arago dieß nicht ungern zu sehen schien, und es sich angelegen seyn ließ, die Verdienste der Italiener der Mitwelt bekannt zu machen, so glaubten diese allmählich, mit Ausnahme der Franzosen, den übrigen Völkern, namentlich den Deutschen, von welchen in den Sitzungen des Instituts so selten die Rede war, in dem Studium der Naturwissenschaften um ein Bedeutendes überlegen zu seyn. In dieser guten Meinung störte es sie nicht, wenn die Gebildeteren ihrer Nation, denen Frankreich und Deutschland aus Anschauung bekannt waren, ihnen die arge Vernachlässigung vorhielten, welche die vergleichende Anatomie und Physiologie im Süden erfahren; was Deutsche namentlich in dieser Beziehung geleistet, blieb ihnen unbekannt, Müllers Verdienste wurden ihnen kaum genannt. Nun aber hat sie ein mit Sachkenntniß und Unparteilichkeit geschriebener Artikel in der letzten Nummer der Revue des deux Mondes aus ihrer Ruhe aufgeschreckt. Der Schlüssel, welcher in demselben zum Charakter Arago's, und namentlich zu seiner Stellung als Secretär des Instituts gegeben wird, kommt seinen hiesigen Bewunderern, die ihn wohl neben Alexander v. Humboldt zu nennen pflegten, etwas ungelegen; vollends überraschend aber für sie war folgende Stelle über Deutschland, die ich Ihnen hier mitzutheilen wünsche, weil die würdige Haltung jenes Artikels wesentlich dazu beitragen wird, das Urtheil der Italiener in dieser Beziehung umzustimmen. Die richtige Würdigung, welche die deutschen Naturwissenschaften hier erfahren, wird, nebst der Beurtheilung des Goethe'schen Faust von Henry Blaze, mehr als alles Andere im Stande seyn, den Italienern eine wahre Vorstellung von deutscher Litteratur und Wissenschaft beizubringen. "Nach dem Tode Cuviers, so heißt es dort, wurden die wissenschaftlichen Verbindungen des Instituts mit Deutschland von Tag zu Tag seltener, was zu bedauern ist; denn man weiß, wie gründlich und tief die Arbeiten der Deutschen sind. Vielleicht hatte Hr. Arago keine besondere Sympathie für die Gelehrten des Nordens, welche weniger die Ehre bei ihren Lebzeiten als Ruhm nach dem Tode suchen; überdieß ist er, unbekannt mit ihrer Sprache, wenig im Stande, ihre Verdienste zu würdigen. Die einzigen Verbindungen, welche er mit Deutschland unterhält, verdankt er der Freundschaft, welche Hr. v. Humboldt für ihn hat, dieser berühmte Gelehrte, der Allem zu genügen weiß, und der, vom Hof und von der Gesellschaft in Anspruch genommen, nicht aufhört zu arbeiten und immer bedeutende Werke zu Tage zu fördern. Sehr muß man bedauern, daß Deutschland in wissenschaftlicher Beziehung nicht mehr so eng mit Frankreich verbunden ist, als es zu andern Zeiten der Fall war. In dem vorigen Jahrhundert herrschte unsere Litteratur in ganz Europa, die Höfe des Nordens hatten unsere Sprache angenommen, die berühmtesten Akademien Deutschlands veröffentlichten ihre Schriften in französischer Sprache, und von St. Petersburg bis Lissabon machte man keine interessante Entdeckung oder Beobachtung, ohne sich zu beeilen, sie der Akademie der Wissenschaften in Paris mitzutheilen, welche damals bei verschlossenen Thüren und, ohne die Popularität zu suchen, überall ihren Vorrang geltend zu machen wußte. Und nun, dürfte man sagen, je mehr sie sich dem Publicum nähert desto mehr entschwindet der Akademie Einfluß und Bedeutung. Die Akademie in Berlin hat sich von uns getrennt und gibt ihre Abhandlungen in deutscher Sprache heraus; ja die berühmtesten Männer des Nordens, die Berzelius, die Gaus, überschicken nicht einmal dem Institut ihre Werke."

Die Redner in den letzten französischen Deputirtenverhandlungen.

In Paris, wo die Noth Alles zum Gewerbe macht, gibt es auch Menschen, wie leicht zu vermuthen dem Stande der Proletarier angehörig, die bei geeignetem Anlaß Andern das Warten ersparen, nämlich, wo es Queue zu machen gibt, für solche, die zu diesem Geschäft nicht Zeit und Geduld genug besitzen, gegen mehr oder minder billigen Sold vortheilhafte Plätze aufheben. Derlei Volk hatte sich nun vorigen Dienstag, auf die Neugierde, welche die angesetzte Debatte erregen würde, mit gutem Grund rechnend, vor dem Palast der Deputirtenkammer vom frühesten Morgen an aufgestellt, und alle Plätze in Beschlag gelegt; die Leute waren in Reih' und Glied geordnet, gehorchten dem Befehl eines Obern und hatten alle eine Uniform - die völliger Zerrissenheit. Einige der Schaar trugen die Auszeichnung des hölzernen Beines, und erhöhten so den abenteuerlichen Anblick der Truppe durch die Wirkung kriegerischer oder revolutionärer Erinnerungen. Wer der Debatte beizuwohnen wünschte und mit Eintrittsmitteln nicht durch Gunst versorgt war, der mußte sich an diese Rotte wenden, und in der Queue, die sie gebildet hatte, sich einkaufen. Ein Abgesandter der Polizei hielt Ordnung und Gerechtigkeit amtlich aufrecht, und wenn ein Unberechtigter sich eindrängen wollte, so entstand in der ganzen Gesellschaft sogleich ein Murren des Unwillens und eine Bewegung zu gewaltsamer Selbsthülfe, wofür bekanntlich die Franzosen seit fünfzig Jahren eine so entschiedene Vorliebe zeigen.

Kaum ist zu bemerken nöthig, daß man sich mit Verhandlungen über das Ministerium, über Frankreich und Europa die Zeit kürzte, und in Erwartung des Kampfes in der Kammer ihn im voraus außerhalb derselben führte. Ein kleines Schneegewitter, das, physisch genommen, keine sehr angenehme Zerstreuung seyn konnte, ward lustig als Vorspiel der parlamentarischen Stürme gedeutet, und so ging es in Scherz und Ernst fort, bis der Moment zur Oeffnung der öffentlichen Tribune herangekommen war, und das Publicum, dreiunddreißig Mann hoch, zweipaarweise, eingelassen wurde. Es schlug gerade zwölf Uhr. Die verschiedenen Tribunen und Logen waren schon voll oder füllten sich eben, und Damen, durch Gesichtsfarbe und Züge, Haltung und Anzug vom Geschlechte der Exquisiten, erschienen im Vordergrund derselben und nahmen die besten Sitze ein. Gegenseitige Musterung, Beurtheilung des Saals, in dem bis zur Ankunft der Deputirten einige Huissiers ihre gravitätischen Bedientenschritte umhertrugen, Kritik seiner Ausschmückung, Studium der Kammerabtheilungen auf einem Plane, taggemäßes Gespräch, oder Lecture von Romanen, Zeitungen oder Theaterstücken füllten die noch übrige Stunde bis

Arago und die Naturforscher von Deutschland und Italien.

Es mußte jedem, der den Verhandlungen des französischen Instituts in den letzten Jahren mit Aufmerksamkeit gefolgt war, eine besondere Vorliebe für alles auffallen, was die italienischen Naturhistoriker irgend als neue Entdeckung in Anspruch nahmen. Kaum war ein unbekanntes Experiment, ein neues Aperçu in irgend einem Winkel Italiens zum Vorschein gekommen, so ward es nach Paris an Arago gefördert, damit es durch ihn der Nachwelt unverloren bliebe. Da Arago dieß nicht ungern zu sehen schien, und es sich angelegen seyn ließ, die Verdienste der Italiener der Mitwelt bekannt zu machen, so glaubten diese allmählich, mit Ausnahme der Franzosen, den übrigen Völkern, namentlich den Deutschen, von welchen in den Sitzungen des Instituts so selten die Rede war, in dem Studium der Naturwissenschaften um ein Bedeutendes überlegen zu seyn. In dieser guten Meinung störte es sie nicht, wenn die Gebildeteren ihrer Nation, denen Frankreich und Deutschland aus Anschauung bekannt waren, ihnen die arge Vernachlässigung vorhielten, welche die vergleichende Anatomie und Physiologie im Süden erfahren; was Deutsche namentlich in dieser Beziehung geleistet, blieb ihnen unbekannt, Müllers Verdienste wurden ihnen kaum genannt. Nun aber hat sie ein mit Sachkenntniß und Unparteilichkeit geschriebener Artikel in der letzten Nummer der Revue des deux Mondes aus ihrer Ruhe aufgeschreckt. Der Schlüssel, welcher in demselben zum Charakter Arago's, und namentlich zu seiner Stellung als Secretär des Instituts gegeben wird, kommt seinen hiesigen Bewunderern, die ihn wohl neben Alexander v. Humboldt zu nennen pflegten, etwas ungelegen; vollends überraschend aber für sie war folgende Stelle über Deutschland, die ich Ihnen hier mitzutheilen wünsche, weil die würdige Haltung jenes Artikels wesentlich dazu beitragen wird, das Urtheil der Italiener in dieser Beziehung umzustimmen. Die richtige Würdigung, welche die deutschen Naturwissenschaften hier erfahren, wird, nebst der Beurtheilung des Goethe'schen Faust von Henry Blaze, mehr als alles Andere im Stande seyn, den Italienern eine wahre Vorstellung von deutscher Litteratur und Wissenschaft beizubringen. „Nach dem Tode Cuviers, so heißt es dort, wurden die wissenschaftlichen Verbindungen des Instituts mit Deutschland von Tag zu Tag seltener, was zu bedauern ist; denn man weiß, wie gründlich und tief die Arbeiten der Deutschen sind. Vielleicht hatte Hr. Arago keine besondere Sympathie für die Gelehrten des Nordens, welche weniger die Ehre bei ihren Lebzeiten als Ruhm nach dem Tode suchen; überdieß ist er, unbekannt mit ihrer Sprache, wenig im Stande, ihre Verdienste zu würdigen. Die einzigen Verbindungen, welche er mit Deutschland unterhält, verdankt er der Freundschaft, welche Hr. v. Humboldt für ihn hat, dieser berühmte Gelehrte, der Allem zu genügen weiß, und der, vom Hof und von der Gesellschaft in Anspruch genommen, nicht aufhört zu arbeiten und immer bedeutende Werke zu Tage zu fördern. Sehr muß man bedauern, daß Deutschland in wissenschaftlicher Beziehung nicht mehr so eng mit Frankreich verbunden ist, als es zu andern Zeiten der Fall war. In dem vorigen Jahrhundert herrschte unsere Litteratur in ganz Europa, die Höfe des Nordens hatten unsere Sprache angenommen, die berühmtesten Akademien Deutschlands veröffentlichten ihre Schriften in französischer Sprache, und von St. Petersburg bis Lissabon machte man keine interessante Entdeckung oder Beobachtung, ohne sich zu beeilen, sie der Akademie der Wissenschaften in Paris mitzutheilen, welche damals bei verschlossenen Thüren und, ohne die Popularität zu suchen, überall ihren Vorrang geltend zu machen wußte. Und nun, dürfte man sagen, je mehr sie sich dem Publicum nähert desto mehr entschwindet der Akademie Einfluß und Bedeutung. Die Akademie in Berlin hat sich von uns getrennt und gibt ihre Abhandlungen in deutscher Sprache heraus; ja die berühmtesten Männer des Nordens, die Berzelius, die Gaus, überschicken nicht einmal dem Institut ihre Werke.“

Die Redner in den letzten französischen Deputirtenverhandlungen.

In Paris, wo die Noth Alles zum Gewerbe macht, gibt es auch Menschen, wie leicht zu vermuthen dem Stande der Proletarier angehörig, die bei geeignetem Anlaß Andern das Warten ersparen, nämlich, wo es Queue zu machen gibt, für solche, die zu diesem Geschäft nicht Zeit und Geduld genug besitzen, gegen mehr oder minder billigen Sold vortheilhafte Plätze aufheben. Derlei Volk hatte sich nun vorigen Dienstag, auf die Neugierde, welche die angesetzte Debatte erregen würde, mit gutem Grund rechnend, vor dem Palast der Deputirtenkammer vom frühesten Morgen an aufgestellt, und alle Plätze in Beschlag gelegt; die Leute waren in Reih' und Glied geordnet, gehorchten dem Befehl eines Obern und hatten alle eine Uniform – die völliger Zerrissenheit. Einige der Schaar trugen die Auszeichnung des hölzernen Beines, und erhöhten so den abenteuerlichen Anblick der Truppe durch die Wirkung kriegerischer oder revolutionärer Erinnerungen. Wer der Debatte beizuwohnen wünschte und mit Eintrittsmitteln nicht durch Gunst versorgt war, der mußte sich an diese Rotte wenden, und in der Queue, die sie gebildet hatte, sich einkaufen. Ein Abgesandter der Polizei hielt Ordnung und Gerechtigkeit amtlich aufrecht, und wenn ein Unberechtigter sich eindrängen wollte, so entstand in der ganzen Gesellschaft sogleich ein Murren des Unwillens und eine Bewegung zu gewaltsamer Selbsthülfe, wofür bekanntlich die Franzosen seit fünfzig Jahren eine so entschiedene Vorliebe zeigen.

Kaum ist zu bemerken nöthig, daß man sich mit Verhandlungen über das Ministerium, über Frankreich und Europa die Zeit kürzte, und in Erwartung des Kampfes in der Kammer ihn im voraus außerhalb derselben führte. Ein kleines Schneegewitter, das, physisch genommen, keine sehr angenehme Zerstreuung seyn konnte, ward lustig als Vorspiel der parlamentarischen Stürme gedeutet, und so ging es in Scherz und Ernst fort, bis der Moment zur Oeffnung der öffentlichen Tribune herangekommen war, und das Publicum, dreiunddreißig Mann hoch, zweipaarweise, eingelassen wurde. Es schlug gerade zwölf Uhr. Die verschiedenen Tribunen und Logen waren schon voll oder füllten sich eben, und Damen, durch Gesichtsfarbe und Züge, Haltung und Anzug vom Geschlechte der Exquisiten, erschienen im Vordergrund derselben und nahmen die besten Sitze ein. Gegenseitige Musterung, Beurtheilung des Saals, in dem bis zur Ankunft der Deputirten einige Huissiers ihre gravitätischen Bedientenschritte umhertrugen, Kritik seiner Ausschmückung, Studium der Kammerabtheilungen auf einem Plane, taggemäßes Gespräch, oder Lecture von Romanen, Zeitungen oder Theaterstücken füllten die noch übrige Stunde bis

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[0793/0009] Arago und die Naturforscher von Deutschland und Italien. _ Florenz, 30 März. Es mußte jedem, der den Verhandlungen des französischen Instituts in den letzten Jahren mit Aufmerksamkeit gefolgt war, eine besondere Vorliebe für alles auffallen, was die italienischen Naturhistoriker irgend als neue Entdeckung in Anspruch nahmen. Kaum war ein unbekanntes Experiment, ein neues Aperçu in irgend einem Winkel Italiens zum Vorschein gekommen, so ward es nach Paris an Arago gefördert, damit es durch ihn der Nachwelt unverloren bliebe. Da Arago dieß nicht ungern zu sehen schien, und es sich angelegen seyn ließ, die Verdienste der Italiener der Mitwelt bekannt zu machen, so glaubten diese allmählich, mit Ausnahme der Franzosen, den übrigen Völkern, namentlich den Deutschen, von welchen in den Sitzungen des Instituts so selten die Rede war, in dem Studium der Naturwissenschaften um ein Bedeutendes überlegen zu seyn. In dieser guten Meinung störte es sie nicht, wenn die Gebildeteren ihrer Nation, denen Frankreich und Deutschland aus Anschauung bekannt waren, ihnen die arge Vernachlässigung vorhielten, welche die vergleichende Anatomie und Physiologie im Süden erfahren; was Deutsche namentlich in dieser Beziehung geleistet, blieb ihnen unbekannt, Müllers Verdienste wurden ihnen kaum genannt. Nun aber hat sie ein mit Sachkenntniß und Unparteilichkeit geschriebener Artikel in der letzten Nummer der Revue des deux Mondes aus ihrer Ruhe aufgeschreckt. Der Schlüssel, welcher in demselben zum Charakter Arago's, und namentlich zu seiner Stellung als Secretär des Instituts gegeben wird, kommt seinen hiesigen Bewunderern, die ihn wohl neben Alexander v. Humboldt zu nennen pflegten, etwas ungelegen; vollends überraschend aber für sie war folgende Stelle über Deutschland, die ich Ihnen hier mitzutheilen wünsche, weil die würdige Haltung jenes Artikels wesentlich dazu beitragen wird, das Urtheil der Italiener in dieser Beziehung umzustimmen. Die richtige Würdigung, welche die deutschen Naturwissenschaften hier erfahren, wird, nebst der Beurtheilung des Goethe'schen Faust von Henry Blaze, mehr als alles Andere im Stande seyn, den Italienern eine wahre Vorstellung von deutscher Litteratur und Wissenschaft beizubringen. „Nach dem Tode Cuviers, so heißt es dort, wurden die wissenschaftlichen Verbindungen des Instituts mit Deutschland von Tag zu Tag seltener, was zu bedauern ist; denn man weiß, wie gründlich und tief die Arbeiten der Deutschen sind. Vielleicht hatte Hr. Arago keine besondere Sympathie für die Gelehrten des Nordens, welche weniger die Ehre bei ihren Lebzeiten als Ruhm nach dem Tode suchen; überdieß ist er, unbekannt mit ihrer Sprache, wenig im Stande, ihre Verdienste zu würdigen. Die einzigen Verbindungen, welche er mit Deutschland unterhält, verdankt er der Freundschaft, welche Hr. v. Humboldt für ihn hat, dieser berühmte Gelehrte, der Allem zu genügen weiß, und der, vom Hof und von der Gesellschaft in Anspruch genommen, nicht aufhört zu arbeiten und immer bedeutende Werke zu Tage zu fördern. Sehr muß man bedauern, daß Deutschland in wissenschaftlicher Beziehung nicht mehr so eng mit Frankreich verbunden ist, als es zu andern Zeiten der Fall war. In dem vorigen Jahrhundert herrschte unsere Litteratur in ganz Europa, die Höfe des Nordens hatten unsere Sprache angenommen, die berühmtesten Akademien Deutschlands veröffentlichten ihre Schriften in französischer Sprache, und von St. Petersburg bis Lissabon machte man keine interessante Entdeckung oder Beobachtung, ohne sich zu beeilen, sie der Akademie der Wissenschaften in Paris mitzutheilen, welche damals bei verschlossenen Thüren und, ohne die Popularität zu suchen, überall ihren Vorrang geltend zu machen wußte. Und nun, dürfte man sagen, je mehr sie sich dem Publicum nähert desto mehr entschwindet der Akademie Einfluß und Bedeutung. Die Akademie in Berlin hat sich von uns getrennt und gibt ihre Abhandlungen in deutscher Sprache heraus; ja die berühmtesten Männer des Nordens, die Berzelius, die Gaus, überschicken nicht einmal dem Institut ihre Werke.“ Die Redner in den letzten französischen Deputirtenverhandlungen. _ Paris, 31 März. In Paris, wo die Noth Alles zum Gewerbe macht, gibt es auch Menschen, wie leicht zu vermuthen dem Stande der Proletarier angehörig, die bei geeignetem Anlaß Andern das Warten ersparen, nämlich, wo es Queue zu machen gibt, für solche, die zu diesem Geschäft nicht Zeit und Geduld genug besitzen, gegen mehr oder minder billigen Sold vortheilhafte Plätze aufheben. Derlei Volk hatte sich nun vorigen Dienstag, auf die Neugierde, welche die angesetzte Debatte erregen würde, mit gutem Grund rechnend, vor dem Palast der Deputirtenkammer vom frühesten Morgen an aufgestellt, und alle Plätze in Beschlag gelegt; die Leute waren in Reih' und Glied geordnet, gehorchten dem Befehl eines Obern und hatten alle eine Uniform – die völliger Zerrissenheit. Einige der Schaar trugen die Auszeichnung des hölzernen Beines, und erhöhten so den abenteuerlichen Anblick der Truppe durch die Wirkung kriegerischer oder revolutionärer Erinnerungen. Wer der Debatte beizuwohnen wünschte und mit Eintrittsmitteln nicht durch Gunst versorgt war, der mußte sich an diese Rotte wenden, und in der Queue, die sie gebildet hatte, sich einkaufen. Ein Abgesandter der Polizei hielt Ordnung und Gerechtigkeit amtlich aufrecht, und wenn ein Unberechtigter sich eindrängen wollte, so entstand in der ganzen Gesellschaft sogleich ein Murren des Unwillens und eine Bewegung zu gewaltsamer Selbsthülfe, wofür bekanntlich die Franzosen seit fünfzig Jahren eine so entschiedene Vorliebe zeigen. Kaum ist zu bemerken nöthig, daß man sich mit Verhandlungen über das Ministerium, über Frankreich und Europa die Zeit kürzte, und in Erwartung des Kampfes in der Kammer ihn im voraus außerhalb derselben führte. Ein kleines Schneegewitter, das, physisch genommen, keine sehr angenehme Zerstreuung seyn konnte, ward lustig als Vorspiel der parlamentarischen Stürme gedeutet, und so ging es in Scherz und Ernst fort, bis der Moment zur Oeffnung der öffentlichen Tribune herangekommen war, und das Publicum, dreiunddreißig Mann hoch, zweipaarweise, eingelassen wurde. Es schlug gerade zwölf Uhr. Die verschiedenen Tribunen und Logen waren schon voll oder füllten sich eben, und Damen, durch Gesichtsfarbe und Züge, Haltung und Anzug vom Geschlechte der Exquisiten, erschienen im Vordergrund derselben und nahmen die besten Sitze ein. Gegenseitige Musterung, Beurtheilung des Saals, in dem bis zur Ankunft der Deputirten einige Huissiers ihre gravitätischen Bedientenschritte umhertrugen, Kritik seiner Ausschmückung, Studium der Kammerabtheilungen auf einem Plane, taggemäßes Gespräch, oder Lecture von Romanen, Zeitungen oder Theaterstücken füllten die noch übrige Stunde bis

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Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 100. Augsburg, 9. April 1840, S. 0793. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_100_18400409/9>, abgerufen am 03.05.2024.