Allgemeine Zeitung. Nr. 84. Augsburg, 24. März 1840.Rural-Wähler seines Bezirks; keiner vertrat die Masse der Consumenten und Steuerpflichtigen. .. Die grundbesitzende Aristokratie Großbritanniens besitzt das Getreidegesetz, das die arbeitsamste Bevölkerung der Erde verurtheilt, dieser Aristokratie ihr Brod drei- oder viermal theurer zu bezahlen, als wenn sie es von dem Auslande zum Austausch für ihre Fabrikerzeugnisse bezöge. Unsere agricole Oligarchie ist durch das Gesetz von 1822 nicht weniger gut bedient. Sehr gemäßigte Rechnungen haben bewiesen, daß die vom Fiscus auf jeden ausländischen Ochsen erhobene Taxe von 55 Fr. unsern Viehzüchtern 30 Proc. mehr bei dem Verkauf ihrer Producte einträgt. Seit der Erlassung dieses Feudalgesetzes hat sich der Ertrag der Ländereien um ein Drittheil und der Werth der Güter beinahe um das Doppelte vermehrt. So belastet sonst auch die Grundbesitzer seyn mögen, so sind sie doch in Vergleichung mit andern Classen durchaus nicht zu beklagen; denn wenn auch seit zwanzig Jahren der Taglohn an einigen Punkten und bei gewissen Industrien zugenommen hat, so blieb er doch an vielen andern unverändert, oder wurde sogar niedriger. Dieß sind für 32 Millionen Franzosen die Vortheile des für Rechnung der neuen agricolen Feudalität organisirten Repräsentativsystems, ohne von andern Vortheilen zu sprechen, die sie von dem der industriellen Feudalität gewährten Schutz beziehen." Ein Artikel im Courrier francais über die zwischen England und Frankreich wegen eines Handelsvertrags gepflogenen Unterhandlungen beschuldigte die englische Regierung der Saumseligkeit oder der Böswilligkeit, weil sie mit einer entscheidenden Antwort jetzt zögere, nachdem sie zuvor Bevollmächtigte mit liberalen Instructionen nach Frankreich geschickt habe. Die Grundlagen eines gegenseitigen Vertrags seyen zu Stand gekommen, nun aber scheine England sich plötzlich besinnen und die Ratification hinausschieben zu wollen. Auf diesen Artikel antwortete die Presse, unter dem gegenwärtigen Ministerium sey der Abschluß eines solchen Vertrags schwieriger als je geworden, denn Hr. Thiers neige sich zum Prohibitivsystem und widersetze sich jeder Zollerniedrigung auf Erzeugnisse der auswärtigen Industrie. Englands Eisenwaaren, Maschinen, Leinenzeuge würden unter einem Ministerium Thiers keinen Eingang in Frankreich finden; dadurch würde auch die Ausfuhr der Weine und Seidenzeuge Frankreichs nach England verhindert. Der Courrier francais erwiedert: "Die Presse übertreibt die staatsökonomischen Ansichten des Hrn. Thiers, welche allerdings nichts weniger als progressiv sind, deren exclusive Seite aber durch seinen gesunden Verstand gemildert wird. Unter dem frühern Ministerium des Hrn. Thiers wurden einige Modificationen in unser Zollsystem eingeführt; derselben Aufgabe wird sich, hoffen wir, auch das gegenwärtige Ministerium unterziehen. In den Clauseln, über welche die englischen und französischen Bevollmächtigten übereingekommen, dominirt die politische Frage die commercielle. Dieser Umstand wird auf den Hrn. Präsidenten des Conseils seinen Eindruck nicht verfehlen. Hr. Thiers weiß, daß England unser Alliirter nur bleiben wird, so lange es mit Frankreich gemeinschaftliche Interessen hat." - In seiner Gegenantwort erinnert der National an folgende Worte, welche Hr. Odilon-Barrot am 6 Mai 1837 auf der Tribune gesprochen: "Ich stimme gegen die geheimen Fonds, denn sie sind ein Mittel der Bestechung, und können nur durch die dringendste Nothwendigkeit gerechtfertigt werden." Nicht seine Schuld sey es, fügt der National bei, wenn durch solche Inconsequenz in Wort und Handlung Hr. Barrot selbst den "reinsten Ruf unserer Zeit" befleckte; nicht seine Schuld sey es, wenn er alle diese "reinsten Reputationen unserer Zeit" eine nach der andern habe zu Grund gehen sehen, mit Inbegriff des Charlatans, der sich vor einigen Jahren den redlichsten Mann des Königreichs habe nennen lassen. Paris, 19 März. Zwei merkwürdige Anzeichen lassen darauf schließen, daß die Camarilla ihre Hoffnungen, Hrn. Thiers bei der Abstimmung über die geheimen Fonds in die Minorität zu bringen, bereits anfängt aufzugeben: das gänzliche Stillschweigen des Journals des Debats während der letztverflossenen Tage über Hrn. Thiers, und die Sprache, welche gestern und heute von der Presse geführt wird. Die Presse setzt Himmel und Hölle in Bewegung, um dem Centrum Schrecken einzujagen und ihm begreiflich zu machen, daß bei der bevorstehenden Abstimmung seine Existenz auf dem Spiel stehe. "Laßt ihr Hrn. Thiers sich festsetzen, ruft sie den neuen Ultras zu, so wird er euch unfehlbar nach Beendigung der Kammer auflösen, und wenn die neuen Wahlen unter seiner Leitung vor sich gehen, so ist es um enre Deputirtenstellen geschehen. Laßt ihr ihn aber durchfallen, so muß er dem König die Alternative stellen, entweder die Kammer aufzulösen oder ihm seine Entlassung zu geben, und wie der König in einem solchen Fall wählen wird, darüber kann kein Zweifel obwalten." Was nachher geschehen wird, darüber schweigt die Presse klüglich; denn es dürfte ihr wohl nicht leicht werden, dem Centrum zu sagen, wie ein Ministerium zusammengesetzt seyn müsse, das nach Hrn. Thiers noch auf eine Majorität rechnen könnte. Zum Glück glaubt die Presse selbst nicht an den Erfolg ihrer Demonstrationen; ja sie gesteht ganz naiv am Schlusse ihres heutigen Artikels, sie sey nicht gewiß, wer ihr Freund oder ihr Feind sey. Die Sache ist ziemlich natürlich. Da ein großer Theil der Helden im Centrum nach persönlichen Interessen handelt, so findet er es einfacher mit Hrn. Thiers seinen Frieden zu schließen, und so auf gütlichem Weg und mit vollkommener Gewißheit zu erreichen, wofür er, folgte er dem Rath der Presse, erst einen schweren Kampf zu bestehen hätte, dessen Resultat noch überdieß ungewiß wäre. Das Stillschweigen des Journals des Debats scheint auf die Absicht dieses Blattes hinzudeuten, zur Neutralität überzugehen. Die republicanischen und legitimistischen Blätter wollen wissen, Hr. Thiers habe der Redaction Anträge gestellt, und als er mit denselben zurückgewiesen worden, die Redacteure und Mitarbeiter, die sich sämmtlich in sehr einträglichen Aemtern befänden, mit Absetzung bedroht, im Fall sie in ihrer Opposition beharrten. Die legitimistischen Blätter führten in den letzten Tagen eine beispiellos feindselige Sprache gegen Hrn. Thiers, ein Umstand, der ihm bei dem einsichtsvollen Theil des Centrums eben keinen großen Nachtheil bringt. Die Erklärung, welche Hr. Thiers in dem Comite über die Supplementar-Credite in Betreff Algiers gegeben, daß man dort entweder ein großes Etablissement gründen, oder Algier ganz aufgeben müsse, hat wegen ihrer Entschiedenheit allgemein günstigen Eindruck gemacht. Die Zurückberufung des Marschalls Valee, wer auch in Zukunft Minister seyn möge, ist als entschieden zu betrachten; Valee taugt nicht für diesen Posten. Dagegen ist aber auch nur Eine Stimme darüber, daß von Hrn. Bugeaud, dem das Ministerium Anträge gestellt haben soll, nichts Tüchtiges zu erwarten wäre. Nächsten Montag wird wahrscheinlich der Bericht über die geheimen Fonds vor die Kammer kommen. Belgien. Brüssel, 17 März. Der König hat gestern mit dem Justizminister gearbeitet. Vor und nach empfing Se. Maj. den Hrn. Lebeau, Mitglied der Repräsentantenkammer, und den General Hurel, Chef des Generalstabs der Armee. - Nachmittags. Rural-Wähler seines Bezirks; keiner vertrat die Masse der Consumenten und Steuerpflichtigen. .. Die grundbesitzende Aristokratie Großbritanniens besitzt das Getreidegesetz, das die arbeitsamste Bevölkerung der Erde verurtheilt, dieser Aristokratie ihr Brod drei- oder viermal theurer zu bezahlen, als wenn sie es von dem Auslande zum Austausch für ihre Fabrikerzeugnisse bezöge. Unsere agricole Oligarchie ist durch das Gesetz von 1822 nicht weniger gut bedient. Sehr gemäßigte Rechnungen haben bewiesen, daß die vom Fiscus auf jeden ausländischen Ochsen erhobene Taxe von 55 Fr. unsern Viehzüchtern 30 Proc. mehr bei dem Verkauf ihrer Producte einträgt. Seit der Erlassung dieses Feudalgesetzes hat sich der Ertrag der Ländereien um ein Drittheil und der Werth der Güter beinahe um das Doppelte vermehrt. So belastet sonst auch die Grundbesitzer seyn mögen, so sind sie doch in Vergleichung mit andern Classen durchaus nicht zu beklagen; denn wenn auch seit zwanzig Jahren der Taglohn an einigen Punkten und bei gewissen Industrien zugenommen hat, so blieb er doch an vielen andern unverändert, oder wurde sogar niedriger. Dieß sind für 32 Millionen Franzosen die Vortheile des für Rechnung der neuen agricolen Feudalität organisirten Repräsentativsystems, ohne von andern Vortheilen zu sprechen, die sie von dem der industriellen Feudalität gewährten Schutz beziehen.“ Ein Artikel im Courrier français über die zwischen England und Frankreich wegen eines Handelsvertrags gepflogenen Unterhandlungen beschuldigte die englische Regierung der Saumseligkeit oder der Böswilligkeit, weil sie mit einer entscheidenden Antwort jetzt zögere, nachdem sie zuvor Bevollmächtigte mit liberalen Instructionen nach Frankreich geschickt habe. Die Grundlagen eines gegenseitigen Vertrags seyen zu Stand gekommen, nun aber scheine England sich plötzlich besinnen und die Ratification hinausschieben zu wollen. Auf diesen Artikel antwortete die Presse, unter dem gegenwärtigen Ministerium sey der Abschluß eines solchen Vertrags schwieriger als je geworden, denn Hr. Thiers neige sich zum Prohibitivsystem und widersetze sich jeder Zollerniedrigung auf Erzeugnisse der auswärtigen Industrie. Englands Eisenwaaren, Maschinen, Leinenzeuge würden unter einem Ministerium Thiers keinen Eingang in Frankreich finden; dadurch würde auch die Ausfuhr der Weine und Seidenzeuge Frankreichs nach England verhindert. Der Courrier français erwiedert: „Die Presse übertreibt die staatsökonomischen Ansichten des Hrn. Thiers, welche allerdings nichts weniger als progressiv sind, deren exclusive Seite aber durch seinen gesunden Verstand gemildert wird. Unter dem frühern Ministerium des Hrn. Thiers wurden einige Modificationen in unser Zollsystem eingeführt; derselben Aufgabe wird sich, hoffen wir, auch das gegenwärtige Ministerium unterziehen. In den Clauseln, über welche die englischen und französischen Bevollmächtigten übereingekommen, dominirt die politische Frage die commercielle. Dieser Umstand wird auf den Hrn. Präsidenten des Conseils seinen Eindruck nicht verfehlen. Hr. Thiers weiß, daß England unser Alliirter nur bleiben wird, so lange es mit Frankreich gemeinschaftliche Interessen hat.“ – In seiner Gegenantwort erinnert der National an folgende Worte, welche Hr. Odilon-Barrot am 6 Mai 1837 auf der Tribune gesprochen: „Ich stimme gegen die geheimen Fonds, denn sie sind ein Mittel der Bestechung, und können nur durch die dringendste Nothwendigkeit gerechtfertigt werden.“ Nicht seine Schuld sey es, fügt der National bei, wenn durch solche Inconsequenz in Wort und Handlung Hr. Barrot selbst den „reinsten Ruf unserer Zeit“ befleckte; nicht seine Schuld sey es, wenn er alle diese „reinsten Reputationen unserer Zeit“ eine nach der andern habe zu Grund gehen sehen, mit Inbegriff des Charlatans, der sich vor einigen Jahren den redlichsten Mann des Königreichs habe nennen lassen. Paris, 19 März. Zwei merkwürdige Anzeichen lassen darauf schließen, daß die Camarilla ihre Hoffnungen, Hrn. Thiers bei der Abstimmung über die geheimen Fonds in die Minorität zu bringen, bereits anfängt aufzugeben: das gänzliche Stillschweigen des Journals des Débats während der letztverflossenen Tage über Hrn. Thiers, und die Sprache, welche gestern und heute von der Presse geführt wird. Die Presse setzt Himmel und Hölle in Bewegung, um dem Centrum Schrecken einzujagen und ihm begreiflich zu machen, daß bei der bevorstehenden Abstimmung seine Existenz auf dem Spiel stehe. „Laßt ihr Hrn. Thiers sich festsetzen, ruft sie den neuen Ultras zu, so wird er euch unfehlbar nach Beendigung der Kammer auflösen, und wenn die neuen Wahlen unter seiner Leitung vor sich gehen, so ist es um enre Deputirtenstellen geschehen. Laßt ihr ihn aber durchfallen, so muß er dem König die Alternative stellen, entweder die Kammer aufzulösen oder ihm seine Entlassung zu geben, und wie der König in einem solchen Fall wählen wird, darüber kann kein Zweifel obwalten.“ Was nachher geschehen wird, darüber schweigt die Presse klüglich; denn es dürfte ihr wohl nicht leicht werden, dem Centrum zu sagen, wie ein Ministerium zusammengesetzt seyn müsse, das nach Hrn. Thiers noch auf eine Majorität rechnen könnte. Zum Glück glaubt die Presse selbst nicht an den Erfolg ihrer Demonstrationen; ja sie gesteht ganz naiv am Schlusse ihres heutigen Artikels, sie sey nicht gewiß, wer ihr Freund oder ihr Feind sey. Die Sache ist ziemlich natürlich. Da ein großer Theil der Helden im Centrum nach persönlichen Interessen handelt, so findet er es einfacher mit Hrn. Thiers seinen Frieden zu schließen, und so auf gütlichem Weg und mit vollkommener Gewißheit zu erreichen, wofür er, folgte er dem Rath der Presse, erst einen schweren Kampf zu bestehen hätte, dessen Resultat noch überdieß ungewiß wäre. Das Stillschweigen des Journals des Débats scheint auf die Absicht dieses Blattes hinzudeuten, zur Neutralität überzugehen. Die republicanischen und legitimistischen Blätter wollen wissen, Hr. Thiers habe der Redaction Anträge gestellt, und als er mit denselben zurückgewiesen worden, die Redacteure und Mitarbeiter, die sich sämmtlich in sehr einträglichen Aemtern befänden, mit Absetzung bedroht, im Fall sie in ihrer Opposition beharrten. Die legitimistischen Blätter führten in den letzten Tagen eine beispiellos feindselige Sprache gegen Hrn. Thiers, ein Umstand, der ihm bei dem einsichtsvollen Theil des Centrums eben keinen großen Nachtheil bringt. Die Erklärung, welche Hr. Thiers in dem Comité über die Supplementar-Credite in Betreff Algiers gegeben, daß man dort entweder ein großes Etablissement gründen, oder Algier ganz aufgeben müsse, hat wegen ihrer Entschiedenheit allgemein günstigen Eindruck gemacht. Die Zurückberufung des Marschalls Valée, wer auch in Zukunft Minister seyn möge, ist als entschieden zu betrachten; Valée taugt nicht für diesen Posten. Dagegen ist aber auch nur Eine Stimme darüber, daß von Hrn. Bugeaud, dem das Ministerium Anträge gestellt haben soll, nichts Tüchtiges zu erwarten wäre. Nächsten Montag wird wahrscheinlich der Bericht über die geheimen Fonds vor die Kammer kommen. Belgien. Brüssel, 17 März. Der König hat gestern mit dem Justizminister gearbeitet. Vor und nach empfing Se. Maj. den Hrn. 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So belastet sonst auch die Grundbesitzer seyn mögen, so sind sie doch in Vergleichung mit andern Classen durchaus nicht zu beklagen; denn wenn auch seit zwanzig Jahren der Taglohn an einigen Punkten und bei gewissen Industrien zugenommen hat, so blieb er doch an vielen andern unverändert, oder wurde sogar niedriger. Dieß sind für 32 Millionen Franzosen die Vortheile des für Rechnung der neuen agricolen Feudalität organisirten Repräsentativsystems, ohne von andern Vortheilen zu sprechen, die sie von dem der industriellen Feudalität gewährten Schutz beziehen.“</p><lb/> <p>Ein Artikel im <hi rendition="#g">Courrier français</hi> über die zwischen England und Frankreich wegen eines Handelsvertrags gepflogenen Unterhandlungen beschuldigte die englische Regierung der Saumseligkeit oder der Böswilligkeit, weil sie mit einer entscheidenden Antwort jetzt zögere, nachdem sie zuvor Bevollmächtigte mit liberalen Instructionen nach Frankreich geschickt habe. 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Thiers wurden einige Modificationen in unser Zollsystem eingeführt; derselben Aufgabe wird sich, hoffen wir, auch das gegenwärtige Ministerium unterziehen. In den Clauseln, über welche die englischen und französischen Bevollmächtigten übereingekommen, dominirt die politische Frage die commercielle. Dieser Umstand wird auf den Hrn. Präsidenten des Conseils seinen Eindruck nicht verfehlen. Hr. Thiers weiß, daß England unser Alliirter nur bleiben wird, so lange es mit Frankreich gemeinschaftliche Interessen hat.“ – In seiner Gegenantwort erinnert der <hi rendition="#g">National</hi> an folgende Worte, welche Hr. Odilon-Barrot am 6 Mai 1837 auf der Tribune gesprochen: „Ich stimme gegen die geheimen Fonds, denn sie sind ein Mittel der Bestechung, und können nur durch die dringendste Nothwendigkeit gerechtfertigt werden.“ Nicht seine Schuld sey es, fügt der National bei, wenn durch solche Inconsequenz in Wort und Handlung Hr. Barrot selbst den „reinsten Ruf unserer Zeit“ befleckte; nicht seine Schuld sey es, wenn er alle diese „reinsten Reputationen unserer Zeit“ eine nach der andern habe zu Grund gehen sehen, mit Inbegriff des Charlatans, der sich vor einigen Jahren den redlichsten Mann des Königreichs habe nennen lassen.</p> </div><lb/> <div n="2"> <byline> <gap reason="insignificant" unit="chars" quantity="1"/> </byline> <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 19 März.</dateline> <p> Zwei merkwürdige Anzeichen lassen darauf schließen, daß die Camarilla ihre Hoffnungen, Hrn. Thiers bei der Abstimmung über die geheimen Fonds in die Minorität zu bringen, bereits anfängt aufzugeben: das gänzliche Stillschweigen des Journals des Débats während der letztverflossenen Tage über Hrn. Thiers, und die Sprache, welche gestern und heute von der Presse geführt wird. Die Presse setzt Himmel und Hölle in Bewegung, um dem Centrum Schrecken einzujagen und ihm begreiflich zu machen, daß bei der bevorstehenden Abstimmung seine Existenz auf dem Spiel stehe. „Laßt ihr Hrn. Thiers sich festsetzen, ruft sie den neuen Ultras zu, so wird er euch unfehlbar nach Beendigung der Kammer auflösen, und wenn die neuen Wahlen unter seiner Leitung vor sich gehen, so ist es um enre Deputirtenstellen geschehen. Laßt ihr ihn aber durchfallen, so muß er dem König die Alternative stellen, entweder die Kammer aufzulösen oder ihm seine Entlassung zu geben, und wie der König in einem solchen Fall wählen wird, darüber kann kein Zweifel obwalten.“ Was nachher geschehen wird, darüber schweigt die Presse klüglich; denn es dürfte ihr wohl nicht leicht werden, dem Centrum zu sagen, wie ein Ministerium zusammengesetzt seyn müsse, das nach Hrn. Thiers noch auf eine Majorität rechnen könnte. Zum Glück glaubt die Presse selbst nicht an den Erfolg ihrer Demonstrationen; ja sie gesteht ganz naiv am Schlusse ihres heutigen Artikels, sie sey nicht gewiß, wer ihr Freund oder ihr Feind sey. Die Sache ist ziemlich natürlich. Da ein großer Theil der Helden im Centrum nach persönlichen Interessen handelt, so findet er es einfacher mit Hrn. Thiers seinen Frieden zu schließen, und so auf gütlichem Weg und mit vollkommener Gewißheit zu erreichen, wofür er, folgte er dem Rath der Presse, erst einen schweren Kampf zu bestehen hätte, dessen Resultat noch überdieß ungewiß wäre. Das Stillschweigen des Journals des Débats scheint auf die Absicht dieses Blattes hinzudeuten, zur Neutralität überzugehen. Die republicanischen und legitimistischen Blätter wollen wissen, Hr. Thiers habe der Redaction Anträge gestellt, und als er mit denselben zurückgewiesen worden, die Redacteure und Mitarbeiter, die sich sämmtlich in sehr einträglichen Aemtern befänden, mit Absetzung bedroht, im Fall sie in ihrer Opposition beharrten. Die legitimistischen Blätter führten in den letzten Tagen eine beispiellos feindselige Sprache gegen Hrn. Thiers, ein Umstand, der ihm bei dem einsichtsvollen Theil des Centrums eben keinen großen Nachtheil bringt. Die Erklärung, welche Hr. Thiers in dem Comité über die Supplementar-Credite in Betreff Algiers gegeben, daß man dort entweder ein großes Etablissement gründen, oder Algier ganz aufgeben müsse, hat wegen ihrer Entschiedenheit allgemein günstigen Eindruck gemacht. Die Zurückberufung des Marschalls Valée, wer auch in Zukunft Minister seyn möge, ist als entschieden zu betrachten; Valée taugt nicht für diesen Posten. Dagegen ist aber auch nur Eine Stimme darüber, daß von Hrn. 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Ein Artikel im Courrier français über die zwischen England und Frankreich wegen eines Handelsvertrags gepflogenen Unterhandlungen beschuldigte die englische Regierung der Saumseligkeit oder der Böswilligkeit, weil sie mit einer entscheidenden Antwort jetzt zögere, nachdem sie zuvor Bevollmächtigte mit liberalen Instructionen nach Frankreich geschickt habe. Die Grundlagen eines gegenseitigen Vertrags seyen zu Stand gekommen, nun aber scheine England sich plötzlich besinnen und die Ratification hinausschieben zu wollen. Auf diesen Artikel antwortete die Presse, unter dem gegenwärtigen Ministerium sey der Abschluß eines solchen Vertrags schwieriger als je geworden, denn Hr. Thiers neige sich zum Prohibitivsystem und widersetze sich jeder Zollerniedrigung auf Erzeugnisse der auswärtigen Industrie. Englands Eisenwaaren, Maschinen, Leinenzeuge würden unter einem Ministerium Thiers keinen Eingang in Frankreich finden; dadurch würde auch die Ausfuhr der Weine und Seidenzeuge Frankreichs nach England verhindert. Der Courrier français erwiedert: „Die Presse übertreibt die staatsökonomischen Ansichten des Hrn. Thiers, welche allerdings nichts weniger als progressiv sind, deren exclusive Seite aber durch seinen gesunden Verstand gemildert wird. Unter dem frühern Ministerium des Hrn. Thiers wurden einige Modificationen in unser Zollsystem eingeführt; derselben Aufgabe wird sich, hoffen wir, auch das gegenwärtige Ministerium unterziehen. In den Clauseln, über welche die englischen und französischen Bevollmächtigten übereingekommen, dominirt die politische Frage die commercielle. Dieser Umstand wird auf den Hrn. Präsidenten des Conseils seinen Eindruck nicht verfehlen. Hr. Thiers weiß, daß England unser Alliirter nur bleiben wird, so lange es mit Frankreich gemeinschaftliche Interessen hat.“ – In seiner Gegenantwort erinnert der National an folgende Worte, welche Hr. Odilon-Barrot am 6 Mai 1837 auf der Tribune gesprochen: „Ich stimme gegen die geheimen Fonds, denn sie sind ein Mittel der Bestechung, und können nur durch die dringendste Nothwendigkeit gerechtfertigt werden.“ Nicht seine Schuld sey es, fügt der National bei, wenn durch solche Inconsequenz in Wort und Handlung Hr. Barrot selbst den „reinsten Ruf unserer Zeit“ befleckte; nicht seine Schuld sey es, wenn er alle diese „reinsten Reputationen unserer Zeit“ eine nach der andern habe zu Grund gehen sehen, mit Inbegriff des Charlatans, der sich vor einigen Jahren den redlichsten Mann des Königreichs habe nennen lassen.
_ Paris, 19 März. Zwei merkwürdige Anzeichen lassen darauf schließen, daß die Camarilla ihre Hoffnungen, Hrn. Thiers bei der Abstimmung über die geheimen Fonds in die Minorität zu bringen, bereits anfängt aufzugeben: das gänzliche Stillschweigen des Journals des Débats während der letztverflossenen Tage über Hrn. Thiers, und die Sprache, welche gestern und heute von der Presse geführt wird. Die Presse setzt Himmel und Hölle in Bewegung, um dem Centrum Schrecken einzujagen und ihm begreiflich zu machen, daß bei der bevorstehenden Abstimmung seine Existenz auf dem Spiel stehe. „Laßt ihr Hrn. Thiers sich festsetzen, ruft sie den neuen Ultras zu, so wird er euch unfehlbar nach Beendigung der Kammer auflösen, und wenn die neuen Wahlen unter seiner Leitung vor sich gehen, so ist es um enre Deputirtenstellen geschehen. Laßt ihr ihn aber durchfallen, so muß er dem König die Alternative stellen, entweder die Kammer aufzulösen oder ihm seine Entlassung zu geben, und wie der König in einem solchen Fall wählen wird, darüber kann kein Zweifel obwalten.“ Was nachher geschehen wird, darüber schweigt die Presse klüglich; denn es dürfte ihr wohl nicht leicht werden, dem Centrum zu sagen, wie ein Ministerium zusammengesetzt seyn müsse, das nach Hrn. Thiers noch auf eine Majorität rechnen könnte. Zum Glück glaubt die Presse selbst nicht an den Erfolg ihrer Demonstrationen; ja sie gesteht ganz naiv am Schlusse ihres heutigen Artikels, sie sey nicht gewiß, wer ihr Freund oder ihr Feind sey. Die Sache ist ziemlich natürlich. Da ein großer Theil der Helden im Centrum nach persönlichen Interessen handelt, so findet er es einfacher mit Hrn. Thiers seinen Frieden zu schließen, und so auf gütlichem Weg und mit vollkommener Gewißheit zu erreichen, wofür er, folgte er dem Rath der Presse, erst einen schweren Kampf zu bestehen hätte, dessen Resultat noch überdieß ungewiß wäre. Das Stillschweigen des Journals des Débats scheint auf die Absicht dieses Blattes hinzudeuten, zur Neutralität überzugehen. Die republicanischen und legitimistischen Blätter wollen wissen, Hr. Thiers habe der Redaction Anträge gestellt, und als er mit denselben zurückgewiesen worden, die Redacteure und Mitarbeiter, die sich sämmtlich in sehr einträglichen Aemtern befänden, mit Absetzung bedroht, im Fall sie in ihrer Opposition beharrten. Die legitimistischen Blätter führten in den letzten Tagen eine beispiellos feindselige Sprache gegen Hrn. Thiers, ein Umstand, der ihm bei dem einsichtsvollen Theil des Centrums eben keinen großen Nachtheil bringt. Die Erklärung, welche Hr. Thiers in dem Comité über die Supplementar-Credite in Betreff Algiers gegeben, daß man dort entweder ein großes Etablissement gründen, oder Algier ganz aufgeben müsse, hat wegen ihrer Entschiedenheit allgemein günstigen Eindruck gemacht. Die Zurückberufung des Marschalls Valée, wer auch in Zukunft Minister seyn möge, ist als entschieden zu betrachten; Valée taugt nicht für diesen Posten. Dagegen ist aber auch nur Eine Stimme darüber, daß von Hrn. Bugeaud, dem das Ministerium Anträge gestellt haben soll, nichts Tüchtiges zu erwarten wäre. Nächsten Montag wird wahrscheinlich der Bericht über die geheimen Fonds vor die Kammer kommen.
Belgien.
_ Brüssel, 17 März. Der König hat gestern mit dem Justizminister gearbeitet. Vor und nach empfing Se. Maj. den Hrn. Lebeau, Mitglied der Repräsentantenkammer, und den General Hurel, Chef des Generalstabs der Armee. – Nachmittags.
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(2016-06-28T11:37:15Z)
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Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
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