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Allgemeine Zeitung. Nr. 75. Augsburg, 15. März 1840.

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Deutsche Litteratur und französische Kritik.

(Fortsetzung.)

"Die Natur der deutschen Sprache", fährt Marmier fort, "trägt noch dazu bei, die Zahl dieser ephemeren Secten zu vergrößern. Sie selbst ist jeden Tag neuen Versuchen und neuen Analysen unterworfen; denn die Geister des achtzehnten Jahrhunderts haben sie wohl auf eine hohe Stufe der Ausbildung erhoben, aber nicht festgestellt. Keine Akademie meistert sie, kein Professor der Rhetorik zeichnet ihr ihre Wege vor. Sie muß nicht, wie die französische, sittsam spröde am Saum eines in allen seinen Windungen bekannten Pfades hinwandeln, die veralteten Redeweisen vermeiden und fliehen vor den Neuerungen. Sie leiht sich willig allen Einfällen und Launen des Schreibenden. Sie ist ernst und gesetzt, sie ist munter und leicht. Sie nimmt den Mantel des Mittelalters um, oder das Gazekleid unserer modernen Tage. Sie tätowirt sich mit Neologismen, sie wickelt sich in lange Perioden. Sie setzt Wörter zusammen, erfindet Adjective und schafft Inversionen. Im Süden versüßt sie ihre Sylben und vocalisirt ihre Mitlauter, um dem Ohr der Frauen und der Dichter zu schmeicheln. Im Norden verstärkt sie ihre Töne und bebt vor keiner Härte der philosophischen Terminologie und der Dialektik zurück. Hier ist die deutsche Sprache eine grobe Steifleinwand, borstig von Fremdwörtern, von in Substantive verwandelten Verbis, von schwerfälligen Tiraden, die ungestraft der Interpunction spotten. Dort, im Süden, ist sie eine mit Kunst gezeichnete, in allen ihren Einzelheiten sorgsam ausgearbeitete zarte Stickerei. *) Kurz, Deutschland hat so viele verschiedene Sprachen als es verschiedene Geistergattungen hat. Die Sprache des Dichters ist nicht die des Historikers, die des Philosophen gleicht nicht entfernt der des Romanschreibers. Hegel hatte sich einen Dialekt geschaffen, ein Drittel von dessen Wörtern man in keinem Lexikon findet, und noch andere deutsche Schriftsteller würden dem, der sie zu lesen den Versuch macht, gewiß einen Dienst erweisen, wenn sie ihren Werken ein kleines Glossar und einige exegetische Noten anhängen wollten; denn wenn schon aus all dieser Stylmannichfaltigkeit ein philologischer Reichthum erwächst, so verursacht sie leider auch oft einen beträchtlichen Wirrwarr, dergestalt daß viele deutsche Autoren, einzig und ausschließlich von dem Grundgedanken ihres Buchs erfüllt, die Sprache nahebei so behandeln, wie die Mystiker des vierzehnten Jahrhunderts den Leib, nämlich als eine grobe Geisteshülle, als einen werthlosen, keine Obsorge verdienenden Erdenstoff. Da lebte vor einigen Jahren in Heidelberg ein Professor, dessen Geist sich zu den höchsten Speculationen der Philosophie erschwungen hatte. Auf seiner langen mühevollen Laufbahn hatte er Alles studirt, Alles gelernt, bis auf eine Kleinigkeit, die ihm seiner ganz unwürdig schien: die ordinäre Kunst, das Gedachte lichtvoll auszudrücken. Wenn er einen seiner gelehrten Aufsätze für die Berliner Jahrbücher einschickte, versammelte sich jedesmal der ganze Redactionsausschuß, um sie zu spellen und zu verdolmetschen. Bei den dunkelsten Stellen wurde jedes Comitemitglied um seine Meinung befragt, aber oft sah diese ehrwürdige Jury, die keine Versammlung von Sphinxen (soll heißen von Oedipen) war, sich außer Stand, des Philosophen erhabene Räthsel zu entziffern, und warf sie, wenn auch mit Bedauern, in den Korb. Die Geschichte dieses Professors ist die von mehreren vielleicht sehr geistvollen Deutschen, die man aber nicht studirt, weil sie für das Verständniß zu schwer sind. "Deine Karfunkel, o Munkel, sind mir zu dunkel!"

In Ermangelung eines überlegenen Genius, der die Regeln des Schönen vorzeichnete und die Geister zweiten Ranges sich nachzöge, folgt jeder Schreibende der Straße, die ihm am besten gefällt; jeder von ihnen bildet sich seine Theorie und wählt, wohl oder übel, seine Sprache je nach dem Maaße seiner Kraft und Ausdauer. Je nach dem mehr oder minder fernen Wiederhall, den einige edirte Schriften finden, schwillt Jeder von der Idee seiner eigenen Wichtigkeit, bekränzt sich manu propria, und nennt sich König seines kleinen Reichs. Ein solcher Mann glaubt selbst an seine Legitimität, betitelt sich Souverän von Gottes Gnaden und der Musen, und würde jeden Angriff der Kritik auf sein Dominium als ein crimen laesae betrachten. Auch wir Franzosen haben unter uns eine Anzahl solcher litterarischen Königlein, die ihren Bestallungsbrief durch den Schriftsetzer, ihre Belehnung durch das Feuilleton empfangen haben. Indeß der Glanz ihres Diadems verblendet uns nicht über ihre Misere. Wann kein großer Schriftsteller am Horizont aufgeht, wann kein wichtiges Werk in der litterarischen Welt erscheint, da jammern wir Franzosen über den Verfall der Kunst, über die Armuth des Gedankens. Unser Nothschrei zeigt wenigstens an, daß wir das Gefühl eines bessern Zustandes in uns tragen. Unsere Befürchtungen drücken unsere Wünsche aus. Die Deutschen hingegen richten sich allbereits recht wohnlich ein in jener Art von Schlaf, worin nichts das Vergnügen ihrer Träume stört. Seit zehn Jahren, darf man sagen, hat ihrer eine große Zahl die Freuden der Ruhe und die Beatification der Mittelmäßigkeit geschmeckt.

Vermöge einer eigenthümlichen Anomalie sind diese nämlichen Deutschen, welche gegen einander stets eine schroffe Eitelkeit, eine reizbare Empfindlichkeit beobachten, den Fremden gegenüber die Bescheidenheit selbst. Einem Landsmann bestreiten sie mit Wuth die litterarische Krone; bereitwillig treten sie dieselbe ihren Nachbarn ab. Ein in ihrer Sprache geschriebenes, in ihrem Lande gedrucktes Buch läuft große Gefahr, von der Keule der Kritik zermalmt zu werden; ein Werk aber, das ihnen unter dem einfachsten Aeußern von jenseits des Rheins oder des Meeres zukommt, hat sehr nahe Aussichten auf ein deutsches Unsterblichkeitspatent. Dieser Zustand der Dinge ist traurig, denn er verräth zugleich Schwäche und Neid, ungerechte Strenge einer-, übertriebene Bewunderung andrerseits, und, was das Beklagenswertheste, Mangel an Nationalsinn. Der Fremde, welcher Deutschland liebt, der da weiß, was es war, und begreift, was es seyn könnte, sieht mit Betrübniß, wie es sich selbst erniedrigt, seiner Kraft vergißt, seine Sendung verläugnet. Und diesen Zustand, den wir hier bedauernd vermerken, kann Deutschland leider nicht in Abrede stellen. So lange Goethe lebte, hielt er es mit seiner starken Hand über dem Abschuß, den es jetzt hinab zu gleiten angefangen hat. Er suchte sein Vaterland in einem edelstolzen Nationalgefühl zu bestärken. *)

*) Wenn wir obige zierliche Phrasen recht verstehen, so glaubt der französische Kritiker, Deutschland schreibe zwei verschiedene Dialekte: der poetische Süden eine weiche jonische Mundart, der philosophische Norden einen pythagoräischen Dorismus. - Man könnte Hrn. Marmier mit recht namhaften Beispielen beweisen, daß nicht bloß in Griechenland der härteste Dorismus, der lakonische, gerade im äußersten Süden zu Hause war.
*) Hier scheint also Marmier die Ansichten des Menzel'schen Buchs,
Deutsche Litteratur und französische Kritik.

(Fortsetzung.)

„Die Natur der deutschen Sprache“, fährt Marmier fort, „trägt noch dazu bei, die Zahl dieser ephemeren Secten zu vergrößern. Sie selbst ist jeden Tag neuen Versuchen und neuen Analysen unterworfen; denn die Geister des achtzehnten Jahrhunderts haben sie wohl auf eine hohe Stufe der Ausbildung erhoben, aber nicht festgestellt. Keine Akademie meistert sie, kein Professor der Rhetorik zeichnet ihr ihre Wege vor. Sie muß nicht, wie die französische, sittsam spröde am Saum eines in allen seinen Windungen bekannten Pfades hinwandeln, die veralteten Redeweisen vermeiden und fliehen vor den Neuerungen. Sie leiht sich willig allen Einfällen und Launen des Schreibenden. Sie ist ernst und gesetzt, sie ist munter und leicht. Sie nimmt den Mantel des Mittelalters um, oder das Gazekleid unserer modernen Tage. Sie tätowirt sich mit Neologismen, sie wickelt sich in lange Perioden. Sie setzt Wörter zusammen, erfindet Adjective und schafft Inversionen. Im Süden versüßt sie ihre Sylben und vocalisirt ihre Mitlauter, um dem Ohr der Frauen und der Dichter zu schmeicheln. Im Norden verstärkt sie ihre Töne und bebt vor keiner Härte der philosophischen Terminologie und der Dialektik zurück. Hier ist die deutsche Sprache eine grobe Steifleinwand, borstig von Fremdwörtern, von in Substantive verwandelten Verbis, von schwerfälligen Tiraden, die ungestraft der Interpunction spotten. Dort, im Süden, ist sie eine mit Kunst gezeichnete, in allen ihren Einzelheiten sorgsam ausgearbeitete zarte Stickerei. *) Kurz, Deutschland hat so viele verschiedene Sprachen als es verschiedene Geistergattungen hat. Die Sprache des Dichters ist nicht die des Historikers, die des Philosophen gleicht nicht entfernt der des Romanschreibers. Hegel hatte sich einen Dialekt geschaffen, ein Drittel von dessen Wörtern man in keinem Lexikon findet, und noch andere deutsche Schriftsteller würden dem, der sie zu lesen den Versuch macht, gewiß einen Dienst erweisen, wenn sie ihren Werken ein kleines Glossar und einige exegetische Noten anhängen wollten; denn wenn schon aus all dieser Stylmannichfaltigkeit ein philologischer Reichthum erwächst, so verursacht sie leider auch oft einen beträchtlichen Wirrwarr, dergestalt daß viele deutsche Autoren, einzig und ausschließlich von dem Grundgedanken ihres Buchs erfüllt, die Sprache nahebei so behandeln, wie die Mystiker des vierzehnten Jahrhunderts den Leib, nämlich als eine grobe Geisteshülle, als einen werthlosen, keine Obsorge verdienenden Erdenstoff. Da lebte vor einigen Jahren in Heidelberg ein Professor, dessen Geist sich zu den höchsten Speculationen der Philosophie erschwungen hatte. Auf seiner langen mühevollen Laufbahn hatte er Alles studirt, Alles gelernt, bis auf eine Kleinigkeit, die ihm seiner ganz unwürdig schien: die ordinäre Kunst, das Gedachte lichtvoll auszudrücken. Wenn er einen seiner gelehrten Aufsätze für die Berliner Jahrbücher einschickte, versammelte sich jedesmal der ganze Redactionsausschuß, um sie zu spellen und zu verdolmetschen. Bei den dunkelsten Stellen wurde jedes Comitémitglied um seine Meinung befragt, aber oft sah diese ehrwürdige Jury, die keine Versammlung von Sphinxen (soll heißen von Oedipen) war, sich außer Stand, des Philosophen erhabene Räthsel zu entziffern, und warf sie, wenn auch mit Bedauern, in den Korb. Die Geschichte dieses Professors ist die von mehreren vielleicht sehr geistvollen Deutschen, die man aber nicht studirt, weil sie für das Verständniß zu schwer sind. „Deine Karfunkel, o Munkel, sind mir zu dunkel!“

In Ermangelung eines überlegenen Genius, der die Regeln des Schönen vorzeichnete und die Geister zweiten Ranges sich nachzöge, folgt jeder Schreibende der Straße, die ihm am besten gefällt; jeder von ihnen bildet sich seine Theorie und wählt, wohl oder übel, seine Sprache je nach dem Maaße seiner Kraft und Ausdauer. Je nach dem mehr oder minder fernen Wiederhall, den einige edirte Schriften finden, schwillt Jeder von der Idee seiner eigenen Wichtigkeit, bekränzt sich manu propria, und nennt sich König seines kleinen Reichs. Ein solcher Mann glaubt selbst an seine Legitimität, betitelt sich Souverän von Gottes Gnaden und der Musen, und würde jeden Angriff der Kritik auf sein Dominium als ein crimen laesae betrachten. Auch wir Franzosen haben unter uns eine Anzahl solcher litterarischen Königlein, die ihren Bestallungsbrief durch den Schriftsetzer, ihre Belehnung durch das Feuilleton empfangen haben. Indeß der Glanz ihres Diadems verblendet uns nicht über ihre Misere. Wann kein großer Schriftsteller am Horizont aufgeht, wann kein wichtiges Werk in der litterarischen Welt erscheint, da jammern wir Franzosen über den Verfall der Kunst, über die Armuth des Gedankens. Unser Nothschrei zeigt wenigstens an, daß wir das Gefühl eines bessern Zustandes in uns tragen. Unsere Befürchtungen drücken unsere Wünsche aus. Die Deutschen hingegen richten sich allbereits recht wohnlich ein in jener Art von Schlaf, worin nichts das Vergnügen ihrer Träume stört. Seit zehn Jahren, darf man sagen, hat ihrer eine große Zahl die Freuden der Ruhe und die Beatification der Mittelmäßigkeit geschmeckt.

Vermöge einer eigenthümlichen Anomalie sind diese nämlichen Deutschen, welche gegen einander stets eine schroffe Eitelkeit, eine reizbare Empfindlichkeit beobachten, den Fremden gegenüber die Bescheidenheit selbst. Einem Landsmann bestreiten sie mit Wuth die litterarische Krone; bereitwillig treten sie dieselbe ihren Nachbarn ab. Ein in ihrer Sprache geschriebenes, in ihrem Lande gedrucktes Buch läuft große Gefahr, von der Keule der Kritik zermalmt zu werden; ein Werk aber, das ihnen unter dem einfachsten Aeußern von jenseits des Rheins oder des Meeres zukommt, hat sehr nahe Aussichten auf ein deutsches Unsterblichkeitspatent. Dieser Zustand der Dinge ist traurig, denn er verräth zugleich Schwäche und Neid, ungerechte Strenge einer-, übertriebene Bewunderung andrerseits, und, was das Beklagenswertheste, Mangel an Nationalsinn. Der Fremde, welcher Deutschland liebt, der da weiß, was es war, und begreift, was es seyn könnte, sieht mit Betrübniß, wie es sich selbst erniedrigt, seiner Kraft vergißt, seine Sendung verläugnet. Und diesen Zustand, den wir hier bedauernd vermerken, kann Deutschland leider nicht in Abrede stellen. So lange Goethe lebte, hielt er es mit seiner starken Hand über dem Abschuß, den es jetzt hinab zu gleiten angefangen hat. Er suchte sein Vaterland in einem edelstolzen Nationalgefühl zu bestärken. *)

*) Wenn wir obige zierliche Phrasen recht verstehen, so glaubt der französische Kritiker, Deutschland schreibe zwei verschiedene Dialekte: der poetische Süden eine weiche jonische Mundart, der philosophische Norden einen pythagoräischen Dorismus. – Man könnte Hrn. Marmier mit recht namhaften Beispielen beweisen, daß nicht bloß in Griechenland der härteste Dorismus, der lakonische, gerade im äußersten Süden zu Hause war.
*) Hier scheint also Marmier die Ansichten des Menzel'schen Buchs,
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[0593/0009] Deutsche Litteratur und französische Kritik. (Fortsetzung.) „Die Natur der deutschen Sprache“, fährt Marmier fort, „trägt noch dazu bei, die Zahl dieser ephemeren Secten zu vergrößern. Sie selbst ist jeden Tag neuen Versuchen und neuen Analysen unterworfen; denn die Geister des achtzehnten Jahrhunderts haben sie wohl auf eine hohe Stufe der Ausbildung erhoben, aber nicht festgestellt. Keine Akademie meistert sie, kein Professor der Rhetorik zeichnet ihr ihre Wege vor. Sie muß nicht, wie die französische, sittsam spröde am Saum eines in allen seinen Windungen bekannten Pfades hinwandeln, die veralteten Redeweisen vermeiden und fliehen vor den Neuerungen. Sie leiht sich willig allen Einfällen und Launen des Schreibenden. Sie ist ernst und gesetzt, sie ist munter und leicht. Sie nimmt den Mantel des Mittelalters um, oder das Gazekleid unserer modernen Tage. Sie tätowirt sich mit Neologismen, sie wickelt sich in lange Perioden. Sie setzt Wörter zusammen, erfindet Adjective und schafft Inversionen. Im Süden versüßt sie ihre Sylben und vocalisirt ihre Mitlauter, um dem Ohr der Frauen und der Dichter zu schmeicheln. Im Norden verstärkt sie ihre Töne und bebt vor keiner Härte der philosophischen Terminologie und der Dialektik zurück. Hier ist die deutsche Sprache eine grobe Steifleinwand, borstig von Fremdwörtern, von in Substantive verwandelten Verbis, von schwerfälligen Tiraden, die ungestraft der Interpunction spotten. Dort, im Süden, ist sie eine mit Kunst gezeichnete, in allen ihren Einzelheiten sorgsam ausgearbeitete zarte Stickerei. *) Kurz, Deutschland hat so viele verschiedene Sprachen als es verschiedene Geistergattungen hat. Die Sprache des Dichters ist nicht die des Historikers, die des Philosophen gleicht nicht entfernt der des Romanschreibers. Hegel hatte sich einen Dialekt geschaffen, ein Drittel von dessen Wörtern man in keinem Lexikon findet, und noch andere deutsche Schriftsteller würden dem, der sie zu lesen den Versuch macht, gewiß einen Dienst erweisen, wenn sie ihren Werken ein kleines Glossar und einige exegetische Noten anhängen wollten; denn wenn schon aus all dieser Stylmannichfaltigkeit ein philologischer Reichthum erwächst, so verursacht sie leider auch oft einen beträchtlichen Wirrwarr, dergestalt daß viele deutsche Autoren, einzig und ausschließlich von dem Grundgedanken ihres Buchs erfüllt, die Sprache nahebei so behandeln, wie die Mystiker des vierzehnten Jahrhunderts den Leib, nämlich als eine grobe Geisteshülle, als einen werthlosen, keine Obsorge verdienenden Erdenstoff. Da lebte vor einigen Jahren in Heidelberg ein Professor, dessen Geist sich zu den höchsten Speculationen der Philosophie erschwungen hatte. Auf seiner langen mühevollen Laufbahn hatte er Alles studirt, Alles gelernt, bis auf eine Kleinigkeit, die ihm seiner ganz unwürdig schien: die ordinäre Kunst, das Gedachte lichtvoll auszudrücken. Wenn er einen seiner gelehrten Aufsätze für die Berliner Jahrbücher einschickte, versammelte sich jedesmal der ganze Redactionsausschuß, um sie zu spellen und zu verdolmetschen. Bei den dunkelsten Stellen wurde jedes Comitémitglied um seine Meinung befragt, aber oft sah diese ehrwürdige Jury, die keine Versammlung von Sphinxen (soll heißen von Oedipen) war, sich außer Stand, des Philosophen erhabene Räthsel zu entziffern, und warf sie, wenn auch mit Bedauern, in den Korb. Die Geschichte dieses Professors ist die von mehreren vielleicht sehr geistvollen Deutschen, die man aber nicht studirt, weil sie für das Verständniß zu schwer sind. „Deine Karfunkel, o Munkel, sind mir zu dunkel!“ In Ermangelung eines überlegenen Genius, der die Regeln des Schönen vorzeichnete und die Geister zweiten Ranges sich nachzöge, folgt jeder Schreibende der Straße, die ihm am besten gefällt; jeder von ihnen bildet sich seine Theorie und wählt, wohl oder übel, seine Sprache je nach dem Maaße seiner Kraft und Ausdauer. Je nach dem mehr oder minder fernen Wiederhall, den einige edirte Schriften finden, schwillt Jeder von der Idee seiner eigenen Wichtigkeit, bekränzt sich manu propria, und nennt sich König seines kleinen Reichs. Ein solcher Mann glaubt selbst an seine Legitimität, betitelt sich Souverän von Gottes Gnaden und der Musen, und würde jeden Angriff der Kritik auf sein Dominium als ein crimen laesae betrachten. Auch wir Franzosen haben unter uns eine Anzahl solcher litterarischen Königlein, die ihren Bestallungsbrief durch den Schriftsetzer, ihre Belehnung durch das Feuilleton empfangen haben. Indeß der Glanz ihres Diadems verblendet uns nicht über ihre Misere. Wann kein großer Schriftsteller am Horizont aufgeht, wann kein wichtiges Werk in der litterarischen Welt erscheint, da jammern wir Franzosen über den Verfall der Kunst, über die Armuth des Gedankens. Unser Nothschrei zeigt wenigstens an, daß wir das Gefühl eines bessern Zustandes in uns tragen. Unsere Befürchtungen drücken unsere Wünsche aus. Die Deutschen hingegen richten sich allbereits recht wohnlich ein in jener Art von Schlaf, worin nichts das Vergnügen ihrer Träume stört. Seit zehn Jahren, darf man sagen, hat ihrer eine große Zahl die Freuden der Ruhe und die Beatification der Mittelmäßigkeit geschmeckt. Vermöge einer eigenthümlichen Anomalie sind diese nämlichen Deutschen, welche gegen einander stets eine schroffe Eitelkeit, eine reizbare Empfindlichkeit beobachten, den Fremden gegenüber die Bescheidenheit selbst. Einem Landsmann bestreiten sie mit Wuth die litterarische Krone; bereitwillig treten sie dieselbe ihren Nachbarn ab. Ein in ihrer Sprache geschriebenes, in ihrem Lande gedrucktes Buch läuft große Gefahr, von der Keule der Kritik zermalmt zu werden; ein Werk aber, das ihnen unter dem einfachsten Aeußern von jenseits des Rheins oder des Meeres zukommt, hat sehr nahe Aussichten auf ein deutsches Unsterblichkeitspatent. Dieser Zustand der Dinge ist traurig, denn er verräth zugleich Schwäche und Neid, ungerechte Strenge einer-, übertriebene Bewunderung andrerseits, und, was das Beklagenswertheste, Mangel an Nationalsinn. Der Fremde, welcher Deutschland liebt, der da weiß, was es war, und begreift, was es seyn könnte, sieht mit Betrübniß, wie es sich selbst erniedrigt, seiner Kraft vergißt, seine Sendung verläugnet. Und diesen Zustand, den wir hier bedauernd vermerken, kann Deutschland leider nicht in Abrede stellen. So lange Goethe lebte, hielt er es mit seiner starken Hand über dem Abschuß, den es jetzt hinab zu gleiten angefangen hat. Er suchte sein Vaterland in einem edelstolzen Nationalgefühl zu bestärken. *) *) Wenn wir obige zierliche Phrasen recht verstehen, so glaubt der französische Kritiker, Deutschland schreibe zwei verschiedene Dialekte: der poetische Süden eine weiche jonische Mundart, der philosophische Norden einen pythagoräischen Dorismus. – Man könnte Hrn. Marmier mit recht namhaften Beispielen beweisen, daß nicht bloß in Griechenland der härteste Dorismus, der lakonische, gerade im äußersten Süden zu Hause war. *) Hier scheint also Marmier die Ansichten des Menzel'schen Buchs,

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Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 75. Augsburg, 15. März 1840, S. 0593. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_075_18400315/9>, abgerufen am 18.04.2024.