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Allgemeine Zeitung. Nr. 74. Augsburg, 14. März 1840.

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den bloßen Elementarunterricht von Schreiben, Lesen und Rechnen hinausgehend, der Mittelclasse die Möglichkeit eröffnen, sich für ihre Zwecke auf einer breiteren und gründlicheren Basis vorzubereiten. Die römischen Stiftungen können, als solchen Bedürfnissen kaum entsprechend, hier eigentlich gar nicht genannt werden; ja selbst bei uns in Toscana dürfte das Institut des Marchese Ridolfi zu Meleto und die Anstalt Lambruschini's im obern Arnothale bei Figline, wenn auch einem ähnlichen, doch beschränkteren Ziele nachstreben; bis jetzt wird das vor zwei Jahren von der Gräfin Bellini zu Novara errichtete Institut für Künste und Gewerbe das erste und einzige dieser Art in Italien heißen können.

Preußen.

In einem Schreiben aus Berlin vom Februar, welches das Morgenblatt mittheilt, heißt es: "Der letzte Tag des vorigen Jahres sah eine seltsame Doppelfeier, voll Stoff zu ernstem Nachdenken und Vergleichungen. In der Mitte der Kochstraße wohnten sich gegenüber der ehemalige Chefpräsident des obersten preußischen Gerichtshofs, des geheimen Obertribunals, der Frhr. v. Grollmann, und der ehemalige Chefpräsident des Kammergerichts, Woldermann; beide ausgezeichnete Juristen und Geschäftsmänner, von König und Staat hochgeehrt; aber ihr Ruf gehört schon dahingegangenen Generationen an. Beide waren Greise, längst in Ehren emeritirt, beide großgezogen in den ältern strengen Grundsätzen der preußischen Beamtenwelt, denen das Pflichtgefühl und unbeugsame Rechtlichkeit zur andern Natur geworden, den Neuerungen eben sowohl abhold als fremd dem servilen Hinhorchen auf Winke und Wünsche der Höheren. Beide waren schon Männer, thätig im Staatsdienst, als der Müller Arnold'sche Proceß Europa's Augen auf sich lenkte, und auf die preußische Justizverwaltung von lange segensreich nachwirkenden Folgen war. Am 31 Dec. 1839 wurden Woldermanns Gebeine zur letzten Ruhe getragen. Er war 87 Jahre alt und blind; die Ruhe war ihm zu gönnen. Aber kaum, daß die Trauerwagen langsam fortgefahren, zum Halle'schen Thore hinaus, als helle, geschmückte Equipagen von allen Seiten vor das gegenüber liegende Haus rollten, um ihre Glückwünsche dem seinen jüngern Collegen überlebenden Greise darzubringen. Neunundneunzig Jahr alt, feierte der Freiherr v. Grollmann an diesem Tage seinen hundertsten Geburtstag. Wenn das allüberall, zumal in einer großen Stadt, eine seltene Feier ist, um wie merkwürdiger bei einem Manne in so hohen Würden! Ein Spiel des Zufalls, daß der oberste preußische Richter drei Menschenalter erleben, drei Generationen überleben muß! Das Schicksal hat noch seltsamere Spiele mit ihm getrieben. Er war schon Richter, als wir noch kein preußisches Recht hatten, als nach römischem, nach Provincialgesetzen und Gewohnheiten erkannt wurde. Er erlebte die ersten Versuche einer preußischen Gesetzgebung, darauf die Anfertigung unsrer Gerichtsordnung und unsers Landrechts. Aber sie sollen ihm sein Leben hindurch fremd geblieben seyn. Als Präsident citirte er lieber die leges der Pandekten, als die Paragraphen des allgemeinen Landrechts. Und nun als Greis mußte er es erleben, daß beide Werke sich schon überlebt haben, daß unsre Gesetzgebungscommission schon lange Jahre an der Revision unsrer Proceßordnung wie unsers Gesetzbuchs arbeitet. Grollmanns Familie ist bekanntlich durch die amtliche Stellung ihrer Mitglieder eine der ausgezeichnetsten im Staate (sein Sohn, als Präsident des geheimen Obertribunals, ist gewissermaßen auch schon in eine Art Ruheposten eingerückt); sein Geburtstag wurde daher schon seit einigen Jahren als eine Art von öffentlicher Festlichkeit betrachtet, und daß unser König dem Greise versprochen, wenn er hundert Jahre alt geworden, selbst kommen zu wollen, um ihm zu gratuliren, mußte die allgemeine Aufmerksamkeit auf ein Ereigniß noch mehr lenken, welches schon an und für sich für jeden, der gern alt werden möchte, von Interesse ist. Diesesmal wurde der Greis von allen Prinzen des königlichen Hofs persönlich beglückwünscht; es fehlte nicht an Gedichten, Geschenken und mancherlei, was sich nur erzählen, nicht niederschreiben läßt. Der Berliner Witz ist dabei natürlich auch thätig, und alle möglichen naiven Bemerkungen werden dem Neunundneunziger in den Mund gelegt; z. B. muß er sagen, als er Woldermanns Leichenzug sieht: "Ich habe es ja immer gesagt, der Mann wird nicht alt werden, seine Constitution war nicht dazu." Wenn die grauhaarigen jüngern Verwandten der Familie sich bei den gewohnten Abendcirkeln entschuldigen ließen wegen Krankheitsanfällen, den natürlichen Folgen der Altersschwäche, eiferte und schalt der Greis über die jungen Leute, die nichts vertragen könnten u. s. w. - Kürzlich lasen wir in den Zeitungen die officiellen Berechnungen, welche im Bureau des Justizministeriums über die Candidaten und Candidaturen zu Justizanstellungen angefertigt sind. Jeder Studirende, der sich dem Rechtsfach widmet, muß sich, wie die Sachen stehen, gefaßt machen, zehn Jahr zu warten, ehe er in Amt und Brod kommt; eine traurige Aussicht. Wenn aber die Mehrzahl der Juristen Woldermanns und Grollmanns Alter erreichten, so dürfte die Mehrzahl wohl, statt zehn, zwanzig Jahr warten. Doch das ist nicht zu - besorgen möchte ich nicht sagen, es ist nicht zu erwarten. Unsre jüngeren Generationen, in den Zeiten der Reibungen und Aufregungen geboren, haben nicht die Anwartschaft auf das hohe Alter, wie jene in den passivsten Zeiten des politischen Denkens gebornen Männer. Gerade unter den mittleren Lebensaltern hält der Tod jetzt eine reiche Ernte. Die Nervenfieber und Schlagflüsse grassiren bei dem ungewöhnlich warmen Winter außerordentlich. Unsre Aerzte nennen die Luft verpestet. Um aber wieder auf die Referendarien zu kommen, so wird uns die Versicherung gegeben, daß die nach uns kommenden Generationen wieder die Anwartschaft auf langes Leben haben, insofern Apathie diese verbürgt. Von der Bürger'schen Zeit an gingen unsre meisten Dichter aus dem Juristenstande hervor, aus den Advocatenschulen, hieß es, die Demagogen und Frondeurs. Solide Eltern sollen jetzt der Furcht ganz überhoben seyn, daß ihre Söhne der Genialität sich hingeben. Man behauptet, daß unsre jungen Juristen, sobald sie die Universität verlassen, keinen andern Gedanken nähren, als an eine Anstellung, und wo möglich zugleich an eine dereinstige Pensionirung, wenn sie dienstunfähig werden. Das wäre ein großer Triumph, wenn unsre neueste politische Erziehung die Poesie in unsern Jünglingen ganz todt gemacht hätte. Ich mag es noch nicht glauben, aber von glaubhaften Männern wird es versichert. Wenn auch soliden Eltern eine rechtschaffene Freude darüber nicht zu verargen ist, so zweifle ich doch, ob der Staat immer der Ansicht bleiben wird, daß gute Lastträger seine besten Bürger sind. Es möchte die Zeit kommen, wo man Alles darum gäbe, wieder Feuer in die Adern zu gießen."

Ich habe heute einer interessanten litterarischen Erscheinung zu gedenken. Von dem großen Werke Wilhelms v. Humboldt: "die Kawisprache auf der Insel Java," dem die königl. Akademie der Wissenschaften eine Stelle in ihren Abhandlungen angewiesen, ist nämlich der zweite und dritte Band erschienen, die, eben so wie der erste, durch die Aufmerksamkeit Alexanders v. Humboldt, der mit wahrhafter Pietät die nachgelassenen litterarischen Schätze seines Bruders

den bloßen Elementarunterricht von Schreiben, Lesen und Rechnen hinausgehend, der Mittelclasse die Möglichkeit eröffnen, sich für ihre Zwecke auf einer breiteren und gründlicheren Basis vorzubereiten. Die römischen Stiftungen können, als solchen Bedürfnissen kaum entsprechend, hier eigentlich gar nicht genannt werden; ja selbst bei uns in Toscana dürfte das Institut des Marchese Ridolfi zu Meleto und die Anstalt Lambruschini's im obern Arnothale bei Figline, wenn auch einem ähnlichen, doch beschränkteren Ziele nachstreben; bis jetzt wird das vor zwei Jahren von der Gräfin Bellini zu Novara errichtete Institut für Künste und Gewerbe das erste und einzige dieser Art in Italien heißen können.

Preußen.

In einem Schreiben aus Berlin vom Februar, welches das Morgenblatt mittheilt, heißt es: „Der letzte Tag des vorigen Jahres sah eine seltsame Doppelfeier, voll Stoff zu ernstem Nachdenken und Vergleichungen. In der Mitte der Kochstraße wohnten sich gegenüber der ehemalige Chefpräsident des obersten preußischen Gerichtshofs, des geheimen Obertribunals, der Frhr. v. Grollmann, und der ehemalige Chefpräsident des Kammergerichts, Woldermann; beide ausgezeichnete Juristen und Geschäftsmänner, von König und Staat hochgeehrt; aber ihr Ruf gehört schon dahingegangenen Generationen an. Beide waren Greise, längst in Ehren emeritirt, beide großgezogen in den ältern strengen Grundsätzen der preußischen Beamtenwelt, denen das Pflichtgefühl und unbeugsame Rechtlichkeit zur andern Natur geworden, den Neuerungen eben sowohl abhold als fremd dem servilen Hinhorchen auf Winke und Wünsche der Höheren. Beide waren schon Männer, thätig im Staatsdienst, als der Müller Arnold'sche Proceß Europa's Augen auf sich lenkte, und auf die preußische Justizverwaltung von lange segensreich nachwirkenden Folgen war. Am 31 Dec. 1839 wurden Woldermanns Gebeine zur letzten Ruhe getragen. Er war 87 Jahre alt und blind; die Ruhe war ihm zu gönnen. Aber kaum, daß die Trauerwagen langsam fortgefahren, zum Halle'schen Thore hinaus, als helle, geschmückte Equipagen von allen Seiten vor das gegenüber liegende Haus rollten, um ihre Glückwünsche dem seinen jüngern Collegen überlebenden Greise darzubringen. Neunundneunzig Jahr alt, feierte der Freiherr v. Grollmann an diesem Tage seinen hundertsten Geburtstag. Wenn das allüberall, zumal in einer großen Stadt, eine seltene Feier ist, um wie merkwürdiger bei einem Manne in so hohen Würden! Ein Spiel des Zufalls, daß der oberste preußische Richter drei Menschenalter erleben, drei Generationen überleben muß! Das Schicksal hat noch seltsamere Spiele mit ihm getrieben. Er war schon Richter, als wir noch kein preußisches Recht hatten, als nach römischem, nach Provincialgesetzen und Gewohnheiten erkannt wurde. Er erlebte die ersten Versuche einer preußischen Gesetzgebung, darauf die Anfertigung unsrer Gerichtsordnung und unsers Landrechts. Aber sie sollen ihm sein Leben hindurch fremd geblieben seyn. Als Präsident citirte er lieber die leges der Pandekten, als die Paragraphen des allgemeinen Landrechts. Und nun als Greis mußte er es erleben, daß beide Werke sich schon überlebt haben, daß unsre Gesetzgebungscommission schon lange Jahre an der Revision unsrer Proceßordnung wie unsers Gesetzbuchs arbeitet. Grollmanns Familie ist bekanntlich durch die amtliche Stellung ihrer Mitglieder eine der ausgezeichnetsten im Staate (sein Sohn, als Präsident des geheimen Obertribunals, ist gewissermaßen auch schon in eine Art Ruheposten eingerückt); sein Geburtstag wurde daher schon seit einigen Jahren als eine Art von öffentlicher Festlichkeit betrachtet, und daß unser König dem Greise versprochen, wenn er hundert Jahre alt geworden, selbst kommen zu wollen, um ihm zu gratuliren, mußte die allgemeine Aufmerksamkeit auf ein Ereigniß noch mehr lenken, welches schon an und für sich für jeden, der gern alt werden möchte, von Interesse ist. Diesesmal wurde der Greis von allen Prinzen des königlichen Hofs persönlich beglückwünscht; es fehlte nicht an Gedichten, Geschenken und mancherlei, was sich nur erzählen, nicht niederschreiben läßt. Der Berliner Witz ist dabei natürlich auch thätig, und alle möglichen naiven Bemerkungen werden dem Neunundneunziger in den Mund gelegt; z. B. muß er sagen, als er Woldermanns Leichenzug sieht: „Ich habe es ja immer gesagt, der Mann wird nicht alt werden, seine Constitution war nicht dazu.“ Wenn die grauhaarigen jüngern Verwandten der Familie sich bei den gewohnten Abendcirkeln entschuldigen ließen wegen Krankheitsanfällen, den natürlichen Folgen der Altersschwäche, eiferte und schalt der Greis über die jungen Leute, die nichts vertragen könnten u. s. w. – Kürzlich lasen wir in den Zeitungen die officiellen Berechnungen, welche im Bureau des Justizministeriums über die Candidaten und Candidaturen zu Justizanstellungen angefertigt sind. Jeder Studirende, der sich dem Rechtsfach widmet, muß sich, wie die Sachen stehen, gefaßt machen, zehn Jahr zu warten, ehe er in Amt und Brod kommt; eine traurige Aussicht. Wenn aber die Mehrzahl der Juristen Woldermanns und Grollmanns Alter erreichten, so dürfte die Mehrzahl wohl, statt zehn, zwanzig Jahr warten. Doch das ist nicht zu – besorgen möchte ich nicht sagen, es ist nicht zu erwarten. Unsre jüngeren Generationen, in den Zeiten der Reibungen und Aufregungen geboren, haben nicht die Anwartschaft auf das hohe Alter, wie jene in den passivsten Zeiten des politischen Denkens gebornen Männer. Gerade unter den mittleren Lebensaltern hält der Tod jetzt eine reiche Ernte. Die Nervenfieber und Schlagflüsse grassiren bei dem ungewöhnlich warmen Winter außerordentlich. Unsre Aerzte nennen die Luft verpestet. Um aber wieder auf die Referendarien zu kommen, so wird uns die Versicherung gegeben, daß die nach uns kommenden Generationen wieder die Anwartschaft auf langes Leben haben, insofern Apathie diese verbürgt. Von der Bürger'schen Zeit an gingen unsre meisten Dichter aus dem Juristenstande hervor, aus den Advocatenschulen, hieß es, die Demagogen und Frondeurs. Solide Eltern sollen jetzt der Furcht ganz überhoben seyn, daß ihre Söhne der Genialität sich hingeben. Man behauptet, daß unsre jungen Juristen, sobald sie die Universität verlassen, keinen andern Gedanken nähren, als an eine Anstellung, und wo möglich zugleich an eine dereinstige Pensionirung, wenn sie dienstunfähig werden. Das wäre ein großer Triumph, wenn unsre neueste politische Erziehung die Poesie in unsern Jünglingen ganz todt gemacht hätte. Ich mag es noch nicht glauben, aber von glaubhaften Männern wird es versichert. Wenn auch soliden Eltern eine rechtschaffene Freude darüber nicht zu verargen ist, so zweifle ich doch, ob der Staat immer der Ansicht bleiben wird, daß gute Lastträger seine besten Bürger sind. Es möchte die Zeit kommen, wo man Alles darum gäbe, wieder Feuer in die Adern zu gießen.“

Ich habe heute einer interessanten litterarischen Erscheinung zu gedenken. Von dem großen Werke Wilhelms v. Humboldt: „die Kawisprache auf der Insel Java,“ dem die königl. Akademie der Wissenschaften eine Stelle in ihren Abhandlungen angewiesen, ist nämlich der zweite und dritte Band erschienen, die, eben so wie der erste, durch die Aufmerksamkeit Alexanders v. Humboldt, der mit wahrhafter Pietät die nachgelassenen litterarischen Schätze seines Bruders

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Und nun als Greis mußte er es erleben, daß beide Werke sich schon überlebt haben, daß unsre Gesetzgebungscommission schon lange Jahre an der Revision unsrer Proceßordnung wie unsers Gesetzbuchs arbeitet. Grollmanns Familie ist bekanntlich durch die amtliche Stellung ihrer Mitglieder eine der ausgezeichnetsten im Staate (sein Sohn, als Präsident des geheimen Obertribunals, ist gewissermaßen auch schon in eine Art Ruheposten eingerückt); sein Geburtstag wurde daher schon seit einigen Jahren als eine Art von öffentlicher Festlichkeit betrachtet, und daß unser König dem Greise versprochen, wenn er hundert Jahre alt geworden, selbst kommen zu wollen, um ihm zu gratuliren, mußte die allgemeine Aufmerksamkeit auf ein Ereigniß noch mehr lenken, welches schon an und für sich für jeden, der gern alt werden möchte, von Interesse ist. Diesesmal wurde der Greis von allen Prinzen des königlichen Hofs persönlich beglückwünscht; es fehlte nicht an Gedichten, Geschenken und mancherlei, was sich nur erzählen, nicht niederschreiben läßt. Der Berliner Witz ist dabei natürlich auch thätig, und alle möglichen naiven Bemerkungen werden dem Neunundneunziger in den Mund gelegt; z. B. muß er sagen, als er Woldermanns Leichenzug sieht: &#x201E;Ich habe es ja immer gesagt, der Mann wird nicht alt werden, seine Constitution war nicht dazu.&#x201C; Wenn die grauhaarigen jüngern Verwandten der Familie sich bei den gewohnten Abendcirkeln entschuldigen ließen wegen Krankheitsanfällen, den natürlichen Folgen der Altersschwäche, eiferte und schalt der Greis über die jungen Leute, die nichts vertragen könnten u. s. w. &#x2013; Kürzlich lasen wir in den Zeitungen die officiellen Berechnungen, welche im Bureau des Justizministeriums über die Candidaten und Candidaturen zu Justizanstellungen angefertigt sind. Jeder Studirende, der sich dem Rechtsfach widmet, muß sich, wie die Sachen stehen, gefaßt machen, zehn Jahr zu warten, ehe er in Amt und Brod kommt; eine traurige Aussicht. Wenn aber die Mehrzahl der Juristen Woldermanns und Grollmanns Alter erreichten, so dürfte die Mehrzahl wohl, statt zehn, zwanzig Jahr warten. Doch das ist nicht zu &#x2013; besorgen möchte ich nicht sagen, es ist nicht zu erwarten. Unsre jüngeren Generationen, in den Zeiten der Reibungen und Aufregungen geboren, haben nicht die Anwartschaft auf das hohe Alter, wie jene in den passivsten Zeiten des politischen Denkens gebornen Männer. Gerade unter den mittleren Lebensaltern hält der Tod jetzt eine reiche Ernte. Die Nervenfieber und Schlagflüsse grassiren bei dem ungewöhnlich warmen Winter außerordentlich. Unsre Aerzte nennen die Luft verpestet. Um aber wieder auf die Referendarien zu kommen, so wird uns die Versicherung gegeben, daß die nach uns kommenden Generationen wieder die Anwartschaft auf langes Leben haben, insofern Apathie diese verbürgt. Von der Bürger'schen Zeit an gingen unsre meisten Dichter aus dem Juristenstande hervor, aus den Advocatenschulen, hieß es, die Demagogen und Frondeurs. Solide Eltern sollen jetzt der Furcht ganz überhoben seyn, daß ihre Söhne der Genialität sich hingeben. Man behauptet, daß unsre jungen Juristen, sobald sie die Universität verlassen, keinen andern Gedanken nähren, als an eine Anstellung, und wo möglich zugleich an eine dereinstige Pensionirung, wenn sie dienstunfähig werden. Das wäre ein großer Triumph, wenn unsre neueste politische Erziehung die Poesie in unsern Jünglingen ganz todt gemacht hätte. Ich mag es noch nicht glauben, aber von glaubhaften Männern wird es versichert. Wenn auch soliden Eltern eine rechtschaffene Freude darüber nicht zu verargen ist, so zweifle ich doch, ob der Staat immer der Ansicht bleiben wird, daß gute Lastträger seine besten Bürger sind. Es möchte die Zeit kommen, wo man Alles darum gäbe, wieder Feuer in die Adern zu gießen.&#x201C;</p><lb/>
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[0589/0013] den bloßen Elementarunterricht von Schreiben, Lesen und Rechnen hinausgehend, der Mittelclasse die Möglichkeit eröffnen, sich für ihre Zwecke auf einer breiteren und gründlicheren Basis vorzubereiten. Die römischen Stiftungen können, als solchen Bedürfnissen kaum entsprechend, hier eigentlich gar nicht genannt werden; ja selbst bei uns in Toscana dürfte das Institut des Marchese Ridolfi zu Meleto und die Anstalt Lambruschini's im obern Arnothale bei Figline, wenn auch einem ähnlichen, doch beschränkteren Ziele nachstreben; bis jetzt wird das vor zwei Jahren von der Gräfin Bellini zu Novara errichtete Institut für Künste und Gewerbe das erste und einzige dieser Art in Italien heißen können. Preußen. In einem Schreiben aus Berlin vom Februar, welches das Morgenblatt mittheilt, heißt es: „Der letzte Tag des vorigen Jahres sah eine seltsame Doppelfeier, voll Stoff zu ernstem Nachdenken und Vergleichungen. In der Mitte der Kochstraße wohnten sich gegenüber der ehemalige Chefpräsident des obersten preußischen Gerichtshofs, des geheimen Obertribunals, der Frhr. v. Grollmann, und der ehemalige Chefpräsident des Kammergerichts, Woldermann; beide ausgezeichnete Juristen und Geschäftsmänner, von König und Staat hochgeehrt; aber ihr Ruf gehört schon dahingegangenen Generationen an. Beide waren Greise, längst in Ehren emeritirt, beide großgezogen in den ältern strengen Grundsätzen der preußischen Beamtenwelt, denen das Pflichtgefühl und unbeugsame Rechtlichkeit zur andern Natur geworden, den Neuerungen eben sowohl abhold als fremd dem servilen Hinhorchen auf Winke und Wünsche der Höheren. Beide waren schon Männer, thätig im Staatsdienst, als der Müller Arnold'sche Proceß Europa's Augen auf sich lenkte, und auf die preußische Justizverwaltung von lange segensreich nachwirkenden Folgen war. Am 31 Dec. 1839 wurden Woldermanns Gebeine zur letzten Ruhe getragen. Er war 87 Jahre alt und blind; die Ruhe war ihm zu gönnen. Aber kaum, daß die Trauerwagen langsam fortgefahren, zum Halle'schen Thore hinaus, als helle, geschmückte Equipagen von allen Seiten vor das gegenüber liegende Haus rollten, um ihre Glückwünsche dem seinen jüngern Collegen überlebenden Greise darzubringen. Neunundneunzig Jahr alt, feierte der Freiherr v. Grollmann an diesem Tage seinen hundertsten Geburtstag. Wenn das allüberall, zumal in einer großen Stadt, eine seltene Feier ist, um wie merkwürdiger bei einem Manne in so hohen Würden! Ein Spiel des Zufalls, daß der oberste preußische Richter drei Menschenalter erleben, drei Generationen überleben muß! Das Schicksal hat noch seltsamere Spiele mit ihm getrieben. Er war schon Richter, als wir noch kein preußisches Recht hatten, als nach römischem, nach Provincialgesetzen und Gewohnheiten erkannt wurde. Er erlebte die ersten Versuche einer preußischen Gesetzgebung, darauf die Anfertigung unsrer Gerichtsordnung und unsers Landrechts. Aber sie sollen ihm sein Leben hindurch fremd geblieben seyn. Als Präsident citirte er lieber die leges der Pandekten, als die Paragraphen des allgemeinen Landrechts. Und nun als Greis mußte er es erleben, daß beide Werke sich schon überlebt haben, daß unsre Gesetzgebungscommission schon lange Jahre an der Revision unsrer Proceßordnung wie unsers Gesetzbuchs arbeitet. Grollmanns Familie ist bekanntlich durch die amtliche Stellung ihrer Mitglieder eine der ausgezeichnetsten im Staate (sein Sohn, als Präsident des geheimen Obertribunals, ist gewissermaßen auch schon in eine Art Ruheposten eingerückt); sein Geburtstag wurde daher schon seit einigen Jahren als eine Art von öffentlicher Festlichkeit betrachtet, und daß unser König dem Greise versprochen, wenn er hundert Jahre alt geworden, selbst kommen zu wollen, um ihm zu gratuliren, mußte die allgemeine Aufmerksamkeit auf ein Ereigniß noch mehr lenken, welches schon an und für sich für jeden, der gern alt werden möchte, von Interesse ist. Diesesmal wurde der Greis von allen Prinzen des königlichen Hofs persönlich beglückwünscht; es fehlte nicht an Gedichten, Geschenken und mancherlei, was sich nur erzählen, nicht niederschreiben läßt. Der Berliner Witz ist dabei natürlich auch thätig, und alle möglichen naiven Bemerkungen werden dem Neunundneunziger in den Mund gelegt; z. B. muß er sagen, als er Woldermanns Leichenzug sieht: „Ich habe es ja immer gesagt, der Mann wird nicht alt werden, seine Constitution war nicht dazu.“ Wenn die grauhaarigen jüngern Verwandten der Familie sich bei den gewohnten Abendcirkeln entschuldigen ließen wegen Krankheitsanfällen, den natürlichen Folgen der Altersschwäche, eiferte und schalt der Greis über die jungen Leute, die nichts vertragen könnten u. s. w. – Kürzlich lasen wir in den Zeitungen die officiellen Berechnungen, welche im Bureau des Justizministeriums über die Candidaten und Candidaturen zu Justizanstellungen angefertigt sind. Jeder Studirende, der sich dem Rechtsfach widmet, muß sich, wie die Sachen stehen, gefaßt machen, zehn Jahr zu warten, ehe er in Amt und Brod kommt; eine traurige Aussicht. Wenn aber die Mehrzahl der Juristen Woldermanns und Grollmanns Alter erreichten, so dürfte die Mehrzahl wohl, statt zehn, zwanzig Jahr warten. Doch das ist nicht zu – besorgen möchte ich nicht sagen, es ist nicht zu erwarten. Unsre jüngeren Generationen, in den Zeiten der Reibungen und Aufregungen geboren, haben nicht die Anwartschaft auf das hohe Alter, wie jene in den passivsten Zeiten des politischen Denkens gebornen Männer. Gerade unter den mittleren Lebensaltern hält der Tod jetzt eine reiche Ernte. Die Nervenfieber und Schlagflüsse grassiren bei dem ungewöhnlich warmen Winter außerordentlich. Unsre Aerzte nennen die Luft verpestet. Um aber wieder auf die Referendarien zu kommen, so wird uns die Versicherung gegeben, daß die nach uns kommenden Generationen wieder die Anwartschaft auf langes Leben haben, insofern Apathie diese verbürgt. Von der Bürger'schen Zeit an gingen unsre meisten Dichter aus dem Juristenstande hervor, aus den Advocatenschulen, hieß es, die Demagogen und Frondeurs. Solide Eltern sollen jetzt der Furcht ganz überhoben seyn, daß ihre Söhne der Genialität sich hingeben. Man behauptet, daß unsre jungen Juristen, sobald sie die Universität verlassen, keinen andern Gedanken nähren, als an eine Anstellung, und wo möglich zugleich an eine dereinstige Pensionirung, wenn sie dienstunfähig werden. Das wäre ein großer Triumph, wenn unsre neueste politische Erziehung die Poesie in unsern Jünglingen ganz todt gemacht hätte. Ich mag es noch nicht glauben, aber von glaubhaften Männern wird es versichert. Wenn auch soliden Eltern eine rechtschaffene Freude darüber nicht zu verargen ist, so zweifle ich doch, ob der Staat immer der Ansicht bleiben wird, daß gute Lastträger seine besten Bürger sind. Es möchte die Zeit kommen, wo man Alles darum gäbe, wieder Feuer in die Adern zu gießen.“ _ Berlin, 8 März. Ich habe heute einer interessanten litterarischen Erscheinung zu gedenken. Von dem großen Werke Wilhelms v. Humboldt: „die Kawisprache auf der Insel Java,“ dem die königl. Akademie der Wissenschaften eine Stelle in ihren Abhandlungen angewiesen, ist nämlich der zweite und dritte Band erschienen, die, eben so wie der erste, durch die Aufmerksamkeit Alexanders v. Humboldt, der mit wahrhafter Pietät die nachgelassenen litterarischen Schätze seines Bruders

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 74. Augsburg, 14. März 1840, S. 0589. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_074_18400314/13>, abgerufen am 25.04.2024.