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Allgemeine Zeitung. Nr. 74. Augsburg, 14. März 1840.

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er durch die Gewalt seines Blickes gezügelt, die Stunde gekommen, da sie ungestraft herrschen könnten, und sie fielen über seine Spolien her, wie einst die ehrgeizigen Centurionen über die der römischen Kaiser. Dieser raffte sein Scepter, jener seine Krone an sich; aber die Wucht der Kaiserinsignien zog ihre schwächlichen Körperchen nieder. Der große Schemen des Dichters mochte wohl lachen über den Mummenschanz. Dann als sie fanden, daß sie in den großen Falten von Goethe's Mantel ganz verschwinden würden, da fingen sie an, den zu läugnen, den sie nicht ersetzen konnten. Sie verließen den Pfad, den der Meister so breit und schön gebahnt, und bildeten unter sich einen Verjüngungsbund unter der stolzen Firma "das junge Deutschland." Kaum entstanden, verlegte sich diese Gesellschaft aufs Predigen und Dogmatisiren. Unter andern nationalen Ideen stellte sie Voltaire's Genie über alle; unter andern neuen und originellen Ideen lehrte sie den Saint-Simonismus. Sie gründete Zeitschriften - eine der besten war der Phönix; er ist auf seinem Holzstoß gestorben, und nichts deutet an, daß er aus seiner Asche wieder erstehen werde; - sie schrieb Dramen, Romane, Gedichte, hoffte mit jeder Broschüre die Welt zu reformiren, nahm das Skandal, das ihre Paradoxa erregten, für Erfolge und berauschte sich in dem Weihrauch, den sie sich selbst mit vollen Händen streute. Als sie alle ihre Theorien entwickelt, die Vorzüge ihrer Sittenlehre und die Schönheiten ihres Styls des Breitern in ein günstiges Licht gesetzt hatte, erzeigte in dem Augenblick, wo sie ihren den Proselyten vergebens geöffneten Tempel nach aller Wahrscheinlichkeit geschlossen hätte, und in der Trockenheit ihrer Arbeit und der Nichtigkeit ihres Ruhms entschlafen wäre, die Polizei ihr den Gefallen sie zu verfolgen. Das fristete dem jungen Deutschland das Leben auf einige Monate. Dann lösten sich seine Bande, seine feurigsten Jünger wurden gute und friedliebende Bürger (bourgeois), die jetzt mit der Polizei und der Censur auf ganz gutem Fuße leben. Einer der jungen Deutschländer, der gegen die Ehe ein unwiderrufliches Anathema geschleudert, war der erste, der sich ein Weib nahm. Ein anderer, (?) der durch seine wilde Demagogie sich eine gewisse Renommee erworben, hat den Erlös aus einem seiner letzten Bücher dazu angewendet, eine schöne Livrei machen zu lassen, und treibt jetzt Heraldik.

Gegenwärtig besteht keine litterarische Schule in Deutschland, oder vielmehr es sind da so viele Schulen als Schriftsteller. Der Gelehrte, der von dem Text eines Alten eine neue Auslegung gibt, macht eine Schule; (!) der Dichter, der eine neue Zusammenstellung der Versfüße und einen neuen Rhythmus anwendet, macht eine Schule. (!!) Der Kritiker macht eine Schule durch ein Paradoxon, der Geschichtschreiber durch ein Citat, (!!!) der Romanschreiber durch den Wohlklang einer Liebesphrase oder den unerwarteten Effect eines Mordes. *) Sobald das Buch, das eine dieser hohen Offenbarungen einschließt, dem Publicum übergeben ist, steht es auf dem Felde der Litteratur wie eine Fahne, um die sich in Eile die Guerrillas der Presse sammeln. Die Einen greifen sie an, die Andern vertheidigen sie. Beide Parteien stürmen mit Dilemmen, Kettenschlüssen, Metaphern und Citaten. Man glaubt sich in eines der scholastischen Wortgefechte des Mittelalters versetzt, und das Ergebniß eines solchen Kampfes ist eine Fluth von Zeitungsartikeln, von Büchern und Flugschriften, welche die Zeit unbarmherzig hinabsenkt in die Lethe der Maculatur.

(Fortsetzung folgt.)

Erläuterungen über die Westslaven.

Die früher in diesen Blättern in dem Artikel: "Die Westslaven und die böhmische Litteratur" ausgesprochene Behauptung, daß die eifersüchtige Stimmung Westeuropa's gegen das große östliche Slavenreich die Cultur des böhmisch-slavischen Volkes mit Gefahren bedrohe, fand auf eine auffallende Weise in einer Entgegnung: "Die Czechen und die übrigen Westslaven" überschrieben (Allgemeine Zeitung, 24 Nov. 1839) die vollste Bestätigung. Ja noch mehr, aus eben dieser Entgegnung geht hervor, daß ein Slave, ein Stammbruder selbst, weil vom Hasse gegen Rußland geblendet, die hingestellte Wahrheit für Lüge ansieht, und mit falschen Daten und wunderlichen Behauptungen gegen Windmühlen ficht, um am Ende eben das auszudrücken, was der von ihm angegriffene Artikel angedeutet hatte. Vergleicht man den Aufsatz des Czechengegners mit jenem des Philoczechen, so kann man bloß aus den am Anfange des Gegenartikels angeführten, zu Gunsten der Czechen sprechenden Thatsachen, denen man als faits accomplis ihre absolute Gültigkeit zugestehen muß, erkennen, daß darin der Aufsatz über die Westslaven bekämpft werden soll. In diesem wird behauptet, daß durch die feindselige Stimmung gegen das Slaventhum überhaupt, besonders aber durch die in gewissen Zeitungsartikeln vorkommenden Verdächtigungen ein von Furcht befangenes Gemüth sich beeilen werde, die bisherige Sympathie für seine Stammgenossen und für die Litteratur seiner Muttersprache zu verläugnen, um ja nicht für einen verdächtigen Slavenfreund, Emissär oder Schmeichler der Volksleidenschaft gehalten zu werden; ferner wird behauptet, daß nur das Bewußtseyn des dringenden Bedürfnisses der Volksbildung die Feder des czechischen Gelehrten lenken müsse, und daß, wenn dieses Bewußtseyn durch schiefes Urtheil und politische Verdächtigung vergiftet werde, er die Feder unwillig wegwerfen und Volk und Sprache ihrem Geschicke - der industriellen Nullität und der intellectuellen Stagnation - überlassen müsse; endlich wird angeführt, daß sich unter Oesterreichs Schutz eine antirussische, slavische Nationalbildung entwickeln soll, und daß Oesterreichs Regierung, wenn die alte Landessprache mit milder Schonung und Achtung behandelnd, unabsehbare glückliche Folgen daraus gewinnen werde. - Das alles hat der Gegner übersehen, wenigstens erwähnt er dessen mit keinem Worte; macht aber dafür aus uns gänzlich unbekannten Prämissen die höchst scharfsinnige Folgerung, daß, wenn die Besorgnisse des Apologeten der böhmischen Sprache auch nur einen Schein von Wahrheit enthalten, vorher das conservative Princip, die erhaltende Stellung Oesterreichs aufgegeben, und alle Verhältnisse umgestürzt würden! *) Und der Grund dieses logischen Phänomens ist kein anderer, als der Verdacht, daß der Verfasser des Aufsatzes über die Westslaven ein geheimer Agent Rußlands sey. Woher schöpfte der Czechengegner diesen Verdacht? Aus folgenden Worten: "Es entwickelt sich unter Oesterreichs Schutz ein zweites slavisches Litteratur- und Culturelement, das als intellectuelle Potenz im Gegensatze zu russischer Bildung sich fest an Oesterreichs schützenden Scepter klammert, und das tragische Geschick eines benachbarten,

*) Das sind vermuthlich deutsche Uebersetzungen von Balzac und Eugene Sue.
*) Die schlagendste Widerlegung all der unheimlichen Absichten, die nach den phantastischen Schlußfolgerungen des Gegners in dem Aufsatze "Die Westslaven und die böhmische Litteratur" enthalten seyn sollen, liegt wohl darin, daß derselbe Aufsatz in zwei österreichischen Zeitschriften, und zwar in der Zeitschrift für die katholische Geistlichkeit, und im Wochenblatte Kwety in der böhmischen Uebersetzung erschien. A. d. Corresp.

er durch die Gewalt seines Blickes gezügelt, die Stunde gekommen, da sie ungestraft herrschen könnten, und sie fielen über seine Spolien her, wie einst die ehrgeizigen Centurionen über die der römischen Kaiser. Dieser raffte sein Scepter, jener seine Krone an sich; aber die Wucht der Kaiserinsignien zog ihre schwächlichen Körperchen nieder. Der große Schemen des Dichters mochte wohl lachen über den Mummenschanz. Dann als sie fanden, daß sie in den großen Falten von Goethe's Mantel ganz verschwinden würden, da fingen sie an, den zu läugnen, den sie nicht ersetzen konnten. Sie verließen den Pfad, den der Meister so breit und schön gebahnt, und bildeten unter sich einen Verjüngungsbund unter der stolzen Firma „das junge Deutschland.“ Kaum entstanden, verlegte sich diese Gesellschaft aufs Predigen und Dogmatisiren. Unter andern nationalen Ideen stellte sie Voltaire's Genie über alle; unter andern neuen und originellen Ideen lehrte sie den Saint-Simonismus. Sie gründete Zeitschriften – eine der besten war der Phönix; er ist auf seinem Holzstoß gestorben, und nichts deutet an, daß er aus seiner Asche wieder erstehen werde; – sie schrieb Dramen, Romane, Gedichte, hoffte mit jeder Broschüre die Welt zu reformiren, nahm das Skandal, das ihre Paradoxa erregten, für Erfolge und berauschte sich in dem Weihrauch, den sie sich selbst mit vollen Händen streute. Als sie alle ihre Theorien entwickelt, die Vorzüge ihrer Sittenlehre und die Schönheiten ihres Styls des Breitern in ein günstiges Licht gesetzt hatte, erzeigte in dem Augenblick, wo sie ihren den Proselyten vergebens geöffneten Tempel nach aller Wahrscheinlichkeit geschlossen hätte, und in der Trockenheit ihrer Arbeit und der Nichtigkeit ihres Ruhms entschlafen wäre, die Polizei ihr den Gefallen sie zu verfolgen. Das fristete dem jungen Deutschland das Leben auf einige Monate. Dann lösten sich seine Bande, seine feurigsten Jünger wurden gute und friedliebende Bürger (bourgeois), die jetzt mit der Polizei und der Censur auf ganz gutem Fuße leben. Einer der jungen Deutschländer, der gegen die Ehe ein unwiderrufliches Anathema geschleudert, war der erste, der sich ein Weib nahm. Ein anderer, (?) der durch seine wilde Demagogie sich eine gewisse Renommee erworben, hat den Erlös aus einem seiner letzten Bücher dazu angewendet, eine schöne Livrei machen zu lassen, und treibt jetzt Heraldik.

Gegenwärtig besteht keine litterarische Schule in Deutschland, oder vielmehr es sind da so viele Schulen als Schriftsteller. Der Gelehrte, der von dem Text eines Alten eine neue Auslegung gibt, macht eine Schule; (!) der Dichter, der eine neue Zusammenstellung der Versfüße und einen neuen Rhythmus anwendet, macht eine Schule. (!!) Der Kritiker macht eine Schule durch ein Paradoxon, der Geschichtschreiber durch ein Citat, (!!!) der Romanschreiber durch den Wohlklang einer Liebesphrase oder den unerwarteten Effect eines Mordes. *) Sobald das Buch, das eine dieser hohen Offenbarungen einschließt, dem Publicum übergeben ist, steht es auf dem Felde der Litteratur wie eine Fahne, um die sich in Eile die Guerrillas der Presse sammeln. Die Einen greifen sie an, die Andern vertheidigen sie. Beide Parteien stürmen mit Dilemmen, Kettenschlüssen, Metaphern und Citaten. Man glaubt sich in eines der scholastischen Wortgefechte des Mittelalters versetzt, und das Ergebniß eines solchen Kampfes ist eine Fluth von Zeitungsartikeln, von Büchern und Flugschriften, welche die Zeit unbarmherzig hinabsenkt in die Lethe der Maculatur.

(Fortsetzung folgt.)

Erläuterungen über die Westslaven.

Die früher in diesen Blättern in dem Artikel: „Die Westslaven und die böhmische Litteratur“ ausgesprochene Behauptung, daß die eifersüchtige Stimmung Westeuropa's gegen das große östliche Slavenreich die Cultur des böhmisch-slavischen Volkes mit Gefahren bedrohe, fand auf eine auffallende Weise in einer Entgegnung: „Die Czechen und die übrigen Westslaven“ überschrieben (Allgemeine Zeitung, 24 Nov. 1839) die vollste Bestätigung. Ja noch mehr, aus eben dieser Entgegnung geht hervor, daß ein Slave, ein Stammbruder selbst, weil vom Hasse gegen Rußland geblendet, die hingestellte Wahrheit für Lüge ansieht, und mit falschen Daten und wunderlichen Behauptungen gegen Windmühlen ficht, um am Ende eben das auszudrücken, was der von ihm angegriffene Artikel angedeutet hatte. Vergleicht man den Aufsatz des Czechengegners mit jenem des Philoczechen, so kann man bloß aus den am Anfange des Gegenartikels angeführten, zu Gunsten der Czechen sprechenden Thatsachen, denen man als faits accomplis ihre absolute Gültigkeit zugestehen muß, erkennen, daß darin der Aufsatz über die Westslaven bekämpft werden soll. In diesem wird behauptet, daß durch die feindselige Stimmung gegen das Slaventhum überhaupt, besonders aber durch die in gewissen Zeitungsartikeln vorkommenden Verdächtigungen ein von Furcht befangenes Gemüth sich beeilen werde, die bisherige Sympathie für seine Stammgenossen und für die Litteratur seiner Muttersprache zu verläugnen, um ja nicht für einen verdächtigen Slavenfreund, Emissär oder Schmeichler der Volksleidenschaft gehalten zu werden; ferner wird behauptet, daß nur das Bewußtseyn des dringenden Bedürfnisses der Volksbildung die Feder des czechischen Gelehrten lenken müsse, und daß, wenn dieses Bewußtseyn durch schiefes Urtheil und politische Verdächtigung vergiftet werde, er die Feder unwillig wegwerfen und Volk und Sprache ihrem Geschicke – der industriellen Nullität und der intellectuellen Stagnation – überlassen müsse; endlich wird angeführt, daß sich unter Oesterreichs Schutz eine antirussische, slavische Nationalbildung entwickeln soll, und daß Oesterreichs Regierung, wenn die alte Landessprache mit milder Schonung und Achtung behandelnd, unabsehbare glückliche Folgen daraus gewinnen werde. – Das alles hat der Gegner übersehen, wenigstens erwähnt er dessen mit keinem Worte; macht aber dafür aus uns gänzlich unbekannten Prämissen die höchst scharfsinnige Folgerung, daß, wenn die Besorgnisse des Apologeten der böhmischen Sprache auch nur einen Schein von Wahrheit enthalten, vorher das conservative Princip, die erhaltende Stellung Oesterreichs aufgegeben, und alle Verhältnisse umgestürzt würden! *) Und der Grund dieses logischen Phänomens ist kein anderer, als der Verdacht, daß der Verfasser des Aufsatzes über die Westslaven ein geheimer Agent Rußlands sey. Woher schöpfte der Czechengegner diesen Verdacht? Aus folgenden Worten: „Es entwickelt sich unter Oesterreichs Schutz ein zweites slavisches Litteratur- und Culturelement, das als intellectuelle Potenz im Gegensatze zu russischer Bildung sich fest an Oesterreichs schützenden Scepter klammert, und das tragische Geschick eines benachbarten,

*) Das sind vermuthlich deutsche Uebersetzungen von Balzac und Eugène Sue.
*) Die schlagendste Widerlegung all der unheimlichen Absichten, die nach den phantastischen Schlußfolgerungen des Gegners in dem Aufsatze „Die Westslaven und die böhmische Litteratur“ enthalten seyn sollen, liegt wohl darin, daß derselbe Aufsatz in zwei österreichischen Zeitschriften, und zwar in der Zeitschrift für die katholische Geistlichkeit, und im Wochenblatte Kwety in der böhmischen Uebersetzung erschien. A. d. Corresp.
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Sie gründete Zeitschriften – eine der besten war der Phönix; er ist auf seinem Holzstoß gestorben, und nichts deutet an, daß er aus seiner Asche wieder erstehen werde; – sie schrieb Dramen, Romane, Gedichte, hoffte mit jeder Broschüre die Welt zu reformiren, nahm das Skandal, das ihre Paradoxa erregten, für Erfolge und berauschte sich in dem Weihrauch, den sie sich selbst mit vollen Händen streute. Als sie alle ihre Theorien entwickelt, die Vorzüge ihrer Sittenlehre und die Schönheiten ihres Styls des Breitern in ein günstiges Licht gesetzt hatte, erzeigte in dem Augenblick, wo sie ihren den Proselyten vergebens geöffneten Tempel nach aller Wahrscheinlichkeit geschlossen hätte, und in der Trockenheit ihrer Arbeit und der Nichtigkeit ihres Ruhms entschlafen wäre, die Polizei ihr den Gefallen sie zu verfolgen. Das fristete dem jungen Deutschland das Leben auf einige Monate. Dann lösten sich seine Bande, seine feurigsten Jünger wurden gute und friedliebende Bürger (bourgeois), die jetzt mit der Polizei und der Censur auf ganz gutem Fuße leben. Einer der jungen Deutschländer, der gegen die Ehe ein unwiderrufliches Anathema geschleudert, war der erste, der sich ein Weib nahm. Ein anderer, (?) der durch seine wilde Demagogie sich eine gewisse Renommee erworben, hat den Erlös aus einem seiner letzten Bücher dazu angewendet, eine schöne Livrei machen zu lassen, und treibt jetzt Heraldik. Gegenwärtig besteht keine litterarische Schule in Deutschland, oder vielmehr es sind da so viele Schulen als Schriftsteller. Der Gelehrte, der von dem Text eines Alten eine neue Auslegung gibt, macht eine Schule; (!) der Dichter, der eine neue Zusammenstellung der Versfüße und einen neuen Rhythmus anwendet, macht eine Schule. (!!) Der Kritiker macht eine Schule durch ein Paradoxon, der Geschichtschreiber durch ein Citat, (!!!) der Romanschreiber durch den Wohlklang einer Liebesphrase oder den unerwarteten Effect eines Mordes. *) Sobald das Buch, das eine dieser hohen Offenbarungen einschließt, dem Publicum übergeben ist, steht es auf dem Felde der Litteratur wie eine Fahne, um die sich in Eile die Guerrillas der Presse sammeln. Die Einen greifen sie an, die Andern vertheidigen sie. Beide Parteien stürmen mit Dilemmen, Kettenschlüssen, Metaphern und Citaten. Man glaubt sich in eines der scholastischen Wortgefechte des Mittelalters versetzt, und das Ergebniß eines solchen Kampfes ist eine Fluth von Zeitungsartikeln, von Büchern und Flugschriften, welche die Zeit unbarmherzig hinabsenkt in die Lethe der Maculatur. (Fortsetzung folgt.) Erläuterungen über die Westslaven. _ Aus Böhmen. Die früher in diesen Blättern in dem Artikel: „Die Westslaven und die böhmische Litteratur“ ausgesprochene Behauptung, daß die eifersüchtige Stimmung Westeuropa's gegen das große östliche Slavenreich die Cultur des böhmisch-slavischen Volkes mit Gefahren bedrohe, fand auf eine auffallende Weise in einer Entgegnung: „Die Czechen und die übrigen Westslaven“ überschrieben (Allgemeine Zeitung, 24 Nov. 1839) die vollste Bestätigung. Ja noch mehr, aus eben dieser Entgegnung geht hervor, daß ein Slave, ein Stammbruder selbst, weil vom Hasse gegen Rußland geblendet, die hingestellte Wahrheit für Lüge ansieht, und mit falschen Daten und wunderlichen Behauptungen gegen Windmühlen ficht, um am Ende eben das auszudrücken, was der von ihm angegriffene Artikel angedeutet hatte. Vergleicht man den Aufsatz des Czechengegners mit jenem des Philoczechen, so kann man bloß aus den am Anfange des Gegenartikels angeführten, zu Gunsten der Czechen sprechenden Thatsachen, denen man als faits accomplis ihre absolute Gültigkeit zugestehen muß, erkennen, daß darin der Aufsatz über die Westslaven bekämpft werden soll. In diesem wird behauptet, daß durch die feindselige Stimmung gegen das Slaventhum überhaupt, besonders aber durch die in gewissen Zeitungsartikeln vorkommenden Verdächtigungen ein von Furcht befangenes Gemüth sich beeilen werde, die bisherige Sympathie für seine Stammgenossen und für die Litteratur seiner Muttersprache zu verläugnen, um ja nicht für einen verdächtigen Slavenfreund, Emissär oder Schmeichler der Volksleidenschaft gehalten zu werden; ferner wird behauptet, daß nur das Bewußtseyn des dringenden Bedürfnisses der Volksbildung die Feder des czechischen Gelehrten lenken müsse, und daß, wenn dieses Bewußtseyn durch schiefes Urtheil und politische Verdächtigung vergiftet werde, er die Feder unwillig wegwerfen und Volk und Sprache ihrem Geschicke – der industriellen Nullität und der intellectuellen Stagnation – überlassen müsse; endlich wird angeführt, daß sich unter Oesterreichs Schutz eine antirussische, slavische Nationalbildung entwickeln soll, und daß Oesterreichs Regierung, wenn die alte Landessprache mit milder Schonung und Achtung behandelnd, unabsehbare glückliche Folgen daraus gewinnen werde. – Das alles hat der Gegner übersehen, wenigstens erwähnt er dessen mit keinem Worte; macht aber dafür aus uns gänzlich unbekannten Prämissen die höchst scharfsinnige Folgerung, daß, wenn die Besorgnisse des Apologeten der böhmischen Sprache auch nur einen Schein von Wahrheit enthalten, vorher das conservative Princip, die erhaltende Stellung Oesterreichs aufgegeben, und alle Verhältnisse umgestürzt würden! *) Und der Grund dieses logischen Phänomens ist kein anderer, als der Verdacht, daß der Verfasser des Aufsatzes über die Westslaven ein geheimer Agent Rußlands sey. Woher schöpfte der Czechengegner diesen Verdacht? Aus folgenden Worten: „Es entwickelt sich unter Oesterreichs Schutz ein zweites slavisches Litteratur- und Culturelement, das als intellectuelle Potenz im Gegensatze zu russischer Bildung sich fest an Oesterreichs schützenden Scepter klammert, und das tragische Geschick eines benachbarten, *) Das sind vermuthlich deutsche Uebersetzungen von Balzac und Eugène Sue. *) Die schlagendste Widerlegung all der unheimlichen Absichten, die nach den phantastischen Schlußfolgerungen des Gegners in dem Aufsatze „Die Westslaven und die böhmische Litteratur“ enthalten seyn sollen, liegt wohl darin, daß derselbe Aufsatz in zwei österreichischen Zeitschriften, und zwar in der Zeitschrift für die katholische Geistlichkeit, und im Wochenblatte Kwety in der böhmischen Uebersetzung erschien. A. d. Corresp.

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Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 74. Augsburg, 14. März 1840, S. 0587. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_074_18400314/11>, abgerufen am 25.04.2024.