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Allgemeine Zeitung. Nr. 72. Augsburg, 12. März 1840.

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Die Gemäldeausstellung in Paris.

Die Ausstellung hat seit gestern begonnen. Das erste, was uns auffiel, ist die Abwesenheit mehrerer, ja aller berühmtesten Namen der modernen Schule. Weder Ingres noch Ary Scheffer, weder Horace Vernet noch Decamps, noch Delaroche, und eben so wenig Ziegler, Biard und Roqueplan haben dieses Jahr dem Publicum etwas geboten; natürlich verliert der Salon hierdurch einen großen Theil seines Interesses. Ueberhaupt ist die Gesammtzahl der ausgestellten Werke geringer als in früheren Jahren. Was man unbedingt loben muß, ist, daß die bestellten, ich möchte beinahe sagen nach dem Längenmaaß gefertigten Schlachtgemälde und Kriegsbilder ein wenig nachlassen; es scheint nachgerade, daß Versailles wenig leere Wände mehr hat, und daß die Künstler nicht mehr mit contractmäßig zu liefernden Meisterstücken überladen sind, wie die letzten drei Jahre. Religiöse Gemälde sind zwar immer genug vorhanden, doch auch weniger als früherhin, wogegen die historischen Scenen an Zahl und ernstlicher Bedeutung gewinnen wollen. Wir wünschen dieser neuen Richtung alles Glück und Gedeihen, denn die Kunst wie das Publicum können bei ihr nur gewinnen. In dem großen viereckigen Saale haben bei einem ersten vorläufigen Besuche drei Gemälde unsere Aufmerksamkeit angezogen: die Generalstaaten (Etats generaux) von Couder, in welchem der Tiers-Etat mit der großen Figur von Mirabeau sich zwar charakteristisch zeigt, die übrigen Theile aber in einer faden, violetten Uebertünchung zu verschwimmen scheinen. Den König Ludwig XVI gar, in seiner unabsehbaren Perspective, wird man kaum gewahr! Der Triumph des Trajan, von Delacroix, ist uns bei der ersten Einsicht unverständlich geblieben, und des Kaisers Pferd scheint uns an einer convulsivischen Verzerrung zu leiden. Wir behalten uns nähere Prüfung und genauere Unterscheidung einer Leistung vor, die nothwendig leidenschaftliches Lob und nicht minder ungemessenen Tadel veranlassen wird. Der achtzehnte Brumaire von Bouchot scheint uns von diesem weltgeschichtlichen Auftritt nur die Figur des ersten Consuls, und selbst diese in etwelcher Verbleichung getroffen zu haben. Ich bekenne, daß ich in der Gruppe, die Bonaparte, angreifend oder vertheidigend, umringt, nicht jenen verhängnißvollen Charakter gefunden habe, der den dictatorischen Ueberfall in der Orangerie zu St. Cloud bezeichnet. Die arme Rachel hat man in einem abscheulichen Bild "ausgestellt", im wahrhaft criminellen Sinne des Worts. Ich weiß noch nicht, welcher schwarzgallige Künstler seine Tücke über die Gestalt der großen Trauerspielerin ausgegossen hat. Glücklicherweise rächt sie der Ausdruck der Augen und des Mundes gegen die Verunglimpfung und die Unschönheit, die ihre übrige Gestalt umgibt.

Ein Tag in Athen.

Wir sind hier zwar sehr mit ernsten Interessen beschäftigt, indessen fangen wir allmählich an, auch an den Spaß zu denken. Es wäre auch unrecht, wenn aus Athen, wo einst so viel Humor zu Hause war, derselbe jetzt verbannt seyn sollte. Freilich der Aristophanes fehlt noch, aber Personen und Dinge, die eben so komisch wären als die Aristophanischen, ließen sich schon auftreiben. Auch läßt sich der Volkswitz zuweilen an ihnen aus. Ueberdieß ist das Theater vollendet und die Dionysischen Künstler sind angekommen. Vielleicht daß schon diesen Winter einige Carnevalslustbarkeit von Rom herüber weht. Morgens früh geht man hier zwar nicht wie in alter Zeit auf die Pnyr, um sich wie Dikäopolis zu beklagen, daß Niemand erscheint, um an der Volksversammlung Theil zu nehmen; man begibt sich vielmehr ins Kaffeehaus zur bella Grecia, deren Sitze schon früh eingenommen sind, und wo es nicht an Rednern über das Staatswohl fehlt. Neben der Sprache fürs Ohr hat sich durch die Zeitungen eine Sprache fürs Auge entwickelt, welche auch in Griechenland täglich an Bedeutung gewinnt. Diese sind quasi die wahren Volksredner, lauter große Personagen, die zum Theil aus dem Himmel herabsteigen, um in der Versammlung der Kaffeehäuser ihre Meinung zu verkünden. Da spricht die Athena, die Pheme, der Aeon, die Hellas. Doch geht der Respect vor diesen hohen Rednern nicht so weit, daß nicht auch andere zu Worte kommen dürften, ein Volksfreund oder gar ein simpler "Schnellläufer". Zuweilen sieht man selbst die Göttin der Stadt mit dem Schnellläufer in lebhaftem Wortstreit, und man sagt, der letztere habe seinen Namen eben daher, weil er über die Argumente der Athena so schnell hinwegläuft. Die Athena ist noch eben so gescheidt und erfindungsreich, als zur Zeit, da sie dem alten Odysseus beistand. So gab sie neulich einen sehr guten Rath, wie die orientalische Frage zu lösen sey. Man solle Kreta, Thessalien, Macedonien und Epirus mit Griechenland vereinigen; das wäre das beste Mittel, um die Türkei zu pacificiren und stark zu machen, und an den freien Griechen würde sie vielleicht einen stärkern Beistand haben, als sie jetzt an den unterdrückten nothwendige Feinde habe. Daher also hatte der alte Jomard seine Weisheit, als er jüngst demonstrirte, es wäre für den Sultan nichts heilsamer, nichts mehr seine Macht stärkend, als wenn er Aegypten und Syrien dem Mehemed Ali gäbe zum unabhängigen Königreich. Der Sultan soll das nicht recht einsehen. Indessen gereicht ihm zur Entschuldigung, daß er noch so blutjung ist, und überdieß imbecil, wie man sagt.

Warum die Athena nicht auch räth, die jonischen Inseln, denen es um das Protectorat Englands gar nicht zu thun ist, an Griechenland zu geben? Dann hätt' aller Streit ein Ende; denn dieser Streit ist nicht ein Streit zwischen den jonischen Inseln und Griechenland, sondern zwischen dem Protector und Griechenland, mit welchem letztern sich die jonischen Inseln zu vereinigen wünschen. Sie sagen, es gehe ihnen mit der Freiheit, die England ihnen gewähren soll, wie jener Frau m Palais Royal mit den Trüffeln. Bei Hallavan verlangte sie nach der Karte ein Gericht Trüffeln, statt deren ihr etwas gebracht wurde, das sie für Papier mache hielt. Als sie sich beklagte, das seyen keine Trüffeln, antwortete ihr der Garcon kaltblütig: "Voila, Madame, ce que nous avons l'habitude de donner sur ce titre." Ob wohl Musturidi in London mehr ausrichtete, als die Frau im Palais Royal?

Die Pheme ist ein Blatt, welches am entschiedensten seiner Richtung folgt. Sie erzählt nämlich in dreizeiligen Artikeln alle Stadt- und Landesneuigkeiten, die sie auftreiben kann, ein unübertroffenes Repertorium des gesammten Kaffeehaus- und Straßenconversationsgeschwätzes, und deßhalb sehr interessant. Sie weiß aber die Wißbegierde nicht nur zu befriedigen, sondern auch zu erregen. So erzählt sie z. B.: ein gewisser Herr, dessen Name ihr unbekannt sey, habe sich aus einer unbekannten Ursache entfernt, man wisse aber noch nicht, wann er fort

Die Gemäldeausstellung in Paris.

Die Ausstellung hat seit gestern begonnen. Das erste, was uns auffiel, ist die Abwesenheit mehrerer, ja aller berühmtesten Namen der modernen Schule. Weder Ingres noch Ary Scheffer, weder Horace Vernet noch Decamps, noch Delaroche, und eben so wenig Ziegler, Biard und Roqueplan haben dieses Jahr dem Publicum etwas geboten; natürlich verliert der Salon hierdurch einen großen Theil seines Interesses. Ueberhaupt ist die Gesammtzahl der ausgestellten Werke geringer als in früheren Jahren. Was man unbedingt loben muß, ist, daß die bestellten, ich möchte beinahe sagen nach dem Längenmaaß gefertigten Schlachtgemälde und Kriegsbilder ein wenig nachlassen; es scheint nachgerade, daß Versailles wenig leere Wände mehr hat, und daß die Künstler nicht mehr mit contractmäßig zu liefernden Meisterstücken überladen sind, wie die letzten drei Jahre. Religiöse Gemälde sind zwar immer genug vorhanden, doch auch weniger als früherhin, wogegen die historischen Scenen an Zahl und ernstlicher Bedeutung gewinnen wollen. Wir wünschen dieser neuen Richtung alles Glück und Gedeihen, denn die Kunst wie das Publicum können bei ihr nur gewinnen. In dem großen viereckigen Saale haben bei einem ersten vorläufigen Besuche drei Gemälde unsere Aufmerksamkeit angezogen: die Generalstaaten (Etats généraux) von Couder, in welchem der Tiers-Etat mit der großen Figur von Mirabeau sich zwar charakteristisch zeigt, die übrigen Theile aber in einer faden, violetten Uebertünchung zu verschwimmen scheinen. Den König Ludwig XVI gar, in seiner unabsehbaren Perspective, wird man kaum gewahr! Der Triumph des Trajan, von Delacroix, ist uns bei der ersten Einsicht unverständlich geblieben, und des Kaisers Pferd scheint uns an einer convulsivischen Verzerrung zu leiden. Wir behalten uns nähere Prüfung und genauere Unterscheidung einer Leistung vor, die nothwendig leidenschaftliches Lob und nicht minder ungemessenen Tadel veranlassen wird. Der achtzehnte Brumaire von Bouchot scheint uns von diesem weltgeschichtlichen Auftritt nur die Figur des ersten Consuls, und selbst diese in etwelcher Verbleichung getroffen zu haben. Ich bekenne, daß ich in der Gruppe, die Bonaparte, angreifend oder vertheidigend, umringt, nicht jenen verhängnißvollen Charakter gefunden habe, der den dictatorischen Ueberfall in der Orangerie zu St. Cloud bezeichnet. Die arme Rachel hat man in einem abscheulichen Bild „ausgestellt“, im wahrhaft criminellen Sinne des Worts. Ich weiß noch nicht, welcher schwarzgallige Künstler seine Tücke über die Gestalt der großen Trauerspielerin ausgegossen hat. Glücklicherweise rächt sie der Ausdruck der Augen und des Mundes gegen die Verunglimpfung und die Unschönheit, die ihre übrige Gestalt umgibt.

Ein Tag in Athen.

Wir sind hier zwar sehr mit ernsten Interessen beschäftigt, indessen fangen wir allmählich an, auch an den Spaß zu denken. Es wäre auch unrecht, wenn aus Athen, wo einst so viel Humor zu Hause war, derselbe jetzt verbannt seyn sollte. Freilich der Aristophanes fehlt noch, aber Personen und Dinge, die eben so komisch wären als die Aristophanischen, ließen sich schon auftreiben. Auch läßt sich der Volkswitz zuweilen an ihnen aus. Ueberdieß ist das Theater vollendet und die Dionysischen Künstler sind angekommen. Vielleicht daß schon diesen Winter einige Carnevalslustbarkeit von Rom herüber weht. Morgens früh geht man hier zwar nicht wie in alter Zeit auf die Pnyr, um sich wie Dikäopolis zu beklagen, daß Niemand erscheint, um an der Volksversammlung Theil zu nehmen; man begibt sich vielmehr ins Kaffeehaus zur bella Grecia, deren Sitze schon früh eingenommen sind, und wo es nicht an Rednern über das Staatswohl fehlt. Neben der Sprache fürs Ohr hat sich durch die Zeitungen eine Sprache fürs Auge entwickelt, welche auch in Griechenland täglich an Bedeutung gewinnt. Diese sind quasi die wahren Volksredner, lauter große Personagen, die zum Theil aus dem Himmel herabsteigen, um in der Versammlung der Kaffeehäuser ihre Meinung zu verkünden. Da spricht die Athena, die Pheme, der Aeon, die Hellas. Doch geht der Respect vor diesen hohen Rednern nicht so weit, daß nicht auch andere zu Worte kommen dürften, ein Volksfreund oder gar ein simpler „Schnellläufer“. Zuweilen sieht man selbst die Göttin der Stadt mit dem Schnellläufer in lebhaftem Wortstreit, und man sagt, der letztere habe seinen Namen eben daher, weil er über die Argumente der Athena so schnell hinwegläuft. Die Athena ist noch eben so gescheidt und erfindungsreich, als zur Zeit, da sie dem alten Odysseus beistand. So gab sie neulich einen sehr guten Rath, wie die orientalische Frage zu lösen sey. Man solle Kreta, Thessalien, Macedonien und Epirus mit Griechenland vereinigen; das wäre das beste Mittel, um die Türkei zu pacificiren und stark zu machen, und an den freien Griechen würde sie vielleicht einen stärkern Beistand haben, als sie jetzt an den unterdrückten nothwendige Feinde habe. Daher also hatte der alte Jomard seine Weisheit, als er jüngst demonstrirte, es wäre für den Sultan nichts heilsamer, nichts mehr seine Macht stärkend, als wenn er Aegypten und Syrien dem Mehemed Ali gäbe zum unabhängigen Königreich. Der Sultan soll das nicht recht einsehen. Indessen gereicht ihm zur Entschuldigung, daß er noch so blutjung ist, und überdieß imbecil, wie man sagt.

Warum die Athena nicht auch räth, die jonischen Inseln, denen es um das Protectorat Englands gar nicht zu thun ist, an Griechenland zu geben? Dann hätt' aller Streit ein Ende; denn dieser Streit ist nicht ein Streit zwischen den jonischen Inseln und Griechenland, sondern zwischen dem Protector und Griechenland, mit welchem letztern sich die jonischen Inseln zu vereinigen wünschen. Sie sagen, es gehe ihnen mit der Freiheit, die England ihnen gewähren soll, wie jener Frau m Palais Royal mit den Trüffeln. Bei Hallavan verlangte sie nach der Karte ein Gericht Trüffeln, statt deren ihr etwas gebracht wurde, das sie für Papier maché hielt. Als sie sich beklagte, das seyen keine Trüffeln, antwortete ihr der Garcon kaltblütig: „Voilà, Madame, ce que nous avons l'habitude de donner sur ce titre.“ Ob wohl Musturidi in London mehr ausrichtete, als die Frau im Palais Royal?

Die Pheme ist ein Blatt, welches am entschiedensten seiner Richtung folgt. Sie erzählt nämlich in dreizeiligen Artikeln alle Stadt- und Landesneuigkeiten, die sie auftreiben kann, ein unübertroffenes Repertorium des gesammten Kaffeehaus- und Straßenconversationsgeschwätzes, und deßhalb sehr interessant. Sie weiß aber die Wißbegierde nicht nur zu befriedigen, sondern auch zu erregen. So erzählt sie z. B.: ein gewisser Herr, dessen Name ihr unbekannt sey, habe sich aus einer unbekannten Ursache entfernt, man wisse aber noch nicht, wann er fort

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[0569/0009] Die Gemäldeausstellung in Paris. _ Paris, 6 März. Die Ausstellung hat seit gestern begonnen. Das erste, was uns auffiel, ist die Abwesenheit mehrerer, ja aller berühmtesten Namen der modernen Schule. Weder Ingres noch Ary Scheffer, weder Horace Vernet noch Decamps, noch Delaroche, und eben so wenig Ziegler, Biard und Roqueplan haben dieses Jahr dem Publicum etwas geboten; natürlich verliert der Salon hierdurch einen großen Theil seines Interesses. Ueberhaupt ist die Gesammtzahl der ausgestellten Werke geringer als in früheren Jahren. Was man unbedingt loben muß, ist, daß die bestellten, ich möchte beinahe sagen nach dem Längenmaaß gefertigten Schlachtgemälde und Kriegsbilder ein wenig nachlassen; es scheint nachgerade, daß Versailles wenig leere Wände mehr hat, und daß die Künstler nicht mehr mit contractmäßig zu liefernden Meisterstücken überladen sind, wie die letzten drei Jahre. Religiöse Gemälde sind zwar immer genug vorhanden, doch auch weniger als früherhin, wogegen die historischen Scenen an Zahl und ernstlicher Bedeutung gewinnen wollen. Wir wünschen dieser neuen Richtung alles Glück und Gedeihen, denn die Kunst wie das Publicum können bei ihr nur gewinnen. In dem großen viereckigen Saale haben bei einem ersten vorläufigen Besuche drei Gemälde unsere Aufmerksamkeit angezogen: die Generalstaaten (Etats généraux) von Couder, in welchem der Tiers-Etat mit der großen Figur von Mirabeau sich zwar charakteristisch zeigt, die übrigen Theile aber in einer faden, violetten Uebertünchung zu verschwimmen scheinen. Den König Ludwig XVI gar, in seiner unabsehbaren Perspective, wird man kaum gewahr! Der Triumph des Trajan, von Delacroix, ist uns bei der ersten Einsicht unverständlich geblieben, und des Kaisers Pferd scheint uns an einer convulsivischen Verzerrung zu leiden. Wir behalten uns nähere Prüfung und genauere Unterscheidung einer Leistung vor, die nothwendig leidenschaftliches Lob und nicht minder ungemessenen Tadel veranlassen wird. Der achtzehnte Brumaire von Bouchot scheint uns von diesem weltgeschichtlichen Auftritt nur die Figur des ersten Consuls, und selbst diese in etwelcher Verbleichung getroffen zu haben. Ich bekenne, daß ich in der Gruppe, die Bonaparte, angreifend oder vertheidigend, umringt, nicht jenen verhängnißvollen Charakter gefunden habe, der den dictatorischen Ueberfall in der Orangerie zu St. Cloud bezeichnet. Die arme Rachel hat man in einem abscheulichen Bild „ausgestellt“, im wahrhaft criminellen Sinne des Worts. Ich weiß noch nicht, welcher schwarzgallige Künstler seine Tücke über die Gestalt der großen Trauerspielerin ausgegossen hat. Glücklicherweise rächt sie der Ausdruck der Augen und des Mundes gegen die Verunglimpfung und die Unschönheit, die ihre übrige Gestalt umgibt. Ein Tag in Athen. _ Athen, im Januar. Wir sind hier zwar sehr mit ernsten Interessen beschäftigt, indessen fangen wir allmählich an, auch an den Spaß zu denken. Es wäre auch unrecht, wenn aus Athen, wo einst so viel Humor zu Hause war, derselbe jetzt verbannt seyn sollte. Freilich der Aristophanes fehlt noch, aber Personen und Dinge, die eben so komisch wären als die Aristophanischen, ließen sich schon auftreiben. Auch läßt sich der Volkswitz zuweilen an ihnen aus. Ueberdieß ist das Theater vollendet und die Dionysischen Künstler sind angekommen. Vielleicht daß schon diesen Winter einige Carnevalslustbarkeit von Rom herüber weht. Morgens früh geht man hier zwar nicht wie in alter Zeit auf die Pnyr, um sich wie Dikäopolis zu beklagen, daß Niemand erscheint, um an der Volksversammlung Theil zu nehmen; man begibt sich vielmehr ins Kaffeehaus zur bella Grecia, deren Sitze schon früh eingenommen sind, und wo es nicht an Rednern über das Staatswohl fehlt. Neben der Sprache fürs Ohr hat sich durch die Zeitungen eine Sprache fürs Auge entwickelt, welche auch in Griechenland täglich an Bedeutung gewinnt. Diese sind quasi die wahren Volksredner, lauter große Personagen, die zum Theil aus dem Himmel herabsteigen, um in der Versammlung der Kaffeehäuser ihre Meinung zu verkünden. Da spricht die Athena, die Pheme, der Aeon, die Hellas. Doch geht der Respect vor diesen hohen Rednern nicht so weit, daß nicht auch andere zu Worte kommen dürften, ein Volksfreund oder gar ein simpler „Schnellläufer“. Zuweilen sieht man selbst die Göttin der Stadt mit dem Schnellläufer in lebhaftem Wortstreit, und man sagt, der letztere habe seinen Namen eben daher, weil er über die Argumente der Athena so schnell hinwegläuft. Die Athena ist noch eben so gescheidt und erfindungsreich, als zur Zeit, da sie dem alten Odysseus beistand. So gab sie neulich einen sehr guten Rath, wie die orientalische Frage zu lösen sey. Man solle Kreta, Thessalien, Macedonien und Epirus mit Griechenland vereinigen; das wäre das beste Mittel, um die Türkei zu pacificiren und stark zu machen, und an den freien Griechen würde sie vielleicht einen stärkern Beistand haben, als sie jetzt an den unterdrückten nothwendige Feinde habe. Daher also hatte der alte Jomard seine Weisheit, als er jüngst demonstrirte, es wäre für den Sultan nichts heilsamer, nichts mehr seine Macht stärkend, als wenn er Aegypten und Syrien dem Mehemed Ali gäbe zum unabhängigen Königreich. Der Sultan soll das nicht recht einsehen. Indessen gereicht ihm zur Entschuldigung, daß er noch so blutjung ist, und überdieß imbecil, wie man sagt. Warum die Athena nicht auch räth, die jonischen Inseln, denen es um das Protectorat Englands gar nicht zu thun ist, an Griechenland zu geben? Dann hätt' aller Streit ein Ende; denn dieser Streit ist nicht ein Streit zwischen den jonischen Inseln und Griechenland, sondern zwischen dem Protector und Griechenland, mit welchem letztern sich die jonischen Inseln zu vereinigen wünschen. Sie sagen, es gehe ihnen mit der Freiheit, die England ihnen gewähren soll, wie jener Frau m Palais Royal mit den Trüffeln. Bei Hallavan verlangte sie nach der Karte ein Gericht Trüffeln, statt deren ihr etwas gebracht wurde, das sie für Papier maché hielt. Als sie sich beklagte, das seyen keine Trüffeln, antwortete ihr der Garcon kaltblütig: „Voilà, Madame, ce que nous avons l'habitude de donner sur ce titre.“ Ob wohl Musturidi in London mehr ausrichtete, als die Frau im Palais Royal? Die Pheme ist ein Blatt, welches am entschiedensten seiner Richtung folgt. Sie erzählt nämlich in dreizeiligen Artikeln alle Stadt- und Landesneuigkeiten, die sie auftreiben kann, ein unübertroffenes Repertorium des gesammten Kaffeehaus- und Straßenconversationsgeschwätzes, und deßhalb sehr interessant. Sie weiß aber die Wißbegierde nicht nur zu befriedigen, sondern auch zu erregen. So erzählt sie z. B.: ein gewisser Herr, dessen Name ihr unbekannt sey, habe sich aus einer unbekannten Ursache entfernt, man wisse aber noch nicht, wann er fort

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 72. Augsburg, 12. März 1840, S. 0569. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_072_18400312/9>, abgerufen am 27.11.2024.