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Allgemeine Zeitung. Nr. 64. Augsburg, 4. März 1840.

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obendrein allerlei Zuthaten von der anzüglichsten Art gemischt, namentlich die Episode einer abgefundenen Prätendentin, die man aus ihrem lustigen Element der königlichen Akademie der Musik an das Ufer des Canals bei Calais, und von da in die neblichte unfreundliche Atmosphäre von London verbracht hat, eine Art freiwillig, aber nicht ohne theuern Lohn zugestandener Deportation, die jedoch nicht lebenslänglich seyn soll!

Von der Kammer und der verfehlten Ausstattung des Herzogs von Nemours geht der satyrische Troß in einem natürlichen Sprunge zu der Akademie und ihren Großthaten über. In Wahrheit, es ist zu bedauern, daß deren Wahl nicht in die Mitte einer gänzlichen politischen Windstille fiel, wo alle Aufmerksamkeit, d. h. alle Züchtigung, aller geißelnde Spott ihr allein zugewendet worden wäre: wer könnte ihr je das verdiente Maaß voll machen! Alles vereinigt sich hier zum vollendetsten Spuk: die Academie francaise, deren Beruf vor Allem ist, sich mit der Krone der Schriftsteller, mit der Blüthe der französischen Sprachfertigkeit zu schmücken, und die einestheils den ausgezeichnetsten Dichter, Hugo, anderntheils einen der berühmtesten Redner der neuern Zeit, Berryer, ausschließt, um zu erwählen, wen? Anstatt Hugo den Naturalisten und Arzt Flourens, dessen wirkliches Verdienst in seiner Besonderheit Niemand bestreitet, der darum auch Secretär der Akademie der Wissenschaften ist, der aber wahrlich nur diese einzige Aehnlichkeit mit seinen großen Vorgängern Cuvier, Buffon und Andern besitzt, und niemals, weder durch Wort noch durch Schrift, sich zum Candidaten der Sprachakademie, der Academie francaise, geeignet hat. Und wer ist der zweite Erwählte? Graf Mole. "Quo titulo?" fragt das Charivari. Ist es der politische Name, ist es der Redner, den man in Mole ehren wollte? Warum dann ihm den Vorzug geben vor Berryer, der ihn bei weitem übertrifft? Ist es der Schriftsteller Mole? Niemand kennt ihn und Niemand kann wagen, seinen Namen neben jenem von Hugo zu nennen, die Eigenschaften eines "vornehmen Herrn" aber, oder eines gewesenen Ministers, der heute noch Freunde am Hof hat, können nur da Zulassungsbedingungen bei einer akademischen Wahl seyn, wo die Akademie selbst ihren Ursprung und ihren Zweck vergessen hat. Auch verfährt Pasquin mit ihr ohne Gnade und Barmherzigkeit, und das Charivari hat einen neuen Bundesgenossen in seinem ältesten und theuersten Gegner gefunden: Viennet, der Akademiker, der classische Lanzenbrecher, hat für Victor Hugo gestimmt, und protestirt öffentlich gegen die Unterstellung des Gegentheils, die er als verleumderisch bezeichnet. Sein Schreiben an den witzigen Feuilletonisten des Temps, der ihn dieses Gräuels bezichtigt hatte, ist in alle Blätter übergegangen. Das Journal des Debats war in diesem Zwiespalt seiner Neigungen und der Schicklichkeit in peinlicher Verlegenheit, und hat nicht wenig zur Ergötzung des unbefangenen Publicums beigetragen. Das Journal des Debats ist seit lange her der entschiedene Patron Victor Hugo's, der ja den Text zu der ausgezischten Oper der Mlle. Bertin geschrieben hat; das Journal des Debats mußte also die Partei Hugo's nehmen und seine vorgezogenen Competenten hart mitnehmen. Aber das Journal des Debats war das infeodirte Organ des Ministeriums vom 15 April und seines Präsidenten Mole, der zudem ein Muster aristokratischer Feinheit und jener "politesse francaise" ist, die das Journal des Debats so gern als die erste der socialen Tugenden preist. Was thun vor diesem: "hic Rhodus, hic salta!" Das Journal des Debats bedenkt sich nicht lang und macht den gewagtesten Sprung, den je ein dialektischer Seiltänzer unternommen hat. Den Grafen Mole im Stich lassen? unmöglich! Dem Dichter untreu werden? eben so wenig. Aber dagegen muß der arme Flourens den doppelten Zorn büßen, den das Journal des Debats darüber empfindet, daß man seinen Schützling zurückgewiesen hat und das Publicum seine zweischneidige Logik zu Gunsten Mole's nicht gutheißen will. Ist das nicht ein wahres Chaos von grotesker Leidenschaft und Ungerechtigkeit? Aber ich vergesse einen ausgezeichneten Spieler in dieser Komödie: den Akademiker und Deputirten Dupin, der in der Akademie für Flourens und Mole und gegen Hugo und Berryer, und in der Kammer für die Jahresgelder des Herzogs von Nemours gestimmt hat, und der jetzt, so behauptet die glaubhafte Chronik des Charivari und seiner Gesellen, aus demüthiger Furcht vor der lauten Stimme der öffentlichen Meinung, sich entschuldigend sagt: "Ich habe mich geirrt, ich wollte in der Akademie für und in der Kammer gegen stimmen, allein die Eile war so groß, daß ich in meinen Eigenschaften und meiner Würde irre wurde, und in der Akademie als Advocat, also gegen die Musen und meinen gewesenen Collegen, und in der Kammer als Akademiker, d. h. zu Gunsten des Hochzeitsgedichts und der ehelichen Dithyramben stimmte." Wer ihn um dieses Irrthums willen tadelt, ist ungerecht, er ist das treue Bild seines ganzen Lebens; stets dahinter oder daneben, stets auf der Seite oder halb, nie ganz, noch vollständig, noch zur rechten Zeit, das ist, was der moderne d'Agesseau die rechte Mitte nennt, und die er einst in seinem eignen Bilde, zwischen zwei Stühlen auf der Erde sitzend, durch sein Familienwappen verewigen möge.

Vor diesem interessanten Schauspiel, das des Aristophanes nicht unwürdig wäre, verschwindet selbst die Tollheit des Carnevals, und die Reihe der so ächt komischen Quiproquos, zu denen das neu eingeführte Decimalsystem unter dem Volke Anlaß gegeben hat und jeden Tag gibt, weil dieses sich in das Maaß der grammes statt onces und demi-onces, und in jenes der Meter und Centimeter nicht fügen will, ihre Sprache selbst nicht versteht, und statt der gesetzlichen Ausdrücke das barrockeste Zeug zum Vorschein bringt. Auch im nichtpolitischen Felde der gesellschaftlichen Thorheiten haben wir in diesen letzten Wochen interessante Beiträge zur Litteratur des Grotesken erhalten. Dahin gehört namentlich eine Reihe satyrischer Bilder mit Randglossen, welche die kurzen Irrfahrten eines jungen Provinzbewohners in dem neuen Babylon, und seinen jämmerlichen Rückzug zu den väterlichen Fluren in eben so komischen Figuren als witzigen Worten beschreiben, und die den Grafen Horaz v. Viel-Castel zum Verfasser haben. Hr. v. Viel-Castel gehört zu den wenigen Notabilitäten der legitimistischen Partei, die es nicht unter ihrer Würde halten, ihre Talente und Kenntnisse praktisch zu benützen, und sich mit litterarischen und künstlerischen Arbeiten zu beschäftigen: Hr. v. Viel-Castel hat übrigens in seinen Schriften einen bestimmten Plan, den er stets verfolgt, und der zum Heil seiner politischen Freunde führen soll. So schildert sein: La Noblesse du faubourg St. Germain das Leben des in jenem Stadttheil zurückgezogenen Adels der Restauration, welchem er vorwirft, daß er durch seine hohle und leichtsinnige Gleichgültigkeit das Königthum der Bourbonen zu Grund gerichtet habe. In einem fernern Werke: "La noblesse du faubourg St. Honore," greift er den neuern Adel dieses Stadtviertels, gewissermaßen das Juste-milieu zwischen der alten Feudalaristokratie und dem neuen Geldadel, mit gleichen Waffen an, und sucht ihn zu praktischern, zu gemeinnützlichern und edlern Bestrebungen zurückzuführen. In einem dritten Gemälde endlich: "La noblesse de province", wendet er sich an den Adel der Departemente und theilt diesem die Rolle zu, die Erinnerungen und die geschichtlichen Ueberlieferungen rein zu bewahren, die der Adel zu Paris in

obendrein allerlei Zuthaten von der anzüglichsten Art gemischt, namentlich die Episode einer abgefundenen Prätendentin, die man aus ihrem lustigen Element der königlichen Akademie der Musik an das Ufer des Canals bei Calais, und von da in die neblichte unfreundliche Atmosphäre von London verbracht hat, eine Art freiwillig, aber nicht ohne theuern Lohn zugestandener Deportation, die jedoch nicht lebenslänglich seyn soll!

Von der Kammer und der verfehlten Ausstattung des Herzogs von Nemours geht der satyrische Troß in einem natürlichen Sprunge zu der Akademie und ihren Großthaten über. In Wahrheit, es ist zu bedauern, daß deren Wahl nicht in die Mitte einer gänzlichen politischen Windstille fiel, wo alle Aufmerksamkeit, d. h. alle Züchtigung, aller geißelnde Spott ihr allein zugewendet worden wäre: wer könnte ihr je das verdiente Maaß voll machen! Alles vereinigt sich hier zum vollendetsten Spuk: die Académie française, deren Beruf vor Allem ist, sich mit der Krone der Schriftsteller, mit der Blüthe der französischen Sprachfertigkeit zu schmücken, und die einestheils den ausgezeichnetsten Dichter, Hugo, anderntheils einen der berühmtesten Redner der neuern Zeit, Berryer, ausschließt, um zu erwählen, wen? Anstatt Hugo den Naturalisten und Arzt Flourens, dessen wirkliches Verdienst in seiner Besonderheit Niemand bestreitet, der darum auch Secretär der Akademie der Wissenschaften ist, der aber wahrlich nur diese einzige Aehnlichkeit mit seinen großen Vorgängern Cuvier, Buffon und Andern besitzt, und niemals, weder durch Wort noch durch Schrift, sich zum Candidaten der Sprachakademie, der Académie française, geeignet hat. Und wer ist der zweite Erwählte? Graf Molé. „Quo titulo?“ fragt das Charivari. Ist es der politische Name, ist es der Redner, den man in Molé ehren wollte? Warum dann ihm den Vorzug geben vor Berryer, der ihn bei weitem übertrifft? Ist es der Schriftsteller Molé? Niemand kennt ihn und Niemand kann wagen, seinen Namen neben jenem von Hugo zu nennen, die Eigenschaften eines „vornehmen Herrn“ aber, oder eines gewesenen Ministers, der heute noch Freunde am Hof hat, können nur da Zulassungsbedingungen bei einer akademischen Wahl seyn, wo die Akademie selbst ihren Ursprung und ihren Zweck vergessen hat. Auch verfährt Pasquin mit ihr ohne Gnade und Barmherzigkeit, und das Charivari hat einen neuen Bundesgenossen in seinem ältesten und theuersten Gegner gefunden: Viennet, der Akademiker, der classische Lanzenbrecher, hat für Victor Hugo gestimmt, und protestirt öffentlich gegen die Unterstellung des Gegentheils, die er als verleumderisch bezeichnet. Sein Schreiben an den witzigen Feuilletonisten des Temps, der ihn dieses Gräuels bezichtigt hatte, ist in alle Blätter übergegangen. Das Journal des Débats war in diesem Zwiespalt seiner Neigungen und der Schicklichkeit in peinlicher Verlegenheit, und hat nicht wenig zur Ergötzung des unbefangenen Publicums beigetragen. Das Journal des Débats ist seit lange her der entschiedene Patron Victor Hugo's, der ja den Text zu der ausgezischten Oper der Mlle. Bertin geschrieben hat; das Journal des Débats mußte also die Partei Hugo's nehmen und seine vorgezogenen Competenten hart mitnehmen. Aber das Journal des Débats war das infeodirte Organ des Ministeriums vom 15 April und seines Präsidenten Molé, der zudem ein Muster aristokratischer Feinheit und jener „politesse française“ ist, die das Journal des Débats so gern als die erste der socialen Tugenden preist. Was thun vor diesem: „hic Rhodus, hic salta!“ Das Journal des Débats bedenkt sich nicht lang und macht den gewagtesten Sprung, den je ein dialektischer Seiltänzer unternommen hat. Den Grafen Molé im Stich lassen? unmöglich! Dem Dichter untreu werden? eben so wenig. Aber dagegen muß der arme Flourens den doppelten Zorn büßen, den das Journal des Débats darüber empfindet, daß man seinen Schützling zurückgewiesen hat und das Publicum seine zweischneidige Logik zu Gunsten Molé's nicht gutheißen will. Ist das nicht ein wahres Chaos von grotesker Leidenschaft und Ungerechtigkeit? Aber ich vergesse einen ausgezeichneten Spieler in dieser Komödie: den Akademiker und Deputirten Dupin, der in der Akademie für Flourens und Molé und gegen Hugo und Berryer, und in der Kammer für die Jahresgelder des Herzogs von Nemours gestimmt hat, und der jetzt, so behauptet die glaubhafte Chronik des Charivari und seiner Gesellen, aus demüthiger Furcht vor der lauten Stimme der öffentlichen Meinung, sich entschuldigend sagt: „Ich habe mich geirrt, ich wollte in der Akademie für und in der Kammer gegen stimmen, allein die Eile war so groß, daß ich in meinen Eigenschaften und meiner Würde irre wurde, und in der Akademie als Advocat, also gegen die Musen und meinen gewesenen Collegen, und in der Kammer als Akademiker, d. h. zu Gunsten des Hochzeitsgedichts und der ehelichen Dithyramben stimmte.“ Wer ihn um dieses Irrthums willen tadelt, ist ungerecht, er ist das treue Bild seines ganzen Lebens; stets dahinter oder daneben, stets auf der Seite oder halb, nie ganz, noch vollständig, noch zur rechten Zeit, das ist, was der moderne d'Agesseau die rechte Mitte nennt, und die er einst in seinem eignen Bilde, zwischen zwei Stühlen auf der Erde sitzend, durch sein Familienwappen verewigen möge.

Vor diesem interessanten Schauspiel, das des Aristophanes nicht unwürdig wäre, verschwindet selbst die Tollheit des Carnevals, und die Reihe der so ächt komischen Quiproquos, zu denen das neu eingeführte Decimalsystem unter dem Volke Anlaß gegeben hat und jeden Tag gibt, weil dieses sich in das Maaß der grammes statt onces und demi-onces, und in jenes der Meter und Centimeter nicht fügen will, ihre Sprache selbst nicht versteht, und statt der gesetzlichen Ausdrücke das barrockeste Zeug zum Vorschein bringt. Auch im nichtpolitischen Felde der gesellschaftlichen Thorheiten haben wir in diesen letzten Wochen interessante Beiträge zur Litteratur des Grotesken erhalten. Dahin gehört namentlich eine Reihe satyrischer Bilder mit Randglossen, welche die kurzen Irrfahrten eines jungen Provinzbewohners in dem neuen Babylon, und seinen jämmerlichen Rückzug zu den väterlichen Fluren in eben so komischen Figuren als witzigen Worten beschreiben, und die den Grafen Horaz v. Viel-Castel zum Verfasser haben. Hr. v. Viel-Castel gehört zu den wenigen Notabilitäten der legitimistischen Partei, die es nicht unter ihrer Würde halten, ihre Talente und Kenntnisse praktisch zu benützen, und sich mit litterarischen und künstlerischen Arbeiten zu beschäftigen: Hr. v. Viel-Castel hat übrigens in seinen Schriften einen bestimmten Plan, den er stets verfolgt, und der zum Heil seiner politischen Freunde führen soll. So schildert sein: La Noblesse du faubourg St. Germain das Leben des in jenem Stadttheil zurückgezogenen Adels der Restauration, welchem er vorwirft, daß er durch seine hohle und leichtsinnige Gleichgültigkeit das Königthum der Bourbonen zu Grund gerichtet habe. In einem fernern Werke: „La noblesse du faubourg St. Honoré,“ greift er den neuern Adel dieses Stadtviertels, gewissermaßen das Juste-milieu zwischen der alten Feudalaristokratie und dem neuen Geldadel, mit gleichen Waffen an, und sucht ihn zu praktischern, zu gemeinnützlichern und edlern Bestrebungen zurückzuführen. In einem dritten Gemälde endlich: „La noblesse de province“, wendet er sich an den Adel der Departemente und theilt diesem die Rolle zu, die Erinnerungen und die geschichtlichen Ueberlieferungen rein zu bewahren, die der Adel zu Paris in

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[0507/0011] obendrein allerlei Zuthaten von der anzüglichsten Art gemischt, namentlich die Episode einer abgefundenen Prätendentin, die man aus ihrem lustigen Element der königlichen Akademie der Musik an das Ufer des Canals bei Calais, und von da in die neblichte unfreundliche Atmosphäre von London verbracht hat, eine Art freiwillig, aber nicht ohne theuern Lohn zugestandener Deportation, die jedoch nicht lebenslänglich seyn soll! Von der Kammer und der verfehlten Ausstattung des Herzogs von Nemours geht der satyrische Troß in einem natürlichen Sprunge zu der Akademie und ihren Großthaten über. In Wahrheit, es ist zu bedauern, daß deren Wahl nicht in die Mitte einer gänzlichen politischen Windstille fiel, wo alle Aufmerksamkeit, d. h. alle Züchtigung, aller geißelnde Spott ihr allein zugewendet worden wäre: wer könnte ihr je das verdiente Maaß voll machen! Alles vereinigt sich hier zum vollendetsten Spuk: die Académie française, deren Beruf vor Allem ist, sich mit der Krone der Schriftsteller, mit der Blüthe der französischen Sprachfertigkeit zu schmücken, und die einestheils den ausgezeichnetsten Dichter, Hugo, anderntheils einen der berühmtesten Redner der neuern Zeit, Berryer, ausschließt, um zu erwählen, wen? Anstatt Hugo den Naturalisten und Arzt Flourens, dessen wirkliches Verdienst in seiner Besonderheit Niemand bestreitet, der darum auch Secretär der Akademie der Wissenschaften ist, der aber wahrlich nur diese einzige Aehnlichkeit mit seinen großen Vorgängern Cuvier, Buffon und Andern besitzt, und niemals, weder durch Wort noch durch Schrift, sich zum Candidaten der Sprachakademie, der Académie française, geeignet hat. Und wer ist der zweite Erwählte? Graf Molé. „Quo titulo?“ fragt das Charivari. Ist es der politische Name, ist es der Redner, den man in Molé ehren wollte? Warum dann ihm den Vorzug geben vor Berryer, der ihn bei weitem übertrifft? Ist es der Schriftsteller Molé? Niemand kennt ihn und Niemand kann wagen, seinen Namen neben jenem von Hugo zu nennen, die Eigenschaften eines „vornehmen Herrn“ aber, oder eines gewesenen Ministers, der heute noch Freunde am Hof hat, können nur da Zulassungsbedingungen bei einer akademischen Wahl seyn, wo die Akademie selbst ihren Ursprung und ihren Zweck vergessen hat. Auch verfährt Pasquin mit ihr ohne Gnade und Barmherzigkeit, und das Charivari hat einen neuen Bundesgenossen in seinem ältesten und theuersten Gegner gefunden: Viennet, der Akademiker, der classische Lanzenbrecher, hat für Victor Hugo gestimmt, und protestirt öffentlich gegen die Unterstellung des Gegentheils, die er als verleumderisch bezeichnet. Sein Schreiben an den witzigen Feuilletonisten des Temps, der ihn dieses Gräuels bezichtigt hatte, ist in alle Blätter übergegangen. Das Journal des Débats war in diesem Zwiespalt seiner Neigungen und der Schicklichkeit in peinlicher Verlegenheit, und hat nicht wenig zur Ergötzung des unbefangenen Publicums beigetragen. Das Journal des Débats ist seit lange her der entschiedene Patron Victor Hugo's, der ja den Text zu der ausgezischten Oper der Mlle. Bertin geschrieben hat; das Journal des Débats mußte also die Partei Hugo's nehmen und seine vorgezogenen Competenten hart mitnehmen. Aber das Journal des Débats war das infeodirte Organ des Ministeriums vom 15 April und seines Präsidenten Molé, der zudem ein Muster aristokratischer Feinheit und jener „politesse française“ ist, die das Journal des Débats so gern als die erste der socialen Tugenden preist. Was thun vor diesem: „hic Rhodus, hic salta!“ Das Journal des Débats bedenkt sich nicht lang und macht den gewagtesten Sprung, den je ein dialektischer Seiltänzer unternommen hat. Den Grafen Molé im Stich lassen? unmöglich! Dem Dichter untreu werden? eben so wenig. Aber dagegen muß der arme Flourens den doppelten Zorn büßen, den das Journal des Débats darüber empfindet, daß man seinen Schützling zurückgewiesen hat und das Publicum seine zweischneidige Logik zu Gunsten Molé's nicht gutheißen will. Ist das nicht ein wahres Chaos von grotesker Leidenschaft und Ungerechtigkeit? Aber ich vergesse einen ausgezeichneten Spieler in dieser Komödie: den Akademiker und Deputirten Dupin, der in der Akademie für Flourens und Molé und gegen Hugo und Berryer, und in der Kammer für die Jahresgelder des Herzogs von Nemours gestimmt hat, und der jetzt, so behauptet die glaubhafte Chronik des Charivari und seiner Gesellen, aus demüthiger Furcht vor der lauten Stimme der öffentlichen Meinung, sich entschuldigend sagt: „Ich habe mich geirrt, ich wollte in der Akademie für und in der Kammer gegen stimmen, allein die Eile war so groß, daß ich in meinen Eigenschaften und meiner Würde irre wurde, und in der Akademie als Advocat, also gegen die Musen und meinen gewesenen Collegen, und in der Kammer als Akademiker, d. h. zu Gunsten des Hochzeitsgedichts und der ehelichen Dithyramben stimmte.“ Wer ihn um dieses Irrthums willen tadelt, ist ungerecht, er ist das treue Bild seines ganzen Lebens; stets dahinter oder daneben, stets auf der Seite oder halb, nie ganz, noch vollständig, noch zur rechten Zeit, das ist, was der moderne d'Agesseau die rechte Mitte nennt, und die er einst in seinem eignen Bilde, zwischen zwei Stühlen auf der Erde sitzend, durch sein Familienwappen verewigen möge. Vor diesem interessanten Schauspiel, das des Aristophanes nicht unwürdig wäre, verschwindet selbst die Tollheit des Carnevals, und die Reihe der so ächt komischen Quiproquos, zu denen das neu eingeführte Decimalsystem unter dem Volke Anlaß gegeben hat und jeden Tag gibt, weil dieses sich in das Maaß der grammes statt onces und demi-onces, und in jenes der Meter und Centimeter nicht fügen will, ihre Sprache selbst nicht versteht, und statt der gesetzlichen Ausdrücke das barrockeste Zeug zum Vorschein bringt. Auch im nichtpolitischen Felde der gesellschaftlichen Thorheiten haben wir in diesen letzten Wochen interessante Beiträge zur Litteratur des Grotesken erhalten. Dahin gehört namentlich eine Reihe satyrischer Bilder mit Randglossen, welche die kurzen Irrfahrten eines jungen Provinzbewohners in dem neuen Babylon, und seinen jämmerlichen Rückzug zu den väterlichen Fluren in eben so komischen Figuren als witzigen Worten beschreiben, und die den Grafen Horaz v. Viel-Castel zum Verfasser haben. Hr. v. Viel-Castel gehört zu den wenigen Notabilitäten der legitimistischen Partei, die es nicht unter ihrer Würde halten, ihre Talente und Kenntnisse praktisch zu benützen, und sich mit litterarischen und künstlerischen Arbeiten zu beschäftigen: Hr. v. Viel-Castel hat übrigens in seinen Schriften einen bestimmten Plan, den er stets verfolgt, und der zum Heil seiner politischen Freunde führen soll. So schildert sein: La Noblesse du faubourg St. Germain das Leben des in jenem Stadttheil zurückgezogenen Adels der Restauration, welchem er vorwirft, daß er durch seine hohle und leichtsinnige Gleichgültigkeit das Königthum der Bourbonen zu Grund gerichtet habe. In einem fernern Werke: „La noblesse du faubourg St. Honoré,“ greift er den neuern Adel dieses Stadtviertels, gewissermaßen das Juste-milieu zwischen der alten Feudalaristokratie und dem neuen Geldadel, mit gleichen Waffen an, und sucht ihn zu praktischern, zu gemeinnützlichern und edlern Bestrebungen zurückzuführen. In einem dritten Gemälde endlich: „La noblesse de province“, wendet er sich an den Adel der Departemente und theilt diesem die Rolle zu, die Erinnerungen und die geschichtlichen Ueberlieferungen rein zu bewahren, die der Adel zu Paris in

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 64. Augsburg, 4. März 1840, S. 0507. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_064_18400304/11>, abgerufen am 21.11.2024.