Allgemeine Zeitung. Nr. 57. Augsburg, 26. Februar 1840.um das jetzige Cabinet durch ein anderes unter dem Vorsitz des Hrn. Guizot zu ersetzen, der sich noch hier befindet. Auf jeden Fall sieht das Publicum jene Abstimmung nicht als eine Schlappe für das Ministerium an, da Niemanden unbekannt ist, daß der Vorschlag ihm aufgedrungen worden war. Man will wissen, eine hohe Person habe den Ministern heftige Vorwürfe darüber gemacht, daß sie ungeachtet des Stillschweigens der Opposition nicht zur Vertheidigung des Entwurfs das Wort genommen haben. Indessen läßt sich diese Unterlassung leicht dadurch erklären, daß keine Partei das erfolgte Resultat vorausgesehen hatte. Die Opposition selbst hatte keineswegs ein vollständiges Vertrauen auf den Erfolg ihrer Taktik, das geheime Scrutinium schon bei dieser ersten Abstimmung zu verlangen: gewöhnlich geschieht dieselbe nur durch Aufstehen und Sitzenbleiben, und erst bei der Schlußabstimmung, nach der Discussion der einzelnen Artikel und Amendements, wird das geheime Scrutin vorgenommen. Diese Taktik war übrigens gut berechnet, denn es stimmte eine Anzahl Deputirter gegen den Entwurf, die bei der Probe durch Aufstehen und Sitzenbleiben es nicht gewagt hätten. Die Opposition hat auch, um sich das Feld offen zu halten, bei einer andern Gelegenheit, dieselbe Taktik zu befolgen, heute die Journalisten ersucht, keine Liste der 226 zu veröffentlichen. Uebrigens läßt sich als eine sichere Thatsache aufstellen, daß, wenn die Kammer vor der Abstimmung gewußt hätte, daß ungeachtet der Erklärung der Minister, die Annahme des Entwurfs nicht zu einer Cabinetsfrage zu machen, dieselben doch nach dessen Verwerfung ihre Entlassungen einreichen würden, noch eine größere Mehrheit gegen den Entwurf gestimmt haben würde, nämlich sämmtliche Freunde des Ministeriums Mole, in der Absicht, das jetzige Cabinet umzuwerfen. - Nach der Sitzung der Kammer wurde aus den Tuilerien eine Staffette expedirt: die Rede ging hierauf in den höheren Cirkeln, der Herzog von Sachsen Gotha sey seiner Einwilligung zur Heirath seiner Tochter entbunden worden; ich weiß aber nunmehr genau, daß die Staffette nach Compiegne sich begab, wo sich die Herzoge von Orleans und Nemours befanden, und von wo ihre Reise nach Brüssel gehen sollte. Paris, 21 Febr. Ich weiß nicht, ob der Telegraph auch für die Hiobsposten geht. Im bejahenden Falle ist Ihnen das 113te Bulletin der Dotationsschlacht bereits vor diesem Briefe zugekommen! *)*) Ein Artikel des Charivari, der die merkwürdige Entschließung der Kammer anzeigt und bespricht, beginnt also: T'en serais-tu doute, peuple francais? und als illustrirendes Sinnbild des ersten Buchstabens T steht ein Maulwurf (taupe), der Violin spielt, in possierlicher Haltung. Bemerken Sie, daß nicht der offene Streit in der Kammer, nicht die Reibung der entgegengesetzten Lager in offener Bahn vor der Kammer den Strauß entschieden haben, sondern die mit unglaublicher Anstrengung in der öffentlichen Meinung, in den Journalen, in den Circularen, den Pamphleten und Protestationen der Wähler, gleich einem unterirdischen Gräber unterwühlende außerparlamentarische Macht, die sich seit 1830 bei keiner andern Gelegenheit so einhellig, so stark, so überwiegend gezeigt hat. Schon gestern Morgen, vor der Kammer, war es höchst merkwürdig, die Physiognomie der Pariser Presse zu mustern. Daß das wirklich eingetretene Resultat gerade in der Form, wie es eingetreten, erfolgen müsse, das zwar konnte Niemand mit Gewißheit voraussagen, aber jeder fühlte, daß er in Gegenwart einer außerordentlichen Krisis stehe; und es war, als ob die Dialektiker aller Oppositionsblätter ihre letzten, ihre schärfsten und populärsten Argumente für diesen entscheidenden Moment aufgespart hätten, um den Gesetzesentwurf zu vernichten, selbst ehe die Kammer darüber entschieden hatte. Und in welcher Form hat diese das Begehren der Regierung zurückgestoßen, ohne ihm nur die Ehre eines Waffenspiels zu gönnen, ohne daß die geringste Verhandlung stattgehabt! Das ist ein Grund mehr, den die ministeriellen Blätter in ihren schmerzlichen Klagen hervorheben. Die Sprache des Journal des Debats in seiner heutigen Nummer ist eine Elegie voll schwer verhaltenen Grolls gegen die Mehrheit der Kammer, die sich an der Majestät des Staatsoberhaupts so freventlich versündigt habe. "Le roi propos, le peuple dispose!" sagt das Charivari und zählt alle die Bundesgenossen auf, die zum gemeinsamen Widerstande gegen die Krone sich vereinigt hatten. Im ersten Range ist hier ohne allen Zweifel Cormenin mit seinen Flugschriften und seiner Zahlenlogik zu nennen. Das Dotationsgesetz ist zu seinen Vorgängern, den Vorschlägen über Apanage und Disjunction gegangen, und die HH. Faure und Passy haben die große Demüthigung erlitten, in einer ruhmlosen Niederlage für ein Gesetz zu fallen, dessen Princip sie in ihren frühern Sitzungen auf das schärfste bestritten hatten. Wir nehmen, ohne Commentar, die Thatsachen, wie sie eben vorliegen, und wir fragen: auf welche Bank der Kammer werden diese Männer sich in Zukunft setzen? Wenn das Centrum für den Gesetzesentwurf stimmt, so ist dieß ganz natürlich; wir werden uns selbst nicht wundern, wenn der große Dupin in seiner elastischen Unabhängigkeit das Mittel gefunden hat, den plebeischen Polterer noch einmal dem Consulenten des Hauses Orleans unterzuordnen, und in Praxi zu billigen, was er in der Theorie getadelt; aber für die erwähnten beiden Minister wird diese Schlappe unauslöschliche Folgen haben. Schon jetzt: was bleibt ihnen von ihrer Verläugnung früherer Grundsätze und Reden? Die Erinnerung an ihr kurzes Ministerium und die gezwungene Niederlegung ihrer Portefeuilles. Wahrlich der Preis ist gering! Während in der Kammer das demokratische Element einen Sieg feierte, thronte die Aristokratie des Classicismus in grollendem Uebergewicht in der französischen Akademie: Victor Hugo ist nicht erwählt, sondern statt seiner Flourens, der beständige Secretär der Akademie der Naturwissenschaften. Von ihm sagt das Charivari: "Die Wahl der Akademie beweist nicht, daß Hr. Flourens gewählt, sondern nur, daß Victor Hugo nicht gewählt wurde." Das Journal des Debats, bekanntlich stets einer der Vorfechter Hugo's, ist empört über diese Ausschließung, und sagt geradezu, die meisten Akademiker haben den Gewählten gar nicht gekannt, Beweis sey, daß sie seinen Namen Flourens auf die verschiedenste Weise bald Floran, bald Flourins, bald Florence geschrieben haben. Se non e eero...! Paris, 21 Febr. Die Herzoge von Orleans und Nemours sollen bei ihrem Abschied ihren königl. Vater aufs flehentlichste gebeten haben, den Dotationsvorschlag zurückzunehmen. Ludwig Philipp aber beharrte. Desto größer ist jetzt die Consternation im Schlosse, wie in allen Salons der Philippisten und des Juste Milieu. In den Cirkeln der Bewegungspartei und im großen Haufen des Publicums ward jedoch diese Nachricht als ein Triumph aufgenommen. In einem sehr bekannten legitimitischen Salon der Chaussee d Antin war gestern eine matinee musicale; eben sang Pauline Garcia und Donizetti begleitete sie auf dem Clavier, als ein Deputirter eintrat, und die Verwerfung des Dotationsantrags ankündigte; die Musik ward lärmend unterbrochen, und alle Anwesenden brachen in ein lautes Jubeln aus. - Diese Nacht waren viele Häuser *) Der Telegraph meldete das Votum der Kammer nicht nach Straßburg.
um das jetzige Cabinet durch ein anderes unter dem Vorsitz des Hrn. Guizot zu ersetzen, der sich noch hier befindet. Auf jeden Fall sieht das Publicum jene Abstimmung nicht als eine Schlappe für das Ministerium an, da Niemanden unbekannt ist, daß der Vorschlag ihm aufgedrungen worden war. Man will wissen, eine hohe Person habe den Ministern heftige Vorwürfe darüber gemacht, daß sie ungeachtet des Stillschweigens der Opposition nicht zur Vertheidigung des Entwurfs das Wort genommen haben. Indessen läßt sich diese Unterlassung leicht dadurch erklären, daß keine Partei das erfolgte Resultat vorausgesehen hatte. Die Opposition selbst hatte keineswegs ein vollständiges Vertrauen auf den Erfolg ihrer Taktik, das geheime Scrutinium schon bei dieser ersten Abstimmung zu verlangen: gewöhnlich geschieht dieselbe nur durch Aufstehen und Sitzenbleiben, und erst bei der Schlußabstimmung, nach der Discussion der einzelnen Artikel und Amendements, wird das geheime Scrutin vorgenommen. Diese Taktik war übrigens gut berechnet, denn es stimmte eine Anzahl Deputirter gegen den Entwurf, die bei der Probe durch Aufstehen und Sitzenbleiben es nicht gewagt hätten. Die Opposition hat auch, um sich das Feld offen zu halten, bei einer andern Gelegenheit, dieselbe Taktik zu befolgen, heute die Journalisten ersucht, keine Liste der 226 zu veröffentlichen. Uebrigens läßt sich als eine sichere Thatsache aufstellen, daß, wenn die Kammer vor der Abstimmung gewußt hätte, daß ungeachtet der Erklärung der Minister, die Annahme des Entwurfs nicht zu einer Cabinetsfrage zu machen, dieselben doch nach dessen Verwerfung ihre Entlassungen einreichen würden, noch eine größere Mehrheit gegen den Entwurf gestimmt haben würde, nämlich sämmtliche Freunde des Ministeriums Molé, in der Absicht, das jetzige Cabinet umzuwerfen. – Nach der Sitzung der Kammer wurde aus den Tuilerien eine Staffette expedirt: die Rede ging hierauf in den höheren Cirkeln, der Herzog von Sachsen Gotha sey seiner Einwilligung zur Heirath seiner Tochter entbunden worden; ich weiß aber nunmehr genau, daß die Staffette nach Compiegne sich begab, wo sich die Herzoge von Orleans und Nemours befanden, und von wo ihre Reise nach Brüssel gehen sollte. Paris, 21 Febr. Ich weiß nicht, ob der Telegraph auch für die Hiobsposten geht. Im bejahenden Falle ist Ihnen das 113te Bulletin der Dotationsschlacht bereits vor diesem Briefe zugekommen! *)*) Ein Artikel des Charivari, der die merkwürdige Entschließung der Kammer anzeigt und bespricht, beginnt also: T'en serais-tu douté, peuple français? und als illustrirendes Sinnbild des ersten Buchstabens T steht ein Maulwurf (taupe), der Violin spielt, in possierlicher Haltung. Bemerken Sie, daß nicht der offene Streit in der Kammer, nicht die Reibung der entgegengesetzten Lager in offener Bahn vor der Kammer den Strauß entschieden haben, sondern die mit unglaublicher Anstrengung in der öffentlichen Meinung, in den Journalen, in den Circularen, den Pamphleten und Protestationen der Wähler, gleich einem unterirdischen Gräber unterwühlende außerparlamentarische Macht, die sich seit 1830 bei keiner andern Gelegenheit so einhellig, so stark, so überwiegend gezeigt hat. Schon gestern Morgen, vor der Kammer, war es höchst merkwürdig, die Physiognomie der Pariser Presse zu mustern. Daß das wirklich eingetretene Resultat gerade in der Form, wie es eingetreten, erfolgen müsse, das zwar konnte Niemand mit Gewißheit voraussagen, aber jeder fühlte, daß er in Gegenwart einer außerordentlichen Krisis stehe; und es war, als ob die Dialektiker aller Oppositionsblätter ihre letzten, ihre schärfsten und populärsten Argumente für diesen entscheidenden Moment aufgespart hätten, um den Gesetzesentwurf zu vernichten, selbst ehe die Kammer darüber entschieden hatte. Und in welcher Form hat diese das Begehren der Regierung zurückgestoßen, ohne ihm nur die Ehre eines Waffenspiels zu gönnen, ohne daß die geringste Verhandlung stattgehabt! Das ist ein Grund mehr, den die ministeriellen Blätter in ihren schmerzlichen Klagen hervorheben. Die Sprache des Journal des Débats in seiner heutigen Nummer ist eine Elegie voll schwer verhaltenen Grolls gegen die Mehrheit der Kammer, die sich an der Majestät des Staatsoberhaupts so freventlich versündigt habe. „Le roi propos, le peuple dispose!“ sagt das Charivari und zählt alle die Bundesgenossen auf, die zum gemeinsamen Widerstande gegen die Krone sich vereinigt hatten. Im ersten Range ist hier ohne allen Zweifel Cormenin mit seinen Flugschriften und seiner Zahlenlogik zu nennen. Das Dotationsgesetz ist zu seinen Vorgängern, den Vorschlägen über Apanage und Disjunction gegangen, und die HH. Faure und Passy haben die große Demüthigung erlitten, in einer ruhmlosen Niederlage für ein Gesetz zu fallen, dessen Princip sie in ihren frühern Sitzungen auf das schärfste bestritten hatten. Wir nehmen, ohne Commentar, die Thatsachen, wie sie eben vorliegen, und wir fragen: auf welche Bank der Kammer werden diese Männer sich in Zukunft setzen? Wenn das Centrum für den Gesetzesentwurf stimmt, so ist dieß ganz natürlich; wir werden uns selbst nicht wundern, wenn der große Dupin in seiner elastischen Unabhängigkeit das Mittel gefunden hat, den plebeischen Polterer noch einmal dem Consulenten des Hauses Orleans unterzuordnen, und in Praxi zu billigen, was er in der Theorie getadelt; aber für die erwähnten beiden Minister wird diese Schlappe unauslöschliche Folgen haben. Schon jetzt: was bleibt ihnen von ihrer Verläugnung früherer Grundsätze und Reden? Die Erinnerung an ihr kurzes Ministerium und die gezwungene Niederlegung ihrer Portefeuilles. Wahrlich der Preis ist gering! Während in der Kammer das demokratische Element einen Sieg feierte, thronte die Aristokratie des Classicismus in grollendem Uebergewicht in der französischen Akademie: Victor Hugo ist nicht erwählt, sondern statt seiner Flourens, der beständige Secretär der Akademie der Naturwissenschaften. Von ihm sagt das Charivari: „Die Wahl der Akademie beweist nicht, daß Hr. Flourens gewählt, sondern nur, daß Victor Hugo nicht gewählt wurde.“ Das Journal des Débats, bekanntlich stets einer der Vorfechter Hugo's, ist empört über diese Ausschließung, und sagt geradezu, die meisten Akademiker haben den Gewählten gar nicht gekannt, Beweis sey, daß sie seinen Namen Flourens auf die verschiedenste Weise bald Floran, bald Flourins, bald Florence geschrieben haben. Se non é èero...! Paris, 21 Febr. Die Herzoge von Orleans und Nemours sollen bei ihrem Abschied ihren königl. Vater aufs flehentlichste gebeten haben, den Dotationsvorschlag zurückzunehmen. Ludwig Philipp aber beharrte. Desto größer ist jetzt die Consternation im Schlosse, wie in allen Salons der Philippisten und des Juste Milieu. In den Cirkeln der Bewegungspartei und im großen Haufen des Publicums ward jedoch diese Nachricht als ein Triumph aufgenommen. In einem sehr bekannten legitimitischen Salon der Chaussee d Antin war gestern eine matinée musicale; eben sang Pauline Garcia und Donizetti begleitete sie auf dem Clavier, als ein Deputirter eintrat, und die Verwerfung des Dotationsantrags ankündigte; die Musik ward lärmend unterbrochen, und alle Anwesenden brachen in ein lautes Jubeln aus. – Diese Nacht waren viele Häuser *) Der Telegraph meldete das Votum der Kammer nicht nach Straßburg.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <p><pb facs="#f0005" n="0453"/> um das jetzige Cabinet durch ein anderes unter dem Vorsitz des Hrn. Guizot zu ersetzen, der sich noch hier befindet. Auf jeden Fall sieht das Publicum jene Abstimmung nicht als eine Schlappe für das Ministerium an, da Niemanden unbekannt ist, daß der Vorschlag ihm aufgedrungen worden war. Man will wissen, eine hohe Person habe den Ministern heftige Vorwürfe darüber gemacht, daß sie ungeachtet des Stillschweigens der Opposition nicht zur Vertheidigung des Entwurfs das Wort genommen haben. Indessen läßt sich diese Unterlassung leicht dadurch erklären, daß keine Partei das erfolgte Resultat vorausgesehen hatte. Die Opposition selbst hatte keineswegs ein vollständiges Vertrauen auf den Erfolg ihrer Taktik, das geheime Scrutinium schon bei dieser ersten Abstimmung zu verlangen: gewöhnlich geschieht dieselbe nur durch Aufstehen und Sitzenbleiben, und erst bei der Schlußabstimmung, nach der Discussion der einzelnen Artikel und Amendements, wird das geheime Scrutin vorgenommen. Diese Taktik war übrigens gut berechnet, denn es stimmte eine Anzahl Deputirter gegen den Entwurf, die bei der Probe durch Aufstehen und Sitzenbleiben es nicht gewagt hätten. Die Opposition hat auch, um sich das Feld offen zu halten, bei einer andern Gelegenheit, dieselbe Taktik zu befolgen, heute die Journalisten ersucht, keine Liste der 226 zu veröffentlichen. Uebrigens läßt sich als eine sichere Thatsache aufstellen, daß, wenn die Kammer vor der Abstimmung gewußt hätte, daß ungeachtet der Erklärung der Minister, die Annahme des Entwurfs nicht zu einer Cabinetsfrage zu machen, dieselben doch nach dessen Verwerfung ihre Entlassungen einreichen würden, noch eine größere Mehrheit gegen den Entwurf gestimmt haben würde, nämlich sämmtliche Freunde des Ministeriums Molé, in der Absicht, das jetzige Cabinet umzuwerfen. – Nach der Sitzung der Kammer wurde aus den Tuilerien eine Staffette expedirt: die Rede ging hierauf in den höheren Cirkeln, der Herzog von Sachsen Gotha sey seiner Einwilligung zur Heirath seiner Tochter entbunden worden; ich weiß aber nunmehr genau, daß die Staffette nach Compiegne sich begab, wo sich die Herzoge von Orleans und Nemours befanden, und von wo ihre Reise nach Brüssel gehen sollte.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <byline> <docAuthor> <gap reason="insignificant"/> </docAuthor> </byline> <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 21 Febr.</dateline> <p> Ich weiß nicht, ob der Telegraph auch für die Hiobsposten geht. Im bejahenden Falle ist Ihnen das 113te Bulletin der Dotationsschlacht bereits vor diesem Briefe zugekommen! <hi rendition="#sup">*)</hi><note place="foot" n="*)"> Der Telegraph meldete das Votum der Kammer <hi rendition="#g">nicht</hi> nach Straßburg.</note> Ein Artikel des Charivari, der die merkwürdige Entschließung der Kammer anzeigt und bespricht, beginnt also: T'en serais-tu douté, peuple français? und als illustrirendes Sinnbild des ersten Buchstabens T steht ein Maulwurf (taupe), der Violin spielt, in possierlicher Haltung. Bemerken Sie, daß nicht der offene Streit in der Kammer, nicht die Reibung der entgegengesetzten Lager in offener Bahn vor der Kammer den Strauß entschieden haben, sondern die mit unglaublicher Anstrengung in der öffentlichen Meinung, in den Journalen, in den Circularen, den Pamphleten und Protestationen der Wähler, gleich einem unterirdischen Gräber unterwühlende außerparlamentarische Macht, die sich seit 1830 bei keiner andern Gelegenheit so einhellig, so stark, so überwiegend gezeigt hat. Schon gestern Morgen, vor der Kammer, war es höchst merkwürdig, die Physiognomie der Pariser Presse zu mustern. Daß das wirklich eingetretene Resultat gerade in der Form, wie es eingetreten, erfolgen müsse, das zwar konnte Niemand mit Gewißheit voraussagen, aber jeder fühlte, daß er in Gegenwart einer außerordentlichen Krisis stehe; und es war, als ob die Dialektiker aller Oppositionsblätter ihre letzten, ihre schärfsten und populärsten Argumente für diesen entscheidenden Moment aufgespart hätten, um den Gesetzesentwurf zu vernichten, selbst ehe die Kammer darüber entschieden hatte. Und in welcher Form hat diese das Begehren der Regierung zurückgestoßen, ohne ihm nur die Ehre eines Waffenspiels zu gönnen, ohne daß die geringste Verhandlung stattgehabt! Das ist ein Grund mehr, den die ministeriellen Blätter in ihren schmerzlichen Klagen hervorheben. Die Sprache des Journal des Débats in seiner heutigen Nummer ist eine Elegie voll schwer verhaltenen Grolls gegen die Mehrheit der Kammer, die sich an der Majestät des Staatsoberhaupts so freventlich versündigt habe. „Le roi propos, le peuple dispose!“ sagt das Charivari und zählt alle die Bundesgenossen auf, die zum gemeinsamen Widerstande gegen die Krone sich vereinigt hatten. Im ersten Range ist hier ohne allen Zweifel Cormenin mit seinen Flugschriften und seiner Zahlenlogik zu nennen. Das Dotationsgesetz ist zu seinen Vorgängern, den Vorschlägen über Apanage und Disjunction gegangen, und die HH. Faure und Passy haben die große Demüthigung erlitten, in einer ruhmlosen Niederlage für ein Gesetz zu fallen, dessen Princip sie in ihren frühern Sitzungen auf das schärfste bestritten hatten. Wir nehmen, ohne Commentar, die Thatsachen, wie sie eben vorliegen, und wir fragen: auf welche Bank der Kammer werden diese Männer sich in Zukunft setzen? Wenn das Centrum für den Gesetzesentwurf stimmt, so ist dieß ganz natürlich; wir werden uns selbst nicht wundern, wenn der große Dupin in seiner elastischen Unabhängigkeit das Mittel gefunden hat, den plebeischen Polterer noch einmal dem Consulenten des Hauses Orleans unterzuordnen, und in Praxi zu billigen, was er in der Theorie getadelt; aber für die erwähnten beiden Minister wird diese Schlappe unauslöschliche Folgen haben. Schon jetzt: was bleibt ihnen von ihrer Verläugnung früherer Grundsätze und Reden? Die Erinnerung an ihr kurzes Ministerium und die gezwungene Niederlegung ihrer Portefeuilles. Wahrlich der Preis ist gering! Während in der Kammer das demokratische Element einen Sieg feierte, thronte die Aristokratie des Classicismus in grollendem Uebergewicht in der französischen Akademie: Victor Hugo ist nicht erwählt, sondern statt seiner <hi rendition="#g">Flourens</hi>, der beständige Secretär der Akademie der Naturwissenschaften. Von ihm sagt das Charivari: „Die Wahl der Akademie beweist nicht, daß Hr. Flourens gewählt, sondern nur, daß Victor Hugo <hi rendition="#g">nicht</hi> gewählt wurde.“ Das Journal des Débats, bekanntlich stets einer der Vorfechter Hugo's, ist empört über diese Ausschließung, und sagt geradezu, die meisten Akademiker haben den Gewählten gar nicht gekannt, Beweis sey, daß sie seinen Namen Flourens auf die verschiedenste Weise bald Floran, bald Flourins, bald Florence geschrieben haben. Se non é èero...!</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <byline> <docAuthor> <gap reason="insignificant"/> </docAuthor> </byline> <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 21 Febr.</dateline> <p> Die Herzoge von Orleans und Nemours sollen bei ihrem Abschied ihren königl. Vater aufs flehentlichste gebeten haben, den Dotationsvorschlag zurückzunehmen. Ludwig Philipp aber beharrte. Desto größer ist jetzt die Consternation im Schlosse, wie in allen Salons der Philippisten und des Juste Milieu. In den Cirkeln der Bewegungspartei und im großen Haufen des Publicums ward jedoch diese Nachricht als ein Triumph aufgenommen. In einem sehr bekannten legitimitischen Salon der Chaussee d Antin war gestern eine matinée musicale; eben sang Pauline Garcia und Donizetti begleitete sie auf dem Clavier, als ein Deputirter eintrat, und die Verwerfung des Dotationsantrags ankündigte; die Musik ward lärmend unterbrochen, und alle Anwesenden brachen in ein lautes Jubeln aus. – Diese Nacht waren viele Häuser<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0453/0005]
um das jetzige Cabinet durch ein anderes unter dem Vorsitz des Hrn. Guizot zu ersetzen, der sich noch hier befindet. Auf jeden Fall sieht das Publicum jene Abstimmung nicht als eine Schlappe für das Ministerium an, da Niemanden unbekannt ist, daß der Vorschlag ihm aufgedrungen worden war. Man will wissen, eine hohe Person habe den Ministern heftige Vorwürfe darüber gemacht, daß sie ungeachtet des Stillschweigens der Opposition nicht zur Vertheidigung des Entwurfs das Wort genommen haben. Indessen läßt sich diese Unterlassung leicht dadurch erklären, daß keine Partei das erfolgte Resultat vorausgesehen hatte. Die Opposition selbst hatte keineswegs ein vollständiges Vertrauen auf den Erfolg ihrer Taktik, das geheime Scrutinium schon bei dieser ersten Abstimmung zu verlangen: gewöhnlich geschieht dieselbe nur durch Aufstehen und Sitzenbleiben, und erst bei der Schlußabstimmung, nach der Discussion der einzelnen Artikel und Amendements, wird das geheime Scrutin vorgenommen. Diese Taktik war übrigens gut berechnet, denn es stimmte eine Anzahl Deputirter gegen den Entwurf, die bei der Probe durch Aufstehen und Sitzenbleiben es nicht gewagt hätten. Die Opposition hat auch, um sich das Feld offen zu halten, bei einer andern Gelegenheit, dieselbe Taktik zu befolgen, heute die Journalisten ersucht, keine Liste der 226 zu veröffentlichen. Uebrigens läßt sich als eine sichere Thatsache aufstellen, daß, wenn die Kammer vor der Abstimmung gewußt hätte, daß ungeachtet der Erklärung der Minister, die Annahme des Entwurfs nicht zu einer Cabinetsfrage zu machen, dieselben doch nach dessen Verwerfung ihre Entlassungen einreichen würden, noch eine größere Mehrheit gegen den Entwurf gestimmt haben würde, nämlich sämmtliche Freunde des Ministeriums Molé, in der Absicht, das jetzige Cabinet umzuwerfen. – Nach der Sitzung der Kammer wurde aus den Tuilerien eine Staffette expedirt: die Rede ging hierauf in den höheren Cirkeln, der Herzog von Sachsen Gotha sey seiner Einwilligung zur Heirath seiner Tochter entbunden worden; ich weiß aber nunmehr genau, daß die Staffette nach Compiegne sich begab, wo sich die Herzoge von Orleans und Nemours befanden, und von wo ihre Reise nach Brüssel gehen sollte.
_ Paris, 21 Febr. Ich weiß nicht, ob der Telegraph auch für die Hiobsposten geht. Im bejahenden Falle ist Ihnen das 113te Bulletin der Dotationsschlacht bereits vor diesem Briefe zugekommen! *) *) Ein Artikel des Charivari, der die merkwürdige Entschließung der Kammer anzeigt und bespricht, beginnt also: T'en serais-tu douté, peuple français? und als illustrirendes Sinnbild des ersten Buchstabens T steht ein Maulwurf (taupe), der Violin spielt, in possierlicher Haltung. Bemerken Sie, daß nicht der offene Streit in der Kammer, nicht die Reibung der entgegengesetzten Lager in offener Bahn vor der Kammer den Strauß entschieden haben, sondern die mit unglaublicher Anstrengung in der öffentlichen Meinung, in den Journalen, in den Circularen, den Pamphleten und Protestationen der Wähler, gleich einem unterirdischen Gräber unterwühlende außerparlamentarische Macht, die sich seit 1830 bei keiner andern Gelegenheit so einhellig, so stark, so überwiegend gezeigt hat. Schon gestern Morgen, vor der Kammer, war es höchst merkwürdig, die Physiognomie der Pariser Presse zu mustern. Daß das wirklich eingetretene Resultat gerade in der Form, wie es eingetreten, erfolgen müsse, das zwar konnte Niemand mit Gewißheit voraussagen, aber jeder fühlte, daß er in Gegenwart einer außerordentlichen Krisis stehe; und es war, als ob die Dialektiker aller Oppositionsblätter ihre letzten, ihre schärfsten und populärsten Argumente für diesen entscheidenden Moment aufgespart hätten, um den Gesetzesentwurf zu vernichten, selbst ehe die Kammer darüber entschieden hatte. Und in welcher Form hat diese das Begehren der Regierung zurückgestoßen, ohne ihm nur die Ehre eines Waffenspiels zu gönnen, ohne daß die geringste Verhandlung stattgehabt! Das ist ein Grund mehr, den die ministeriellen Blätter in ihren schmerzlichen Klagen hervorheben. Die Sprache des Journal des Débats in seiner heutigen Nummer ist eine Elegie voll schwer verhaltenen Grolls gegen die Mehrheit der Kammer, die sich an der Majestät des Staatsoberhaupts so freventlich versündigt habe. „Le roi propos, le peuple dispose!“ sagt das Charivari und zählt alle die Bundesgenossen auf, die zum gemeinsamen Widerstande gegen die Krone sich vereinigt hatten. Im ersten Range ist hier ohne allen Zweifel Cormenin mit seinen Flugschriften und seiner Zahlenlogik zu nennen. Das Dotationsgesetz ist zu seinen Vorgängern, den Vorschlägen über Apanage und Disjunction gegangen, und die HH. Faure und Passy haben die große Demüthigung erlitten, in einer ruhmlosen Niederlage für ein Gesetz zu fallen, dessen Princip sie in ihren frühern Sitzungen auf das schärfste bestritten hatten. Wir nehmen, ohne Commentar, die Thatsachen, wie sie eben vorliegen, und wir fragen: auf welche Bank der Kammer werden diese Männer sich in Zukunft setzen? Wenn das Centrum für den Gesetzesentwurf stimmt, so ist dieß ganz natürlich; wir werden uns selbst nicht wundern, wenn der große Dupin in seiner elastischen Unabhängigkeit das Mittel gefunden hat, den plebeischen Polterer noch einmal dem Consulenten des Hauses Orleans unterzuordnen, und in Praxi zu billigen, was er in der Theorie getadelt; aber für die erwähnten beiden Minister wird diese Schlappe unauslöschliche Folgen haben. Schon jetzt: was bleibt ihnen von ihrer Verläugnung früherer Grundsätze und Reden? Die Erinnerung an ihr kurzes Ministerium und die gezwungene Niederlegung ihrer Portefeuilles. Wahrlich der Preis ist gering! Während in der Kammer das demokratische Element einen Sieg feierte, thronte die Aristokratie des Classicismus in grollendem Uebergewicht in der französischen Akademie: Victor Hugo ist nicht erwählt, sondern statt seiner Flourens, der beständige Secretär der Akademie der Naturwissenschaften. Von ihm sagt das Charivari: „Die Wahl der Akademie beweist nicht, daß Hr. Flourens gewählt, sondern nur, daß Victor Hugo nicht gewählt wurde.“ Das Journal des Débats, bekanntlich stets einer der Vorfechter Hugo's, ist empört über diese Ausschließung, und sagt geradezu, die meisten Akademiker haben den Gewählten gar nicht gekannt, Beweis sey, daß sie seinen Namen Flourens auf die verschiedenste Weise bald Floran, bald Flourins, bald Florence geschrieben haben. Se non é èero...!
_ Paris, 21 Febr. Die Herzoge von Orleans und Nemours sollen bei ihrem Abschied ihren königl. Vater aufs flehentlichste gebeten haben, den Dotationsvorschlag zurückzunehmen. Ludwig Philipp aber beharrte. Desto größer ist jetzt die Consternation im Schlosse, wie in allen Salons der Philippisten und des Juste Milieu. In den Cirkeln der Bewegungspartei und im großen Haufen des Publicums ward jedoch diese Nachricht als ein Triumph aufgenommen. In einem sehr bekannten legitimitischen Salon der Chaussee d Antin war gestern eine matinée musicale; eben sang Pauline Garcia und Donizetti begleitete sie auf dem Clavier, als ein Deputirter eintrat, und die Verwerfung des Dotationsantrags ankündigte; die Musik ward lärmend unterbrochen, und alle Anwesenden brachen in ein lautes Jubeln aus. – Diese Nacht waren viele Häuser
*) Der Telegraph meldete das Votum der Kammer nicht nach Straßburg.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-06-28T11:37:15Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-06-28T11:37:15Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |