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Allgemeine Zeitung. Nr. 53. Augsburg, 22. Februar 1840.

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(Commerce.) Wir erfahren diesen Abend aus dem Moniteur Parisien, daß sich das Ministerconseil heute (16) um 2 Uhr bei dem Conseilpräsidenten auf dem Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten versammelt habe. Was er aber nicht sagt, ist, daß um 3 Uhr der russische Geschäftsträger, Hr. v. Medem, sich in dem Ministerium eingefunden hat, daß sein Besuch nur sehr kurz war, und daß dann das Conseil seine Berathschlagungen wieder aufgenommen hat, die bis um fünf Uhr dauerten. Man versichert, daß diesen Abend ein Cabinetsconseil in den Tuilerien gehalten worden sey. - Der Herzog v. Broglie hat fast täglich Conferenzen mit dem König.

(Quotidienne.) Das Journal des Debats sagt kein Wort mehr. Es hat aber in den letzten Tagen zu viel gesprochen, als daß jetzt sein Stillschweigen im Sinne seiner Eitelkeit ausgelegt werden könnte. Zwei Punkte bleiben für die öffentliche Meinung entschieden, erstens die dynastische Anarchie, sodann die Antipathie zwischen dem Hofe und dem Kaiser Nicolaus persönlich. Wir vermutheten diese zwei Puncte. Jetzt sind sie offenkundig. Leider ist das patriotische Gefühl bei diesen kleinlichen Streitigkeiten durchaus nicht interessirt. Frankreich wird darin bloß eine Anzeige seiner gegenwärtigen Lage erblicken. Im Innern gespalten, nach außen mißachtet, dieß ist das System, das man ihm bereitet hat. Herrlicher Gewinn von einer Revolution, die schon an ihrer fünfzehnten Milliarde ist!

Die Revue de Paris, die bis jetzt immer zu den Hofjournalen gerechnet wurde, sagt: "Zu den vielen Sorgen der Verwaltung vom 12 Mai gehören auch die diplomatischen Neckereien, die ihr St. Petersburg und Hr. v. Medem zufügen. Man könnte zu Rußland, wie zu dem Gebieter der Götter, sagen: "Du zürnest, Jupiter, du hast daher Unrecht." Es scheint sich darüber geärgert zu haben, daß man einige Spuren seines Daseyns in einigen Intriguen und Complotten gefunden haben soll. Sein Aerger soll sich gesteigert haben, als es bemerkte, daß diese Umtriebe kein Geheimniß mehr, und sogar der Gegenstand der Unterhaltung in einigen politischen Salons und vielleicht selbst in einer hohen Sphäre geworden seyen. Auch hat die russische Diplomatie, ohne Zuratheziehung der gewöhnlichen Klugheit, sich der Publicität bedienen wollen; sie hat durch die Presse auf Gerüchte, auf Gespräche der höhern Gesellschaft geantwortet. Wir glauben, daß sie schlecht berathen und ihr erstes offenes Auftreten in der Pariser Journalwelt nicht glücklich war. Die in Folge der gerichtlichen Untersuchungen des Parquets des k. Gerichtshofs von Paris zum Vorschein gekommenen, mehr oder minder wichtigen Entdeckungen waren kein Gegenstand irgend einer directen Mittheilung von Seite unserer Regierung geworden, und wir sehen nicht ein, was Rußland dabei gewinnen konnte, daß es ein solches Aufsehen in der öffentlichen Meinung machte. Wenige Personen wußten, daß es bezichtigt war, einiges Geld auszustreuen, und einige Conspirationsideen zu nähren; jetzt wird es die ganze Welt erfahren. Es fehlt der von ihm bekannt gemachten Note an Tact, und der Styl derselben ist weder schön, noch passend. Wir hätten gewünscht, daß das Ministerium nicht der Interpellation des Journal des Debats bedurft hätte, um im Moniteur eine energische und bündige Antwort darauf zu geben. Im Cabinet findet eine Art von Trägheit statt, die man bei ernsten Gelegenheiten immer anspornen muß. Die russische Diplomatie hat den Angriff erneuert; sie hat uns durch eine zweite Note belehrt, daß Hr. v. Medem unserm Cabinete über das Amendement der Pairskammer in Betreff Polens und insbesondere über das Votum des Ministers des öffentlichen Unterrichts sehr lebhafte Vorstellungen gemacht habe. Dieß war ein neuer Fehler, sowohl dem Wesen als der Form nach. Erstens wußten wir bis jetzt noch nicht, daß es diplomatische Sitte sey, das, was in den Unterhaltungen vorgeht, welche der Agent eines Hofs mit dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten hat, bekannt zu machen, etwa wie man die Debatten der Kammern und der Gerichte der Publicität überliefert. Es ist auffallend, die Diplomatie von St. Petersburg die Initiative eines so excentrischen Schrittes ergreifen zu sehen. Was die Sache selbst betrifft, so war es etwas spät, Beschwerden wegen des Polen betreffenden Amendements vorzubringen. Hieß dieß nicht an den Tag legen, welchen Aerger man über einige Entdeckungen empfinden mochte, und steigerte man nicht deren Wichtigkeit durch jenes Affichiren verspäteter und ungeschickter Recrimination? Es liegt übrigens kein Beweggrund vor, die politischen Ursachen, welche zu der Annahme eines Amendements zu Gunsten Polens führten, zu verbergen. Abgesehen von der unzerstörbaren Sympathie, welche Frankreich für jenes Land hegt, konnten die Kammern und das Ministerium die Absicht haben, durch ein fast einstimmiges Votum und eine sehr klare Abfassung zu bezeugen, daß das Betragen des St. Petersburger Cabinets gegen unsere Regierung und unsere Dynastie nach Verdienst gewürdigt worden sey. Vielleicht würde bei einem andern Zustande der Dinge das Ministerium einige Milderung der energischen Ausdrücke des im Luxembourg von Hrn. v. Tascher eingereichten Amendements vorgeschlagen haben; bei unsern gegenwärtigen Verhältnissen zu dem russischen Hofe aber mußte es die Kammer dem vollen Interesse, das ihr eine großherzige Sache einflößte, überlassen. Wir können nicht glauben, daß Hr. v. Medem sich speciell über das Votum des Ministers des öffentlichen Unterrichts beschwert habe; er konnte keine so lächerliche Beschwerde erheben, da er die Offenheit unsers Parlaments und die Freiheit unserer politischen Sitten zu gut kennt. Hr. Villemain hat in der Erörterung der Adresse ein Zeugniß der Sympathie für Polen abgelegt, wie er es seit neun Jahren gewohnt war. Wer könnte von ihm fordern, daß er seine persönlichen Gefühle aufgeben solle? Seine Collegen dachten nicht daran, und er selbst hat, als er sich für das Amendement erhob, geglaubt, etwas ganz Natürliches und Einfaches zu thun. Das russische Cabinet muß darauf verzichten, sich mitten unter uns eine halbofficielle Presse zu schaffen: es wird einsehen, daß man durch eine solche Zusammenmischung der Diplomatie und des Journalismus beide verderbt; man verliert die Vortheile des Geheimnisses, und besitzt doch nicht die einer aufrichtigen Publication, die mit erhobenem Haupte einhergehen kann."

Der Proceß der fünfzig Diebe und Räuber ging am 15 Febr. spät Abends nach fünfzehntägigem Plaidiren und Debatten zu Ende. Die Jury hat zu Gunsten der angebenden Angeklagten mildernde Umstände anerkannt, und da ihre Mitschuldigen Drohungen gegen sie ausgestoßen hatten, so war man so vorsichtig, sie von einander zu trennen. Die Angeber wurden erst eine Viertelstunde nach den andern von dem Tribunal abgeführt. Sechs Angeklagte wurden als nicht schuldig erklärt. Die gegen die andern ausgesprochenen Strafen wechseln zwischen zweijähriger Haft und 25jähriger Zwangsarbeit.

Hr. Guizot hatte auf morgen seine Abreise nach London bestimmt; er wird aber hier bleiben bis nach der Abstimmung über die Dotation des Herzogs von Remours, weil das Ministerium hiezu seiner Stimme bedarf. Denn allgemein glaubt man, wenn der Entwurf angenommen werde, so geschehe es nur mit einer sehr geringen Mehrheit. Der Bericht des Hrn. Amilhau hat einen üblen Eindruck gemacht,

(Commerce.) Wir erfahren diesen Abend aus dem Moniteur Parisien, daß sich das Ministerconseil heute (16) um 2 Uhr bei dem Conseilpräsidenten auf dem Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten versammelt habe. Was er aber nicht sagt, ist, daß um 3 Uhr der russische Geschäftsträger, Hr. v. Medem, sich in dem Ministerium eingefunden hat, daß sein Besuch nur sehr kurz war, und daß dann das Conseil seine Berathschlagungen wieder aufgenommen hat, die bis um fünf Uhr dauerten. Man versichert, daß diesen Abend ein Cabinetsconseil in den Tuilerien gehalten worden sey. – Der Herzog v. Broglie hat fast täglich Conferenzen mit dem König.

(Quotidienne.) Das Journal des Débats sagt kein Wort mehr. Es hat aber in den letzten Tagen zu viel gesprochen, als daß jetzt sein Stillschweigen im Sinne seiner Eitelkeit ausgelegt werden könnte. Zwei Punkte bleiben für die öffentliche Meinung entschieden, erstens die dynastische Anarchie, sodann die Antipathie zwischen dem Hofe und dem Kaiser Nicolaus persönlich. Wir vermutheten diese zwei Puncte. Jetzt sind sie offenkundig. Leider ist das patriotische Gefühl bei diesen kleinlichen Streitigkeiten durchaus nicht interessirt. Frankreich wird darin bloß eine Anzeige seiner gegenwärtigen Lage erblicken. Im Innern gespalten, nach außen mißachtet, dieß ist das System, das man ihm bereitet hat. Herrlicher Gewinn von einer Revolution, die schon an ihrer fünfzehnten Milliarde ist!

Die Revue de Paris, die bis jetzt immer zu den Hofjournalen gerechnet wurde, sagt: „Zu den vielen Sorgen der Verwaltung vom 12 Mai gehören auch die diplomatischen Neckereien, die ihr St. Petersburg und Hr. v. Medem zufügen. Man könnte zu Rußland, wie zu dem Gebieter der Götter, sagen: „Du zürnest, Jupiter, du hast daher Unrecht.“ Es scheint sich darüber geärgert zu haben, daß man einige Spuren seines Daseyns in einigen Intriguen und Complotten gefunden haben soll. Sein Aerger soll sich gesteigert haben, als es bemerkte, daß diese Umtriebe kein Geheimniß mehr, und sogar der Gegenstand der Unterhaltung in einigen politischen Salons und vielleicht selbst in einer hohen Sphäre geworden seyen. Auch hat die russische Diplomatie, ohne Zuratheziehung der gewöhnlichen Klugheit, sich der Publicität bedienen wollen; sie hat durch die Presse auf Gerüchte, auf Gespräche der höhern Gesellschaft geantwortet. Wir glauben, daß sie schlecht berathen und ihr erstes offenes Auftreten in der Pariser Journalwelt nicht glücklich war. Die in Folge der gerichtlichen Untersuchungen des Parquets des k. Gerichtshofs von Paris zum Vorschein gekommenen, mehr oder minder wichtigen Entdeckungen waren kein Gegenstand irgend einer directen Mittheilung von Seite unserer Regierung geworden, und wir sehen nicht ein, was Rußland dabei gewinnen konnte, daß es ein solches Aufsehen in der öffentlichen Meinung machte. Wenige Personen wußten, daß es bezichtigt war, einiges Geld auszustreuen, und einige Conspirationsideen zu nähren; jetzt wird es die ganze Welt erfahren. Es fehlt der von ihm bekannt gemachten Note an Tact, und der Styl derselben ist weder schön, noch passend. Wir hätten gewünscht, daß das Ministerium nicht der Interpellation des Journal des Débats bedurft hätte, um im Moniteur eine energische und bündige Antwort darauf zu geben. Im Cabinet findet eine Art von Trägheit statt, die man bei ernsten Gelegenheiten immer anspornen muß. Die russische Diplomatie hat den Angriff erneuert; sie hat uns durch eine zweite Note belehrt, daß Hr. v. Medem unserm Cabinete über das Amendement der Pairskammer in Betreff Polens und insbesondere über das Votum des Ministers des öffentlichen Unterrichts sehr lebhafte Vorstellungen gemacht habe. Dieß war ein neuer Fehler, sowohl dem Wesen als der Form nach. Erstens wußten wir bis jetzt noch nicht, daß es diplomatische Sitte sey, das, was in den Unterhaltungen vorgeht, welche der Agent eines Hofs mit dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten hat, bekannt zu machen, etwa wie man die Debatten der Kammern und der Gerichte der Publicität überliefert. Es ist auffallend, die Diplomatie von St. Petersburg die Initiative eines so excentrischen Schrittes ergreifen zu sehen. Was die Sache selbst betrifft, so war es etwas spät, Beschwerden wegen des Polen betreffenden Amendements vorzubringen. Hieß dieß nicht an den Tag legen, welchen Aerger man über einige Entdeckungen empfinden mochte, und steigerte man nicht deren Wichtigkeit durch jenes Affichiren verspäteter und ungeschickter Recrimination? Es liegt übrigens kein Beweggrund vor, die politischen Ursachen, welche zu der Annahme eines Amendements zu Gunsten Polens führten, zu verbergen. Abgesehen von der unzerstörbaren Sympathie, welche Frankreich für jenes Land hegt, konnten die Kammern und das Ministerium die Absicht haben, durch ein fast einstimmiges Votum und eine sehr klare Abfassung zu bezeugen, daß das Betragen des St. Petersburger Cabinets gegen unsere Regierung und unsere Dynastie nach Verdienst gewürdigt worden sey. Vielleicht würde bei einem andern Zustande der Dinge das Ministerium einige Milderung der energischen Ausdrücke des im Luxembourg von Hrn. v. Tascher eingereichten Amendements vorgeschlagen haben; bei unsern gegenwärtigen Verhältnissen zu dem russischen Hofe aber mußte es die Kammer dem vollen Interesse, das ihr eine großherzige Sache einflößte, überlassen. Wir können nicht glauben, daß Hr. v. Medem sich speciell über das Votum des Ministers des öffentlichen Unterrichts beschwert habe; er konnte keine so lächerliche Beschwerde erheben, da er die Offenheit unsers Parlaments und die Freiheit unserer politischen Sitten zu gut kennt. Hr. Villemain hat in der Erörterung der Adresse ein Zeugniß der Sympathie für Polen abgelegt, wie er es seit neun Jahren gewohnt war. Wer könnte von ihm fordern, daß er seine persönlichen Gefühle aufgeben solle? Seine Collegen dachten nicht daran, und er selbst hat, als er sich für das Amendement erhob, geglaubt, etwas ganz Natürliches und Einfaches zu thun. Das russische Cabinet muß darauf verzichten, sich mitten unter uns eine halbofficielle Presse zu schaffen: es wird einsehen, daß man durch eine solche Zusammenmischung der Diplomatie und des Journalismus beide verderbt; man verliert die Vortheile des Geheimnisses, und besitzt doch nicht die einer aufrichtigen Publication, die mit erhobenem Haupte einhergehen kann.“

Der Proceß der fünfzig Diebe und Räuber ging am 15 Febr. spät Abends nach fünfzehntägigem Plaidiren und Debatten zu Ende. Die Jury hat zu Gunsten der angebenden Angeklagten mildernde Umstände anerkannt, und da ihre Mitschuldigen Drohungen gegen sie ausgestoßen hatten, so war man so vorsichtig, sie von einander zu trennen. Die Angeber wurden erst eine Viertelstunde nach den andern von dem Tribunal abgeführt. Sechs Angeklagte wurden als nicht schuldig erklärt. Die gegen die andern ausgesprochenen Strafen wechseln zwischen zweijähriger Haft und 25jähriger Zwangsarbeit.

Hr. Guizot hatte auf morgen seine Abreise nach London bestimmt; er wird aber hier bleiben bis nach der Abstimmung über die Dotation des Herzogs von Remours, weil das Ministerium hiezu seiner Stimme bedarf. Denn allgemein glaubt man, wenn der Entwurf angenommen werde, so geschehe es nur mit einer sehr geringen Mehrheit. Der Bericht des Hrn. Amilhau hat einen üblen Eindruck gemacht,

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[0419/0003] (Commerce.) Wir erfahren diesen Abend aus dem Moniteur Parisien, daß sich das Ministerconseil heute (16) um 2 Uhr bei dem Conseilpräsidenten auf dem Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten versammelt habe. Was er aber nicht sagt, ist, daß um 3 Uhr der russische Geschäftsträger, Hr. v. Medem, sich in dem Ministerium eingefunden hat, daß sein Besuch nur sehr kurz war, und daß dann das Conseil seine Berathschlagungen wieder aufgenommen hat, die bis um fünf Uhr dauerten. Man versichert, daß diesen Abend ein Cabinetsconseil in den Tuilerien gehalten worden sey. – Der Herzog v. Broglie hat fast täglich Conferenzen mit dem König. (Quotidienne.) Das Journal des Débats sagt kein Wort mehr. Es hat aber in den letzten Tagen zu viel gesprochen, als daß jetzt sein Stillschweigen im Sinne seiner Eitelkeit ausgelegt werden könnte. Zwei Punkte bleiben für die öffentliche Meinung entschieden, erstens die dynastische Anarchie, sodann die Antipathie zwischen dem Hofe und dem Kaiser Nicolaus persönlich. Wir vermutheten diese zwei Puncte. Jetzt sind sie offenkundig. Leider ist das patriotische Gefühl bei diesen kleinlichen Streitigkeiten durchaus nicht interessirt. Frankreich wird darin bloß eine Anzeige seiner gegenwärtigen Lage erblicken. Im Innern gespalten, nach außen mißachtet, dieß ist das System, das man ihm bereitet hat. Herrlicher Gewinn von einer Revolution, die schon an ihrer fünfzehnten Milliarde ist! Die Revue de Paris, die bis jetzt immer zu den Hofjournalen gerechnet wurde, sagt: „Zu den vielen Sorgen der Verwaltung vom 12 Mai gehören auch die diplomatischen Neckereien, die ihr St. Petersburg und Hr. v. Medem zufügen. Man könnte zu Rußland, wie zu dem Gebieter der Götter, sagen: „Du zürnest, Jupiter, du hast daher Unrecht.“ Es scheint sich darüber geärgert zu haben, daß man einige Spuren seines Daseyns in einigen Intriguen und Complotten gefunden haben soll. Sein Aerger soll sich gesteigert haben, als es bemerkte, daß diese Umtriebe kein Geheimniß mehr, und sogar der Gegenstand der Unterhaltung in einigen politischen Salons und vielleicht selbst in einer hohen Sphäre geworden seyen. Auch hat die russische Diplomatie, ohne Zuratheziehung der gewöhnlichen Klugheit, sich der Publicität bedienen wollen; sie hat durch die Presse auf Gerüchte, auf Gespräche der höhern Gesellschaft geantwortet. Wir glauben, daß sie schlecht berathen und ihr erstes offenes Auftreten in der Pariser Journalwelt nicht glücklich war. Die in Folge der gerichtlichen Untersuchungen des Parquets des k. Gerichtshofs von Paris zum Vorschein gekommenen, mehr oder minder wichtigen Entdeckungen waren kein Gegenstand irgend einer directen Mittheilung von Seite unserer Regierung geworden, und wir sehen nicht ein, was Rußland dabei gewinnen konnte, daß es ein solches Aufsehen in der öffentlichen Meinung machte. Wenige Personen wußten, daß es bezichtigt war, einiges Geld auszustreuen, und einige Conspirationsideen zu nähren; jetzt wird es die ganze Welt erfahren. Es fehlt der von ihm bekannt gemachten Note an Tact, und der Styl derselben ist weder schön, noch passend. Wir hätten gewünscht, daß das Ministerium nicht der Interpellation des Journal des Débats bedurft hätte, um im Moniteur eine energische und bündige Antwort darauf zu geben. Im Cabinet findet eine Art von Trägheit statt, die man bei ernsten Gelegenheiten immer anspornen muß. Die russische Diplomatie hat den Angriff erneuert; sie hat uns durch eine zweite Note belehrt, daß Hr. v. Medem unserm Cabinete über das Amendement der Pairskammer in Betreff Polens und insbesondere über das Votum des Ministers des öffentlichen Unterrichts sehr lebhafte Vorstellungen gemacht habe. Dieß war ein neuer Fehler, sowohl dem Wesen als der Form nach. Erstens wußten wir bis jetzt noch nicht, daß es diplomatische Sitte sey, das, was in den Unterhaltungen vorgeht, welche der Agent eines Hofs mit dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten hat, bekannt zu machen, etwa wie man die Debatten der Kammern und der Gerichte der Publicität überliefert. Es ist auffallend, die Diplomatie von St. Petersburg die Initiative eines so excentrischen Schrittes ergreifen zu sehen. Was die Sache selbst betrifft, so war es etwas spät, Beschwerden wegen des Polen betreffenden Amendements vorzubringen. Hieß dieß nicht an den Tag legen, welchen Aerger man über einige Entdeckungen empfinden mochte, und steigerte man nicht deren Wichtigkeit durch jenes Affichiren verspäteter und ungeschickter Recrimination? Es liegt übrigens kein Beweggrund vor, die politischen Ursachen, welche zu der Annahme eines Amendements zu Gunsten Polens führten, zu verbergen. Abgesehen von der unzerstörbaren Sympathie, welche Frankreich für jenes Land hegt, konnten die Kammern und das Ministerium die Absicht haben, durch ein fast einstimmiges Votum und eine sehr klare Abfassung zu bezeugen, daß das Betragen des St. Petersburger Cabinets gegen unsere Regierung und unsere Dynastie nach Verdienst gewürdigt worden sey. Vielleicht würde bei einem andern Zustande der Dinge das Ministerium einige Milderung der energischen Ausdrücke des im Luxembourg von Hrn. v. Tascher eingereichten Amendements vorgeschlagen haben; bei unsern gegenwärtigen Verhältnissen zu dem russischen Hofe aber mußte es die Kammer dem vollen Interesse, das ihr eine großherzige Sache einflößte, überlassen. Wir können nicht glauben, daß Hr. v. Medem sich speciell über das Votum des Ministers des öffentlichen Unterrichts beschwert habe; er konnte keine so lächerliche Beschwerde erheben, da er die Offenheit unsers Parlaments und die Freiheit unserer politischen Sitten zu gut kennt. Hr. Villemain hat in der Erörterung der Adresse ein Zeugniß der Sympathie für Polen abgelegt, wie er es seit neun Jahren gewohnt war. Wer könnte von ihm fordern, daß er seine persönlichen Gefühle aufgeben solle? Seine Collegen dachten nicht daran, und er selbst hat, als er sich für das Amendement erhob, geglaubt, etwas ganz Natürliches und Einfaches zu thun. Das russische Cabinet muß darauf verzichten, sich mitten unter uns eine halbofficielle Presse zu schaffen: es wird einsehen, daß man durch eine solche Zusammenmischung der Diplomatie und des Journalismus beide verderbt; man verliert die Vortheile des Geheimnisses, und besitzt doch nicht die einer aufrichtigen Publication, die mit erhobenem Haupte einhergehen kann.“ Der Proceß der fünfzig Diebe und Räuber ging am 15 Febr. spät Abends nach fünfzehntägigem Plaidiren und Debatten zu Ende. Die Jury hat zu Gunsten der angebenden Angeklagten mildernde Umstände anerkannt, und da ihre Mitschuldigen Drohungen gegen sie ausgestoßen hatten, so war man so vorsichtig, sie von einander zu trennen. Die Angeber wurden erst eine Viertelstunde nach den andern von dem Tribunal abgeführt. Sechs Angeklagte wurden als nicht schuldig erklärt. Die gegen die andern ausgesprochenen Strafen wechseln zwischen zweijähriger Haft und 25jähriger Zwangsarbeit. _ Paris, 17 Febr. Hr. Guizot hatte auf morgen seine Abreise nach London bestimmt; er wird aber hier bleiben bis nach der Abstimmung über die Dotation des Herzogs von Remours, weil das Ministerium hiezu seiner Stimme bedarf. Denn allgemein glaubt man, wenn der Entwurf angenommen werde, so geschehe es nur mit einer sehr geringen Mehrheit. Der Bericht des Hrn. Amilhau hat einen üblen Eindruck gemacht,

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 53. Augsburg, 22. Februar 1840, S. 0419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_053_18400222/3>, abgerufen am 28.04.2024.