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Allgemeine Zeitung. Nr. 52. Augsburg, 21. Februar 1840.

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vergißt der Pascha nicht, sich auf jede andere Weise in kampffertigen Zustand zu setzen. Nicht nur die Küste Alexandria's wird täglich mehr mit Kanonen auf hohen Walllaffetten bespickt, täglich gehen auch Schiffe mit Kanonen nach Syrien ab, um dort alle schwachen Punkte zu befestigen. In einigen Tagen erwartet man aus Europa 200 neue eiserne Geschütze, die für Alexandria bestimmt sind, und als ob dieser Aufwand von Kanonen noch nicht genug sey, hat der Pascha gesagt, er wolle, im Fall er die Gewißheit eines Angriffs von Seite Englands habe, die auf den Schiffen befindlichen 3500 Kanonen ausschiffen, und sie längs der Küste Alexandria's aufstellen lassen. Außerdem werden Truppen aus Syrien erwartet, von denen ein Theil bei Alexandria, ein anderer bei Kairo aufgestellt werden soll. Diese Anstalten reichen aber gegen einen wirklichen kräftigen Angriff, der nicht in einem bloßen unnützen Bombardement besteht, keineswegs hin. Ohne Vertheidigung der Küsten von Rosette und Damiatte und Aufstellung eines starken Truppencorps in der Mitte des Delta, damit es sich nach jedem bedrohten Punkte schnell begeben, oder das von tausend Canälen durchschnittene Delta selbst vertheidigen kann, sind die bis jetzt angeordneten Maaßregeln des Pascha's höchst unzulänglich, und bieten einem klugen, energischen Feinde noch sehr viele Chancen des Erfolgs dar. In der Umgebung des Pascha's findet sich auch nicht ein einziger Militär, dagegen eine Menge decorirter hochbetitelter Leute voll Arroganz und Unwissenheit, die nach dem Siege von Nisib fest überzeugt sind, daß keine Armee der Welt mehr der berühmten ägyptischen widerstehen könne. Der alte Pascha ist fast der einzige vernünftige Mann im Lande, und er fühlt sehr wohl, daß er den herannahenden Sturm nur mit Anstrengung aller seiner Kräfte beschwören könne. Inwiefern nun dieser Sturm mit der Rückkehr der englischen Flotte nach Malta zusammenhängt, sind wir hier außer Stand zu wissen; man glaubt jedoch, daß eine nähere Allianz Rußlands mit England die Entfernung der englischen Flotte von den Dardanellen bewirkt habe. Die französische liegt dagegen noch dort. *)

Die langen, beinahe abgebrochen gewesenen Unterhandlungen mit dem Pascha haben seit einigen Tagen wieder angefangen lebhafter zu werden. Sie wissen, daß durch österreichische Vermittlung den Wirren ein Ende gemacht werden soll, da aber die vorläufigen Propositionen von Mehemed Ali Opfer in Syrien verlangen, so können Sie überzeugt seyn, daß sich diese Unterhandlungen eben so zerschlagen werden wie alle frühern. Die Erhaltung der Integrität des osmanischen Reichs ist das Losungswort, obgleich man täglich sieht, wie die in Konstantinopel combinirte Regentschaft fortwährend Maaßregeln decretirt, die das unglückliche in jeder Beziehung aufgelöste Reich täglich mehr seinem Ende entgegen führen. Da arbeitet, gräbt und wühlt Alles, um nur schnell damit fertig zu werden; geschickte Feinde, dumme Freunde und Verräther arbeiten sich trefflich in die Hand; Jeder reißt ein, was er nur einreißen kann, was in Sicherheit zu bringen ist, wird auf die Seite geschafft; hundert Hunde benagen, zerbeißen und zerreißen den herrlichen Bissen, und Rußland schaut anscheinend ruhig zu, um sich, wenn Alles gehörig durchwühlt und zerrüttet ist, das Ganze sammt der Integrität in die Tasche zu schieben. Dieser Integrität zu lieb ist es denn, warum man durchaus Mehemed Ali die Flügel beschneiden will, oder warum man ihn vielmehr verhindern will, durch Gründung eines neuen Reichs Stabilität in diesem Theil des Orients einzuführen, damit entweder Frankreich oder England in dem nach seinem Tode unfehlbaren Wirrwarr gehörig fischen könne. Aegypten mit dem, was daran hängt, ist ein zu herrlicher, ein fetter Bissen für jeden, der die Kunst kennt, sich desselben ganz zu bemächtigen, so daß es wohl schon der Mühe werth ist, durch diplomatische Kunstgriffe den Frieden der Welt für einen Augenblick zu comprommittiren. Bis jetzt ist Mehemed Ali nur auf der Defensive geblieben, es ist auch unwahrscheinlich, daß er zu einem offenen Angriff übergehen, es ist nur gewiß, daß er auf keine Weise weichen wird. Die größte Verlegenheit, die man ihm bereiten könnte, wäre die, wenn man ihm das plötzlich gewährte, was er bis jetzt nur verlangte, nämlich die Erblichkeit über seine sämmtlichen factischen Besitzungen, denn da er das Verlangen nach Erblichkeit nur als Deckmantel gebraucht, darunter seine Begier nach Unabhängigkeit zu verstecken, und seine anderweitigen Intriguen zu verbergen, so würde man mit Einem Schlag der Sache für den Augenblick ein Ende machen, und die Ruhe liebenden Herren könnten sich auf einige Jahre wieder in Bezug auf den türkischen Orient in süßen Träumen wiegen. Es würde dann bloß noch die Frage der türkischen Flotte übrig bleiben, die Mehemed Ali jetzt bestimmt mit der seinigen verschmelzen wird. Aber auch diese Frage ist schon gewissermaßen in Konstantinopel von der Regierung selbst beantwortet, denn als vor einigen Tagen Said Pascha zum Kapudan Pascha ernannt ward, ohne den mit der Flotte in Alexandria befindlichen Kapudan Achmed Pascha abzusetzen, geschah dieß mit den Worten: daß, weil in Konstantinopel die Construction neuer Kriegsschiffe eifrig fortgesetzt wird, und Achmed Pascha immer noch in Alexandria, einem zu dem Reiche gehörigen Hafen, sey, dessen Aufenthalt daselbst übrigens nichts Inconvenantes habe, sobald die der Flotte angehörigen Officiere und Soldaten nur gut behandelt würden, so werde es nothwendig seyn, noch einen Kapudan Pascha zu ernennen, der die Aufsicht über die Arsenalarbeiten führe. Hiemit wäre ja so ziemlich die Frage über die Flotte gelöst, und wofern sich nicht eine europäische Macht unnütz hineinmischt, käme die Flotte "inschalla" wieder nach Konstantinopel zurück, und wenn nicht, bleibt sie wenigstens im Reich, und Konstantinopel hat so gut einen Kapudan Pascha wie Alexandria. Ob die Flotte aber jemals zurückgehe, scheint mir nach dem, was seit fünf Tagen vorgegangen, sehr unwahrscheinlich. Es ist nämlich in diesen Tagen ein Theil der türkischen Matrosen mit den Aegyptiern vermischt worden, eben so hat man angefangen, die beiden hier befindlichen türkischen Landwehrregimenter aufzulösen und sie in Marinesoldaten zu verwandeln. Zwar ist gestern und heute ein Theil wieder auf türkischen Schiffen zurückgeschickt worden, allein Mehemed Ali hat den Anfang gemacht, und wird in wenigen Tagen die Vermischung gänzlich beenden. Zudem geht er mit dem Gedanken um, sämmtliche türkische Truppen auf seinen Namen schwören zu lassen - ein Gebrauch, den Ibrahim kurz vor der Schlacht von Nisib in der ägyptischen Armee einführte. Die Rede, die der Pascha neulich den türkischen Officieren hielt und von der ich Ihnen schrieb, war davon ein Vorläufer. Daß aber unter den Türken durchaus keine Zufriedenheit herrscht, und sich Alles nach der Heimath und zu den Familien zurücksehnt, ist begreiflich; die Stumpfheit, in der sie übrigens sind und die ihnen jeden kräftigen Entschluß raubt, verbunden mit dem mohammedanischen Gesetz, wird sie vielleicht bald dahin bringen, hier neue Verbindungen einzugehen, wozu die Officiere schon durch Ankauf von Sklavinnen den Anfang machen.

*) Auch die englische ist bekanntlich zurückgekehrt. (A. d. R.)

vergißt der Pascha nicht, sich auf jede andere Weise in kampffertigen Zustand zu setzen. Nicht nur die Küste Alexandria's wird täglich mehr mit Kanonen auf hohen Walllaffetten bespickt, täglich gehen auch Schiffe mit Kanonen nach Syrien ab, um dort alle schwachen Punkte zu befestigen. In einigen Tagen erwartet man aus Europa 200 neue eiserne Geschütze, die für Alexandria bestimmt sind, und als ob dieser Aufwand von Kanonen noch nicht genug sey, hat der Pascha gesagt, er wolle, im Fall er die Gewißheit eines Angriffs von Seite Englands habe, die auf den Schiffen befindlichen 3500 Kanonen ausschiffen, und sie längs der Küste Alexandria's aufstellen lassen. Außerdem werden Truppen aus Syrien erwartet, von denen ein Theil bei Alexandria, ein anderer bei Kairo aufgestellt werden soll. Diese Anstalten reichen aber gegen einen wirklichen kräftigen Angriff, der nicht in einem bloßen unnützen Bombardement besteht, keineswegs hin. Ohne Vertheidigung der Küsten von Rosette und Damiatte und Aufstellung eines starken Truppencorps in der Mitte des Delta, damit es sich nach jedem bedrohten Punkte schnell begeben, oder das von tausend Canälen durchschnittene Delta selbst vertheidigen kann, sind die bis jetzt angeordneten Maaßregeln des Pascha's höchst unzulänglich, und bieten einem klugen, energischen Feinde noch sehr viele Chancen des Erfolgs dar. In der Umgebung des Pascha's findet sich auch nicht ein einziger Militär, dagegen eine Menge decorirter hochbetitelter Leute voll Arroganz und Unwissenheit, die nach dem Siege von Nisib fest überzeugt sind, daß keine Armee der Welt mehr der berühmten ägyptischen widerstehen könne. Der alte Pascha ist fast der einzige vernünftige Mann im Lande, und er fühlt sehr wohl, daß er den herannahenden Sturm nur mit Anstrengung aller seiner Kräfte beschwören könne. Inwiefern nun dieser Sturm mit der Rückkehr der englischen Flotte nach Malta zusammenhängt, sind wir hier außer Stand zu wissen; man glaubt jedoch, daß eine nähere Allianz Rußlands mit England die Entfernung der englischen Flotte von den Dardanellen bewirkt habe. Die französische liegt dagegen noch dort. *)

Die langen, beinahe abgebrochen gewesenen Unterhandlungen mit dem Pascha haben seit einigen Tagen wieder angefangen lebhafter zu werden. Sie wissen, daß durch österreichische Vermittlung den Wirren ein Ende gemacht werden soll, da aber die vorläufigen Propositionen von Mehemed Ali Opfer in Syrien verlangen, so können Sie überzeugt seyn, daß sich diese Unterhandlungen eben so zerschlagen werden wie alle frühern. Die Erhaltung der Integrität des osmanischen Reichs ist das Losungswort, obgleich man täglich sieht, wie die in Konstantinopel combinirte Regentschaft fortwährend Maaßregeln decretirt, die das unglückliche in jeder Beziehung aufgelöste Reich täglich mehr seinem Ende entgegen führen. Da arbeitet, gräbt und wühlt Alles, um nur schnell damit fertig zu werden; geschickte Feinde, dumme Freunde und Verräther arbeiten sich trefflich in die Hand; Jeder reißt ein, was er nur einreißen kann, was in Sicherheit zu bringen ist, wird auf die Seite geschafft; hundert Hunde benagen, zerbeißen und zerreißen den herrlichen Bissen, und Rußland schaut anscheinend ruhig zu, um sich, wenn Alles gehörig durchwühlt und zerrüttet ist, das Ganze sammt der Integrität in die Tasche zu schieben. Dieser Integrität zu lieb ist es denn, warum man durchaus Mehemed Ali die Flügel beschneiden will, oder warum man ihn vielmehr verhindern will, durch Gründung eines neuen Reichs Stabilität in diesem Theil des Orients einzuführen, damit entweder Frankreich oder England in dem nach seinem Tode unfehlbaren Wirrwarr gehörig fischen könne. Aegypten mit dem, was daran hängt, ist ein zu herrlicher, ein fetter Bissen für jeden, der die Kunst kennt, sich desselben ganz zu bemächtigen, so daß es wohl schon der Mühe werth ist, durch diplomatische Kunstgriffe den Frieden der Welt für einen Augenblick zu comprommittiren. Bis jetzt ist Mehemed Ali nur auf der Defensive geblieben, es ist auch unwahrscheinlich, daß er zu einem offenen Angriff übergehen, es ist nur gewiß, daß er auf keine Weise weichen wird. Die größte Verlegenheit, die man ihm bereiten könnte, wäre die, wenn man ihm das plötzlich gewährte, was er bis jetzt nur verlangte, nämlich die Erblichkeit über seine sämmtlichen factischen Besitzungen, denn da er das Verlangen nach Erblichkeit nur als Deckmantel gebraucht, darunter seine Begier nach Unabhängigkeit zu verstecken, und seine anderweitigen Intriguen zu verbergen, so würde man mit Einem Schlag der Sache für den Augenblick ein Ende machen, und die Ruhe liebenden Herren könnten sich auf einige Jahre wieder in Bezug auf den türkischen Orient in süßen Träumen wiegen. Es würde dann bloß noch die Frage der türkischen Flotte übrig bleiben, die Mehemed Ali jetzt bestimmt mit der seinigen verschmelzen wird. Aber auch diese Frage ist schon gewissermaßen in Konstantinopel von der Regierung selbst beantwortet, denn als vor einigen Tagen Said Pascha zum Kapudan Pascha ernannt ward, ohne den mit der Flotte in Alexandria befindlichen Kapudan Achmed Pascha abzusetzen, geschah dieß mit den Worten: daß, weil in Konstantinopel die Construction neuer Kriegsschiffe eifrig fortgesetzt wird, und Achmed Pascha immer noch in Alexandria, einem zu dem Reiche gehörigen Hafen, sey, dessen Aufenthalt daselbst übrigens nichts Inconvenantes habe, sobald die der Flotte angehörigen Officiere und Soldaten nur gut behandelt würden, so werde es nothwendig seyn, noch einen Kapudan Pascha zu ernennen, der die Aufsicht über die Arsenalarbeiten führe. Hiemit wäre ja so ziemlich die Frage über die Flotte gelöst, und wofern sich nicht eine europäische Macht unnütz hineinmischt, käme die Flotte „inschalla“ wieder nach Konstantinopel zurück, und wenn nicht, bleibt sie wenigstens im Reich, und Konstantinopel hat so gut einen Kapudan Pascha wie Alexandria. Ob die Flotte aber jemals zurückgehe, scheint mir nach dem, was seit fünf Tagen vorgegangen, sehr unwahrscheinlich. Es ist nämlich in diesen Tagen ein Theil der türkischen Matrosen mit den Aegyptiern vermischt worden, eben so hat man angefangen, die beiden hier befindlichen türkischen Landwehrregimenter aufzulösen und sie in Marinesoldaten zu verwandeln. Zwar ist gestern und heute ein Theil wieder auf türkischen Schiffen zurückgeschickt worden, allein Mehemed Ali hat den Anfang gemacht, und wird in wenigen Tagen die Vermischung gänzlich beenden. Zudem geht er mit dem Gedanken um, sämmtliche türkische Truppen auf seinen Namen schwören zu lassen – ein Gebrauch, den Ibrahim kurz vor der Schlacht von Nisib in der ägyptischen Armee einführte. Die Rede, die der Pascha neulich den türkischen Officieren hielt und von der ich Ihnen schrieb, war davon ein Vorläufer. Daß aber unter den Türken durchaus keine Zufriedenheit herrscht, und sich Alles nach der Heimath und zu den Familien zurücksehnt, ist begreiflich; die Stumpfheit, in der sie übrigens sind und die ihnen jeden kräftigen Entschluß raubt, verbunden mit dem mohammedanischen Gesetz, wird sie vielleicht bald dahin bringen, hier neue Verbindungen einzugehen, wozu die Officiere schon durch Ankauf von Sklavinnen den Anfang machen.

*) Auch die englische ist bekanntlich zurückgekehrt. (A. d. R.)
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Da arbeitet, gräbt und wühlt Alles, um nur schnell damit fertig zu werden; geschickte Feinde, dumme Freunde und Verräther arbeiten sich trefflich in die Hand; Jeder reißt ein, was er nur einreißen kann, was in Sicherheit zu bringen ist, wird auf die Seite geschafft; hundert Hunde benagen, zerbeißen und zerreißen den herrlichen Bissen, und Rußland schaut anscheinend ruhig zu, um sich, wenn Alles gehörig durchwühlt und zerrüttet ist, das Ganze sammt der Integrität in die Tasche zu schieben. Dieser Integrität zu lieb ist es denn, warum man durchaus Mehemed Ali die Flügel beschneiden will, oder warum man ihn vielmehr verhindern will, durch Gründung eines neuen Reichs Stabilität in diesem Theil des Orients einzuführen, damit entweder Frankreich oder England in dem nach seinem Tode unfehlbaren Wirrwarr gehörig fischen könne. Aegypten mit dem, was daran hängt, ist ein zu herrlicher, ein fetter Bissen für jeden, der die Kunst kennt, sich desselben ganz zu bemächtigen, so daß es wohl schon der Mühe werth ist, durch diplomatische Kunstgriffe den Frieden der Welt für einen Augenblick zu comprommittiren. Bis jetzt ist Mehemed Ali nur auf der Defensive geblieben, es ist auch unwahrscheinlich, daß er zu einem offenen Angriff übergehen, es ist nur gewiß, daß er auf keine Weise weichen wird. Die größte Verlegenheit, die man ihm bereiten könnte, wäre die, wenn man ihm das plötzlich gewährte, was er bis jetzt nur verlangte, nämlich die Erblichkeit über seine sämmtlichen factischen Besitzungen, denn da er das Verlangen nach Erblichkeit nur als Deckmantel gebraucht, darunter seine Begier nach Unabhängigkeit zu verstecken, und seine anderweitigen Intriguen zu verbergen, so würde man mit Einem Schlag der Sache für den Augenblick ein Ende machen, und die Ruhe liebenden Herren könnten sich auf einige Jahre wieder in Bezug auf den türkischen Orient in süßen Träumen wiegen. Es würde dann bloß noch die Frage der türkischen Flotte übrig bleiben, die Mehemed Ali jetzt bestimmt mit der seinigen verschmelzen wird. Aber auch diese Frage ist schon gewissermaßen in Konstantinopel von der Regierung selbst beantwortet, denn als vor einigen Tagen Said Pascha zum Kapudan Pascha ernannt ward, ohne den mit der Flotte in Alexandria befindlichen Kapudan Achmed Pascha abzusetzen, geschah dieß mit den Worten: daß, weil in Konstantinopel die Construction neuer Kriegsschiffe eifrig fortgesetzt wird, und Achmed Pascha immer noch in Alexandria, einem zu dem Reiche gehörigen Hafen, sey, dessen Aufenthalt daselbst übrigens nichts Inconvenantes habe, sobald die der Flotte angehörigen Officiere und Soldaten nur gut behandelt würden, so werde es nothwendig seyn, noch einen Kapudan Pascha zu ernennen, der die Aufsicht über die Arsenalarbeiten führe. Hiemit wäre ja so ziemlich die Frage über die Flotte gelöst, und wofern sich nicht eine europäische Macht unnütz hineinmischt, käme die Flotte &#x201E;inschalla&#x201C; wieder nach Konstantinopel zurück, und wenn nicht, bleibt sie wenigstens im Reich, und Konstantinopel hat so gut einen Kapudan Pascha wie Alexandria. Ob die Flotte aber jemals zurückgehe, scheint mir nach dem, was seit fünf Tagen vorgegangen, sehr unwahrscheinlich. Es ist nämlich in diesen Tagen ein Theil der türkischen Matrosen mit den Aegyptiern vermischt worden, eben so hat man angefangen, die beiden hier befindlichen türkischen Landwehrregimenter aufzulösen und sie in Marinesoldaten zu verwandeln. Zwar ist gestern und heute ein Theil wieder auf türkischen Schiffen zurückgeschickt worden, allein Mehemed Ali hat den Anfang gemacht, und wird in wenigen Tagen die Vermischung gänzlich beenden. Zudem geht er mit dem Gedanken um, sämmtliche türkische Truppen auf seinen Namen schwören zu lassen &#x2013; ein Gebrauch, den Ibrahim kurz vor der Schlacht von Nisib in der ägyptischen Armee einführte. Die Rede, die der Pascha neulich den türkischen Officieren hielt und von der ich Ihnen schrieb, war davon ein Vorläufer. Daß aber unter den Türken durchaus keine Zufriedenheit herrscht, und sich Alles nach der Heimath und zu den Familien zurücksehnt, ist begreiflich; die Stumpfheit, in der sie übrigens sind und die ihnen jeden kräftigen Entschluß raubt, verbunden mit dem mohammedanischen Gesetz, wird sie vielleicht bald dahin bringen, hier neue Verbindungen einzugehen, wozu die Officiere schon durch Ankauf von Sklavinnen den Anfang machen.</p>
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[0412/0012] vergißt der Pascha nicht, sich auf jede andere Weise in kampffertigen Zustand zu setzen. Nicht nur die Küste Alexandria's wird täglich mehr mit Kanonen auf hohen Walllaffetten bespickt, täglich gehen auch Schiffe mit Kanonen nach Syrien ab, um dort alle schwachen Punkte zu befestigen. In einigen Tagen erwartet man aus Europa 200 neue eiserne Geschütze, die für Alexandria bestimmt sind, und als ob dieser Aufwand von Kanonen noch nicht genug sey, hat der Pascha gesagt, er wolle, im Fall er die Gewißheit eines Angriffs von Seite Englands habe, die auf den Schiffen befindlichen 3500 Kanonen ausschiffen, und sie längs der Küste Alexandria's aufstellen lassen. Außerdem werden Truppen aus Syrien erwartet, von denen ein Theil bei Alexandria, ein anderer bei Kairo aufgestellt werden soll. Diese Anstalten reichen aber gegen einen wirklichen kräftigen Angriff, der nicht in einem bloßen unnützen Bombardement besteht, keineswegs hin. Ohne Vertheidigung der Küsten von Rosette und Damiatte und Aufstellung eines starken Truppencorps in der Mitte des Delta, damit es sich nach jedem bedrohten Punkte schnell begeben, oder das von tausend Canälen durchschnittene Delta selbst vertheidigen kann, sind die bis jetzt angeordneten Maaßregeln des Pascha's höchst unzulänglich, und bieten einem klugen, energischen Feinde noch sehr viele Chancen des Erfolgs dar. In der Umgebung des Pascha's findet sich auch nicht ein einziger Militär, dagegen eine Menge decorirter hochbetitelter Leute voll Arroganz und Unwissenheit, die nach dem Siege von Nisib fest überzeugt sind, daß keine Armee der Welt mehr der berühmten ägyptischen widerstehen könne. Der alte Pascha ist fast der einzige vernünftige Mann im Lande, und er fühlt sehr wohl, daß er den herannahenden Sturm nur mit Anstrengung aller seiner Kräfte beschwören könne. Inwiefern nun dieser Sturm mit der Rückkehr der englischen Flotte nach Malta zusammenhängt, sind wir hier außer Stand zu wissen; man glaubt jedoch, daß eine nähere Allianz Rußlands mit England die Entfernung der englischen Flotte von den Dardanellen bewirkt habe. Die französische liegt dagegen noch dort. *) _ Alexandria, 26 Jan. Die langen, beinahe abgebrochen gewesenen Unterhandlungen mit dem Pascha haben seit einigen Tagen wieder angefangen lebhafter zu werden. Sie wissen, daß durch österreichische Vermittlung den Wirren ein Ende gemacht werden soll, da aber die vorläufigen Propositionen von Mehemed Ali Opfer in Syrien verlangen, so können Sie überzeugt seyn, daß sich diese Unterhandlungen eben so zerschlagen werden wie alle frühern. Die Erhaltung der Integrität des osmanischen Reichs ist das Losungswort, obgleich man täglich sieht, wie die in Konstantinopel combinirte Regentschaft fortwährend Maaßregeln decretirt, die das unglückliche in jeder Beziehung aufgelöste Reich täglich mehr seinem Ende entgegen führen. Da arbeitet, gräbt und wühlt Alles, um nur schnell damit fertig zu werden; geschickte Feinde, dumme Freunde und Verräther arbeiten sich trefflich in die Hand; Jeder reißt ein, was er nur einreißen kann, was in Sicherheit zu bringen ist, wird auf die Seite geschafft; hundert Hunde benagen, zerbeißen und zerreißen den herrlichen Bissen, und Rußland schaut anscheinend ruhig zu, um sich, wenn Alles gehörig durchwühlt und zerrüttet ist, das Ganze sammt der Integrität in die Tasche zu schieben. Dieser Integrität zu lieb ist es denn, warum man durchaus Mehemed Ali die Flügel beschneiden will, oder warum man ihn vielmehr verhindern will, durch Gründung eines neuen Reichs Stabilität in diesem Theil des Orients einzuführen, damit entweder Frankreich oder England in dem nach seinem Tode unfehlbaren Wirrwarr gehörig fischen könne. Aegypten mit dem, was daran hängt, ist ein zu herrlicher, ein fetter Bissen für jeden, der die Kunst kennt, sich desselben ganz zu bemächtigen, so daß es wohl schon der Mühe werth ist, durch diplomatische Kunstgriffe den Frieden der Welt für einen Augenblick zu comprommittiren. Bis jetzt ist Mehemed Ali nur auf der Defensive geblieben, es ist auch unwahrscheinlich, daß er zu einem offenen Angriff übergehen, es ist nur gewiß, daß er auf keine Weise weichen wird. Die größte Verlegenheit, die man ihm bereiten könnte, wäre die, wenn man ihm das plötzlich gewährte, was er bis jetzt nur verlangte, nämlich die Erblichkeit über seine sämmtlichen factischen Besitzungen, denn da er das Verlangen nach Erblichkeit nur als Deckmantel gebraucht, darunter seine Begier nach Unabhängigkeit zu verstecken, und seine anderweitigen Intriguen zu verbergen, so würde man mit Einem Schlag der Sache für den Augenblick ein Ende machen, und die Ruhe liebenden Herren könnten sich auf einige Jahre wieder in Bezug auf den türkischen Orient in süßen Träumen wiegen. Es würde dann bloß noch die Frage der türkischen Flotte übrig bleiben, die Mehemed Ali jetzt bestimmt mit der seinigen verschmelzen wird. Aber auch diese Frage ist schon gewissermaßen in Konstantinopel von der Regierung selbst beantwortet, denn als vor einigen Tagen Said Pascha zum Kapudan Pascha ernannt ward, ohne den mit der Flotte in Alexandria befindlichen Kapudan Achmed Pascha abzusetzen, geschah dieß mit den Worten: daß, weil in Konstantinopel die Construction neuer Kriegsschiffe eifrig fortgesetzt wird, und Achmed Pascha immer noch in Alexandria, einem zu dem Reiche gehörigen Hafen, sey, dessen Aufenthalt daselbst übrigens nichts Inconvenantes habe, sobald die der Flotte angehörigen Officiere und Soldaten nur gut behandelt würden, so werde es nothwendig seyn, noch einen Kapudan Pascha zu ernennen, der die Aufsicht über die Arsenalarbeiten führe. Hiemit wäre ja so ziemlich die Frage über die Flotte gelöst, und wofern sich nicht eine europäische Macht unnütz hineinmischt, käme die Flotte „inschalla“ wieder nach Konstantinopel zurück, und wenn nicht, bleibt sie wenigstens im Reich, und Konstantinopel hat so gut einen Kapudan Pascha wie Alexandria. Ob die Flotte aber jemals zurückgehe, scheint mir nach dem, was seit fünf Tagen vorgegangen, sehr unwahrscheinlich. Es ist nämlich in diesen Tagen ein Theil der türkischen Matrosen mit den Aegyptiern vermischt worden, eben so hat man angefangen, die beiden hier befindlichen türkischen Landwehrregimenter aufzulösen und sie in Marinesoldaten zu verwandeln. Zwar ist gestern und heute ein Theil wieder auf türkischen Schiffen zurückgeschickt worden, allein Mehemed Ali hat den Anfang gemacht, und wird in wenigen Tagen die Vermischung gänzlich beenden. Zudem geht er mit dem Gedanken um, sämmtliche türkische Truppen auf seinen Namen schwören zu lassen – ein Gebrauch, den Ibrahim kurz vor der Schlacht von Nisib in der ägyptischen Armee einführte. Die Rede, die der Pascha neulich den türkischen Officieren hielt und von der ich Ihnen schrieb, war davon ein Vorläufer. Daß aber unter den Türken durchaus keine Zufriedenheit herrscht, und sich Alles nach der Heimath und zu den Familien zurücksehnt, ist begreiflich; die Stumpfheit, in der sie übrigens sind und die ihnen jeden kräftigen Entschluß raubt, verbunden mit dem mohammedanischen Gesetz, wird sie vielleicht bald dahin bringen, hier neue Verbindungen einzugehen, wozu die Officiere schon durch Ankauf von Sklavinnen den Anfang machen. *) Auch die englische ist bekanntlich zurückgekehrt. (A. d. R.)

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 52. Augsburg, 21. Februar 1840, S. 0412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_052_18400221/12>, abgerufen am 25.04.2024.