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Allgemeine Zeitung. Nr. 47. Augsburg, 16. Februar 1840.

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Griechenlaud und wie es geworden.

Die Parteiungen in Griechenland nehmen von Jahr zu Jahr einen erfreulicheren Charakter an. Das mag Manchem zumal in dem Augenblick, da man eine große Verschwörung entdeckt hat, paradox klingen, ist aber nichtsdestoweniger wahr. Von den Anfängen, den ersten Vorbereitungen zur Befreiung Griechenlands an haben sich nicht nur nach dem allgemeinen Dualismus der politischen Tendenzen, welche die Welt regieren, sondern auch nach dem Gang der Begebenheiten und ihren Leitern zwei Parteien bilden müssen, welche von Zeit zu Zeit in stärkern Gegensatz traten, allmählich durch eine Art wechselseitigen Unterricht sich ihrer selbst und ihres Ziels deutlicher bewußt wurden, und eben dadurch wie zwei ungleiche Brüder nach den entgegengesetzten Richtungen ihren Charakter ausbildeten. Die Bestrebungen Rußlands seit Katharina und der Taufe des Großfürsten Constantin hatten die natürliche Folge, daß Griechenland seine Blicke nach Rußland wandte, damals nach dem christlichen Rußland, welches so schön erschien neben der barbarischen Türkei. Als aber die Hetärie sich bildete, sie auch eine christliche, welche aber nicht in äußerlichen Ceremonien und in Priestertracht, sondern nach einer geistigeren Auffassung das Christenthum erkannte, dem, wenn auch unter andern Formen und zum Theil anderer Deutung einzelner jedoch stets als christlich bekannter Dogmen ganz Europa angehörte, war schon der Keim gelegt zum Gegensatz einer europäisch-christlichen Partei gegen eine russisch-christliche. In Griechenland selbst ging dieser Gegensatz auf in dem gemeinschaftlichen Kampf gegen den gemeinschaftlichen unchristlichen türkischen Feind. In Europa aber erhob sich neben den Planen des russischen Cabinets die uneigennützige Begeisterung der Völker Europa's. Mit Gold, mit Waffen, mit kräftigen Armen, mit warmem Blut in den Adern und freier geistiger Gesinnung eilte Europa den Hellenen zu Hülfe - den Hellenen! Denn es war nicht allein das christliche Europa, welches gegen den Feind des Christenthums kämpfte, es war das durch den Geist der hellenischen Ahnen gebildete christliche Europa, welches für die Söhne in die Reihen trat. Ein neues Element war in den Gegensatz getreten, dem von der andern Seite nichts entgegen zu setzen war als offene Gewalt oder Intrigue. Wie ein heiliger Hauch wehte Begeisterung über Deutschland und die Nachbarländer. Es war eine schöne Zeit, und Griechenland, das ihre Wirkungen erfahren und dessen hoffnungsvolle Söhne zahlreich und gegenwärtig Zeugen derselben waren, wird nicht vergessen, was es ihr verdankt. Ein König selbst dichtete von der Freiheit der späten Nachkommen freier Hellenen und sandte bewaffnete Männer zur Befreiung der in körperlicher Knechtschaft unterdrückten, damals nicht ahnend, daß er einst den Einen Mann senden werde, der sie geistig befreie. Es ist schwer zu sagen, welchen Einfluß das Christenthum, welchen Einfluß die aus Hellas stammende Geistesbildung Europa's hatte, um aus der griechischen Frage eine europäisch-politische zu machen. Daß auch andere Gründe waren, welche England und Frankreich vermochten, sich zu Rußlands Bundesgenossen in der Befreiung Griechenlands zu machen, ist eben so bekannt, als es nothwendig in den Verhältnissen gegeben war, daß England und Frankreich jetzt als die Stützen der nicht-russischen Partei erscheinen mußten. Von jetzt an trat der Gegensatz mehr hervor. Man sprach von russischer und antirussischer Partei und theilte die letztere wieder nach der Vorneigung dieses oder jenes Chefs in englische und französische, ohne daß der letztere Unterschied als eine eigentliche Entgegensetzung hervorgetreten wäre. Die europäisch-christliche, nach hellenischer Bildung und Geistesfreiheit strebende Partei nahm nun einen neuen, politischen Charakter an, und dieser offenbarte sich in Vorliebe zu constitutionellen Formen im Gegensatz der anticonstitutionellen russischen. Rußland mißbilligte die Empörung, aber billigte die Befreiung griechischer Christen und die Schwächung der Türkei. England und Frankreich setzten sich viel leichter über die politischen Scrupel der Förderung eines revolutionären Aufstands gegen einen sogenannten legitimen Herrn hinweg, da es sich darum handelte, bei einer nicht mehr zu hemmenden Trennung Griechenlands von der Türkei den Vortheil Rußland zu entziehen oder wenigstens denselben mit ihm zu theilen. Die beiden großen deutschen Mächte waren durch Christenthum und Geistescultur vor allen bestimmt und wohl auch gestimmt, an der Befreiung Theil zu nehmen, hätten sie dieselbe nicht nach politischen Grundsätzen als ein Werk ansehen müssen, das sie in inneren Widerspruch brachte. So blieben sie außerhalb des Kampfes und der Verhandlungen.

Die Schlacht bei Navarin wurde geschlagen. Ibrahim verließ mit seinen Aegyptiern Morea. Französische Truppen besetzten die Halbinsel. Die Befreiung Griechenlands von den Türken war gesichert. Der Gegensatz zwischen Christenthum und Türkenthum hörte in dem befreiten Griechenland von selbst auf. Der Kaiser Nikolaus, auf der Höhe christlicher und europäischer Bildung, schloß Griechenland mit ein in den Friedensvertrag von Adrianopel. Ob wohl die kurzsichtige, engherzige, im Innersten unwahre Politik, welche sich in der Person eines übrigens gewandten Verfassers diplomatischer Noten, des Johann Kapodistrias, an die Spitze der griechischen Regierung stellte, den edlen Gesinnungen, die sich in jenem Vertrag offenbarten, entsprochen hat? Gewiß nicht. Wer es über sich nimmt, der Präsident und Regent eines neuen Staats zu seyn, der muß - so gerne das de mortuis nil nisi bene anerkannt wird - das Urtheil der Geschichte über sich ergehen lassen. Kapodistrias ist die vollständige concrete Personification jener einseitig russisch-christlichen, jener der europäischen Geistesbildung widerstrebenden (Rußland selbst widerstrebt nicht), jener anticonstitutionellen Tendenzen. Christenthum, Cultur und Politik erscheinen in dem Thun und Handeln des "Präsidenten" in der niedrigsten beschränktesten Auffassung. Nur Ein Beweis statt vieler. Er verlangte vom Prinzen Leopold, daß er sich anatolisch taufen ließe, er verbot in den Schulen den Plato und verwünschte laut die Denkmäler alter Kunst auf der Akropolis; er machte die von ihm selbst proclamirte Verfassung, nachdem sie Europa geblendet, auf eine schamlose höhnende Weise zur Lüge. Sein Tod machte zwei Männer, die einst tapfer für das Vaterland gekämpft hatten, zu Verbrechern, und ihre zahlreiche Familie unglücklicher als sie es durch seine Ungerechtigkeit geworden war. Durch Kapodistrias war Griechenland wieder in den Anfang zurückgeschoben, ja weiter noch. Schon nannte man den Präsidenten einen Hospodar, das Christenthum beruhte auf der Taufe in der Wanne, die humane Bildung auf Lancasterschulen und die Verfassung auf einer berathenden Deputirtenkammer, deren

Griechenlaud und wie es geworden.

Die Parteiungen in Griechenland nehmen von Jahr zu Jahr einen erfreulicheren Charakter an. Das mag Manchem zumal in dem Augenblick, da man eine große Verschwörung entdeckt hat, paradox klingen, ist aber nichtsdestoweniger wahr. Von den Anfängen, den ersten Vorbereitungen zur Befreiung Griechenlands an haben sich nicht nur nach dem allgemeinen Dualismus der politischen Tendenzen, welche die Welt regieren, sondern auch nach dem Gang der Begebenheiten und ihren Leitern zwei Parteien bilden müssen, welche von Zeit zu Zeit in stärkern Gegensatz traten, allmählich durch eine Art wechselseitigen Unterricht sich ihrer selbst und ihres Ziels deutlicher bewußt wurden, und eben dadurch wie zwei ungleiche Brüder nach den entgegengesetzten Richtungen ihren Charakter ausbildeten. Die Bestrebungen Rußlands seit Katharina und der Taufe des Großfürsten Constantin hatten die natürliche Folge, daß Griechenland seine Blicke nach Rußland wandte, damals nach dem christlichen Rußland, welches so schön erschien neben der barbarischen Türkei. Als aber die Hetärie sich bildete, sie auch eine christliche, welche aber nicht in äußerlichen Ceremonien und in Priestertracht, sondern nach einer geistigeren Auffassung das Christenthum erkannte, dem, wenn auch unter andern Formen und zum Theil anderer Deutung einzelner jedoch stets als christlich bekannter Dogmen ganz Europa angehörte, war schon der Keim gelegt zum Gegensatz einer europäisch-christlichen Partei gegen eine russisch-christliche. In Griechenland selbst ging dieser Gegensatz auf in dem gemeinschaftlichen Kampf gegen den gemeinschaftlichen unchristlichen türkischen Feind. In Europa aber erhob sich neben den Planen des russischen Cabinets die uneigennützige Begeisterung der Völker Europa's. Mit Gold, mit Waffen, mit kräftigen Armen, mit warmem Blut in den Adern und freier geistiger Gesinnung eilte Europa den Hellenen zu Hülfe – den Hellenen! Denn es war nicht allein das christliche Europa, welches gegen den Feind des Christenthums kämpfte, es war das durch den Geist der hellenischen Ahnen gebildete christliche Europa, welches für die Söhne in die Reihen trat. Ein neues Element war in den Gegensatz getreten, dem von der andern Seite nichts entgegen zu setzen war als offene Gewalt oder Intrigue. Wie ein heiliger Hauch wehte Begeisterung über Deutschland und die Nachbarländer. Es war eine schöne Zeit, und Griechenland, das ihre Wirkungen erfahren und dessen hoffnungsvolle Söhne zahlreich und gegenwärtig Zeugen derselben waren, wird nicht vergessen, was es ihr verdankt. Ein König selbst dichtete von der Freiheit der späten Nachkommen freier Hellenen und sandte bewaffnete Männer zur Befreiung der in körperlicher Knechtschaft unterdrückten, damals nicht ahnend, daß er einst den Einen Mann senden werde, der sie geistig befreie. Es ist schwer zu sagen, welchen Einfluß das Christenthum, welchen Einfluß die aus Hellas stammende Geistesbildung Europa's hatte, um aus der griechischen Frage eine europäisch-politische zu machen. Daß auch andere Gründe waren, welche England und Frankreich vermochten, sich zu Rußlands Bundesgenossen in der Befreiung Griechenlands zu machen, ist eben so bekannt, als es nothwendig in den Verhältnissen gegeben war, daß England und Frankreich jetzt als die Stützen der nicht-russischen Partei erscheinen mußten. Von jetzt an trat der Gegensatz mehr hervor. Man sprach von russischer und antirussischer Partei und theilte die letztere wieder nach der Vorneigung dieses oder jenes Chefs in englische und französische, ohne daß der letztere Unterschied als eine eigentliche Entgegensetzung hervorgetreten wäre. Die europäisch-christliche, nach hellenischer Bildung und Geistesfreiheit strebende Partei nahm nun einen neuen, politischen Charakter an, und dieser offenbarte sich in Vorliebe zu constitutionellen Formen im Gegensatz der anticonstitutionellen russischen. Rußland mißbilligte die Empörung, aber billigte die Befreiung griechischer Christen und die Schwächung der Türkei. England und Frankreich setzten sich viel leichter über die politischen Scrupel der Förderung eines revolutionären Aufstands gegen einen sogenannten legitimen Herrn hinweg, da es sich darum handelte, bei einer nicht mehr zu hemmenden Trennung Griechenlands von der Türkei den Vortheil Rußland zu entziehen oder wenigstens denselben mit ihm zu theilen. Die beiden großen deutschen Mächte waren durch Christenthum und Geistescultur vor allen bestimmt und wohl auch gestimmt, an der Befreiung Theil zu nehmen, hätten sie dieselbe nicht nach politischen Grundsätzen als ein Werk ansehen müssen, das sie in inneren Widerspruch brachte. So blieben sie außerhalb des Kampfes und der Verhandlungen.

Die Schlacht bei Navarin wurde geschlagen. Ibrahim verließ mit seinen Aegyptiern Morea. Französische Truppen besetzten die Halbinsel. Die Befreiung Griechenlands von den Türken war gesichert. Der Gegensatz zwischen Christenthum und Türkenthum hörte in dem befreiten Griechenland von selbst auf. Der Kaiser Nikolaus, auf der Höhe christlicher und europäischer Bildung, schloß Griechenland mit ein in den Friedensvertrag von Adrianopel. Ob wohl die kurzsichtige, engherzige, im Innersten unwahre Politik, welche sich in der Person eines übrigens gewandten Verfassers diplomatischer Noten, des Johann Kapodistrias, an die Spitze der griechischen Regierung stellte, den edlen Gesinnungen, die sich in jenem Vertrag offenbarten, entsprochen hat? Gewiß nicht. Wer es über sich nimmt, der Präsident und Regent eines neuen Staats zu seyn, der muß – so gerne das de mortuis nil nisi bene anerkannt wird – das Urtheil der Geschichte über sich ergehen lassen. Kapodistrias ist die vollständige concrete Personification jener einseitig russisch-christlichen, jener der europäischen Geistesbildung widerstrebenden (Rußland selbst widerstrebt nicht), jener anticonstitutionellen Tendenzen. Christenthum, Cultur und Politik erscheinen in dem Thun und Handeln des „Präsidenten“ in der niedrigsten beschränktesten Auffassung. Nur Ein Beweis statt vieler. Er verlangte vom Prinzen Leopold, daß er sich anatolisch taufen ließe, er verbot in den Schulen den Plato und verwünschte laut die Denkmäler alter Kunst auf der Akropolis; er machte die von ihm selbst proclamirte Verfassung, nachdem sie Europa geblendet, auf eine schamlose höhnende Weise zur Lüge. Sein Tod machte zwei Männer, die einst tapfer für das Vaterland gekämpft hatten, zu Verbrechern, und ihre zahlreiche Familie unglücklicher als sie es durch seine Ungerechtigkeit geworden war. Durch Kapodistrias war Griechenland wieder in den Anfang zurückgeschoben, ja weiter noch. Schon nannte man den Präsidenten einen Hospodar, das Christenthum beruhte auf der Taufe in der Wanne, die humane Bildung auf Lancasterschulen und die Verfassung auf einer berathenden Deputirtenkammer, deren

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[0369/0009] Griechenlaud und wie es geworden. _ Athen, 27 Januar. Die Parteiungen in Griechenland nehmen von Jahr zu Jahr einen erfreulicheren Charakter an. Das mag Manchem zumal in dem Augenblick, da man eine große Verschwörung entdeckt hat, paradox klingen, ist aber nichtsdestoweniger wahr. Von den Anfängen, den ersten Vorbereitungen zur Befreiung Griechenlands an haben sich nicht nur nach dem allgemeinen Dualismus der politischen Tendenzen, welche die Welt regieren, sondern auch nach dem Gang der Begebenheiten und ihren Leitern zwei Parteien bilden müssen, welche von Zeit zu Zeit in stärkern Gegensatz traten, allmählich durch eine Art wechselseitigen Unterricht sich ihrer selbst und ihres Ziels deutlicher bewußt wurden, und eben dadurch wie zwei ungleiche Brüder nach den entgegengesetzten Richtungen ihren Charakter ausbildeten. Die Bestrebungen Rußlands seit Katharina und der Taufe des Großfürsten Constantin hatten die natürliche Folge, daß Griechenland seine Blicke nach Rußland wandte, damals nach dem christlichen Rußland, welches so schön erschien neben der barbarischen Türkei. Als aber die Hetärie sich bildete, sie auch eine christliche, welche aber nicht in äußerlichen Ceremonien und in Priestertracht, sondern nach einer geistigeren Auffassung das Christenthum erkannte, dem, wenn auch unter andern Formen und zum Theil anderer Deutung einzelner jedoch stets als christlich bekannter Dogmen ganz Europa angehörte, war schon der Keim gelegt zum Gegensatz einer europäisch-christlichen Partei gegen eine russisch-christliche. In Griechenland selbst ging dieser Gegensatz auf in dem gemeinschaftlichen Kampf gegen den gemeinschaftlichen unchristlichen türkischen Feind. In Europa aber erhob sich neben den Planen des russischen Cabinets die uneigennützige Begeisterung der Völker Europa's. Mit Gold, mit Waffen, mit kräftigen Armen, mit warmem Blut in den Adern und freier geistiger Gesinnung eilte Europa den Hellenen zu Hülfe – den Hellenen! Denn es war nicht allein das christliche Europa, welches gegen den Feind des Christenthums kämpfte, es war das durch den Geist der hellenischen Ahnen gebildete christliche Europa, welches für die Söhne in die Reihen trat. Ein neues Element war in den Gegensatz getreten, dem von der andern Seite nichts entgegen zu setzen war als offene Gewalt oder Intrigue. Wie ein heiliger Hauch wehte Begeisterung über Deutschland und die Nachbarländer. Es war eine schöne Zeit, und Griechenland, das ihre Wirkungen erfahren und dessen hoffnungsvolle Söhne zahlreich und gegenwärtig Zeugen derselben waren, wird nicht vergessen, was es ihr verdankt. Ein König selbst dichtete von der Freiheit der späten Nachkommen freier Hellenen und sandte bewaffnete Männer zur Befreiung der in körperlicher Knechtschaft unterdrückten, damals nicht ahnend, daß er einst den Einen Mann senden werde, der sie geistig befreie. Es ist schwer zu sagen, welchen Einfluß das Christenthum, welchen Einfluß die aus Hellas stammende Geistesbildung Europa's hatte, um aus der griechischen Frage eine europäisch-politische zu machen. Daß auch andere Gründe waren, welche England und Frankreich vermochten, sich zu Rußlands Bundesgenossen in der Befreiung Griechenlands zu machen, ist eben so bekannt, als es nothwendig in den Verhältnissen gegeben war, daß England und Frankreich jetzt als die Stützen der nicht-russischen Partei erscheinen mußten. Von jetzt an trat der Gegensatz mehr hervor. Man sprach von russischer und antirussischer Partei und theilte die letztere wieder nach der Vorneigung dieses oder jenes Chefs in englische und französische, ohne daß der letztere Unterschied als eine eigentliche Entgegensetzung hervorgetreten wäre. Die europäisch-christliche, nach hellenischer Bildung und Geistesfreiheit strebende Partei nahm nun einen neuen, politischen Charakter an, und dieser offenbarte sich in Vorliebe zu constitutionellen Formen im Gegensatz der anticonstitutionellen russischen. Rußland mißbilligte die Empörung, aber billigte die Befreiung griechischer Christen und die Schwächung der Türkei. England und Frankreich setzten sich viel leichter über die politischen Scrupel der Förderung eines revolutionären Aufstands gegen einen sogenannten legitimen Herrn hinweg, da es sich darum handelte, bei einer nicht mehr zu hemmenden Trennung Griechenlands von der Türkei den Vortheil Rußland zu entziehen oder wenigstens denselben mit ihm zu theilen. Die beiden großen deutschen Mächte waren durch Christenthum und Geistescultur vor allen bestimmt und wohl auch gestimmt, an der Befreiung Theil zu nehmen, hätten sie dieselbe nicht nach politischen Grundsätzen als ein Werk ansehen müssen, das sie in inneren Widerspruch brachte. So blieben sie außerhalb des Kampfes und der Verhandlungen. Die Schlacht bei Navarin wurde geschlagen. Ibrahim verließ mit seinen Aegyptiern Morea. Französische Truppen besetzten die Halbinsel. Die Befreiung Griechenlands von den Türken war gesichert. Der Gegensatz zwischen Christenthum und Türkenthum hörte in dem befreiten Griechenland von selbst auf. Der Kaiser Nikolaus, auf der Höhe christlicher und europäischer Bildung, schloß Griechenland mit ein in den Friedensvertrag von Adrianopel. Ob wohl die kurzsichtige, engherzige, im Innersten unwahre Politik, welche sich in der Person eines übrigens gewandten Verfassers diplomatischer Noten, des Johann Kapodistrias, an die Spitze der griechischen Regierung stellte, den edlen Gesinnungen, die sich in jenem Vertrag offenbarten, entsprochen hat? Gewiß nicht. Wer es über sich nimmt, der Präsident und Regent eines neuen Staats zu seyn, der muß – so gerne das de mortuis nil nisi bene anerkannt wird – das Urtheil der Geschichte über sich ergehen lassen. Kapodistrias ist die vollständige concrete Personification jener einseitig russisch-christlichen, jener der europäischen Geistesbildung widerstrebenden (Rußland selbst widerstrebt nicht), jener anticonstitutionellen Tendenzen. Christenthum, Cultur und Politik erscheinen in dem Thun und Handeln des „Präsidenten“ in der niedrigsten beschränktesten Auffassung. Nur Ein Beweis statt vieler. Er verlangte vom Prinzen Leopold, daß er sich anatolisch taufen ließe, er verbot in den Schulen den Plato und verwünschte laut die Denkmäler alter Kunst auf der Akropolis; er machte die von ihm selbst proclamirte Verfassung, nachdem sie Europa geblendet, auf eine schamlose höhnende Weise zur Lüge. Sein Tod machte zwei Männer, die einst tapfer für das Vaterland gekämpft hatten, zu Verbrechern, und ihre zahlreiche Familie unglücklicher als sie es durch seine Ungerechtigkeit geworden war. Durch Kapodistrias war Griechenland wieder in den Anfang zurückgeschoben, ja weiter noch. Schon nannte man den Präsidenten einen Hospodar, das Christenthum beruhte auf der Taufe in der Wanne, die humane Bildung auf Lancasterschulen und die Verfassung auf einer berathenden Deputirtenkammer, deren

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 47. Augsburg, 16. Februar 1840, S. 0369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_047_18400216/9>, abgerufen am 27.04.2024.