Allgemeine Zeitung. Nr. 31. Augsburg, 1. Februar 1840.
Diese politischen und militärischen Ideen sind so einfach, die Nothwendigkeit, ihnen in der Praxis zu folgen, entspringt so natürlich aus der Natur des Landes, das man besetzen, der Menschen, die man bekämpfen muß, und aus dem einzigen vernünftigen Zweck, den Frankreich sich hier vorsetzen kann, daß man fast beschämt ist, sie nach einem neunjährigen Aufenthalt noch zur Annahme empfehlen zu müssen. Eben so trivial, wir wissen es recht gut, doch bis auf diesen Tag ebensowenig verstanden, ist die Bemerkung, mit der wir den Aufsatz schließen wollen, daß nämlich die Colonisation unter dem Schutz der Regierung und im Ganzen und Großen ausgeführt werden sollte, statt daß sie jetzt einzeln vor sich geht, und ohne daß die öffentliche Macht sich darum bekümmert. Man sollte nicht dulden, daß die Colonisten sich auf großen Räumen zerstreuen, wo große Entfernungen sie von einander trennen und sie sich keine Hülfe leisten können. Doch dieser letzte Punkt ist viel zu wichtig, um ihm nicht einen besondern Artikel widmen zu dürfen, der die Reihe der Thatsachen vervollständigen wird, die man nothwendig kennen muß, um die Ereignisse gehörig erwägen zu können, deren Schauplatz jetzt Algier ist. Die Gesetze der Chinesen über Mord und Todtschlag. Es scheint, daß unsere aus der Kenntniß der innern und äußern Verhältnisse des chinesischen Reiches hervorgegangene und vielfach ausgesprochene Prophezeiung: es werde das chinesische Reich sich keine fünfzig Jahre mehr gegen die Umgriffe der europäisch-asiatischen Mächte behaupten können, noch eher in Erfüllung gehen werde, als wir selbst geglaubt hatten oder auch nur vermuthen konnten. Aber das ist eben der Fluch des Unrechts und der Gewaltthätigkeit, daß, wer einmal diese Wege betreten, später, ohne sich selbst aufzugeben, auch mit dem besten Willen nicht mehr von ihnen lassen, sondern im Gegentheil auf der eingeschlagenen Bahn in immer raschern und raschern Schritten sich fortbewegen muß. Die englische Regierung, die ostindische Compagnie, davon sind wir fest überzeugt, würde sich jetzt gerne Manches gefallen lassen, wenn es möglich wäre, die alten Verhältnisse, wie sie vor zwanzig und dreißig Jahren zwischen China und Großbritannien bestanden, wieder herzustellen. Doch dieß ist, ohne das ganze neue System, welches die Engländer in China und Indien seit den letzten Decennien angenommen haben, zu zerstören, nicht mehr möglich. Es muß deßhalb, wenn auch die jetzigen Wirren gegen alles Erwarten friedlich ausgeglichen werden sollten, in den nächsten Jahren zu einem Bruche kommen; diesen zu verhüten, steht selbst nicht mehr in der Macht Großbritanniens. Das Mißtrauen, der Widerwille und Haß zwischen den Unterthanen der überaus reinen Dynastie und Ihrer brittischen Majestät sind zu solch einer Höhe emporgestiegen, daß von nun an Berührungen zwischen den beiden Nationen schwerlich ohne Streit, Mord und Todtschlag statt finden können. Die Neckereien und Raufhändel der Individuen werden, müssen sich immerdar vermehren und, da ihnen auch mit der größten Vorsorge der beiden Regierungen nicht gesteuert werden kann, mit der Zeit zu einem Völkerkampfe heranwachsen. So gab es in den Sommermonaten des vorigen Jahres täglich Händel zwischen den englischen Matrosen der Kauffahrteiflotte im Hafen zu Whampo, gleichfern von der Tigermündung und der Kreishauptstadt Canton gelegen, und den Bewohnern dieses Hafenortes wie der umliegenden zahlreich bevölkerten Dörfer. Die gegenseitige Erbitterung der Bewohner der beiden Hemisphären stieg natürlich mit jedem Tage. Bei Gelegenheit eines solchen Kampfes fand ein Chinese seinen Tod, getroffen von dem kräftigen Faustschlag eines tüchtigen Boxers. Dieser Vorfall goß frisches Oel in den feurigen Streit des kaiserlichen Commissärs Lin gegen den Oberaufseher des englischen Handels, Capitän Elliot. Es traf sich schon einigemal im Laufe des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts (1780. 1784. 1800. 1806. 1810. 1820. 1821. 1823), daß Chinesen durch die kräftigen Hände der Barbaren des großen westlichen Oceans, namentlich Alt-Englands ihren Tod fanden; und es war dieß immer, auch unter sonst friedlichen Verhältnissen, ein höchst ärgerliches, nicht selten folgenreiches Ereigniß. Die Sicherheitskaufleute, gemeinhin Hong genannt, so wie die untern Polizei- und Mauthbeamten sind nämlich angewiesen, die unbändigen Barbaren scharf zu überwachen und über ihr ganzes Thun und Treiben den höchsten Behörden Bericht zu erstatten. Sobald nun die Anzeige über einen Todtschlag einläuft, wobei einer oder mehrere Barbaren betheiligt sind, mag nun der Getödtete dem Mittelreich angehören oder nicht, so ergeht der Befehl an den Vorsteher der betreffenden Nation, den Mörder alsbald auszuliefern, damit dieser nach den Gesetzen des Reiches gerichtet werden könne. "Es mögen die Barbaren, heißt es gewöhnlich in solchen Erlassen der höchsten Kreisregierung von Kuang tong und Kuang si, endlich von dem Wahne zurückkommen, daß ihnen auch auf dem Boden des Jao und Schun jeder Unfug, jede Schlechtigkeit nachgesehen werde; sie leben hier, das mögen sie ja bedenken, in dem civilisirten Lande der Mitte, wo kein Verbrecher seiner Strafe entgeht." Die Fremden aller Nationen weigerten sich natürlich von jeher, sich und ihre Habe dem obersten Richteramte der Chinesen preiszugeben; doch haben Franzosen im Jahr 1780 und Nordamerikaner im Jahr 1823 je einen Matrosen den chinesischen Gerichten überliefert, und beide wurden alsbald hingerichtet. "Auch wir, erwiederten sie gewöhnlich, haben erleuchtete Gesetze; auch wir verstehen es, Recht und Ordnung aufrecht zu erhalten; wir können und wollen uns bloß dem Ausspruch unserer einheimischen Richter fügen." War der Gemordete ebenfalls ein Fremder, so machte der chinesische Generalgouverneur gewöhnlich keine weiteren Schwierigkeiten; es ward nur dem Vorsteher der betreffenden Nation anempfohlen, zu seiner Zeit über die Art und Weise der Bestrafung des Verbrechers in seiner Heimath einen unterthänigen Bericht zu erstatten, damit der Himmelssohn die Freude erlebe zu sehen, daß Recht und Ordnung verbreitet sey unter den Barbaren des großen westlichen Oceans. Ganz anders aber, war der Getödtete ein Chinese: es ward dem Kaiser, dem Vater seines Volkes, ein Sohn erschlagen, und er kann nicht ruhen, bis die Manen des Verstorbenen gesühnt sind durch den Tod des Verbrechers. Soll doch selbst jeder Fremde, der sich in China gegen das Eigenthum eines Bewohners des Reiches der Mitte vergangen hat, von den Beamten der überaus reinen Dynastie nach altchinesischem Recht und Herkommen gerichtet werden. Wie könnte man nun wähnen, daß das Heimathland aller Cultur auf Erden die Bestrafung des an einem Chinesen verübten Mordes einem barbarischen Gericht überlassen könnte! Weigern sich die Fremden - was, wenn auch, wie wir gesehen haben, nicht immer, doch häufig geschah - den Schuldigen auszuliefern, so wird ihnen alsbald aller Handel, jeder Verkehr mit den Bewohnern
Diese politischen und militärischen Ideen sind so einfach, die Nothwendigkeit, ihnen in der Praxis zu folgen, entspringt so natürlich aus der Natur des Landes, das man besetzen, der Menschen, die man bekämpfen muß, und aus dem einzigen vernünftigen Zweck, den Frankreich sich hier vorsetzen kann, daß man fast beschämt ist, sie nach einem neunjährigen Aufenthalt noch zur Annahme empfehlen zu müssen. Eben so trivial, wir wissen es recht gut, doch bis auf diesen Tag ebensowenig verstanden, ist die Bemerkung, mit der wir den Aufsatz schließen wollen, daß nämlich die Colonisation unter dem Schutz der Regierung und im Ganzen und Großen ausgeführt werden sollte, statt daß sie jetzt einzeln vor sich geht, und ohne daß die öffentliche Macht sich darum bekümmert. Man sollte nicht dulden, daß die Colonisten sich auf großen Räumen zerstreuen, wo große Entfernungen sie von einander trennen und sie sich keine Hülfe leisten können. Doch dieser letzte Punkt ist viel zu wichtig, um ihm nicht einen besondern Artikel widmen zu dürfen, der die Reihe der Thatsachen vervollständigen wird, die man nothwendig kennen muß, um die Ereignisse gehörig erwägen zu können, deren Schauplatz jetzt Algier ist. Die Gesetze der Chinesen über Mord und Todtschlag. Es scheint, daß unsere aus der Kenntniß der innern und äußern Verhältnisse des chinesischen Reiches hervorgegangene und vielfach ausgesprochene Prophezeiung: es werde das chinesische Reich sich keine fünfzig Jahre mehr gegen die Umgriffe der europäisch-asiatischen Mächte behaupten können, noch eher in Erfüllung gehen werde, als wir selbst geglaubt hatten oder auch nur vermuthen konnten. Aber das ist eben der Fluch des Unrechts und der Gewaltthätigkeit, daß, wer einmal diese Wege betreten, später, ohne sich selbst aufzugeben, auch mit dem besten Willen nicht mehr von ihnen lassen, sondern im Gegentheil auf der eingeschlagenen Bahn in immer raschern und raschern Schritten sich fortbewegen muß. Die englische Regierung, die ostindische Compagnie, davon sind wir fest überzeugt, würde sich jetzt gerne Manches gefallen lassen, wenn es möglich wäre, die alten Verhältnisse, wie sie vor zwanzig und dreißig Jahren zwischen China und Großbritannien bestanden, wieder herzustellen. Doch dieß ist, ohne das ganze neue System, welches die Engländer in China und Indien seit den letzten Decennien angenommen haben, zu zerstören, nicht mehr möglich. Es muß deßhalb, wenn auch die jetzigen Wirren gegen alles Erwarten friedlich ausgeglichen werden sollten, in den nächsten Jahren zu einem Bruche kommen; diesen zu verhüten, steht selbst nicht mehr in der Macht Großbritanniens. Das Mißtrauen, der Widerwille und Haß zwischen den Unterthanen der überaus reinen Dynastie und Ihrer brittischen Majestät sind zu solch einer Höhe emporgestiegen, daß von nun an Berührungen zwischen den beiden Nationen schwerlich ohne Streit, Mord und Todtschlag statt finden können. Die Neckereien und Raufhändel der Individuen werden, müssen sich immerdar vermehren und, da ihnen auch mit der größten Vorsorge der beiden Regierungen nicht gesteuert werden kann, mit der Zeit zu einem Völkerkampfe heranwachsen. So gab es in den Sommermonaten des vorigen Jahres täglich Händel zwischen den englischen Matrosen der Kauffahrteiflotte im Hafen zu Whampo, gleichfern von der Tigermündung und der Kreishauptstadt Canton gelegen, und den Bewohnern dieses Hafenortes wie der umliegenden zahlreich bevölkerten Dörfer. Die gegenseitige Erbitterung der Bewohner der beiden Hemisphären stieg natürlich mit jedem Tage. Bei Gelegenheit eines solchen Kampfes fand ein Chinese seinen Tod, getroffen von dem kräftigen Faustschlag eines tüchtigen Boxers. Dieser Vorfall goß frisches Oel in den feurigen Streit des kaiserlichen Commissärs Lin gegen den Oberaufseher des englischen Handels, Capitän Elliot. Es traf sich schon einigemal im Laufe des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts (1780. 1784. 1800. 1806. 1810. 1820. 1821. 1823), daß Chinesen durch die kräftigen Hände der Barbaren des großen westlichen Oceans, namentlich Alt-Englands ihren Tod fanden; und es war dieß immer, auch unter sonst friedlichen Verhältnissen, ein höchst ärgerliches, nicht selten folgenreiches Ereigniß. Die Sicherheitskaufleute, gemeinhin Hong genannt, so wie die untern Polizei- und Mauthbeamten sind nämlich angewiesen, die unbändigen Barbaren scharf zu überwachen und über ihr ganzes Thun und Treiben den höchsten Behörden Bericht zu erstatten. Sobald nun die Anzeige über einen Todtschlag einläuft, wobei einer oder mehrere Barbaren betheiligt sind, mag nun der Getödtete dem Mittelreich angehören oder nicht, so ergeht der Befehl an den Vorsteher der betreffenden Nation, den Mörder alsbald auszuliefern, damit dieser nach den Gesetzen des Reiches gerichtet werden könne. „Es mögen die Barbaren, heißt es gewöhnlich in solchen Erlassen der höchsten Kreisregierung von Kuang tong und Kuang si, endlich von dem Wahne zurückkommen, daß ihnen auch auf dem Boden des Jao und Schun jeder Unfug, jede Schlechtigkeit nachgesehen werde; sie leben hier, das mögen sie ja bedenken, in dem civilisirten Lande der Mitte, wo kein Verbrecher seiner Strafe entgeht.“ Die Fremden aller Nationen weigerten sich natürlich von jeher, sich und ihre Habe dem obersten Richteramte der Chinesen preiszugeben; doch haben Franzosen im Jahr 1780 und Nordamerikaner im Jahr 1823 je einen Matrosen den chinesischen Gerichten überliefert, und beide wurden alsbald hingerichtet. „Auch wir, erwiederten sie gewöhnlich, haben erleuchtete Gesetze; auch wir verstehen es, Recht und Ordnung aufrecht zu erhalten; wir können und wollen uns bloß dem Ausspruch unserer einheimischen Richter fügen.“ War der Gemordete ebenfalls ein Fremder, so machte der chinesische Generalgouverneur gewöhnlich keine weiteren Schwierigkeiten; es ward nur dem Vorsteher der betreffenden Nation anempfohlen, zu seiner Zeit über die Art und Weise der Bestrafung des Verbrechers in seiner Heimath einen unterthänigen Bericht zu erstatten, damit der Himmelssohn die Freude erlebe zu sehen, daß Recht und Ordnung verbreitet sey unter den Barbaren des großen westlichen Oceans. Ganz anders aber, war der Getödtete ein Chinese: es ward dem Kaiser, dem Vater seines Volkes, ein Sohn erschlagen, und er kann nicht ruhen, bis die Manen des Verstorbenen gesühnt sind durch den Tod des Verbrechers. Soll doch selbst jeder Fremde, der sich in China gegen das Eigenthum eines Bewohners des Reiches der Mitte vergangen hat, von den Beamten der überaus reinen Dynastie nach altchinesischem Recht und Herkommen gerichtet werden. Wie könnte man nun wähnen, daß das Heimathland aller Cultur auf Erden die Bestrafung des an einem Chinesen verübten Mordes einem barbarischen Gericht überlassen könnte! Weigern sich die Fremden – was, wenn auch, wie wir gesehen haben, nicht immer, doch häufig geschah – den Schuldigen auszuliefern, so wird ihnen alsbald aller Handel, jeder Verkehr mit den Bewohnern <TEI> <text> <body> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <body> <div n="2"> <div type="jArticle" n="3"> <p><pb facs="#f0011" n="0252"/><lb/> nachschleppen, so hätte man Transportmittel einführen sollen, die uns verstatten überall hinzugehen und eben so schnell zu marschiren als die eingebornen Truppen, denn hier vorzüglich führt man den Krieg mit den Füßen.</p><lb/> <p>Diese politischen und militärischen Ideen sind so einfach, die Nothwendigkeit, ihnen in der Praxis zu folgen, entspringt so natürlich aus der Natur des Landes, das man besetzen, der Menschen, die man bekämpfen muß, und aus dem einzigen vernünftigen Zweck, den Frankreich sich hier vorsetzen kann, daß man fast beschämt ist, sie nach einem neunjährigen Aufenthalt noch zur Annahme empfehlen zu müssen. Eben so trivial, wir wissen es recht gut, doch bis auf diesen Tag ebensowenig verstanden, ist die Bemerkung, mit der wir den Aufsatz schließen wollen, daß nämlich die Colonisation unter dem Schutz der Regierung und im Ganzen und Großen ausgeführt werden sollte, statt daß sie jetzt einzeln vor sich geht, und ohne daß die öffentliche Macht sich darum bekümmert. Man sollte nicht dulden, daß die Colonisten sich auf großen Räumen zerstreuen, wo große Entfernungen sie von einander trennen und sie sich keine Hülfe leisten können. Doch dieser letzte Punkt ist viel zu wichtig, um ihm nicht einen besondern Artikel widmen zu dürfen, der die Reihe der Thatsachen vervollständigen wird, die man nothwendig kennen muß, um die Ereignisse gehörig erwägen zu können, deren Schauplatz jetzt Algier ist.</p><lb/> </div> </div> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Die Gesetze der Chinesen über Mord und Todtschlag</hi>.</hi> </head> <byline>*</byline><lb/> <p>Es scheint, daß unsere aus der Kenntniß der innern und äußern Verhältnisse des chinesischen Reiches hervorgegangene und vielfach ausgesprochene Prophezeiung: <hi rendition="#g">es werde das chinesische Reich sich keine fünfzig Jahre mehr gegen die Umgriffe der europäisch-asiatischen Mächte behaupten können</hi>, noch eher in Erfüllung gehen werde, als wir selbst geglaubt hatten oder auch nur vermuthen konnten. 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Das Mißtrauen, der Widerwille und Haß zwischen den Unterthanen der <hi rendition="#g">überaus reinen Dynastie</hi> und Ihrer brittischen Majestät sind zu solch einer Höhe emporgestiegen, daß von nun an Berührungen zwischen den beiden Nationen schwerlich ohne Streit, Mord und Todtschlag statt finden können. Die Neckereien und Raufhändel der Individuen werden, müssen sich immerdar vermehren und, da ihnen auch mit der größten Vorsorge der beiden Regierungen nicht gesteuert werden kann, mit der Zeit zu einem Völkerkampfe heranwachsen. So gab es in den Sommermonaten des vorigen Jahres täglich Händel zwischen den englischen Matrosen der Kauffahrteiflotte im Hafen zu Whampo, gleichfern von der Tigermündung und der Kreishauptstadt Canton gelegen, und den Bewohnern dieses Hafenortes wie der umliegenden zahlreich bevölkerten Dörfer. Die gegenseitige Erbitterung der Bewohner der beiden Hemisphären stieg natürlich mit jedem Tage. Bei Gelegenheit eines solchen Kampfes fand ein Chinese seinen Tod, getroffen von dem kräftigen Faustschlag eines tüchtigen Boxers. Dieser Vorfall goß frisches Oel in den feurigen Streit des kaiserlichen Commissärs Lin gegen den Oberaufseher des englischen Handels, Capitän Elliot. Es traf sich schon einigemal im Laufe des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts (1780. 1784. 1800. 1806. 1810. 1820. 1821. 1823), daß Chinesen durch die kräftigen Hände der Barbaren des großen westlichen Oceans, namentlich Alt-Englands ihren Tod fanden; und es war dieß immer, auch unter sonst friedlichen Verhältnissen, ein höchst ärgerliches, nicht selten folgenreiches Ereigniß. Die Sicherheitskaufleute, gemeinhin <hi rendition="#g">Hong</hi> genannt, so wie die untern Polizei- und Mauthbeamten sind nämlich angewiesen, die unbändigen Barbaren scharf zu überwachen und über ihr ganzes Thun und Treiben den höchsten Behörden Bericht zu erstatten. Sobald nun die Anzeige über einen Todtschlag einläuft, wobei einer oder mehrere Barbaren betheiligt sind, mag nun der Getödtete dem Mittelreich angehören oder nicht, so ergeht der Befehl an den Vorsteher der betreffenden Nation, den Mörder alsbald auszuliefern, damit dieser nach den Gesetzen des Reiches gerichtet werden könne. „Es mögen die Barbaren, heißt es gewöhnlich in solchen Erlassen der höchsten Kreisregierung von Kuang tong und Kuang si, endlich von dem Wahne zurückkommen, daß ihnen auch auf dem Boden des Jao und Schun jeder Unfug, jede Schlechtigkeit nachgesehen werde; sie leben hier, das mögen sie ja bedenken, in dem civilisirten Lande der Mitte, wo kein Verbrecher seiner Strafe entgeht.“ Die Fremden aller Nationen weigerten sich natürlich von jeher, sich und ihre Habe dem obersten Richteramte der Chinesen preiszugeben; doch haben Franzosen im Jahr 1780 und Nordamerikaner im Jahr 1823 je einen Matrosen den chinesischen Gerichten überliefert, und beide wurden alsbald hingerichtet. „Auch wir, erwiederten sie gewöhnlich, haben erleuchtete Gesetze; auch wir verstehen es, Recht und Ordnung aufrecht zu erhalten; wir können und wollen uns bloß dem Ausspruch unserer einheimischen Richter fügen.“ War der Gemordete ebenfalls ein Fremder, so machte der chinesische Generalgouverneur gewöhnlich keine weiteren Schwierigkeiten; es ward nur dem Vorsteher der betreffenden Nation anempfohlen, zu seiner Zeit über die Art und Weise der Bestrafung des Verbrechers in seiner Heimath einen unterthänigen Bericht zu erstatten, damit der Himmelssohn die Freude erlebe zu sehen, daß Recht und Ordnung verbreitet sey unter den Barbaren des großen westlichen Oceans. Ganz anders aber, war der Getödtete ein Chinese: es ward dem Kaiser, dem Vater seines Volkes, ein Sohn erschlagen, und er kann nicht ruhen, bis die Manen des Verstorbenen gesühnt sind durch den Tod des Verbrechers. Soll doch selbst jeder Fremde, der sich in China gegen das Eigenthum eines Bewohners des Reiches der Mitte vergangen hat, von den Beamten der überaus reinen Dynastie nach altchinesischem Recht und Herkommen gerichtet werden. Wie könnte man nun wähnen, daß das Heimathland aller Cultur auf Erden die Bestrafung des an einem Chinesen verübten Mordes einem barbarischen Gericht überlassen könnte! Weigern sich die Fremden – was, wenn auch, wie wir gesehen haben, nicht immer, doch häufig geschah – den Schuldigen auszuliefern, so wird ihnen alsbald aller Handel, jeder Verkehr mit den Bewohnern<lb/></p> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [0252/0011]
nachschleppen, so hätte man Transportmittel einführen sollen, die uns verstatten überall hinzugehen und eben so schnell zu marschiren als die eingebornen Truppen, denn hier vorzüglich führt man den Krieg mit den Füßen.
Diese politischen und militärischen Ideen sind so einfach, die Nothwendigkeit, ihnen in der Praxis zu folgen, entspringt so natürlich aus der Natur des Landes, das man besetzen, der Menschen, die man bekämpfen muß, und aus dem einzigen vernünftigen Zweck, den Frankreich sich hier vorsetzen kann, daß man fast beschämt ist, sie nach einem neunjährigen Aufenthalt noch zur Annahme empfehlen zu müssen. Eben so trivial, wir wissen es recht gut, doch bis auf diesen Tag ebensowenig verstanden, ist die Bemerkung, mit der wir den Aufsatz schließen wollen, daß nämlich die Colonisation unter dem Schutz der Regierung und im Ganzen und Großen ausgeführt werden sollte, statt daß sie jetzt einzeln vor sich geht, und ohne daß die öffentliche Macht sich darum bekümmert. Man sollte nicht dulden, daß die Colonisten sich auf großen Räumen zerstreuen, wo große Entfernungen sie von einander trennen und sie sich keine Hülfe leisten können. Doch dieser letzte Punkt ist viel zu wichtig, um ihm nicht einen besondern Artikel widmen zu dürfen, der die Reihe der Thatsachen vervollständigen wird, die man nothwendig kennen muß, um die Ereignisse gehörig erwägen zu können, deren Schauplatz jetzt Algier ist.
Die Gesetze der Chinesen über Mord und Todtschlag.*
Es scheint, daß unsere aus der Kenntniß der innern und äußern Verhältnisse des chinesischen Reiches hervorgegangene und vielfach ausgesprochene Prophezeiung: es werde das chinesische Reich sich keine fünfzig Jahre mehr gegen die Umgriffe der europäisch-asiatischen Mächte behaupten können, noch eher in Erfüllung gehen werde, als wir selbst geglaubt hatten oder auch nur vermuthen konnten. Aber das ist eben der Fluch des Unrechts und der Gewaltthätigkeit, daß, wer einmal diese Wege betreten, später, ohne sich selbst aufzugeben, auch mit dem besten Willen nicht mehr von ihnen lassen, sondern im Gegentheil auf der eingeschlagenen Bahn in immer raschern und raschern Schritten sich fortbewegen muß. Die englische Regierung, die ostindische Compagnie, davon sind wir fest überzeugt, würde sich jetzt gerne Manches gefallen lassen, wenn es möglich wäre, die alten Verhältnisse, wie sie vor zwanzig und dreißig Jahren zwischen China und Großbritannien bestanden, wieder herzustellen. Doch dieß ist, ohne das ganze neue System, welches die Engländer in China und Indien seit den letzten Decennien angenommen haben, zu zerstören, nicht mehr möglich. Es muß deßhalb, wenn auch die jetzigen Wirren gegen alles Erwarten friedlich ausgeglichen werden sollten, in den nächsten Jahren zu einem Bruche kommen; diesen zu verhüten, steht selbst nicht mehr in der Macht Großbritanniens. Das Mißtrauen, der Widerwille und Haß zwischen den Unterthanen der überaus reinen Dynastie und Ihrer brittischen Majestät sind zu solch einer Höhe emporgestiegen, daß von nun an Berührungen zwischen den beiden Nationen schwerlich ohne Streit, Mord und Todtschlag statt finden können. Die Neckereien und Raufhändel der Individuen werden, müssen sich immerdar vermehren und, da ihnen auch mit der größten Vorsorge der beiden Regierungen nicht gesteuert werden kann, mit der Zeit zu einem Völkerkampfe heranwachsen. So gab es in den Sommermonaten des vorigen Jahres täglich Händel zwischen den englischen Matrosen der Kauffahrteiflotte im Hafen zu Whampo, gleichfern von der Tigermündung und der Kreishauptstadt Canton gelegen, und den Bewohnern dieses Hafenortes wie der umliegenden zahlreich bevölkerten Dörfer. Die gegenseitige Erbitterung der Bewohner der beiden Hemisphären stieg natürlich mit jedem Tage. Bei Gelegenheit eines solchen Kampfes fand ein Chinese seinen Tod, getroffen von dem kräftigen Faustschlag eines tüchtigen Boxers. Dieser Vorfall goß frisches Oel in den feurigen Streit des kaiserlichen Commissärs Lin gegen den Oberaufseher des englischen Handels, Capitän Elliot. Es traf sich schon einigemal im Laufe des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts (1780. 1784. 1800. 1806. 1810. 1820. 1821. 1823), daß Chinesen durch die kräftigen Hände der Barbaren des großen westlichen Oceans, namentlich Alt-Englands ihren Tod fanden; und es war dieß immer, auch unter sonst friedlichen Verhältnissen, ein höchst ärgerliches, nicht selten folgenreiches Ereigniß. Die Sicherheitskaufleute, gemeinhin Hong genannt, so wie die untern Polizei- und Mauthbeamten sind nämlich angewiesen, die unbändigen Barbaren scharf zu überwachen und über ihr ganzes Thun und Treiben den höchsten Behörden Bericht zu erstatten. Sobald nun die Anzeige über einen Todtschlag einläuft, wobei einer oder mehrere Barbaren betheiligt sind, mag nun der Getödtete dem Mittelreich angehören oder nicht, so ergeht der Befehl an den Vorsteher der betreffenden Nation, den Mörder alsbald auszuliefern, damit dieser nach den Gesetzen des Reiches gerichtet werden könne. „Es mögen die Barbaren, heißt es gewöhnlich in solchen Erlassen der höchsten Kreisregierung von Kuang tong und Kuang si, endlich von dem Wahne zurückkommen, daß ihnen auch auf dem Boden des Jao und Schun jeder Unfug, jede Schlechtigkeit nachgesehen werde; sie leben hier, das mögen sie ja bedenken, in dem civilisirten Lande der Mitte, wo kein Verbrecher seiner Strafe entgeht.“ Die Fremden aller Nationen weigerten sich natürlich von jeher, sich und ihre Habe dem obersten Richteramte der Chinesen preiszugeben; doch haben Franzosen im Jahr 1780 und Nordamerikaner im Jahr 1823 je einen Matrosen den chinesischen Gerichten überliefert, und beide wurden alsbald hingerichtet. „Auch wir, erwiederten sie gewöhnlich, haben erleuchtete Gesetze; auch wir verstehen es, Recht und Ordnung aufrecht zu erhalten; wir können und wollen uns bloß dem Ausspruch unserer einheimischen Richter fügen.“ War der Gemordete ebenfalls ein Fremder, so machte der chinesische Generalgouverneur gewöhnlich keine weiteren Schwierigkeiten; es ward nur dem Vorsteher der betreffenden Nation anempfohlen, zu seiner Zeit über die Art und Weise der Bestrafung des Verbrechers in seiner Heimath einen unterthänigen Bericht zu erstatten, damit der Himmelssohn die Freude erlebe zu sehen, daß Recht und Ordnung verbreitet sey unter den Barbaren des großen westlichen Oceans. Ganz anders aber, war der Getödtete ein Chinese: es ward dem Kaiser, dem Vater seines Volkes, ein Sohn erschlagen, und er kann nicht ruhen, bis die Manen des Verstorbenen gesühnt sind durch den Tod des Verbrechers. Soll doch selbst jeder Fremde, der sich in China gegen das Eigenthum eines Bewohners des Reiches der Mitte vergangen hat, von den Beamten der überaus reinen Dynastie nach altchinesischem Recht und Herkommen gerichtet werden. Wie könnte man nun wähnen, daß das Heimathland aller Cultur auf Erden die Bestrafung des an einem Chinesen verübten Mordes einem barbarischen Gericht überlassen könnte! Weigern sich die Fremden – was, wenn auch, wie wir gesehen haben, nicht immer, doch häufig geschah – den Schuldigen auszuliefern, so wird ihnen alsbald aller Handel, jeder Verkehr mit den Bewohnern
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