Allgemeine Zeitung. Nr. 31. Augsburg, 31. Januar 1840.
Der junge Praktikant, der nicht auf der Universität sich die nothwendigen theoretischen Studien verschafft hat, muß sie entweder später nachholen, oder er wird sie sein Leben lang entbehren. Das erstere kann nur bei den Wenigsten der Fall seyn, da nach dem Eintritt in den praktischen Staatsdienst den Meisten theils die nöthige Muße und Mittel, theils die Lust dazu fehlen muß, zumal da das hier übliche Beförderungssystem keine Aufmunterung zu irgend einer derartigen Anstrengung gibt. Denn eine weitere Prüfung als die bei dem Abgang von der Universität hat der angehende Beamte nicht zu bestehen, oder wenn eine solche dem Namen nach vorkommt, so ist es nur eine leere Formalität, in welcher Niemand, wenn auch noch so unwissend, Gefahr läuft, durchzufallen. Und wie sollte der aus eigenem Antriebe sich wissenschaftlichen Studien widmen, der weder selbst jemals gelernt hat ihre hohe Bedeutung zu begreifen, noch durch die Beispiele Anderer oder durch Aussichten auf leichtere Beförderung, als Lohn seiner Kenntnisse, dazu gespornt wird? Das Höchste, wozu er es vielleicht treiben wird, ist einige Geschäftsfertigkeit und praktische Gewandtheit für den kleinen Dienst, welche für den untergeordneten Beamten hinlänglich seyn mag, in den höheren Stellen aber nicht genügen kann. An einen höheren Geist und Adel in der Verwaltung ist auf diese Weise nicht zu denken. Es liegt dieß auch so fern von den Forderungen, die man sich hier stellt, daß z. B. die schwedische Staatszeitung, um dem Vorwurf der Opposition zu begegnen, daß es der Regierung an einem haltbaren System ermangle, förmlich den Satz aufgestellt hat, daß man in einem constitutionellen Staate, wie Schweden, gar kein System in der Verwaltung fordern könne und dürfe, weil die Regierung nur da sey, um die gegebenen Gesetze zu vollziehen. Und diese bescheidene Ansicht ist in einem officiellen Blatt ausgesprochen worden, welches sonst nicht viel auf dem polemischen Feld hervorrückt. In der That gilt es auch hier schon als das höchste Lob von einem Beamten, wenn man nur von ihm sagen kann, daß er, wie es heißt, ein gutes Concept hat. Allein nach dem Vorigen ist es kaum zu verwundern, daß selbst dieß ein seltenes Verdienst ist, wie man sich alle Tage überzeugen kann aus den öffentlichen Schriften, welche von den verschiedenen Collegien und Staatsexpeditionen ausgehen, und in welchen selbst für die Sprachrichtigkeit nicht immer am besten und noch weniger für die Logik gesorgt wird. Als Regel wird eine Verschrobenheit des Styls gefunden, welche das selige Reichsdeutsch noch fast übertrifft, und die hier um so unsinniger wird, als sie dem Geiste der kräftigen, aber nicht wortreichen schwedischen Sprache geradezu widerstrebt, während der in dieser Sprache herrschende Mangel an Biegungsformen den wirklichen Sinn doppelt schwer zu fassen, wenn nicht gar unverständlich macht. Ich habe schon bemerkt, daß es ehrenwerthe Ausnahmen gibt von Männern, welche durch Geist und Wissenschaft über die Menge emporragen; allein es sind deren nur wenige, und sie werden gewiß die ersten seyn, die Wahrheit dieser Schilderung im Allgemeinen zu bezeugen. Es gibt denkende Männer genug, die das Uebel einsehen und bedauern; aber man scheut sich das Gedachte auszusprechen, weil jeder Vorschlag zu Reformen in der Beamtenbildung und zu Schärfung der Prüfungen als ein Vorwurf gegen die jetzige Generation der Angestellten erscheinen muß. Man läßt also lieber Alles in dem Gleise des alten Schlendrians fortgehen, so gut es will. Von welcher Art dieser aber ist, davon können Sie sich eine Vorstellung machen, wenn Sie einige von den Porträts schwedischer Staatsmänner nachlesen, welche neulich von der kundigen Hand E. M. Arndts erschienen sind. Diese Porträts sind zwar eigentlich schon vor dreißig Jahren gezeichnet worden, und mehrere von den Originalen, welche der geistreiche Verfasser damals im Leben sah, sind seitdem vom Schauplatze abgetreten, allein ihr Geist lebt doch zum Theil in treuen Copien fort und andere sind noch jetzt in vollem Wirken.*) Es wäre nicht schwer den Standpunkt der Mehrzahl der schwedischen Staatsmänner, welche in den letzten Jahrzehnten an der Spitze der Geschäfte gestanden haben, aus den Resultaten der innern Verwaltung nachzuweisen. In der Reconstituirung der Staatsverfassung im Jahr 1809 in der ganzen ökonomischen Gesetzgebung (welche hier der Regierung so gut als allein, fast ohne Mitwirkung der Stände überlassen ist), in dem Prohibitivwesen, in der Verwahrlosung der Bildungsanstalten, in der schlechten Polizei**) u. s. w. sind die Spuren ihrer Kurzsichtigkeit tief genug eingedrückt, so daß man sie nicht mit Vergrößerungsgläsern aufzusuchen braucht. Aber auch die äußere Geschichte Schwedens in diesem Zeitraum wird einst zu dieser Würdigung Beiträge liefern, welche zum Theil noch nicht der Geschichte anheimgefallen sind. Ueber Einiges beginnt man schon jetzt die Augen zu öffnen, wie z. B. über die Rolle, welche die schwedische Diplomatie in den Jahren 1809 und 1814 in den Friedensschlüssen mit Rußland und Dänemark und in dem Tractat mit jener Macht im Jahr 1812, so wie später in dem vor einigen Jahren famos gewordenen Schiffshandel gespielt hat. Auch die Einsicht von der wahren Natur der Verbindung mit Norwegen gehört hieher, und da dieser Gegenstand ein allgemeines Interesse hat, werde ich vielleicht ein andersmal Gelegenheit haben darauf zurückzukommen. *) Vergl. schwedische Geschichten unter Gustav dem Dritten vorzüglich aber unter Gustav dem Vierten Adolph. Von E. M. Arndt. Leipzig 1839. Mit dem Motto: "Von menschlichen Dingen ist doch das Meiste zu beweinen." Unter mehreren Stellen besonders die Seiten 258 - 269. Von den dort geschilderten ist der Seite 263 - 266 gezeichnete Graf Rosenblad der noch jetzt lebende und in demselben Geiste fortwirkende Staatsminister des Innern und der Justiz. - Das ebenso geistreiche als belehrende Werk erscheint jetzt auch in einer schwedischen Uebersetzung, und die Zeitungen haben schon mehrere Auszüge daraus mitgetheilt. Die grellen Farben, womit viele Schilderungen der damaligen Zustände aufgezogen sind, können hier nicht anders als sehr unangenehm für Viele seyn, wenn man sich auch die Wahrheit der Thatsachen eingestehen muß. Ich habe bisher im Wesentlichen keine erheblichen Bemerkungen gegen die Zuverlässigkeit des Buchs im Allgemeinen gehört. Zwar hat man mir kleinere Fehlgriffe des Verfassers angezeigt, z. B. daß er bei dieser oder jener Gelegenheit die Namen der Personen verwechselt, daß er einen Grafen zum Freiherrn gemacht hat oder umgekehrt u. s. w. Aber auch von solchen leicht zu berichtigenden Fehlern sollen nur wenige vorkommen, und im Ganzen sind sie unerheblich. Die Beweggründe zu der Sympathie, welche Arndt für die unglückliche Dynastie mehrmals durchblicken läßt, weiß man zu ehren, wenn man sie auch nicht allgemein theilt. **) Daß der hiesige Polizeidirector, oder wie er hier heißt, Polizeimeister, neulich vom Hofgericht zum Verlust seines Amtes verurtheilt wurde, und dennoch vom König, wie es scheint, in Gnaden entlassen worden ist, ist Ihnen schon durch andere Correspondenzen bekannt. - Unter mehreren Willkürlichkeiten, welche sich die hiesige schlecht verwaltete Polizei erlaubt, ist auch eine fast mehr als italienische Prellerei der Fremden im Paßwesen, welche, so viel ich weiß, bisher nicht gerügt worden ist, die aber, wie man mir versichert hat, nicht in den Gesetzen begründet seyn soll.
Der junge Praktikant, der nicht auf der Universität sich die nothwendigen theoretischen Studien verschafft hat, muß sie entweder später nachholen, oder er wird sie sein Leben lang entbehren. Das erstere kann nur bei den Wenigsten der Fall seyn, da nach dem Eintritt in den praktischen Staatsdienst den Meisten theils die nöthige Muße und Mittel, theils die Lust dazu fehlen muß, zumal da das hier übliche Beförderungssystem keine Aufmunterung zu irgend einer derartigen Anstrengung gibt. Denn eine weitere Prüfung als die bei dem Abgang von der Universität hat der angehende Beamte nicht zu bestehen, oder wenn eine solche dem Namen nach vorkommt, so ist es nur eine leere Formalität, in welcher Niemand, wenn auch noch so unwissend, Gefahr läuft, durchzufallen. Und wie sollte der aus eigenem Antriebe sich wissenschaftlichen Studien widmen, der weder selbst jemals gelernt hat ihre hohe Bedeutung zu begreifen, noch durch die Beispiele Anderer oder durch Aussichten auf leichtere Beförderung, als Lohn seiner Kenntnisse, dazu gespornt wird? Das Höchste, wozu er es vielleicht treiben wird, ist einige Geschäftsfertigkeit und praktische Gewandtheit für den kleinen Dienst, welche für den untergeordneten Beamten hinlänglich seyn mag, in den höheren Stellen aber nicht genügen kann. An einen höheren Geist und Adel in der Verwaltung ist auf diese Weise nicht zu denken. Es liegt dieß auch so fern von den Forderungen, die man sich hier stellt, daß z. B. die schwedische Staatszeitung, um dem Vorwurf der Opposition zu begegnen, daß es der Regierung an einem haltbaren System ermangle, förmlich den Satz aufgestellt hat, daß man in einem constitutionellen Staate, wie Schweden, gar kein System in der Verwaltung fordern könne und dürfe, weil die Regierung nur da sey, um die gegebenen Gesetze zu vollziehen. Und diese bescheidene Ansicht ist in einem officiellen Blatt ausgesprochen worden, welches sonst nicht viel auf dem polemischen Feld hervorrückt. In der That gilt es auch hier schon als das höchste Lob von einem Beamten, wenn man nur von ihm sagen kann, daß er, wie es heißt, ein gutes Concept hat. Allein nach dem Vorigen ist es kaum zu verwundern, daß selbst dieß ein seltenes Verdienst ist, wie man sich alle Tage überzeugen kann aus den öffentlichen Schriften, welche von den verschiedenen Collegien und Staatsexpeditionen ausgehen, und in welchen selbst für die Sprachrichtigkeit nicht immer am besten und noch weniger für die Logik gesorgt wird. Als Regel wird eine Verschrobenheit des Styls gefunden, welche das selige Reichsdeutsch noch fast übertrifft, und die hier um so unsinniger wird, als sie dem Geiste der kräftigen, aber nicht wortreichen schwedischen Sprache geradezu widerstrebt, während der in dieser Sprache herrschende Mangel an Biegungsformen den wirklichen Sinn doppelt schwer zu fassen, wenn nicht gar unverständlich macht. Ich habe schon bemerkt, daß es ehrenwerthe Ausnahmen gibt von Männern, welche durch Geist und Wissenschaft über die Menge emporragen; allein es sind deren nur wenige, und sie werden gewiß die ersten seyn, die Wahrheit dieser Schilderung im Allgemeinen zu bezeugen. Es gibt denkende Männer genug, die das Uebel einsehen und bedauern; aber man scheut sich das Gedachte auszusprechen, weil jeder Vorschlag zu Reformen in der Beamtenbildung und zu Schärfung der Prüfungen als ein Vorwurf gegen die jetzige Generation der Angestellten erscheinen muß. Man läßt also lieber Alles in dem Gleise des alten Schlendrians fortgehen, so gut es will. Von welcher Art dieser aber ist, davon können Sie sich eine Vorstellung machen, wenn Sie einige von den Porträts schwedischer Staatsmänner nachlesen, welche neulich von der kundigen Hand E. M. Arndts erschienen sind. Diese Porträts sind zwar eigentlich schon vor dreißig Jahren gezeichnet worden, und mehrere von den Originalen, welche der geistreiche Verfasser damals im Leben sah, sind seitdem vom Schauplatze abgetreten, allein ihr Geist lebt doch zum Theil in treuen Copien fort und andere sind noch jetzt in vollem Wirken.*) Es wäre nicht schwer den Standpunkt der Mehrzahl der schwedischen Staatsmänner, welche in den letzten Jahrzehnten an der Spitze der Geschäfte gestanden haben, aus den Resultaten der innern Verwaltung nachzuweisen. In der Reconstituirung der Staatsverfassung im Jahr 1809 in der ganzen ökonomischen Gesetzgebung (welche hier der Regierung so gut als allein, fast ohne Mitwirkung der Stände überlassen ist), in dem Prohibitivwesen, in der Verwahrlosung der Bildungsanstalten, in der schlechten Polizei**) u. s. w. sind die Spuren ihrer Kurzsichtigkeit tief genug eingedrückt, so daß man sie nicht mit Vergrößerungsgläsern aufzusuchen braucht. Aber auch die äußere Geschichte Schwedens in diesem Zeitraum wird einst zu dieser Würdigung Beiträge liefern, welche zum Theil noch nicht der Geschichte anheimgefallen sind. Ueber Einiges beginnt man schon jetzt die Augen zu öffnen, wie z. B. über die Rolle, welche die schwedische Diplomatie in den Jahren 1809 und 1814 in den Friedensschlüssen mit Rußland und Dänemark und in dem Tractat mit jener Macht im Jahr 1812, so wie später in dem vor einigen Jahren famos gewordenen Schiffshandel gespielt hat. Auch die Einsicht von der wahren Natur der Verbindung mit Norwegen gehört hieher, und da dieser Gegenstand ein allgemeines Interesse hat, werde ich vielleicht ein andersmal Gelegenheit haben darauf zurückzukommen. *) Vergl. schwedische Geschichten unter Gustav dem Dritten vorzüglich aber unter Gustav dem Vierten Adolph. Von E. M. Arndt. Leipzig 1839. Mit dem Motto: „Von menschlichen Dingen ist doch das Meiste zu beweinen.“ Unter mehreren Stellen besonders die Seiten 258 - 269. Von den dort geschilderten ist der Seite 263 - 266 gezeichnete Graf Rosenblad der noch jetzt lebende und in demselben Geiste fortwirkende Staatsminister des Innern und der Justiz. – Das ebenso geistreiche als belehrende Werk erscheint jetzt auch in einer schwedischen Uebersetzung, und die Zeitungen haben schon mehrere Auszüge daraus mitgetheilt. Die grellen Farben, womit viele Schilderungen der damaligen Zustände aufgezogen sind, können hier nicht anders als sehr unangenehm für Viele seyn, wenn man sich auch die Wahrheit der Thatsachen eingestehen muß. Ich habe bisher im Wesentlichen keine erheblichen Bemerkungen gegen die Zuverlässigkeit des Buchs im Allgemeinen gehört. Zwar hat man mir kleinere Fehlgriffe des Verfassers angezeigt, z. B. daß er bei dieser oder jener Gelegenheit die Namen der Personen verwechselt, daß er einen Grafen zum Freiherrn gemacht hat oder umgekehrt u. s. w. Aber auch von solchen leicht zu berichtigenden Fehlern sollen nur wenige vorkommen, und im Ganzen sind sie unerheblich. Die Beweggründe zu der Sympathie, welche Arndt für die unglückliche Dynastie mehrmals durchblicken läßt, weiß man zu ehren, wenn man sie auch nicht allgemein theilt. **) Daß der hiesige Polizeidirector, oder wie er hier heißt, Polizeimeister, neulich vom Hofgericht zum Verlust seines Amtes verurtheilt wurde, und dennoch vom König, wie es scheint, in Gnaden entlassen worden ist, ist Ihnen schon durch andere Correspondenzen bekannt. – Unter mehreren Willkürlichkeiten, welche sich die hiesige schlecht verwaltete Polizei erlaubt, ist auch eine fast mehr als italienische Prellerei der Fremden im Paßwesen, welche, so viel ich weiß, bisher nicht gerügt worden ist, die aber, wie man mir versichert hat, nicht in den Gesetzen begründet seyn soll.
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Denn eine weitere Prüfung als die bei dem Abgang von der Universität hat der angehende Beamte nicht zu bestehen, oder wenn eine solche dem Namen nach vorkommt, so ist es nur eine leere Formalität, in welcher Niemand, wenn auch noch so unwissend, Gefahr läuft, durchzufallen. Und wie sollte der aus eigenem Antriebe sich wissenschaftlichen Studien widmen, der weder selbst jemals gelernt hat ihre hohe Bedeutung zu begreifen, noch durch die Beispiele Anderer oder durch Aussichten auf leichtere Beförderung, als Lohn seiner Kenntnisse, dazu gespornt wird? Das Höchste, wozu er es vielleicht treiben wird, ist einige Geschäftsfertigkeit und praktische Gewandtheit für den kleinen Dienst, welche für den untergeordneten Beamten hinlänglich seyn mag, in den höheren Stellen aber nicht genügen kann. An einen höheren Geist und Adel in der Verwaltung ist auf diese Weise nicht zu denken. Es liegt dieß auch so fern von den Forderungen, die man sich hier stellt, daß z. B. die schwedische Staatszeitung, um dem Vorwurf der Opposition zu begegnen, daß es der Regierung an einem haltbaren System ermangle, förmlich den Satz aufgestellt hat, daß man in einem constitutionellen Staate, wie Schweden, gar kein System in der Verwaltung fordern könne und dürfe, weil die Regierung nur da sey, um die gegebenen Gesetze zu vollziehen. Und diese bescheidene Ansicht ist in einem officiellen Blatt ausgesprochen worden, welches sonst nicht viel auf dem polemischen Feld hervorrückt.</p><lb/> <p>In der That gilt es auch hier schon als das höchste Lob von einem Beamten, wenn man nur von ihm sagen kann, daß er, wie es heißt, ein gutes Concept hat. Allein nach dem Vorigen ist es kaum zu verwundern, daß selbst dieß ein seltenes Verdienst ist, wie man sich alle Tage überzeugen kann aus den öffentlichen Schriften, welche von den verschiedenen Collegien und Staatsexpeditionen ausgehen, und in welchen selbst für die Sprachrichtigkeit nicht immer am besten und noch weniger für die Logik gesorgt wird. Als Regel wird eine Verschrobenheit des Styls gefunden, welche das selige Reichsdeutsch noch fast übertrifft, und die hier um so unsinniger wird, als sie dem Geiste der kräftigen, aber nicht wortreichen schwedischen Sprache geradezu widerstrebt, während der in dieser Sprache herrschende Mangel an Biegungsformen den wirklichen Sinn doppelt schwer zu fassen, wenn nicht gar unverständlich macht.</p><lb/> <p>Ich habe schon bemerkt, daß es ehrenwerthe Ausnahmen gibt von Männern, welche durch Geist und Wissenschaft über die Menge emporragen; allein es sind deren nur wenige, und sie werden gewiß die ersten seyn, die Wahrheit dieser Schilderung im Allgemeinen zu bezeugen. Es gibt denkende Männer genug, die das Uebel einsehen und bedauern; aber man scheut sich das Gedachte auszusprechen, weil jeder Vorschlag zu Reformen in der Beamtenbildung und zu Schärfung der Prüfungen als ein Vorwurf gegen die jetzige Generation der Angestellten erscheinen muß. Man läßt also lieber Alles in dem Gleise des alten Schlendrians fortgehen, so gut es will. Von welcher Art dieser aber ist, davon können Sie sich eine Vorstellung machen, wenn Sie einige von den Porträts schwedischer Staatsmänner nachlesen, welche neulich von der kundigen Hand E. M. Arndts erschienen sind. Diese Porträts sind zwar eigentlich schon vor dreißig Jahren gezeichnet worden, und mehrere von den Originalen, welche der geistreiche Verfasser damals im Leben sah, sind seitdem vom Schauplatze abgetreten, allein ihr Geist lebt doch zum Theil in treuen Copien fort und andere sind noch jetzt in vollem Wirken.<note place="foot" n="*)">Vergl. <hi rendition="#g">schwedische Geschichten unter Gustav dem Dritten vorzüglich aber unter Gustav dem Vierten Adolph</hi>. Von E. M. <hi rendition="#g">Arndt</hi>. Leipzig 1839. Mit dem Motto: „Von menschlichen Dingen ist doch das Meiste zu beweinen.“ Unter mehreren Stellen besonders die Seiten 258 - 269. Von den dort geschilderten ist der Seite 263 - 266 gezeichnete Graf Rosenblad der noch jetzt lebende und in demselben Geiste fortwirkende Staatsminister des Innern und der Justiz. – Das ebenso geistreiche als belehrende Werk erscheint jetzt auch in einer schwedischen Uebersetzung, und die Zeitungen haben schon mehrere Auszüge daraus mitgetheilt. Die grellen Farben, womit viele Schilderungen der damaligen Zustände aufgezogen sind, können hier nicht anders als sehr unangenehm für Viele seyn, wenn man sich auch die Wahrheit der Thatsachen eingestehen muß. Ich habe bisher im Wesentlichen keine erheblichen Bemerkungen gegen die Zuverlässigkeit des Buchs im Allgemeinen gehört. Zwar hat man mir kleinere Fehlgriffe des Verfassers angezeigt, z. B. daß er bei dieser oder jener Gelegenheit die Namen der Personen verwechselt, daß er einen Grafen zum Freiherrn gemacht hat oder umgekehrt u. s. w. Aber auch von solchen leicht zu berichtigenden Fehlern sollen nur wenige vorkommen, und im Ganzen sind sie unerheblich. Die Beweggründe zu der Sympathie, welche Arndt für die unglückliche Dynastie mehrmals durchblicken läßt, weiß man zu ehren, wenn man sie auch nicht allgemein theilt.</note></p><lb/> <p>Es wäre nicht schwer den Standpunkt der Mehrzahl der schwedischen Staatsmänner, welche in den letzten Jahrzehnten an der Spitze der Geschäfte gestanden haben, aus den Resultaten der innern Verwaltung nachzuweisen. 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Aber auch die äußere Geschichte Schwedens in diesem Zeitraum wird einst zu dieser Würdigung Beiträge liefern, welche zum Theil noch nicht der Geschichte anheimgefallen sind. Ueber Einiges beginnt man schon jetzt die Augen zu öffnen, wie z. B. über die Rolle, welche die schwedische Diplomatie in den Jahren 1809 und 1814 in den Friedensschlüssen mit Rußland und Dänemark und in dem Tractat mit jener Macht im Jahr 1812, so wie später in dem vor einigen Jahren famos gewordenen Schiffshandel gespielt hat. Auch die Einsicht von der wahren Natur der Verbindung mit Norwegen gehört hieher, und da dieser Gegenstand ein allgemeines Interesse hat, werde ich vielleicht ein andersmal Gelegenheit haben darauf zurückzukommen.</p><lb/> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [0243/0011]
sich schon längst in mehreren Richtungen dem kund, der die Augen offen hat und sehen will.
Der junge Praktikant, der nicht auf der Universität sich die nothwendigen theoretischen Studien verschafft hat, muß sie entweder später nachholen, oder er wird sie sein Leben lang entbehren. Das erstere kann nur bei den Wenigsten der Fall seyn, da nach dem Eintritt in den praktischen Staatsdienst den Meisten theils die nöthige Muße und Mittel, theils die Lust dazu fehlen muß, zumal da das hier übliche Beförderungssystem keine Aufmunterung zu irgend einer derartigen Anstrengung gibt. Denn eine weitere Prüfung als die bei dem Abgang von der Universität hat der angehende Beamte nicht zu bestehen, oder wenn eine solche dem Namen nach vorkommt, so ist es nur eine leere Formalität, in welcher Niemand, wenn auch noch so unwissend, Gefahr läuft, durchzufallen. Und wie sollte der aus eigenem Antriebe sich wissenschaftlichen Studien widmen, der weder selbst jemals gelernt hat ihre hohe Bedeutung zu begreifen, noch durch die Beispiele Anderer oder durch Aussichten auf leichtere Beförderung, als Lohn seiner Kenntnisse, dazu gespornt wird? Das Höchste, wozu er es vielleicht treiben wird, ist einige Geschäftsfertigkeit und praktische Gewandtheit für den kleinen Dienst, welche für den untergeordneten Beamten hinlänglich seyn mag, in den höheren Stellen aber nicht genügen kann. An einen höheren Geist und Adel in der Verwaltung ist auf diese Weise nicht zu denken. Es liegt dieß auch so fern von den Forderungen, die man sich hier stellt, daß z. B. die schwedische Staatszeitung, um dem Vorwurf der Opposition zu begegnen, daß es der Regierung an einem haltbaren System ermangle, förmlich den Satz aufgestellt hat, daß man in einem constitutionellen Staate, wie Schweden, gar kein System in der Verwaltung fordern könne und dürfe, weil die Regierung nur da sey, um die gegebenen Gesetze zu vollziehen. Und diese bescheidene Ansicht ist in einem officiellen Blatt ausgesprochen worden, welches sonst nicht viel auf dem polemischen Feld hervorrückt.
In der That gilt es auch hier schon als das höchste Lob von einem Beamten, wenn man nur von ihm sagen kann, daß er, wie es heißt, ein gutes Concept hat. Allein nach dem Vorigen ist es kaum zu verwundern, daß selbst dieß ein seltenes Verdienst ist, wie man sich alle Tage überzeugen kann aus den öffentlichen Schriften, welche von den verschiedenen Collegien und Staatsexpeditionen ausgehen, und in welchen selbst für die Sprachrichtigkeit nicht immer am besten und noch weniger für die Logik gesorgt wird. Als Regel wird eine Verschrobenheit des Styls gefunden, welche das selige Reichsdeutsch noch fast übertrifft, und die hier um so unsinniger wird, als sie dem Geiste der kräftigen, aber nicht wortreichen schwedischen Sprache geradezu widerstrebt, während der in dieser Sprache herrschende Mangel an Biegungsformen den wirklichen Sinn doppelt schwer zu fassen, wenn nicht gar unverständlich macht.
Ich habe schon bemerkt, daß es ehrenwerthe Ausnahmen gibt von Männern, welche durch Geist und Wissenschaft über die Menge emporragen; allein es sind deren nur wenige, und sie werden gewiß die ersten seyn, die Wahrheit dieser Schilderung im Allgemeinen zu bezeugen. Es gibt denkende Männer genug, die das Uebel einsehen und bedauern; aber man scheut sich das Gedachte auszusprechen, weil jeder Vorschlag zu Reformen in der Beamtenbildung und zu Schärfung der Prüfungen als ein Vorwurf gegen die jetzige Generation der Angestellten erscheinen muß. Man läßt also lieber Alles in dem Gleise des alten Schlendrians fortgehen, so gut es will. Von welcher Art dieser aber ist, davon können Sie sich eine Vorstellung machen, wenn Sie einige von den Porträts schwedischer Staatsmänner nachlesen, welche neulich von der kundigen Hand E. M. Arndts erschienen sind. Diese Porträts sind zwar eigentlich schon vor dreißig Jahren gezeichnet worden, und mehrere von den Originalen, welche der geistreiche Verfasser damals im Leben sah, sind seitdem vom Schauplatze abgetreten, allein ihr Geist lebt doch zum Theil in treuen Copien fort und andere sind noch jetzt in vollem Wirken. *)
Es wäre nicht schwer den Standpunkt der Mehrzahl der schwedischen Staatsmänner, welche in den letzten Jahrzehnten an der Spitze der Geschäfte gestanden haben, aus den Resultaten der innern Verwaltung nachzuweisen. In der Reconstituirung der Staatsverfassung im Jahr 1809 in der ganzen ökonomischen Gesetzgebung (welche hier der Regierung so gut als allein, fast ohne Mitwirkung der Stände überlassen ist), in dem Prohibitivwesen, in der Verwahrlosung der Bildungsanstalten, in der schlechten Polizei **) u. s. w. sind die Spuren ihrer Kurzsichtigkeit tief genug eingedrückt, so daß man sie nicht mit Vergrößerungsgläsern aufzusuchen braucht. Aber auch die äußere Geschichte Schwedens in diesem Zeitraum wird einst zu dieser Würdigung Beiträge liefern, welche zum Theil noch nicht der Geschichte anheimgefallen sind. Ueber Einiges beginnt man schon jetzt die Augen zu öffnen, wie z. B. über die Rolle, welche die schwedische Diplomatie in den Jahren 1809 und 1814 in den Friedensschlüssen mit Rußland und Dänemark und in dem Tractat mit jener Macht im Jahr 1812, so wie später in dem vor einigen Jahren famos gewordenen Schiffshandel gespielt hat. Auch die Einsicht von der wahren Natur der Verbindung mit Norwegen gehört hieher, und da dieser Gegenstand ein allgemeines Interesse hat, werde ich vielleicht ein andersmal Gelegenheit haben darauf zurückzukommen.
*) Vergl. schwedische Geschichten unter Gustav dem Dritten vorzüglich aber unter Gustav dem Vierten Adolph. Von E. M. Arndt. Leipzig 1839. Mit dem Motto: „Von menschlichen Dingen ist doch das Meiste zu beweinen.“ Unter mehreren Stellen besonders die Seiten 258 - 269. Von den dort geschilderten ist der Seite 263 - 266 gezeichnete Graf Rosenblad der noch jetzt lebende und in demselben Geiste fortwirkende Staatsminister des Innern und der Justiz. – Das ebenso geistreiche als belehrende Werk erscheint jetzt auch in einer schwedischen Uebersetzung, und die Zeitungen haben schon mehrere Auszüge daraus mitgetheilt. Die grellen Farben, womit viele Schilderungen der damaligen Zustände aufgezogen sind, können hier nicht anders als sehr unangenehm für Viele seyn, wenn man sich auch die Wahrheit der Thatsachen eingestehen muß. Ich habe bisher im Wesentlichen keine erheblichen Bemerkungen gegen die Zuverlässigkeit des Buchs im Allgemeinen gehört. Zwar hat man mir kleinere Fehlgriffe des Verfassers angezeigt, z. B. daß er bei dieser oder jener Gelegenheit die Namen der Personen verwechselt, daß er einen Grafen zum Freiherrn gemacht hat oder umgekehrt u. s. w. Aber auch von solchen leicht zu berichtigenden Fehlern sollen nur wenige vorkommen, und im Ganzen sind sie unerheblich. Die Beweggründe zu der Sympathie, welche Arndt für die unglückliche Dynastie mehrmals durchblicken läßt, weiß man zu ehren, wenn man sie auch nicht allgemein theilt.
**) Daß der hiesige Polizeidirector, oder wie er hier heißt, Polizeimeister, neulich vom Hofgericht zum Verlust seines Amtes verurtheilt wurde, und dennoch vom König, wie es scheint, in Gnaden entlassen worden ist, ist Ihnen schon durch andere Correspondenzen bekannt. – Unter mehreren Willkürlichkeiten, welche sich die hiesige schlecht verwaltete Polizei erlaubt, ist auch eine fast mehr als italienische Prellerei der Fremden im Paßwesen, welche, so viel ich weiß, bisher nicht gerügt worden ist, die aber, wie man mir versichert hat, nicht in den Gesetzen begründet seyn soll.
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Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
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