Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 23. Augsburg, 23. Januar 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Der englische Globe enthält ein Schreiben aus Paris, worin es heißt, die russische Botschaft habe die amtliche Nachricht von der Verwerfung der Vorschläge des Hrn. v. Brunnow erhalten.

Die Revue des deux Mondes bemerkt: "Durch die Discussion der Antwortsadresse hat sich eine Thatsache klar herausgestellt, daß wir nämlich, wenn auch einige Minister, doch kein Ministerium haben. Ist übrigens einmal die Mehrheit durch die Gewalt der Umstände wieder hergestellt, so wird sie nicht gerne an ihrer Spitze Männer vermissen, deren Entfernung und Unthätigkeit sie bedauern muß. Das Cabinet vom 12 Mai, eine Geburt des Augenblicks und flüchtiger Umstände, konnte nur eine vorübergehende Erscheinung seyn. Es gab einigen Männern Gelegenheit, ihre politische Gewandtheit, ihr Rednertalent zu entwickeln. Namentlich hat sich in dieser Beziehung Hr. Villemain hervorgethan. Aber das Cabinet ist unvollständig; die Verbindung der Mitglieder ist schlecht; sie stellt die Schwächsten am deutlichsten ins Licht, und indem sie die andern zwingt, ihre eigentliche Rolle zu verlassen, bringt sie dieselben alle in eine Frankreichs und ihrer selbst wenig würdige Stellung. In der Erörterung über den Adreßentwurf ist auch Hr. Thiers als Redner aufgetreten. Sein Wort war, wie immer, glänzend, lebhaft, lichtvoll und klar. Seine Rede mußte das geringste verdunkelnde Wölkchen verjagen. Sie war keine Oppositionsrede; er hat das System gebilligt, und nur über das Verfahren der Regierung einige Bemerkungen gemacht. Die sanften und artigen Bemerkungen eines Redners, der so furchtbar seyn könnte, sind kaum so viel als Warnungen. Hr. Thiers gab öfters zu verstehen, er hätte streng seyn können. Er wollte es nicht; er hat das Cabinet amnestiirt. Man muß gerechterweise anerkennen, daß die Stellung des Hrn. Ministers des Innern, der als Minister des Auswärtigen auftrat, nicht ohne Schwierigkeit war. Hr. Thiers konnte, als einfacher Deputirter, Alles sagen, was ihm wahr, oder nur wahrscheinlich schien. Der Minister hingegen mußte um so vorsichtiger seyn, je besser er die Wahrheit, den jetzigen Stand der Unterhandlungen kannte. Der Hr. Minister hätte vielleicht sagen können: "Die englische Allianz ist nicht gefährdet; die neuen Schritte Rußlands haben keinen Erfolg gehabt; die Vorschläge des Hrn. v. Brunnow sind von neuem gescheitert. Das englische Cabinet will sich nicht von uns trennen; es wird keinem Vorschlag beitreten, außer im Einverständniß mit seinem Bundesgenossen Frankreich. Wir haben also nicht allen Credit und Einfluß in London verloren. Wir wußten die Interessen und die Würde Frankreichs zu vertheidigen, ohne ein für beide Länder gleich nützliches und ehrenvolles Bündniß zu brechen." Eine solche Antwort hätte man vielleicht geben können, wenn ein Minister seine officielle Sprache allen Abwechslungen des Augenblicks anpassen, und auf der Tribune von diplomatischen Thatsachen sprechen könnte, noch ehe sie dem Gebiet der Geschichte angehören. Es scheint in der That gewiß, daß Alles, was man in den letzten Tagen über den Erfolg der Sendung des Hrn. v. Brunnow sagte, glücklicherweise ungegründet war. Uebrigens versteht die Kammer in Bezug auf den Pascha von Aegypten keinen Spaß. So sehr sie auch die Befestigung des Bündnisses mit England wünscht, so gedenkt sie doch keineswegs, Aegypten unsern Nachbarn aufzuopfern. Sie ist vielmehr überzeugt, daß sie nur eine Macht zweiten Rangs seyn würde, sobald sie Rußland und England erlauben würde, den Orient nach Belieben auszubeuten, und allein sich jener ganzen Zukunft zu bemächtigen, die er für die Größe und den Wohlstand Europa's verspricht. Heutzutage ist die Macht an den Ufer des Nil und des Euphrat zu suchen. Frankreich will sie nicht für sich allein, will sie aber auch nicht andern Mächten allein lassen."

Der National lobt den ersten Theil der Rede des Hrn. Thiers in Betreff des Systems und des Betragens des Ministeriums in der orientalischen Frage. Ueber den zweiten Theil derselben, die englische Allianz betreffend, sagt er hingegen: "Hr. Thiers mag noch so sehr das freundschaftliche Verhältniß zwischen Napoleon und Fox hervorrufen, so hat er doch vergeblich den Beweis zu führen gesucht, daß die Verirrungen unserer Demokratie oder unseres Ehrgeizes die Hauptursachen der feindlichen Gesinnung und des definitiven Siegs der brittischen Aristokratie gewesen seyen. Die Frage bleibt immer folgende: in wie weit kann Frankreich seinem politischen, industriellen oder militärischen Genius Aufschwung gestatten, ohne das Mißtrauen und die Eifersucht jener unbeugsamen Aristokratie aufzuregen, die durch das Gesetz ihrer eigenen Existenz dazu verurtheilt ist, ungerecht gegen das Menschengeschlecht, und namentlich, wie es mit cynischer Offenheit die Schule Pitt's gestanden hat, gegen Frankreich und Irland zu seyn? 1792 war Frankreich, von den europäischen Coalitionen, an deren Spitze sich England befand, genöthigt, sich aus jedem Holz Pfeile zu schaffen, um der Eroberung und der Gegenrevolution zu widerstehen. Der Kampf wurde bald so erbittert, wie der zwischen Rom und Carthago. Nach einem Vierteljahrhundert riesenhafter Kämpfe, nach dem Unglück von Leipzig überlieferten uns der Verrath Augereau's und Marmont's, die Katastrophe von Waterloo der Willkür unsers Rivalen, und man weiß, mit welch unversöhnlicher Strenge er den Sieg mißbrauchte. Hr. Thiers versichert uns, daß England jetzt den Antheil bedaure, den es an der Schwächung und Demüthigung Frankreichs genommen habe. Wenn Hr. Thiers einige englische Liberale darunter versteht, so mag er Recht haben: wir kennen ein Duzend etwa, die einer solchen vernünftigen und gerechten Anerkennung fähig wären. Die belgische Revolution, die Revolutionen Polens, Deutschlands und Italiens haben aber seit 1830 den Maaßstab jenes ganz neuen Liberalismus unserer Nachbarn gegeben. Bei aller Anerkennung, daß das dynastische Interesse der Tuilerien in Betreff Spaniens sich gegen die Verpflichtungen der Quadrupelallianz in Bezug auf England verfehlt haben mochte, müssen wir sagen, daß in der belgischen Differenz und in der orientalischen Frage England sich eine glänzende Revanche genommen hat. Belgien zerstückt und unsere Nordgränze yon neuem bloßgestellt; der Vicekönig von Aegypten mit systematischem Hasse bedroht und verfolgt, weil er der Schützling Frankreichs war; der letzte Angriff der Türken und die Schlacht von Nisib, durch die unseligen Rathschläge des englischen Botschafters zu Konstantinopel hervorgerufen; die plötzliche, stupide Geneigtheit, womit ein Theil des Londoner Cabinets den hinterlistigen Vorschlägen Rußlands beigetreten zu seyn scheint; das Betragen der Engländer in Mexico, in Buenos-Ayres und auf der Mauritiusinsel - dieß sind ganz neue Thatsachen, die beweisen, wie prekär das Wohlwollen Großbritanniens ist, und durch wie viele Opfer wir auch nur seine Neutralität in den für die Ehre und die Zukunft Frankreichs entscheidendsten Fragen erkaufen müßten." (Das Commerce urtheilt über Thier's Rede in gleicher Weise, wie wir morgen sehen werden.)

Der Capitän Vallee erschien am 17 Jan. vor dem Präfecturrath der Seine. Die andern Officiere, welche an der Zusammenrottung vom letzten Sonntag Theil genommen, sollen in den ersten Tagen der folgenden Woche vor dasselbe geladen werden. In dem Beschluß des Präfecturraths heißt es im Wesentlichen: "In Erwägung, daß der Capitän Vallee anerkennt,


Der englische Globe enthält ein Schreiben aus Paris, worin es heißt, die russische Botschaft habe die amtliche Nachricht von der Verwerfung der Vorschläge des Hrn. v. Brunnow erhalten.

Die Revue des deux Mondes bemerkt: „Durch die Discussion der Antwortsadresse hat sich eine Thatsache klar herausgestellt, daß wir nämlich, wenn auch einige Minister, doch kein Ministerium haben. Ist übrigens einmal die Mehrheit durch die Gewalt der Umstände wieder hergestellt, so wird sie nicht gerne an ihrer Spitze Männer vermissen, deren Entfernung und Unthätigkeit sie bedauern muß. Das Cabinet vom 12 Mai, eine Geburt des Augenblicks und flüchtiger Umstände, konnte nur eine vorübergehende Erscheinung seyn. Es gab einigen Männern Gelegenheit, ihre politische Gewandtheit, ihr Rednertalent zu entwickeln. Namentlich hat sich in dieser Beziehung Hr. Villemain hervorgethan. Aber das Cabinet ist unvollständig; die Verbindung der Mitglieder ist schlecht; sie stellt die Schwächsten am deutlichsten ins Licht, und indem sie die andern zwingt, ihre eigentliche Rolle zu verlassen, bringt sie dieselben alle in eine Frankreichs und ihrer selbst wenig würdige Stellung. In der Erörterung über den Adreßentwurf ist auch Hr. Thiers als Redner aufgetreten. Sein Wort war, wie immer, glänzend, lebhaft, lichtvoll und klar. Seine Rede mußte das geringste verdunkelnde Wölkchen verjagen. Sie war keine Oppositionsrede; er hat das System gebilligt, und nur über das Verfahren der Regierung einige Bemerkungen gemacht. Die sanften und artigen Bemerkungen eines Redners, der so furchtbar seyn könnte, sind kaum so viel als Warnungen. Hr. Thiers gab öfters zu verstehen, er hätte streng seyn können. Er wollte es nicht; er hat das Cabinet amnestiirt. Man muß gerechterweise anerkennen, daß die Stellung des Hrn. Ministers des Innern, der als Minister des Auswärtigen auftrat, nicht ohne Schwierigkeit war. Hr. Thiers konnte, als einfacher Deputirter, Alles sagen, was ihm wahr, oder nur wahrscheinlich schien. Der Minister hingegen mußte um so vorsichtiger seyn, je besser er die Wahrheit, den jetzigen Stand der Unterhandlungen kannte. Der Hr. Minister hätte vielleicht sagen können: „Die englische Allianz ist nicht gefährdet; die neuen Schritte Rußlands haben keinen Erfolg gehabt; die Vorschläge des Hrn. v. Brunnow sind von neuem gescheitert. Das englische Cabinet will sich nicht von uns trennen; es wird keinem Vorschlag beitreten, außer im Einverständniß mit seinem Bundesgenossen Frankreich. Wir haben also nicht allen Credit und Einfluß in London verloren. Wir wußten die Interessen und die Würde Frankreichs zu vertheidigen, ohne ein für beide Länder gleich nützliches und ehrenvolles Bündniß zu brechen.“ Eine solche Antwort hätte man vielleicht geben können, wenn ein Minister seine officielle Sprache allen Abwechslungen des Augenblicks anpassen, und auf der Tribune von diplomatischen Thatsachen sprechen könnte, noch ehe sie dem Gebiet der Geschichte angehören. Es scheint in der That gewiß, daß Alles, was man in den letzten Tagen über den Erfolg der Sendung des Hrn. v. Brunnow sagte, glücklicherweise ungegründet war. Uebrigens versteht die Kammer in Bezug auf den Pascha von Aegypten keinen Spaß. So sehr sie auch die Befestigung des Bündnisses mit England wünscht, so gedenkt sie doch keineswegs, Aegypten unsern Nachbarn aufzuopfern. Sie ist vielmehr überzeugt, daß sie nur eine Macht zweiten Rangs seyn würde, sobald sie Rußland und England erlauben würde, den Orient nach Belieben auszubeuten, und allein sich jener ganzen Zukunft zu bemächtigen, die er für die Größe und den Wohlstand Europa's verspricht. Heutzutage ist die Macht an den Ufer des Nil und des Euphrat zu suchen. Frankreich will sie nicht für sich allein, will sie aber auch nicht andern Mächten allein lassen.“

Der National lobt den ersten Theil der Rede des Hrn. Thiers in Betreff des Systems und des Betragens des Ministeriums in der orientalischen Frage. Ueber den zweiten Theil derselben, die englische Allianz betreffend, sagt er hingegen: „Hr. Thiers mag noch so sehr das freundschaftliche Verhältniß zwischen Napoleon und Fox hervorrufen, so hat er doch vergeblich den Beweis zu führen gesucht, daß die Verirrungen unserer Demokratie oder unseres Ehrgeizes die Hauptursachen der feindlichen Gesinnung und des definitiven Siegs der brittischen Aristokratie gewesen seyen. Die Frage bleibt immer folgende: in wie weit kann Frankreich seinem politischen, industriellen oder militärischen Genius Aufschwung gestatten, ohne das Mißtrauen und die Eifersucht jener unbeugsamen Aristokratie aufzuregen, die durch das Gesetz ihrer eigenen Existenz dazu verurtheilt ist, ungerecht gegen das Menschengeschlecht, und namentlich, wie es mit cynischer Offenheit die Schule Pitt's gestanden hat, gegen Frankreich und Irland zu seyn? 1792 war Frankreich, von den europäischen Coalitionen, an deren Spitze sich England befand, genöthigt, sich aus jedem Holz Pfeile zu schaffen, um der Eroberung und der Gegenrevolution zu widerstehen. Der Kampf wurde bald so erbittert, wie der zwischen Rom und Carthago. Nach einem Vierteljahrhundert riesenhafter Kämpfe, nach dem Unglück von Leipzig überlieferten uns der Verrath Augereau's und Marmont's, die Katastrophe von Waterloo der Willkür unsers Rivalen, und man weiß, mit welch unversöhnlicher Strenge er den Sieg mißbrauchte. Hr. Thiers versichert uns, daß England jetzt den Antheil bedaure, den es an der Schwächung und Demüthigung Frankreichs genommen habe. Wenn Hr. Thiers einige englische Liberale darunter versteht, so mag er Recht haben: wir kennen ein Duzend etwa, die einer solchen vernünftigen und gerechten Anerkennung fähig wären. Die belgische Revolution, die Revolutionen Polens, Deutschlands und Italiens haben aber seit 1830 den Maaßstab jenes ganz neuen Liberalismus unserer Nachbarn gegeben. Bei aller Anerkennung, daß das dynastische Interesse der Tuilerien in Betreff Spaniens sich gegen die Verpflichtungen der Quadrupelallianz in Bezug auf England verfehlt haben mochte, müssen wir sagen, daß in der belgischen Differenz und in der orientalischen Frage England sich eine glänzende Revanche genommen hat. Belgien zerstückt und unsere Nordgränze yon neuem bloßgestellt; der Vicekönig von Aegypten mit systematischem Hasse bedroht und verfolgt, weil er der Schützling Frankreichs war; der letzte Angriff der Türken und die Schlacht von Nisib, durch die unseligen Rathschläge des englischen Botschafters zu Konstantinopel hervorgerufen; die plötzliche, stupide Geneigtheit, womit ein Theil des Londoner Cabinets den hinterlistigen Vorschlägen Rußlands beigetreten zu seyn scheint; das Betragen der Engländer in Mexico, in Buenos-Ayres und auf der Mauritiusinsel – dieß sind ganz neue Thatsachen, die beweisen, wie prekär das Wohlwollen Großbritanniens ist, und durch wie viele Opfer wir auch nur seine Neutralität in den für die Ehre und die Zukunft Frankreichs entscheidendsten Fragen erkaufen müßten.“ (Das Commerce urtheilt über Thier's Rede in gleicher Weise, wie wir morgen sehen werden.)

Der Capitän Vallée erschien am 17 Jan. vor dem Präfecturrath der Seine. Die andern Officiere, welche an der Zusammenrottung vom letzten Sonntag Theil genommen, sollen in den ersten Tagen der folgenden Woche vor dasselbe geladen werden. In dem Beschluß des Präfecturraths heißt es im Wesentlichen: „In Erwägung, daß der Capitän Vallée anerkennt,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="jArticle" n="2">
          <pb facs="#f0004" n="0180"/><lb/>
          <p>Der englische <hi rendition="#g">Globe</hi> enthält ein Schreiben aus <hi rendition="#b">Paris,</hi> worin es heißt, die russische Botschaft habe die amtliche Nachricht von der Verwerfung der Vorschläge des Hrn. v. Brunnow erhalten.</p><lb/>
          <p>Die <hi rendition="#g">Revue des deux Mondes</hi> bemerkt: &#x201E;Durch die Discussion der Antwortsadresse hat sich eine Thatsache klar herausgestellt, daß wir nämlich, wenn auch einige Minister, doch kein Ministerium haben. Ist übrigens einmal die Mehrheit durch die Gewalt der Umstände wieder hergestellt, so wird sie nicht gerne an ihrer Spitze Männer vermissen, deren Entfernung und Unthätigkeit sie bedauern muß. Das Cabinet vom 12 Mai, eine Geburt des Augenblicks und flüchtiger Umstände, konnte nur eine vorübergehende Erscheinung seyn. Es gab einigen Männern Gelegenheit, ihre politische Gewandtheit, ihr Rednertalent zu entwickeln. Namentlich hat sich in dieser Beziehung Hr. Villemain hervorgethan. Aber das Cabinet ist unvollständig; die Verbindung der Mitglieder ist schlecht; sie stellt die Schwächsten am deutlichsten ins Licht, und indem sie die andern zwingt, ihre eigentliche Rolle zu verlassen, bringt sie dieselben alle in eine Frankreichs und ihrer selbst wenig würdige Stellung. In der Erörterung über den Adreßentwurf ist auch Hr. Thiers als Redner aufgetreten. Sein Wort war, wie immer, glänzend, lebhaft, lichtvoll und klar. Seine Rede mußte das geringste verdunkelnde Wölkchen verjagen. Sie war keine Oppositionsrede; er hat das System gebilligt, und nur über das Verfahren der Regierung einige Bemerkungen gemacht. Die sanften und artigen Bemerkungen eines Redners, der so furchtbar seyn könnte, sind kaum so viel als Warnungen. Hr. Thiers gab öfters zu verstehen, er hätte streng seyn können. Er wollte es nicht; er hat das Cabinet <hi rendition="#g">amnestiirt</hi>. Man muß gerechterweise anerkennen, daß die Stellung des Hrn. Ministers des Innern, der als Minister des Auswärtigen auftrat, nicht ohne Schwierigkeit war. Hr. Thiers konnte, als einfacher Deputirter, Alles sagen, was ihm wahr, oder nur wahrscheinlich schien. Der Minister hingegen mußte um so vorsichtiger seyn, je besser er die Wahrheit, den jetzigen Stand der Unterhandlungen kannte. Der Hr. Minister hätte vielleicht sagen können: &#x201E;Die englische Allianz ist nicht gefährdet; die neuen Schritte Rußlands haben keinen Erfolg gehabt; die Vorschläge des Hrn. v. Brunnow sind von neuem gescheitert. Das englische Cabinet will sich nicht von uns trennen; es wird keinem Vorschlag beitreten, außer im Einverständniß mit seinem Bundesgenossen Frankreich. Wir haben also nicht allen Credit und Einfluß in London verloren. Wir wußten die Interessen und die Würde Frankreichs zu vertheidigen, ohne ein für beide Länder gleich nützliches und ehrenvolles Bündniß zu brechen.&#x201C; Eine solche Antwort hätte man vielleicht geben können, wenn ein Minister seine officielle Sprache allen Abwechslungen des Augenblicks anpassen, und auf der Tribune von diplomatischen Thatsachen sprechen könnte, noch ehe sie dem Gebiet der Geschichte angehören. Es scheint in der That gewiß, daß Alles, was man in den letzten Tagen über den Erfolg der Sendung des Hrn. v. Brunnow sagte, glücklicherweise ungegründet war. Uebrigens versteht die Kammer in Bezug auf den Pascha von Aegypten keinen Spaß. So sehr sie auch die Befestigung des Bündnisses mit England wünscht, so gedenkt sie doch keineswegs, Aegypten unsern Nachbarn aufzuopfern. Sie ist vielmehr überzeugt, daß sie nur eine Macht zweiten Rangs seyn würde, sobald sie Rußland und England erlauben würde, den Orient nach Belieben auszubeuten, und allein sich jener ganzen Zukunft zu bemächtigen, die er für die Größe und den Wohlstand Europa's verspricht. Heutzutage ist die Macht an den Ufer des Nil und des Euphrat zu suchen. Frankreich will sie nicht für sich allein, will sie aber auch nicht andern Mächten allein lassen.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Der <hi rendition="#g">National</hi> lobt den ersten Theil der Rede des Hrn. Thiers in Betreff des Systems und des Betragens des Ministeriums in der orientalischen Frage. Ueber den zweiten Theil derselben, die englische Allianz betreffend, sagt er hingegen: &#x201E;Hr. Thiers mag noch so sehr das freundschaftliche Verhältniß zwischen Napoleon und Fox hervorrufen, so hat er doch vergeblich den Beweis zu führen gesucht, daß die Verirrungen unserer Demokratie oder unseres Ehrgeizes die Hauptursachen der feindlichen Gesinnung und des definitiven Siegs der brittischen Aristokratie gewesen seyen. Die Frage bleibt immer folgende: in wie weit kann Frankreich seinem politischen, industriellen oder militärischen Genius Aufschwung gestatten, ohne das Mißtrauen und die Eifersucht jener unbeugsamen Aristokratie aufzuregen, die durch das Gesetz ihrer eigenen Existenz dazu verurtheilt ist, ungerecht gegen das Menschengeschlecht, und namentlich, wie es mit cynischer Offenheit die Schule Pitt's gestanden hat, gegen Frankreich und Irland zu seyn? 1792 war Frankreich, von den europäischen Coalitionen, an deren Spitze sich England befand, genöthigt, sich aus jedem Holz Pfeile zu schaffen, um der Eroberung und der Gegenrevolution zu widerstehen. Der Kampf wurde bald so erbittert, wie der zwischen Rom und Carthago. Nach einem Vierteljahrhundert riesenhafter Kämpfe, nach dem Unglück von Leipzig überlieferten uns der Verrath Augereau's und Marmont's, die Katastrophe von Waterloo der Willkür unsers Rivalen, und man weiß, mit welch unversöhnlicher Strenge er den Sieg mißbrauchte. Hr. Thiers versichert uns, daß England jetzt den Antheil bedaure, den es an der Schwächung und Demüthigung Frankreichs genommen habe. Wenn Hr. Thiers einige englische Liberale darunter versteht, so mag er Recht haben: wir kennen ein Duzend etwa, die einer solchen vernünftigen und gerechten Anerkennung fähig wären. Die belgische Revolution, die Revolutionen Polens, Deutschlands und Italiens haben aber seit 1830 den Maaßstab jenes ganz neuen Liberalismus unserer Nachbarn gegeben. Bei aller Anerkennung, daß das dynastische Interesse der Tuilerien in Betreff Spaniens sich gegen die Verpflichtungen der Quadrupelallianz in Bezug auf England verfehlt haben mochte, müssen wir sagen, daß in der belgischen Differenz und in der orientalischen Frage England sich eine glänzende Revanche genommen hat. Belgien zerstückt und unsere Nordgränze yon neuem bloßgestellt; der Vicekönig von Aegypten mit systematischem Hasse bedroht und verfolgt, weil er der Schützling Frankreichs war; der letzte Angriff der Türken und die Schlacht von Nisib, durch die unseligen Rathschläge des englischen Botschafters zu Konstantinopel hervorgerufen; die plötzliche, stupide Geneigtheit, womit ein Theil des Londoner Cabinets den hinterlistigen Vorschlägen Rußlands beigetreten zu seyn scheint; das Betragen der Engländer in Mexico, in Buenos-Ayres und auf der Mauritiusinsel &#x2013; dieß sind ganz neue Thatsachen, die beweisen, wie prekär das Wohlwollen Großbritanniens ist, und durch wie viele Opfer wir auch nur seine Neutralität in den für die Ehre und die Zukunft Frankreichs entscheidendsten Fragen erkaufen müßten.&#x201C; (Das Commerce urtheilt über Thier's Rede in gleicher Weise, wie wir morgen sehen werden.)</p><lb/>
          <p>Der Capitän Vallée erschien am 17 Jan. vor dem Präfecturrath der Seine. Die andern Officiere, welche an der Zusammenrottung vom letzten Sonntag Theil genommen, sollen in den ersten Tagen der folgenden Woche vor dasselbe geladen werden. In dem Beschluß des Präfecturraths heißt es im Wesentlichen: &#x201E;In Erwägung, daß der Capitän Vallée anerkennt,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0180/0004] Der englische Globe enthält ein Schreiben aus Paris, worin es heißt, die russische Botschaft habe die amtliche Nachricht von der Verwerfung der Vorschläge des Hrn. v. Brunnow erhalten. Die Revue des deux Mondes bemerkt: „Durch die Discussion der Antwortsadresse hat sich eine Thatsache klar herausgestellt, daß wir nämlich, wenn auch einige Minister, doch kein Ministerium haben. Ist übrigens einmal die Mehrheit durch die Gewalt der Umstände wieder hergestellt, so wird sie nicht gerne an ihrer Spitze Männer vermissen, deren Entfernung und Unthätigkeit sie bedauern muß. Das Cabinet vom 12 Mai, eine Geburt des Augenblicks und flüchtiger Umstände, konnte nur eine vorübergehende Erscheinung seyn. Es gab einigen Männern Gelegenheit, ihre politische Gewandtheit, ihr Rednertalent zu entwickeln. Namentlich hat sich in dieser Beziehung Hr. Villemain hervorgethan. Aber das Cabinet ist unvollständig; die Verbindung der Mitglieder ist schlecht; sie stellt die Schwächsten am deutlichsten ins Licht, und indem sie die andern zwingt, ihre eigentliche Rolle zu verlassen, bringt sie dieselben alle in eine Frankreichs und ihrer selbst wenig würdige Stellung. In der Erörterung über den Adreßentwurf ist auch Hr. Thiers als Redner aufgetreten. Sein Wort war, wie immer, glänzend, lebhaft, lichtvoll und klar. Seine Rede mußte das geringste verdunkelnde Wölkchen verjagen. Sie war keine Oppositionsrede; er hat das System gebilligt, und nur über das Verfahren der Regierung einige Bemerkungen gemacht. Die sanften und artigen Bemerkungen eines Redners, der so furchtbar seyn könnte, sind kaum so viel als Warnungen. Hr. Thiers gab öfters zu verstehen, er hätte streng seyn können. Er wollte es nicht; er hat das Cabinet amnestiirt. Man muß gerechterweise anerkennen, daß die Stellung des Hrn. Ministers des Innern, der als Minister des Auswärtigen auftrat, nicht ohne Schwierigkeit war. Hr. Thiers konnte, als einfacher Deputirter, Alles sagen, was ihm wahr, oder nur wahrscheinlich schien. Der Minister hingegen mußte um so vorsichtiger seyn, je besser er die Wahrheit, den jetzigen Stand der Unterhandlungen kannte. Der Hr. Minister hätte vielleicht sagen können: „Die englische Allianz ist nicht gefährdet; die neuen Schritte Rußlands haben keinen Erfolg gehabt; die Vorschläge des Hrn. v. Brunnow sind von neuem gescheitert. Das englische Cabinet will sich nicht von uns trennen; es wird keinem Vorschlag beitreten, außer im Einverständniß mit seinem Bundesgenossen Frankreich. Wir haben also nicht allen Credit und Einfluß in London verloren. Wir wußten die Interessen und die Würde Frankreichs zu vertheidigen, ohne ein für beide Länder gleich nützliches und ehrenvolles Bündniß zu brechen.“ Eine solche Antwort hätte man vielleicht geben können, wenn ein Minister seine officielle Sprache allen Abwechslungen des Augenblicks anpassen, und auf der Tribune von diplomatischen Thatsachen sprechen könnte, noch ehe sie dem Gebiet der Geschichte angehören. Es scheint in der That gewiß, daß Alles, was man in den letzten Tagen über den Erfolg der Sendung des Hrn. v. Brunnow sagte, glücklicherweise ungegründet war. Uebrigens versteht die Kammer in Bezug auf den Pascha von Aegypten keinen Spaß. So sehr sie auch die Befestigung des Bündnisses mit England wünscht, so gedenkt sie doch keineswegs, Aegypten unsern Nachbarn aufzuopfern. Sie ist vielmehr überzeugt, daß sie nur eine Macht zweiten Rangs seyn würde, sobald sie Rußland und England erlauben würde, den Orient nach Belieben auszubeuten, und allein sich jener ganzen Zukunft zu bemächtigen, die er für die Größe und den Wohlstand Europa's verspricht. Heutzutage ist die Macht an den Ufer des Nil und des Euphrat zu suchen. Frankreich will sie nicht für sich allein, will sie aber auch nicht andern Mächten allein lassen.“ Der National lobt den ersten Theil der Rede des Hrn. Thiers in Betreff des Systems und des Betragens des Ministeriums in der orientalischen Frage. Ueber den zweiten Theil derselben, die englische Allianz betreffend, sagt er hingegen: „Hr. Thiers mag noch so sehr das freundschaftliche Verhältniß zwischen Napoleon und Fox hervorrufen, so hat er doch vergeblich den Beweis zu führen gesucht, daß die Verirrungen unserer Demokratie oder unseres Ehrgeizes die Hauptursachen der feindlichen Gesinnung und des definitiven Siegs der brittischen Aristokratie gewesen seyen. Die Frage bleibt immer folgende: in wie weit kann Frankreich seinem politischen, industriellen oder militärischen Genius Aufschwung gestatten, ohne das Mißtrauen und die Eifersucht jener unbeugsamen Aristokratie aufzuregen, die durch das Gesetz ihrer eigenen Existenz dazu verurtheilt ist, ungerecht gegen das Menschengeschlecht, und namentlich, wie es mit cynischer Offenheit die Schule Pitt's gestanden hat, gegen Frankreich und Irland zu seyn? 1792 war Frankreich, von den europäischen Coalitionen, an deren Spitze sich England befand, genöthigt, sich aus jedem Holz Pfeile zu schaffen, um der Eroberung und der Gegenrevolution zu widerstehen. Der Kampf wurde bald so erbittert, wie der zwischen Rom und Carthago. Nach einem Vierteljahrhundert riesenhafter Kämpfe, nach dem Unglück von Leipzig überlieferten uns der Verrath Augereau's und Marmont's, die Katastrophe von Waterloo der Willkür unsers Rivalen, und man weiß, mit welch unversöhnlicher Strenge er den Sieg mißbrauchte. Hr. Thiers versichert uns, daß England jetzt den Antheil bedaure, den es an der Schwächung und Demüthigung Frankreichs genommen habe. Wenn Hr. Thiers einige englische Liberale darunter versteht, so mag er Recht haben: wir kennen ein Duzend etwa, die einer solchen vernünftigen und gerechten Anerkennung fähig wären. Die belgische Revolution, die Revolutionen Polens, Deutschlands und Italiens haben aber seit 1830 den Maaßstab jenes ganz neuen Liberalismus unserer Nachbarn gegeben. Bei aller Anerkennung, daß das dynastische Interesse der Tuilerien in Betreff Spaniens sich gegen die Verpflichtungen der Quadrupelallianz in Bezug auf England verfehlt haben mochte, müssen wir sagen, daß in der belgischen Differenz und in der orientalischen Frage England sich eine glänzende Revanche genommen hat. Belgien zerstückt und unsere Nordgränze yon neuem bloßgestellt; der Vicekönig von Aegypten mit systematischem Hasse bedroht und verfolgt, weil er der Schützling Frankreichs war; der letzte Angriff der Türken und die Schlacht von Nisib, durch die unseligen Rathschläge des englischen Botschafters zu Konstantinopel hervorgerufen; die plötzliche, stupide Geneigtheit, womit ein Theil des Londoner Cabinets den hinterlistigen Vorschlägen Rußlands beigetreten zu seyn scheint; das Betragen der Engländer in Mexico, in Buenos-Ayres und auf der Mauritiusinsel – dieß sind ganz neue Thatsachen, die beweisen, wie prekär das Wohlwollen Großbritanniens ist, und durch wie viele Opfer wir auch nur seine Neutralität in den für die Ehre und die Zukunft Frankreichs entscheidendsten Fragen erkaufen müßten.“ (Das Commerce urtheilt über Thier's Rede in gleicher Weise, wie wir morgen sehen werden.) Der Capitän Vallée erschien am 17 Jan. vor dem Präfecturrath der Seine. Die andern Officiere, welche an der Zusammenrottung vom letzten Sonntag Theil genommen, sollen in den ersten Tagen der folgenden Woche vor dasselbe geladen werden. In dem Beschluß des Präfecturraths heißt es im Wesentlichen: „In Erwägung, daß der Capitän Vallée anerkennt,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_023_18400123
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_023_18400123/4
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 23. Augsburg, 23. Januar 1840, S. 0180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_023_18400123/4>, abgerufen am 23.11.2024.