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Allgemeine Zeitung. Nr. 22. Augsburg, 22. Januar 1840.

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wenn sie einst den Sund und die Dardanellen beherrschen sollte, würde alle materiellen Interessen Europa's zerdrücken, gar nicht zu reden von den geistigen Folgen; die englische, wenn auch minder gefährlich, würde doch jeden kräftigern Aufschwung der Interessen des centralen Europa's und dessen einstige Erdehnung in den Orient hinein hemmen. ...

Die gestrige Verhandlung in der Deputirtenkammer ist so wichtig in Betreff Algiers, daß es die Mühe lohnt, sie ganz besonders zur Kenntniß des großen Publicums zu bringen. Bis hierher war die Erhaltung von Algier zwar aus dem Gesichtspunkte der Wahrscheinlichkeit angenommen, Jedermann hoffte, daß Frankreich seine schöne Besitzung nicht mehr aufgeben werde, schon darum nicht, damit nicht England, das neidische, sich damit bereichere. Allein Gewißheit, eine officielle, von der vereinten Staatsgewalt ausgesprochene Gewißheit hatte nie bestanden, und die heute erbaute Wahrscheinlichkeit konnte morgen einer andern Stimmung, andern Einflüssen weichen. Wer Algier kennt, wer das Colonialwesen studirt hat, weiß, daß in diesem Abgang einer Gewißheit über das zukünftige Loos der nordafrikanischen Provinz ein Haupthinderniß ihrer Cultur und ihres Gedeihens lag. Dieser Ungewißheit ist nun förmlich und unwiderruflich ein Ende gemacht. Angesichts der dreifachen Erklärung des Königs in seiner Thronrede, der Pairskammer in ihrer Adresse, und der Deputirtenkammer in der ihrigen, wer möchte noch ferner daran zweifeln, daß Nordafrika nimmermehr aus französischem Besitze gehen wird! Diese Erklärung ist um so gewichtiger, als sie vom König ausging und von den Kammern, deren Mehrheit längst diese Ansichten hegte, nur angenommen zu werden brauchte; um so gewichtiger ferner, als sie in der Gestalt, wie sie jetzt in der Kammeradresse steht, auf das ausdrückliche Verlangen des Ministers Dufaure aufgenommen ward. Diese vollständige Gewißheit, daß Algier fortan ein Land ist, "que la domination francaise ne quittera plus," verbunden mit den schon jetzt einlaufenden günstigen Nachrichten über den Krieg gegen Abd-El-Kader, werden sehr schnell der ganzen Colonie einen Aufschwung geben, der das einigermaßen harte Wort eines gestrigen Redners, daß der Ueberfall Abd-El-Kaders ein glaublicher Umstand gewesen, rechtfertigen wird.

Italien.

Florenz. Man verläßt den k. lombardischen Boden jenseits Pavia, erstaunt über die Ungebundenheit, welcher die 1600 Studirenden daselbst außerhalb der Hörsäle sich überlassen dürfen -- man verläßt ihn und wird durch die schlecht unterhaltenen piemontesischen Poststraßen fühlbar erinnert, daß eines andern Herrn Gebiet betreten worden. So geht es fort bis Genua, der Stadt, in welcher der sechste Mensch, den man sieht, in Militäruniform steckt. Hier wird dem Hafen entlang ein bedeckter Spaziergang, steinerne Arkaden, in gerader, langer Linie erbaut, im Sommer recht kühl, bei Regen ziemlich trocken, aber keine andere Aussicht gewährend als auf die schwarzen Bäuche der schmutzigen Kauffahrteischiffe. Das alte republicanische Genua, das sich so oft benachbarten und fremden Herren unterwarf, war nie so standhaft und so kräftig als Venedig, konnte daher nie so tief stürzen. Genua war und ist eine Handelsstadt wie hundert andere auf dem festen Lande, mit einem ziemlich sichern Hafen. So war es, so ist es; etwas reicher, etwas ärmer; aber ganz herabkommen konnte es nicht, und wird es auch nicht, so lange keine Nebenbuhlerin mit gleichen Interessen in der Nähe entsteht. Größere Freiheit des Handels würde in dieser Stadt gewiß mehr allgemeinen Wohlstand verbreiten; aber das scheint in so lange ein frommer Wunsch zu bleiben, als der sogenannte Freihafen auf ein elendes, schmutziges, kleines Quartier gebannt ist, und jeder von da Heraustretende durchsucht werden darf. Der Handel an der übrigen exligurischen Küste ist nicht von Bedeutung, auch in dem durch Napoleons Plan bekannter gewordenen Spezia nicht. In diesem ist wenig Verkehr, obgleich Viceconsuln verschiedener Nationen (wahrscheinlich unbesoldete) dort residiren. Die Bekanntschaft des großherzogl. toscanischen daselbst wird auf sehr unerwartete Weise gemacht. Nachdem man durch die ganze Riviera di Levante über mehrere Bergströme ohne Brücken und auf elender Fähre über die reißende, bei Nacht und angeschwollen gar nicht zu passirende Magra in das erste toscanische Städtchen Pietra Santa gekommen ist, erfreut über die bescheidene Weise der modenesischen Behörden in Massa, sendet man seinen von dem toscanischen betreffenden Geschäftsträger, auch in Genua vom Gouverneur und Polizeidirector theuer genug visirten Paß in vollkommener Gemüthsruhe auf die Polizei, erstaunt, zu den neben einander wie rivalisirende Brüder stehenden beiden Gasthöfen des Orts, statt vor die Post geführt worden zu seyn. Aber bald heißt es: man würde nicht weiter gelassen, denn der Paß sey vom toscanischen Consul in Genua nicht visirt. Vergebens ist jede Betheuerung, dessen Existenz sey nicht gekannt gewesen, hier stehe die Fertigung des großherzoglichen Geschäftsträgers, man könne doch nicht fünfzehn Posten deßhalb zurück reisen oder senden -- Alles vergebens! Aber bald wird ein Ausweg gezeigt, und gesagt: man möge eine Estaffete an den Viceconsul in Spezia schicken, der würde für zwei Franken sogleich visiren -- oder besser noch, statt der Estaffete stehe hier ein Mann, der für zwölf Franken hineilen und in achtzehn Stunden mit dem vollzogenen Visa ganz sicher zurück seyn würde, indessen möge man in einem der erwähnten Gasthöfe verweilen. Es bleibt dem Reisenden keine Wahl, und genau nach achtzehn Stunden erscheint der Paß wieder mit einem Visa, dessen Tinte lange nicht so alt zu seyn scheint. Nun aber steht dem Reisenden kein Hinderniß mehr im Wege; unbelästigt von Polizei und Douaniers durchzieht er das kleine Herzogthum Lucca, um durch Toscana's theils unglaublich bebaute Tiefen, theils ganz unfruchtbare Gelände und Höhen der schönen Hauptstadt am Arno zuzueilen. Leider, daß auf jeder Steile, die langsamer befahren werden muß, Schaaren von Bettlern lauern, so wie in der schönen Hauptstadt selbst eine Menge derselben die privilegirten Blechbüchsen entgegen halten!

Preußen.

Dem Fränkischen Courier zufolge hätte die preußische Regierung dem Caplan Michelis seine Befreiung unter der Bedingung angeboten, daß er nichts schreibe. Welch eine Abgeschmacktheit! Wie wollte man die Erfüllung solcher Bedingung sichern? Seitdem übrigens der Erzbischof v. Droste ihm geschrieben hat, daß er ihn aus seinem Verhältniß als Caplan entlasse, sich auch, wenn er eines Geistlichen bedürfe, einen ältern und ruhigern Mann dazu wählen werde, ist die Freilassung Michelis' wohl mit Recht als nahe bevorstehend angesehen worden und dürfte sich jetzt nicht lange mehr verzögern. Er hat seitdem jede Gefährlichkeit und sogar jede Art von Bedeutung verloren. Kurz vor seiner Wegführung schrieb er einem Freunde Folgendes: "Lieber A.! Noch nichts habe ich dir über den jetzigen Zustand der Dinge geschrieben, daher hier Einiges. Du weißt, daß der Hr. Erzbischof

wenn sie einst den Sund und die Dardanellen beherrschen sollte, würde alle materiellen Interessen Europa's zerdrücken, gar nicht zu reden von den geistigen Folgen; die englische, wenn auch minder gefährlich, würde doch jeden kräftigern Aufschwung der Interessen des centralen Europa's und dessen einstige Erdehnung in den Orient hinein hemmen. ...

Die gestrige Verhandlung in der Deputirtenkammer ist so wichtig in Betreff Algiers, daß es die Mühe lohnt, sie ganz besonders zur Kenntniß des großen Publicums zu bringen. Bis hierher war die Erhaltung von Algier zwar aus dem Gesichtspunkte der Wahrscheinlichkeit angenommen, Jedermann hoffte, daß Frankreich seine schöne Besitzung nicht mehr aufgeben werde, schon darum nicht, damit nicht England, das neidische, sich damit bereichere. Allein Gewißheit, eine officielle, von der vereinten Staatsgewalt ausgesprochene Gewißheit hatte nie bestanden, und die heute erbaute Wahrscheinlichkeit konnte morgen einer andern Stimmung, andern Einflüssen weichen. Wer Algier kennt, wer das Colonialwesen studirt hat, weiß, daß in diesem Abgang einer Gewißheit über das zukünftige Loos der nordafrikanischen Provinz ein Haupthinderniß ihrer Cultur und ihres Gedeihens lag. Dieser Ungewißheit ist nun förmlich und unwiderruflich ein Ende gemacht. Angesichts der dreifachen Erklärung des Königs in seiner Thronrede, der Pairskammer in ihrer Adresse, und der Deputirtenkammer in der ihrigen, wer möchte noch ferner daran zweifeln, daß Nordafrika nimmermehr aus französischem Besitze gehen wird! Diese Erklärung ist um so gewichtiger, als sie vom König ausging und von den Kammern, deren Mehrheit längst diese Ansichten hegte, nur angenommen zu werden brauchte; um so gewichtiger ferner, als sie in der Gestalt, wie sie jetzt in der Kammeradresse steht, auf das ausdrückliche Verlangen des Ministers Dufaure aufgenommen ward. Diese vollständige Gewißheit, daß Algier fortan ein Land ist, “que la domination française ne quittera plus,” verbunden mit den schon jetzt einlaufenden günstigen Nachrichten über den Krieg gegen Abd-El-Kader, werden sehr schnell der ganzen Colonie einen Aufschwung geben, der das einigermaßen harte Wort eines gestrigen Redners, daß der Ueberfall Abd-El-Kaders ein glaublicher Umstand gewesen, rechtfertigen wird.

Italien.

Florenz. Man verläßt den k. lombardischen Boden jenseits Pavia, erstaunt über die Ungebundenheit, welcher die 1600 Studirenden daselbst außerhalb der Hörsäle sich überlassen dürfen — man verläßt ihn und wird durch die schlecht unterhaltenen piemontesischen Poststraßen fühlbar erinnert, daß eines andern Herrn Gebiet betreten worden. So geht es fort bis Genua, der Stadt, in welcher der sechste Mensch, den man sieht, in Militäruniform steckt. Hier wird dem Hafen entlang ein bedeckter Spaziergang, steinerne Arkaden, in gerader, langer Linie erbaut, im Sommer recht kühl, bei Regen ziemlich trocken, aber keine andere Aussicht gewährend als auf die schwarzen Bäuche der schmutzigen Kauffahrteischiffe. Das alte republicanische Genua, das sich so oft benachbarten und fremden Herren unterwarf, war nie so standhaft und so kräftig als Venedig, konnte daher nie so tief stürzen. Genua war und ist eine Handelsstadt wie hundert andere auf dem festen Lande, mit einem ziemlich sichern Hafen. So war es, so ist es; etwas reicher, etwas ärmer; aber ganz herabkommen konnte es nicht, und wird es auch nicht, so lange keine Nebenbuhlerin mit gleichen Interessen in der Nähe entsteht. Größere Freiheit des Handels würde in dieser Stadt gewiß mehr allgemeinen Wohlstand verbreiten; aber das scheint in so lange ein frommer Wunsch zu bleiben, als der sogenannte Freihafen auf ein elendes, schmutziges, kleines Quartier gebannt ist, und jeder von da Heraustretende durchsucht werden darf. Der Handel an der übrigen exligurischen Küste ist nicht von Bedeutung, auch in dem durch Napoleons Plan bekannter gewordenen Spezia nicht. In diesem ist wenig Verkehr, obgleich Viceconsuln verschiedener Nationen (wahrscheinlich unbesoldete) dort residiren. Die Bekanntschaft des großherzogl. toscanischen daselbst wird auf sehr unerwartete Weise gemacht. Nachdem man durch die ganze Riviera di Levante über mehrere Bergströme ohne Brücken und auf elender Fähre über die reißende, bei Nacht und angeschwollen gar nicht zu passirende Magra in das erste toscanische Städtchen Pietra Santa gekommen ist, erfreut über die bescheidene Weise der modenesischen Behörden in Massa, sendet man seinen von dem toscanischen betreffenden Geschäftsträger, auch in Genua vom Gouverneur und Polizeidirector theuer genug visirten Paß in vollkommener Gemüthsruhe auf die Polizei, erstaunt, zu den neben einander wie rivalisirende Brüder stehenden beiden Gasthöfen des Orts, statt vor die Post geführt worden zu seyn. Aber bald heißt es: man würde nicht weiter gelassen, denn der Paß sey vom toscanischen Consul in Genua nicht visirt. Vergebens ist jede Betheuerung, dessen Existenz sey nicht gekannt gewesen, hier stehe die Fertigung des großherzoglichen Geschäftsträgers, man könne doch nicht fünfzehn Posten deßhalb zurück reisen oder senden — Alles vergebens! Aber bald wird ein Ausweg gezeigt, und gesagt: man möge eine Estaffete an den Viceconsul in Spezia schicken, der würde für zwei Franken sogleich visiren — oder besser noch, statt der Estaffete stehe hier ein Mann, der für zwölf Franken hineilen und in achtzehn Stunden mit dem vollzogenen Visa ganz sicher zurück seyn würde, indessen möge man in einem der erwähnten Gasthöfe verweilen. Es bleibt dem Reisenden keine Wahl, und genau nach achtzehn Stunden erscheint der Paß wieder mit einem Visa, dessen Tinte lange nicht so alt zu seyn scheint. Nun aber steht dem Reisenden kein Hinderniß mehr im Wege; unbelästigt von Polizei und Douaniers durchzieht er das kleine Herzogthum Lucca, um durch Toscana's theils unglaublich bebaute Tiefen, theils ganz unfruchtbare Gelände und Höhen der schönen Hauptstadt am Arno zuzueilen. Leider, daß auf jeder Steile, die langsamer befahren werden muß, Schaaren von Bettlern lauern, so wie in der schönen Hauptstadt selbst eine Menge derselben die privilegirten Blechbüchsen entgegen halten!

Preußen.

Dem Fränkischen Courier zufolge hätte die preußische Regierung dem Caplan Michelis seine Befreiung unter der Bedingung angeboten, daß er nichts schreibe. Welch eine Abgeschmacktheit! Wie wollte man die Erfüllung solcher Bedingung sichern? Seitdem übrigens der Erzbischof v. Droste ihm geschrieben hat, daß er ihn aus seinem Verhältniß als Caplan entlasse, sich auch, wenn er eines Geistlichen bedürfe, einen ältern und ruhigern Mann dazu wählen werde, ist die Freilassung Michelis' wohl mit Recht als nahe bevorstehend angesehen worden und dürfte sich jetzt nicht lange mehr verzögern. Er hat seitdem jede Gefährlichkeit und sogar jede Art von Bedeutung verloren. Kurz vor seiner Wegführung schrieb er einem Freunde Folgendes: “Lieber A.! Noch nichts habe ich dir über den jetzigen Zustand der Dinge geschrieben, daher hier Einiges. Du weißt, daß der Hr. Erzbischof

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[0171/0011] wenn sie einst den Sund und die Dardanellen beherrschen sollte, würde alle materiellen Interessen Europa's zerdrücken, gar nicht zu reden von den geistigen Folgen; die englische, wenn auch minder gefährlich, würde doch jeden kräftigern Aufschwung der Interessen des centralen Europa's und dessen einstige Erdehnung in den Orient hinein hemmen. ... _ Paris. 16 Jan. Die gestrige Verhandlung in der Deputirtenkammer ist so wichtig in Betreff Algiers, daß es die Mühe lohnt, sie ganz besonders zur Kenntniß des großen Publicums zu bringen. Bis hierher war die Erhaltung von Algier zwar aus dem Gesichtspunkte der Wahrscheinlichkeit angenommen, Jedermann hoffte, daß Frankreich seine schöne Besitzung nicht mehr aufgeben werde, schon darum nicht, damit nicht England, das neidische, sich damit bereichere. Allein Gewißheit, eine officielle, von der vereinten Staatsgewalt ausgesprochene Gewißheit hatte nie bestanden, und die heute erbaute Wahrscheinlichkeit konnte morgen einer andern Stimmung, andern Einflüssen weichen. Wer Algier kennt, wer das Colonialwesen studirt hat, weiß, daß in diesem Abgang einer Gewißheit über das zukünftige Loos der nordafrikanischen Provinz ein Haupthinderniß ihrer Cultur und ihres Gedeihens lag. Dieser Ungewißheit ist nun förmlich und unwiderruflich ein Ende gemacht. Angesichts der dreifachen Erklärung des Königs in seiner Thronrede, der Pairskammer in ihrer Adresse, und der Deputirtenkammer in der ihrigen, wer möchte noch ferner daran zweifeln, daß Nordafrika nimmermehr aus französischem Besitze gehen wird! Diese Erklärung ist um so gewichtiger, als sie vom König ausging und von den Kammern, deren Mehrheit längst diese Ansichten hegte, nur angenommen zu werden brauchte; um so gewichtiger ferner, als sie in der Gestalt, wie sie jetzt in der Kammeradresse steht, auf das ausdrückliche Verlangen des Ministers Dufaure aufgenommen ward. Diese vollständige Gewißheit, daß Algier fortan ein Land ist, “que la domination française ne quittera plus,” verbunden mit den schon jetzt einlaufenden günstigen Nachrichten über den Krieg gegen Abd-El-Kader, werden sehr schnell der ganzen Colonie einen Aufschwung geben, der das einigermaßen harte Wort eines gestrigen Redners, daß der Ueberfall Abd-El-Kaders ein glaublicher Umstand gewesen, rechtfertigen wird. Italien. ✠Florenz. Man verläßt den k. lombardischen Boden jenseits Pavia, erstaunt über die Ungebundenheit, welcher die 1600 Studirenden daselbst außerhalb der Hörsäle sich überlassen dürfen — man verläßt ihn und wird durch die schlecht unterhaltenen piemontesischen Poststraßen fühlbar erinnert, daß eines andern Herrn Gebiet betreten worden. So geht es fort bis Genua, der Stadt, in welcher der sechste Mensch, den man sieht, in Militäruniform steckt. Hier wird dem Hafen entlang ein bedeckter Spaziergang, steinerne Arkaden, in gerader, langer Linie erbaut, im Sommer recht kühl, bei Regen ziemlich trocken, aber keine andere Aussicht gewährend als auf die schwarzen Bäuche der schmutzigen Kauffahrteischiffe. Das alte republicanische Genua, das sich so oft benachbarten und fremden Herren unterwarf, war nie so standhaft und so kräftig als Venedig, konnte daher nie so tief stürzen. Genua war und ist eine Handelsstadt wie hundert andere auf dem festen Lande, mit einem ziemlich sichern Hafen. So war es, so ist es; etwas reicher, etwas ärmer; aber ganz herabkommen konnte es nicht, und wird es auch nicht, so lange keine Nebenbuhlerin mit gleichen Interessen in der Nähe entsteht. Größere Freiheit des Handels würde in dieser Stadt gewiß mehr allgemeinen Wohlstand verbreiten; aber das scheint in so lange ein frommer Wunsch zu bleiben, als der sogenannte Freihafen auf ein elendes, schmutziges, kleines Quartier gebannt ist, und jeder von da Heraustretende durchsucht werden darf. Der Handel an der übrigen exligurischen Küste ist nicht von Bedeutung, auch in dem durch Napoleons Plan bekannter gewordenen Spezia nicht. In diesem ist wenig Verkehr, obgleich Viceconsuln verschiedener Nationen (wahrscheinlich unbesoldete) dort residiren. Die Bekanntschaft des großherzogl. toscanischen daselbst wird auf sehr unerwartete Weise gemacht. 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Leider, daß auf jeder Steile, die langsamer befahren werden muß, Schaaren von Bettlern lauern, so wie in der schönen Hauptstadt selbst eine Menge derselben die privilegirten Blechbüchsen entgegen halten! Preußen. _ Vom Rhein, 6 Jan. Dem Fränkischen Courier zufolge hätte die preußische Regierung dem Caplan Michelis seine Befreiung unter der Bedingung angeboten, daß er nichts schreibe. Welch eine Abgeschmacktheit! Wie wollte man die Erfüllung solcher Bedingung sichern? Seitdem übrigens der Erzbischof v. Droste ihm geschrieben hat, daß er ihn aus seinem Verhältniß als Caplan entlasse, sich auch, wenn er eines Geistlichen bedürfe, einen ältern und ruhigern Mann dazu wählen werde, ist die Freilassung Michelis' wohl mit Recht als nahe bevorstehend angesehen worden und dürfte sich jetzt nicht lange mehr verzögern. Er hat seitdem jede Gefährlichkeit und sogar jede Art von Bedeutung verloren. Kurz vor seiner Wegführung schrieb er einem Freunde Folgendes: “Lieber A.! Noch nichts habe ich dir über den jetzigen Zustand der Dinge geschrieben, daher hier Einiges. Du weißt, daß der Hr. Erzbischof

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 22. Augsburg, 22. Januar 1840, S. 0171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_022_18400122/11>, abgerufen am 09.11.2024.