Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 17. Augsburg, 17. Januar 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

jede (?) dieser Mächte zu stellen hätte, und das Wie? ihrer Verwendung natürlich durch eine Uebereinkunft unter ihnen bestimmt werden, auf den Vertrag von Hunkiar Skelessi aber würde dabei so wenig reflectirt werden, als ob derselbe gar nicht vorhanden wäre. Indessen hat sich, wie wir zu glauben Grund haben, nichts ergeben, was den Gang der Unterhandlungen unterbrechen oder die Befürchtung der Post rechtfertigen könnte, daß Mehemed Ali die Rückgabe der türkischen Flotte hartnäckig verweigern, damit die Scheide wegwerfen und mit seinem Landheer gegen Konstantinopel vorrücken werde."

Frankreich.

Es war zu erwarten, daß die Verhandlungen über die Adresse in der Deputirtenkammer dießmal nur wenig Farbe, wenig Charakter, wenig allgemeines Interesse haben würden. Wäre man darauf nicht schon durch die nichtsbedeutende Zusammensetzung der Commission der Adresse und die ganze Haltung des von ihr zu Tage geförderten Entwurfs, welcher so viel sagen will und doch so wenig Charakter hat, hinlänglich vorbereitet worden, so hätte man doch gewiß aus dem Treiben unserer politischen Salons und der sich dort abspiegelnden Stimmung der Kammer im voraus abnehmen können, was geschehen werde. Noch nie, meine ich, hatte die Eröffnung einer Sitzung in dieser Hinsicht unter entmuthigenderen Auspicien stattgefunden; noch nie hat sich in den Kreisen, wo man es sonst zu suchen pflegte, weniger politisches Leben gezeigt; nirgends ist etwas Markirtes hervorgetreten; nirgends spricht man von bestimmten Planen; es werden nirgends bestimmte Hoffnungen laut - überall herrscht Lauheit, Gleichgültigkeit und sichtliche Abspannung, und die große Masse jener bewegungslosen Optimisten, welche eine ruhige Sitzung, sey es unter welcher Bedingung es wolle, als das sicherste Kriterium der Vortrefflichkeit ihres Systems politischer Glückseligkeit betrachten, gewinnt täglich mehr Terrain und macht die selbstgefälligsten Gesichter. Hiezu kommt, daß die noch ziemlich frische Erinnerung vom vorigen Jahr die Contraste zwischen Gegenwart und Vergangenheit auf eine Weise hervortreten läßt, welche nichts weniger als erfreulich ist. Vor dem Jahre gab es doch überall ein regeres Leben: man rührte sich; man hatte gewisse Zwecke und verfolgte sie je in seiner Weise, wenn auch die Triebfedern der allgemeinen Bewegung nicht gerade in den höheren Kreisen politischer Interessen, sondern vielleicht mehr in den niedern Sphären der Selbstsucht und Eitelkeit zu suchen waren. Und dieses Getreibe führte am Ende zu einer Krisis, welche, so traurig sie auch an sich seyn mochte, doch den Vortheil hatte, daß sie die Stärke der sich bekämpfenden Staatsgewalten einmal derb auf die Probe stellte. Die Kammer hat sich von der Niederlage, welche sie damals erlitten, offenbar noch nicht wieder erholt; die alten Kräfte in ihr sind abgenutzt, und ihre Wiedergeburt hat ihr noch nicht zu neuen verholfen, welche sich als die Elemente eines frischeren parlamentarischen Lebens geltend machen könnten, das eine Zukunft vor sich hätte. Es gibt in diesem Augenblick in der Kammer weder eine Opposition, noch eine Majorität: das sind die zwei wichtigen Thatsachen, welche durch die bisherigen Operationen der Kammer und bei den gestrigen Verhandlungen über die Adresse so recht ans Tagslicht getreten sind. Dieses ewige Suchen nach einer Majorität, ohne zu wissen, wo man sie eigentlich finden soll, wozu sich gestern die Minister nicht weniger wie die Redner der Opposition bekannt haben, ist einzig in seiner Art, und gehört zu den merkwürdigsten Abnormitäten des constitutionellen Lebens der Gegenwart. Man leidet gleichsam noch an den Geburtsschmerzen einer Majorität, welche schon in der letzten Sitzung zur Welt kommen sollte, welche sich nicht in der Zwischenzeit bilden konnte, und vielleicht noch nicht einmal im Laufe dieser Sitzung bestimmt hervortreten wird. Nachdem die Majorität sich am Schlusse der vorigen Sitzung noch nicht erklärt hatte, waren überhaupt nur zwei Wege möglich, auf welchen sie in der Zwischenzeit ins Leben hätte treten können: entweder durch die politische Stimmung der Nation, welche nach und nach über ihre Vertreter eine gewisse Herrschaft hätte gewinnen müssen, oder durch den Einfluß der Minister auf die Deputirten und ihre Committenten. In jenem Falle hätte sie sich selbstständiger aus dem Lande herausgebildet, und hätte folglich auch mehr moralische Garantien ihrer Dauer gehabt; in diesem hätte sie doch wenigstens den Schein eines parlamentarischen Charakters gerettet. Allein leider reducirt sich die politische Stimmung, das politische Interesse der Nation fast auf nichts; das Volk kümmert sich wenig um seine Deputirten und ihre politischen Gesinnungen, und noch weniger ist es im Stande oder liegt es ihm am Herzen, über sie eine gewisse Gewalt zu gewinnen. Und der Einfluß der Minister ist schon deßhalb vielleicht noch nie geringer und unwirksamer gewesen, als bei dem Cabinet vom 12 Mai, weil es ihm nicht hat gelingen wollen, im Lande das dazu nöthige Vertrauen zu gewinnen. Man ließ auf beiden Seiten die Dinge gehen, wie sie eben gehen wollten, und daher kommt es eben, daß man sich bei der Eröffnung dieser Sitzung noch eben so unentschieden, eben so gleichgültig gegenüber steht, wie man sich am Schlusse der letzten verlassen hat. Außerdem, daß gerade diese Stimmung der Bildung einer entschiedenen Majorität im Laufe der Sitzung nicht sehr günstig ist, dürfte ihr auch noch der Umstand entgegenstehen, daß man sich in ihr wenig mit eigentlich politischen Gesetzen zu schaffen machen wird, an welchen Majorität und Opposition ihre Kräfte stärken könnten. - Um die Opposition steht es jedenfalls noch schlimmer, als um die Majorität; denn da ist Alles in einer trostlosen Auflösung begriffen, und der Mangel hervorleuchtender Individualitäten, welche auf die Wiederherstellung einer gediegenen parlamentarischen Parteiung hinwirken könnten, macht sich hier doppelt fühlbar. Die alten Helden der Opposition in ihren verschiedenen Nuancen haben sich überlebt oder ihre moralische Kraft verloren, und die jüngere Generation hat noch keine eminenten Talente hervorgebracht; und wenn sie sie hervorgebracht hätte, so würden sie in der Lauheit der jetzigen politischen Atmosphäre kaum zu gehöriger Entwicklung gelangen können. Die wenigen Redner, welche gestern gegen den Entwurf der Adresse aufgetreten sind, haben wenig Effect gemacht. Es sind fast nur Namen, welche noch keine politische Stellung haben, und wenig für die Zukunft versprechen, weil ihnen die Mittel fehlen, eine solche zu schaffen. Der Marquis de la Grange ist zu allgemein, um wirklich zu treffen, und Hr. Desmousseux de Givre ist in den Fehler verfallen, daß er das Interesse der Kammer durch Witz und Sarkasmen für sich zu gewinnen gesucht hat. Der Witz will in der politischen Beredsamkeit mit großer Vorsicht gebraucht seyn; im Uebermaaß schadet er ihrer Würde, und kann selbst ausgezeichnete Talente zu Grunde richten. Graf Jaubert hat sich durch den Mißbrauch desselben auf der Tribune, Hr. Dupin in den politischen Salons um die höhere politische Reputation gebracht, auf welche beiden ihre Talente einen gewissen Anspruch gegeben haben. Beide sind jetzt schon in den Hintergrund getreten, und werden vielleicht bald vollends ganz verschwinden. - Die Opposition ist jetzt auch insofern schlimm daran, daß sie nicht recht weiß, woran sie sich eigentlich hängen soll. Die orientalischen Angelegenheiten sind freilich ein weites Feld, auf welchem man sich nach allen Richtungen hin herumtummeln

jede (?) dieser Mächte zu stellen hätte, und das Wie? ihrer Verwendung natürlich durch eine Uebereinkunft unter ihnen bestimmt werden, auf den Vertrag von Hunkiar Skelessi aber würde dabei so wenig reflectirt werden, als ob derselbe gar nicht vorhanden wäre. Indessen hat sich, wie wir zu glauben Grund haben, nichts ergeben, was den Gang der Unterhandlungen unterbrechen oder die Befürchtung der Post rechtfertigen könnte, daß Mehemed Ali die Rückgabe der türkischen Flotte hartnäckig verweigern, damit die Scheide wegwerfen und mit seinem Landheer gegen Konstantinopel vorrücken werde.“

Frankreich.

Es war zu erwarten, daß die Verhandlungen über die Adresse in der Deputirtenkammer dießmal nur wenig Farbe, wenig Charakter, wenig allgemeines Interesse haben würden. Wäre man darauf nicht schon durch die nichtsbedeutende Zusammensetzung der Commission der Adresse und die ganze Haltung des von ihr zu Tage geförderten Entwurfs, welcher so viel sagen will und doch so wenig Charakter hat, hinlänglich vorbereitet worden, so hätte man doch gewiß aus dem Treiben unserer politischen Salons und der sich dort abspiegelnden Stimmung der Kammer im voraus abnehmen können, was geschehen werde. Noch nie, meine ich, hatte die Eröffnung einer Sitzung in dieser Hinsicht unter entmuthigenderen Auspicien stattgefunden; noch nie hat sich in den Kreisen, wo man es sonst zu suchen pflegte, weniger politisches Leben gezeigt; nirgends ist etwas Markirtes hervorgetreten; nirgends spricht man von bestimmten Planen; es werden nirgends bestimmte Hoffnungen laut – überall herrscht Lauheit, Gleichgültigkeit und sichtliche Abspannung, und die große Masse jener bewegungslosen Optimisten, welche eine ruhige Sitzung, sey es unter welcher Bedingung es wolle, als das sicherste Kriterium der Vortrefflichkeit ihres Systems politischer Glückseligkeit betrachten, gewinnt täglich mehr Terrain und macht die selbstgefälligsten Gesichter. Hiezu kommt, daß die noch ziemlich frische Erinnerung vom vorigen Jahr die Contraste zwischen Gegenwart und Vergangenheit auf eine Weise hervortreten läßt, welche nichts weniger als erfreulich ist. Vor dem Jahre gab es doch überall ein regeres Leben: man rührte sich; man hatte gewisse Zwecke und verfolgte sie je in seiner Weise, wenn auch die Triebfedern der allgemeinen Bewegung nicht gerade in den höheren Kreisen politischer Interessen, sondern vielleicht mehr in den niedern Sphären der Selbstsucht und Eitelkeit zu suchen waren. Und dieses Getreibe führte am Ende zu einer Krisis, welche, so traurig sie auch an sich seyn mochte, doch den Vortheil hatte, daß sie die Stärke der sich bekämpfenden Staatsgewalten einmal derb auf die Probe stellte. Die Kammer hat sich von der Niederlage, welche sie damals erlitten, offenbar noch nicht wieder erholt; die alten Kräfte in ihr sind abgenutzt, und ihre Wiedergeburt hat ihr noch nicht zu neuen verholfen, welche sich als die Elemente eines frischeren parlamentarischen Lebens geltend machen könnten, das eine Zukunft vor sich hätte. Es gibt in diesem Augenblick in der Kammer weder eine Opposition, noch eine Majorität: das sind die zwei wichtigen Thatsachen, welche durch die bisherigen Operationen der Kammer und bei den gestrigen Verhandlungen über die Adresse so recht ans Tagslicht getreten sind. Dieses ewige Suchen nach einer Majorität, ohne zu wissen, wo man sie eigentlich finden soll, wozu sich gestern die Minister nicht weniger wie die Redner der Opposition bekannt haben, ist einzig in seiner Art, und gehört zu den merkwürdigsten Abnormitäten des constitutionellen Lebens der Gegenwart. Man leidet gleichsam noch an den Geburtsschmerzen einer Majorität, welche schon in der letzten Sitzung zur Welt kommen sollte, welche sich nicht in der Zwischenzeit bilden konnte, und vielleicht noch nicht einmal im Laufe dieser Sitzung bestimmt hervortreten wird. Nachdem die Majorität sich am Schlusse der vorigen Sitzung noch nicht erklärt hatte, waren überhaupt nur zwei Wege möglich, auf welchen sie in der Zwischenzeit ins Leben hätte treten können: entweder durch die politische Stimmung der Nation, welche nach und nach über ihre Vertreter eine gewisse Herrschaft hätte gewinnen müssen, oder durch den Einfluß der Minister auf die Deputirten und ihre Committenten. In jenem Falle hätte sie sich selbstständiger aus dem Lande herausgebildet, und hätte folglich auch mehr moralische Garantien ihrer Dauer gehabt; in diesem hätte sie doch wenigstens den Schein eines parlamentarischen Charakters gerettet. Allein leider reducirt sich die politische Stimmung, das politische Interesse der Nation fast auf nichts; das Volk kümmert sich wenig um seine Deputirten und ihre politischen Gesinnungen, und noch weniger ist es im Stande oder liegt es ihm am Herzen, über sie eine gewisse Gewalt zu gewinnen. Und der Einfluß der Minister ist schon deßhalb vielleicht noch nie geringer und unwirksamer gewesen, als bei dem Cabinet vom 12 Mai, weil es ihm nicht hat gelingen wollen, im Lande das dazu nöthige Vertrauen zu gewinnen. Man ließ auf beiden Seiten die Dinge gehen, wie sie eben gehen wollten, und daher kommt es eben, daß man sich bei der Eröffnung dieser Sitzung noch eben so unentschieden, eben so gleichgültig gegenüber steht, wie man sich am Schlusse der letzten verlassen hat. Außerdem, daß gerade diese Stimmung der Bildung einer entschiedenen Majorität im Laufe der Sitzung nicht sehr günstig ist, dürfte ihr auch noch der Umstand entgegenstehen, daß man sich in ihr wenig mit eigentlich politischen Gesetzen zu schaffen machen wird, an welchen Majorität und Opposition ihre Kräfte stärken könnten. – Um die Opposition steht es jedenfalls noch schlimmer, als um die Majorität; denn da ist Alles in einer trostlosen Auflösung begriffen, und der Mangel hervorleuchtender Individualitäten, welche auf die Wiederherstellung einer gediegenen parlamentarischen Parteiung hinwirken könnten, macht sich hier doppelt fühlbar. Die alten Helden der Opposition in ihren verschiedenen Nuancen haben sich überlebt oder ihre moralische Kraft verloren, und die jüngere Generation hat noch keine eminenten Talente hervorgebracht; und wenn sie sie hervorgebracht hätte, so würden sie in der Lauheit der jetzigen politischen Atmosphäre kaum zu gehöriger Entwicklung gelangen können. Die wenigen Redner, welche gestern gegen den Entwurf der Adresse aufgetreten sind, haben wenig Effect gemacht. Es sind fast nur Namen, welche noch keine politische Stellung haben, und wenig für die Zukunft versprechen, weil ihnen die Mittel fehlen, eine solche zu schaffen. Der Marquis de la Grange ist zu allgemein, um wirklich zu treffen, und Hr. Desmousseux de Givré ist in den Fehler verfallen, daß er das Interesse der Kammer durch Witz und Sarkasmen für sich zu gewinnen gesucht hat. Der Witz will in der politischen Beredsamkeit mit großer Vorsicht gebraucht seyn; im Uebermaaß schadet er ihrer Würde, und kann selbst ausgezeichnete Talente zu Grunde richten. Graf Jaubert hat sich durch den Mißbrauch desselben auf der Tribune, Hr. Dupin in den politischen Salons um die höhere politische Reputation gebracht, auf welche beiden ihre Talente einen gewissen Anspruch gegeben haben. Beide sind jetzt schon in den Hintergrund getreten, und werden vielleicht bald vollends ganz verschwinden. – Die Opposition ist jetzt auch insofern schlimm daran, daß sie nicht recht weiß, woran sie sich eigentlich hängen soll. Die orientalischen Angelegenheiten sind freilich ein weites Feld, auf welchem man sich nach allen Richtungen hin herumtummeln

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0011" n="0131"/>
jede (?) dieser Mächte zu stellen hätte, und das Wie? ihrer Verwendung natürlich durch eine Uebereinkunft unter ihnen bestimmt werden, auf den Vertrag von Hunkiar Skelessi aber würde dabei so wenig reflectirt werden, als ob derselbe gar nicht vorhanden wäre. Indessen hat sich, wie wir zu glauben Grund haben, nichts ergeben, was den Gang der Unterhandlungen unterbrechen oder die Befürchtung der Post rechtfertigen könnte, daß Mehemed Ali die Rückgabe der türkischen Flotte hartnäckig verweigern, damit die Scheide wegwerfen und mit seinem Landheer gegen Konstantinopel vorrücken werde.&#x201C;</p><lb/>
      </div>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Frankreich.</hi> </head><lb/>
        <div type="jArticle" n="2">
          <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 10 Jan.</dateline>
          <p> Es war zu erwarten, daß die Verhandlungen über die Adresse in der Deputirtenkammer dießmal nur wenig Farbe, wenig Charakter, wenig allgemeines Interesse haben würden. Wäre man darauf nicht schon durch die nichtsbedeutende Zusammensetzung der Commission der Adresse und die ganze Haltung des von ihr zu Tage geförderten Entwurfs, welcher so viel sagen will und doch so wenig Charakter hat, hinlänglich vorbereitet worden, so hätte man doch gewiß aus dem Treiben unserer politischen Salons und der sich dort abspiegelnden Stimmung der Kammer im voraus abnehmen können, was geschehen werde. Noch nie, meine ich, hatte die Eröffnung einer Sitzung in dieser Hinsicht unter entmuthigenderen Auspicien stattgefunden; noch nie hat sich in den Kreisen, wo man es sonst zu suchen pflegte, weniger politisches Leben gezeigt; nirgends ist etwas Markirtes hervorgetreten; nirgends spricht man von bestimmten Planen; es werden nirgends bestimmte Hoffnungen laut &#x2013; überall herrscht Lauheit, Gleichgültigkeit und sichtliche Abspannung, und die große Masse jener bewegungslosen Optimisten, welche eine ruhige Sitzung, sey es unter welcher Bedingung es wolle, als das sicherste Kriterium der Vortrefflichkeit ihres Systems politischer Glückseligkeit betrachten, gewinnt täglich mehr Terrain und macht die selbstgefälligsten Gesichter. Hiezu kommt, daß die noch ziemlich frische Erinnerung vom vorigen Jahr die Contraste zwischen Gegenwart und Vergangenheit auf eine Weise hervortreten läßt, welche nichts weniger als erfreulich ist. Vor dem Jahre gab es doch überall ein regeres Leben: man rührte sich; man hatte gewisse Zwecke und verfolgte sie je in seiner Weise, wenn auch die Triebfedern der allgemeinen Bewegung nicht gerade in den höheren Kreisen politischer Interessen, sondern vielleicht mehr in den niedern Sphären der Selbstsucht und Eitelkeit zu suchen waren. Und dieses Getreibe führte am Ende zu einer Krisis, welche, so traurig sie auch an sich seyn mochte, doch den Vortheil hatte, daß sie die Stärke der sich bekämpfenden Staatsgewalten einmal derb auf die Probe stellte. Die Kammer hat sich von der Niederlage, welche sie damals erlitten, offenbar noch nicht wieder erholt; die alten Kräfte in ihr sind abgenutzt, und ihre Wiedergeburt hat ihr noch nicht zu neuen verholfen, welche sich als die Elemente eines frischeren parlamentarischen Lebens geltend machen könnten, das eine Zukunft vor sich hätte. Es gibt in diesem Augenblick in der Kammer weder eine Opposition, noch eine Majorität: das sind die zwei wichtigen Thatsachen, welche durch die bisherigen Operationen der Kammer und bei den gestrigen Verhandlungen über die Adresse so recht ans Tagslicht getreten sind. Dieses ewige Suchen nach einer Majorität, ohne zu wissen, wo man sie eigentlich finden soll, wozu sich gestern die Minister nicht weniger wie die Redner der Opposition bekannt haben, ist einzig in seiner Art, und gehört zu den merkwürdigsten Abnormitäten des constitutionellen Lebens der Gegenwart. Man leidet gleichsam noch an den Geburtsschmerzen einer Majorität, welche schon in der letzten Sitzung zur Welt kommen sollte, welche sich nicht in der Zwischenzeit bilden konnte, und vielleicht noch nicht einmal im Laufe dieser Sitzung bestimmt hervortreten wird. Nachdem die Majorität sich am Schlusse der vorigen Sitzung noch nicht erklärt hatte, waren überhaupt nur zwei Wege möglich, auf welchen sie in der Zwischenzeit ins Leben hätte treten können: entweder durch die politische Stimmung der Nation, welche nach und nach über ihre Vertreter eine gewisse Herrschaft hätte gewinnen müssen, oder durch den Einfluß der Minister auf die Deputirten und ihre Committenten. In jenem Falle hätte sie sich selbstständiger aus dem Lande herausgebildet, und hätte folglich auch mehr moralische Garantien ihrer Dauer gehabt; in diesem hätte sie doch wenigstens den Schein eines parlamentarischen Charakters gerettet. Allein leider reducirt sich die politische Stimmung, das politische Interesse der Nation fast auf nichts; das Volk kümmert sich wenig um seine Deputirten und ihre politischen Gesinnungen, und noch weniger ist es im Stande oder liegt es ihm am Herzen, über sie eine gewisse Gewalt zu gewinnen. Und der Einfluß der Minister ist schon deßhalb vielleicht noch nie geringer und unwirksamer gewesen, als bei dem Cabinet vom 12 Mai, weil es ihm nicht hat gelingen wollen, im Lande das dazu nöthige Vertrauen zu gewinnen. Man ließ auf beiden Seiten die Dinge gehen, wie sie eben gehen wollten, und daher kommt es eben, daß man sich bei der Eröffnung dieser Sitzung noch eben so unentschieden, eben so gleichgültig gegenüber steht, wie man sich am Schlusse der letzten verlassen hat. Außerdem, daß gerade diese Stimmung der Bildung einer entschiedenen Majorität im Laufe der Sitzung nicht sehr günstig ist, dürfte ihr auch noch der Umstand entgegenstehen, daß man sich in ihr wenig mit eigentlich politischen Gesetzen zu schaffen machen wird, an welchen Majorität und Opposition ihre Kräfte stärken könnten. &#x2013; Um die Opposition steht es jedenfalls noch schlimmer, als um die Majorität; denn da ist Alles in einer trostlosen Auflösung begriffen, und der Mangel hervorleuchtender Individualitäten, welche auf die Wiederherstellung einer gediegenen parlamentarischen Parteiung hinwirken könnten, macht sich hier doppelt fühlbar. Die alten Helden der Opposition in ihren verschiedenen Nuancen haben sich überlebt oder ihre moralische Kraft verloren, und die jüngere Generation hat noch keine eminenten Talente hervorgebracht; und wenn sie sie hervorgebracht hätte, so würden sie in der Lauheit der jetzigen politischen Atmosphäre kaum zu gehöriger Entwicklung gelangen können. Die wenigen Redner, welche gestern gegen den Entwurf der Adresse aufgetreten sind, haben wenig Effect gemacht. Es sind fast nur Namen, welche noch keine politische Stellung haben, und wenig für die Zukunft versprechen, weil ihnen die Mittel fehlen, eine solche zu schaffen. Der Marquis de la Grange ist zu allgemein, um wirklich zu treffen, und Hr. Desmousseux de Givré ist in den Fehler verfallen, daß er das Interesse der Kammer durch Witz und Sarkasmen für sich zu gewinnen gesucht hat. Der Witz will in der politischen Beredsamkeit mit großer Vorsicht gebraucht seyn; im Uebermaaß schadet er ihrer Würde, und kann selbst ausgezeichnete Talente zu Grunde richten. Graf Jaubert hat sich durch den Mißbrauch desselben auf der Tribune, Hr. Dupin in den politischen Salons um die höhere politische Reputation gebracht, auf welche beiden ihre Talente einen gewissen Anspruch gegeben haben. Beide sind jetzt schon in den Hintergrund getreten, und werden vielleicht bald vollends ganz verschwinden. &#x2013; Die Opposition ist jetzt auch insofern schlimm daran, daß sie nicht recht weiß, woran sie sich eigentlich hängen soll. Die orientalischen Angelegenheiten sind freilich ein weites Feld, auf welchem man sich nach allen Richtungen hin herumtummeln<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0131/0011] jede (?) dieser Mächte zu stellen hätte, und das Wie? ihrer Verwendung natürlich durch eine Uebereinkunft unter ihnen bestimmt werden, auf den Vertrag von Hunkiar Skelessi aber würde dabei so wenig reflectirt werden, als ob derselbe gar nicht vorhanden wäre. Indessen hat sich, wie wir zu glauben Grund haben, nichts ergeben, was den Gang der Unterhandlungen unterbrechen oder die Befürchtung der Post rechtfertigen könnte, daß Mehemed Ali die Rückgabe der türkischen Flotte hartnäckig verweigern, damit die Scheide wegwerfen und mit seinem Landheer gegen Konstantinopel vorrücken werde.“ Frankreich. Paris, 10 Jan. Es war zu erwarten, daß die Verhandlungen über die Adresse in der Deputirtenkammer dießmal nur wenig Farbe, wenig Charakter, wenig allgemeines Interesse haben würden. Wäre man darauf nicht schon durch die nichtsbedeutende Zusammensetzung der Commission der Adresse und die ganze Haltung des von ihr zu Tage geförderten Entwurfs, welcher so viel sagen will und doch so wenig Charakter hat, hinlänglich vorbereitet worden, so hätte man doch gewiß aus dem Treiben unserer politischen Salons und der sich dort abspiegelnden Stimmung der Kammer im voraus abnehmen können, was geschehen werde. Noch nie, meine ich, hatte die Eröffnung einer Sitzung in dieser Hinsicht unter entmuthigenderen Auspicien stattgefunden; noch nie hat sich in den Kreisen, wo man es sonst zu suchen pflegte, weniger politisches Leben gezeigt; nirgends ist etwas Markirtes hervorgetreten; nirgends spricht man von bestimmten Planen; es werden nirgends bestimmte Hoffnungen laut – überall herrscht Lauheit, Gleichgültigkeit und sichtliche Abspannung, und die große Masse jener bewegungslosen Optimisten, welche eine ruhige Sitzung, sey es unter welcher Bedingung es wolle, als das sicherste Kriterium der Vortrefflichkeit ihres Systems politischer Glückseligkeit betrachten, gewinnt täglich mehr Terrain und macht die selbstgefälligsten Gesichter. Hiezu kommt, daß die noch ziemlich frische Erinnerung vom vorigen Jahr die Contraste zwischen Gegenwart und Vergangenheit auf eine Weise hervortreten läßt, welche nichts weniger als erfreulich ist. Vor dem Jahre gab es doch überall ein regeres Leben: man rührte sich; man hatte gewisse Zwecke und verfolgte sie je in seiner Weise, wenn auch die Triebfedern der allgemeinen Bewegung nicht gerade in den höheren Kreisen politischer Interessen, sondern vielleicht mehr in den niedern Sphären der Selbstsucht und Eitelkeit zu suchen waren. Und dieses Getreibe führte am Ende zu einer Krisis, welche, so traurig sie auch an sich seyn mochte, doch den Vortheil hatte, daß sie die Stärke der sich bekämpfenden Staatsgewalten einmal derb auf die Probe stellte. Die Kammer hat sich von der Niederlage, welche sie damals erlitten, offenbar noch nicht wieder erholt; die alten Kräfte in ihr sind abgenutzt, und ihre Wiedergeburt hat ihr noch nicht zu neuen verholfen, welche sich als die Elemente eines frischeren parlamentarischen Lebens geltend machen könnten, das eine Zukunft vor sich hätte. Es gibt in diesem Augenblick in der Kammer weder eine Opposition, noch eine Majorität: das sind die zwei wichtigen Thatsachen, welche durch die bisherigen Operationen der Kammer und bei den gestrigen Verhandlungen über die Adresse so recht ans Tagslicht getreten sind. Dieses ewige Suchen nach einer Majorität, ohne zu wissen, wo man sie eigentlich finden soll, wozu sich gestern die Minister nicht weniger wie die Redner der Opposition bekannt haben, ist einzig in seiner Art, und gehört zu den merkwürdigsten Abnormitäten des constitutionellen Lebens der Gegenwart. Man leidet gleichsam noch an den Geburtsschmerzen einer Majorität, welche schon in der letzten Sitzung zur Welt kommen sollte, welche sich nicht in der Zwischenzeit bilden konnte, und vielleicht noch nicht einmal im Laufe dieser Sitzung bestimmt hervortreten wird. Nachdem die Majorität sich am Schlusse der vorigen Sitzung noch nicht erklärt hatte, waren überhaupt nur zwei Wege möglich, auf welchen sie in der Zwischenzeit ins Leben hätte treten können: entweder durch die politische Stimmung der Nation, welche nach und nach über ihre Vertreter eine gewisse Herrschaft hätte gewinnen müssen, oder durch den Einfluß der Minister auf die Deputirten und ihre Committenten. In jenem Falle hätte sie sich selbstständiger aus dem Lande herausgebildet, und hätte folglich auch mehr moralische Garantien ihrer Dauer gehabt; in diesem hätte sie doch wenigstens den Schein eines parlamentarischen Charakters gerettet. Allein leider reducirt sich die politische Stimmung, das politische Interesse der Nation fast auf nichts; das Volk kümmert sich wenig um seine Deputirten und ihre politischen Gesinnungen, und noch weniger ist es im Stande oder liegt es ihm am Herzen, über sie eine gewisse Gewalt zu gewinnen. Und der Einfluß der Minister ist schon deßhalb vielleicht noch nie geringer und unwirksamer gewesen, als bei dem Cabinet vom 12 Mai, weil es ihm nicht hat gelingen wollen, im Lande das dazu nöthige Vertrauen zu gewinnen. Man ließ auf beiden Seiten die Dinge gehen, wie sie eben gehen wollten, und daher kommt es eben, daß man sich bei der Eröffnung dieser Sitzung noch eben so unentschieden, eben so gleichgültig gegenüber steht, wie man sich am Schlusse der letzten verlassen hat. Außerdem, daß gerade diese Stimmung der Bildung einer entschiedenen Majorität im Laufe der Sitzung nicht sehr günstig ist, dürfte ihr auch noch der Umstand entgegenstehen, daß man sich in ihr wenig mit eigentlich politischen Gesetzen zu schaffen machen wird, an welchen Majorität und Opposition ihre Kräfte stärken könnten. – Um die Opposition steht es jedenfalls noch schlimmer, als um die Majorität; denn da ist Alles in einer trostlosen Auflösung begriffen, und der Mangel hervorleuchtender Individualitäten, welche auf die Wiederherstellung einer gediegenen parlamentarischen Parteiung hinwirken könnten, macht sich hier doppelt fühlbar. Die alten Helden der Opposition in ihren verschiedenen Nuancen haben sich überlebt oder ihre moralische Kraft verloren, und die jüngere Generation hat noch keine eminenten Talente hervorgebracht; und wenn sie sie hervorgebracht hätte, so würden sie in der Lauheit der jetzigen politischen Atmosphäre kaum zu gehöriger Entwicklung gelangen können. Die wenigen Redner, welche gestern gegen den Entwurf der Adresse aufgetreten sind, haben wenig Effect gemacht. Es sind fast nur Namen, welche noch keine politische Stellung haben, und wenig für die Zukunft versprechen, weil ihnen die Mittel fehlen, eine solche zu schaffen. Der Marquis de la Grange ist zu allgemein, um wirklich zu treffen, und Hr. Desmousseux de Givré ist in den Fehler verfallen, daß er das Interesse der Kammer durch Witz und Sarkasmen für sich zu gewinnen gesucht hat. Der Witz will in der politischen Beredsamkeit mit großer Vorsicht gebraucht seyn; im Uebermaaß schadet er ihrer Würde, und kann selbst ausgezeichnete Talente zu Grunde richten. Graf Jaubert hat sich durch den Mißbrauch desselben auf der Tribune, Hr. Dupin in den politischen Salons um die höhere politische Reputation gebracht, auf welche beiden ihre Talente einen gewissen Anspruch gegeben haben. Beide sind jetzt schon in den Hintergrund getreten, und werden vielleicht bald vollends ganz verschwinden. – Die Opposition ist jetzt auch insofern schlimm daran, daß sie nicht recht weiß, woran sie sich eigentlich hängen soll. Die orientalischen Angelegenheiten sind freilich ein weites Feld, auf welchem man sich nach allen Richtungen hin herumtummeln

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_017_18400117
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_017_18400117/11
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 17. Augsburg, 17. Januar 1840, S. 0131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_017_18400117/11>, abgerufen am 28.04.2024.