Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 15. Augsburg, 15. Januar 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

werde. - Reductionen aller Art und Ersparungen sind in voller Arbeit; namentlich gehen diese jetzt auf eine durchgreifende Beschränkung des so unverhältnißmäßig kostbaren Hofetats aus. Dem Vernehmen nach soll der sogenannte Küchenetat ganz abgeschafft und der große Stalletat bedeutend eingeschränkt werden. (Hamb. C.)

Der Orient und die europäischen Mächte.

Die Sendung des Hrn. v. Brunnow nach London, und die bekannten Vorschläge, die derselbe dem Londoner Cabinet gemacht haben soll, geben zu verschiedenen Commentarien Anlaß, und man ist endlich so weit gegangen, einen Vertrag zwischen England, Rußland, Oesterreich und Preußen als schon fertig anzukündigen. Die wirkliche oder angebliche Veranlassung zu diesem bis jetzt noch mehr als problematischen Vertrage *)*) soll die Haltung Frankreichs seyn, das freilich einerseits durch die hinterlistige Art, wie es seit dem Beginn des Kriegs zwischen der Türkei und Aegypten verfuhr, andrerseits durch seine dictatorische Schiedsrichterstellung Unwillen genug gegen sich rege machte, um seine jetzige Isolirung in der orientalischen Angelegenheit zu erklären. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die Idee zu einem solchen Vertrage von Rußland ausging, und daß Hr. v. Brunnow denselben während seines zweimaligen Aufenthalts in London unterhandeln sollte, denn Rußland allein könnte von einem solchen Vertrag einen angemessenen Vortheil erringen; England aber wird sich vielleicht erinnern, daß jedesmal, wenn es mit Rußland temporär sich zu einem besondern Zweck vereinigte, wie bei Navarin und einigen ähnlichen Gelegenheiten, der Schaden am Ende nur auf seiner Seite war, und daß es dießmal über etwas mehr als ein untoward event zu klagen haben würde.

Doch zur Sache. Frankreichs Bündniß mit Mehemed Ali ist seit geraumer Zeit kein Geheimniß mehr: es hat den Uebergang der Flotte begünstigt, wo nicht gar veranlaßt; es hat durch sein Hinhalten Mehemed Ali Zeit verschafft, seine Stellung zu befestigen, und hat ihn endlich, wie manche Umstände mit großer Wahrscheinlichkeit vermuthen lassen, mit Geld unterstützt, um sie behaupten zu können. Es ist kein Zweifel, daß Frankreich dieß nur in seinem eigenen Interesse that, sey es nun mit einer Aussicht auf künftige Erwerbung Aegyptens oder bloß in der Absicht, sich Mehemed Ali's als Bundesgenossen gegen die Engländer im Mittelmeer zu versichern. So lange Frankreich dabei stehen blieb, handelte es mittelbar im Interesse Rußlands; aber die Zeit kam, wo es gegen Rußlands wie gegen Englands Interesse handelte, indem es folgerecht auch Mehemed Ali's Umsichgreifen in Kurdistan gutheißen mußte - da wurden England von Seite Rußlands Eröffnungen und wirkliche oder angebliche Concessionen gemacht.

Wenn man das Benehmen Frankreichs selbstsüchtig und anmaßend findet, so kann man doch auf der andern Seite nicht verkennen, daß sein System allein die Türkei zu halten vermöchte, während die entgegengesetzte Bahn sie unwiderbringlich vernichten muß. Wenn die Plane Frankreichs in Bezug auf Europa Widerstand gegen sich hervorrufen müssen, so sollte man sich dadurch nicht verblenden lassen, gegen seine Politik in Asien mit gleichem Eifer anzukämpfen. - Was Asien betrifft, so kommen natürlich nicht Oesterreich und Preußen, sondern nur England und Rußland in Betracht; aus welchen Motiven handeln diese? Dieß ist die Frage. England hat seit drei Jahren Mehemed Ali mit einer Art von fanatischem Hasse verfolgt; seit Rußland vermittelst Persien sich in den Besitz von Herat setzen wollte, wurde für England der Weg über Aegypten nach Indien zur Nothwendigkeit. Mehemed Ali machte Schwierigkeiten, seine Unternehmungen in Arabien und seine Plane gegen Abyssinien flößten der selbstsüchtigen, harten Krämerpolitik Englands Besorgnisse ein; es wollte nicht mit Mehemed Ali als mit einer Macht unterhandeln, und wandte sich kurzweg an die Türkei, um unter dem Deckmantel des Sultans die Macht Mehemed Ali's ohne Mühe zu brechen. Der Streich mißlang, die Türkei unterlag, und da sich jetzt unter dem Beistand Rußlands eine Gelegenheit bietet, um die unbequeme Macht Mehemeds doch noch zu unterdrücken und zu beseitigen, so, hofft man, werde England diese ohne weiteres, ohne auf die Folgen und auf die Umstände zu achten, unter denen Rußland dazu seine Hand bietet, ergreifen. Rußland widersetzt sich einer größern selbstständigen Herrschaft Mehemed Ali's, weil eine Macht, die sich auf den Taurus, das rothe Meer und den persischen Golf stützt, von Europa anerkannt und von einer europäischen Macht geleitet wäre, den Operationen Rußlands gegen die Tscherkessen und in Persien, so wie seinem weitern Vorschreiten in der Türkei wesentliche Hindernisse entgegensetzen würde. Rußland könnte seinen alten moslemitischen Feind auf einem andern, diesem weit günstigern Schlachtfeld wieder finden; es weiß vollkommen, daß, wenn Mehemed Ali stirbt, ohne sein Werk vollendet zu haben, Syrien wieder durch die unaufhörlichen Einfälle der verschiedenen Araberstämme in dieselbe Anarchie, wie Mesopotamien und die andern Provinzen, zurücksänke, und in der Anarchie dieser Länder liegt Rußlands Aussicht auf Erfolg. Hinterläßt aber Mehemed Ali seinem Sohn eine anerkannte, erbliche Herrschaft, so wird dieß arabische Reich, wenn auch unter türkischen Herrschern, mit jedem Jahr eine größere Stärke entfalten. Rußland weiß, daß hierin der Keim einer türkischen Regeneration liegt, da kein Reich ganz todt ist, so lange noch irgendwo ein Keim unabhängiger Macht Schößlinge treiben kann. Der Geist der Türkei ist moslemitisch und arabisch, nicht national-türkisch, und behauptet sich eine arabische Macht in irgend einem Theile der Türkei, so ist diese noch nicht todt, und kann, wenn auch nicht ganz sich Rußlands erwehren, doch alle seine Schritte hemmen. Der Thron der Ottomanen kann sinken, die Provinzen des ehemaligen griechischen Reichs können wieder an einen christlichen Monarchen fallen, so lange aber die arabisch redenden Völker unter einem unabhängigen, moslemitischen und noch dazu türkischen Monarchen stehen, so lange gibt es auch noch eine Türkei. Man kann kaum sagen, daß Kleinasien und Rumelien je ein Reich gebildet haben, sie glichen mehr den Eroberungen einer darin lagernden Kriegsmacht. Die wahre Stärke des Reichs, das religiöse Band desselben, lag jenseits des Taurus. Dieß Land war zerbröckelt, in sich zerrissen, blieb aber stets moslemitisch und arabisch, und endlich fand sich eine kraftvolle Hand, welche die einzelnen Theile verband. Dieß war Mehemed Ali. Rußland bediente sich seiner, um die Türkei zu schwächen, und nun dieser Zweck erreicht ist, will es ihn in seine alte Unbedeutendheit zurückstoßen.

Aus dieser Ansicht der Dinge fließen eine Menge Folgerungen ganz ungezwungen. Man ersieht hieraus, warum Rußland die Erklärung, daß die Pforte unter dem Schutz der fünf Mächte stehe, betrieb und unterzeichnete; diese Erklärung vernichtete die moralische Kraft der türkischen Moslems. Damit aber, was der türkische Sultan verliert, nicht Mehemed Ali zu Gute komme, soll dieser jetzt, angeblich um das Wort der Mächte, welche der Pforte Schutz versprachen, zu lösen, auf Aegypten und Palästina beschränkt werden, und selbst St. Jean

*) Wir verweisen in dieser Beziehung auf die in der heutigen Zeitung unter der Rubrik Türkei gelieferten Briefe aus London, Wien und Paris.

werde. – Reductionen aller Art und Ersparungen sind in voller Arbeit; namentlich gehen diese jetzt auf eine durchgreifende Beschränkung des so unverhältnißmäßig kostbaren Hofetats aus. Dem Vernehmen nach soll der sogenannte Küchenetat ganz abgeschafft und der große Stalletat bedeutend eingeschränkt werden. (Hamb. C.)

Der Orient und die europäischen Mächte.

Die Sendung des Hrn. v. Brunnow nach London, und die bekannten Vorschläge, die derselbe dem Londoner Cabinet gemacht haben soll, geben zu verschiedenen Commentarien Anlaß, und man ist endlich so weit gegangen, einen Vertrag zwischen England, Rußland, Oesterreich und Preußen als schon fertig anzukündigen. Die wirkliche oder angebliche Veranlassung zu diesem bis jetzt noch mehr als problematischen Vertrage *)*) soll die Haltung Frankreichs seyn, das freilich einerseits durch die hinterlistige Art, wie es seit dem Beginn des Kriegs zwischen der Türkei und Aegypten verfuhr, andrerseits durch seine dictatorische Schiedsrichterstellung Unwillen genug gegen sich rege machte, um seine jetzige Isolirung in der orientalischen Angelegenheit zu erklären. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die Idee zu einem solchen Vertrage von Rußland ausging, und daß Hr. v. Brunnow denselben während seines zweimaligen Aufenthalts in London unterhandeln sollte, denn Rußland allein könnte von einem solchen Vertrag einen angemessenen Vortheil erringen; England aber wird sich vielleicht erinnern, daß jedesmal, wenn es mit Rußland temporär sich zu einem besondern Zweck vereinigte, wie bei Navarin und einigen ähnlichen Gelegenheiten, der Schaden am Ende nur auf seiner Seite war, und daß es dießmal über etwas mehr als ein untoward event zu klagen haben würde.

Doch zur Sache. Frankreichs Bündniß mit Mehemed Ali ist seit geraumer Zeit kein Geheimniß mehr: es hat den Uebergang der Flotte begünstigt, wo nicht gar veranlaßt; es hat durch sein Hinhalten Mehemed Ali Zeit verschafft, seine Stellung zu befestigen, und hat ihn endlich, wie manche Umstände mit großer Wahrscheinlichkeit vermuthen lassen, mit Geld unterstützt, um sie behaupten zu können. Es ist kein Zweifel, daß Frankreich dieß nur in seinem eigenen Interesse that, sey es nun mit einer Aussicht auf künftige Erwerbung Aegyptens oder bloß in der Absicht, sich Mehemed Ali's als Bundesgenossen gegen die Engländer im Mittelmeer zu versichern. So lange Frankreich dabei stehen blieb, handelte es mittelbar im Interesse Rußlands; aber die Zeit kam, wo es gegen Rußlands wie gegen Englands Interesse handelte, indem es folgerecht auch Mehemed Ali's Umsichgreifen in Kurdistan gutheißen mußte – da wurden England von Seite Rußlands Eröffnungen und wirkliche oder angebliche Concessionen gemacht.

Wenn man das Benehmen Frankreichs selbstsüchtig und anmaßend findet, so kann man doch auf der andern Seite nicht verkennen, daß sein System allein die Türkei zu halten vermöchte, während die entgegengesetzte Bahn sie unwiderbringlich vernichten muß. Wenn die Plane Frankreichs in Bezug auf Europa Widerstand gegen sich hervorrufen müssen, so sollte man sich dadurch nicht verblenden lassen, gegen seine Politik in Asien mit gleichem Eifer anzukämpfen. – Was Asien betrifft, so kommen natürlich nicht Oesterreich und Preußen, sondern nur England und Rußland in Betracht; aus welchen Motiven handeln diese? Dieß ist die Frage. England hat seit drei Jahren Mehemed Ali mit einer Art von fanatischem Hasse verfolgt; seit Rußland vermittelst Persien sich in den Besitz von Herat setzen wollte, wurde für England der Weg über Aegypten nach Indien zur Nothwendigkeit. Mehemed Ali machte Schwierigkeiten, seine Unternehmungen in Arabien und seine Plane gegen Abyssinien flößten der selbstsüchtigen, harten Krämerpolitik Englands Besorgnisse ein; es wollte nicht mit Mehemed Ali als mit einer Macht unterhandeln, und wandte sich kurzweg an die Türkei, um unter dem Deckmantel des Sultans die Macht Mehemed Ali's ohne Mühe zu brechen. Der Streich mißlang, die Türkei unterlag, und da sich jetzt unter dem Beistand Rußlands eine Gelegenheit bietet, um die unbequeme Macht Mehemeds doch noch zu unterdrücken und zu beseitigen, so, hofft man, werde England diese ohne weiteres, ohne auf die Folgen und auf die Umstände zu achten, unter denen Rußland dazu seine Hand bietet, ergreifen. Rußland widersetzt sich einer größern selbstständigen Herrschaft Mehemed Ali's, weil eine Macht, die sich auf den Taurus, das rothe Meer und den persischen Golf stützt, von Europa anerkannt und von einer europäischen Macht geleitet wäre, den Operationen Rußlands gegen die Tscherkessen und in Persien, so wie seinem weitern Vorschreiten in der Türkei wesentliche Hindernisse entgegensetzen würde. Rußland könnte seinen alten moslemitischen Feind auf einem andern, diesem weit günstigern Schlachtfeld wieder finden; es weiß vollkommen, daß, wenn Mehemed Ali stirbt, ohne sein Werk vollendet zu haben, Syrien wieder durch die unaufhörlichen Einfälle der verschiedenen Araberstämme in dieselbe Anarchie, wie Mesopotamien und die andern Provinzen, zurücksänke, und in der Anarchie dieser Länder liegt Rußlands Aussicht auf Erfolg. Hinterläßt aber Mehemed Ali seinem Sohn eine anerkannte, erbliche Herrschaft, so wird dieß arabische Reich, wenn auch unter türkischen Herrschern, mit jedem Jahr eine größere Stärke entfalten. Rußland weiß, daß hierin der Keim einer türkischen Regeneration liegt, da kein Reich ganz todt ist, so lange noch irgendwo ein Keim unabhängiger Macht Schößlinge treiben kann. Der Geist der Türkei ist moslemitisch und arabisch, nicht national-türkisch, und behauptet sich eine arabische Macht in irgend einem Theile der Türkei, so ist diese noch nicht todt, und kann, wenn auch nicht ganz sich Rußlands erwehren, doch alle seine Schritte hemmen. Der Thron der Ottomanen kann sinken, die Provinzen des ehemaligen griechischen Reichs können wieder an einen christlichen Monarchen fallen, so lange aber die arabisch redenden Völker unter einem unabhängigen, moslemitischen und noch dazu türkischen Monarchen stehen, so lange gibt es auch noch eine Türkei. Man kann kaum sagen, daß Kleinasien und Rumelien je ein Reich gebildet haben, sie glichen mehr den Eroberungen einer darin lagernden Kriegsmacht. Die wahre Stärke des Reichs, das religiöse Band desselben, lag jenseits des Taurus. Dieß Land war zerbröckelt, in sich zerrissen, blieb aber stets moslemitisch und arabisch, und endlich fand sich eine kraftvolle Hand, welche die einzelnen Theile verband. Dieß war Mehemed Ali. Rußland bediente sich seiner, um die Türkei zu schwächen, und nun dieser Zweck erreicht ist, will es ihn in seine alte Unbedeutendheit zurückstoßen.

Aus dieser Ansicht der Dinge fließen eine Menge Folgerungen ganz ungezwungen. Man ersieht hieraus, warum Rußland die Erklärung, daß die Pforte unter dem Schutz der fünf Mächte stehe, betrieb und unterzeichnete; diese Erklärung vernichtete die moralische Kraft der türkischen Moslems. Damit aber, was der türkische Sultan verliert, nicht Mehemed Ali zu Gute komme, soll dieser jetzt, angeblich um das Wort der Mächte, welche der Pforte Schutz versprachen, zu lösen, auf Aegypten und Palästina beschränkt werden, und selbst St. Jean

*) Wir verweisen in dieser Beziehung auf die in der heutigen Zeitung unter der Rubrik Türkei gelieferten Briefe aus London, Wien und Paris.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="jArticle" n="2">
          <p><pb facs="#f0013" n="0117"/>
werde. &#x2013; Reductionen aller Art und Ersparungen sind in voller Arbeit; namentlich gehen diese jetzt auf eine durchgreifende Beschränkung des so unverhältnißmäßig kostbaren Hofetats aus. Dem Vernehmen nach soll der sogenannte Küchenetat ganz abgeschafft und der große Stalletat bedeutend eingeschränkt werden. (<hi rendition="#g">Hamb</hi>. C.)</p><lb/>
        </div>
      </div>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Der Orient und die europäischen Mächte</hi>.</hi> </head><lb/>
        <p>Die Sendung des Hrn. v. Brunnow nach London, und die bekannten Vorschläge, die derselbe dem Londoner Cabinet gemacht haben soll, geben zu verschiedenen Commentarien Anlaß, und man ist endlich so weit gegangen, einen Vertrag zwischen England, Rußland, Oesterreich und Preußen als schon fertig anzukündigen. Die wirkliche oder angebliche Veranlassung zu diesem bis jetzt noch mehr als problematischen Vertrage <hi rendition="#sup">*)</hi><note place="foot" n="*)">Wir verweisen in dieser Beziehung auf die in der heutigen Zeitung unter der Rubrik Türkei gelieferten Briefe aus London, Wien und Paris.</note> soll die Haltung Frankreichs seyn, das freilich einerseits durch die hinterlistige Art, wie es seit dem Beginn des Kriegs zwischen der Türkei und Aegypten verfuhr, andrerseits durch seine dictatorische Schiedsrichterstellung Unwillen genug gegen sich rege machte, um seine jetzige Isolirung in der orientalischen Angelegenheit zu erklären. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die Idee zu einem solchen Vertrage von Rußland ausging, und daß Hr. v. Brunnow denselben während seines zweimaligen Aufenthalts in London unterhandeln sollte, denn Rußland allein könnte von einem solchen Vertrag einen angemessenen Vortheil erringen; England aber wird sich vielleicht erinnern, daß jedesmal, wenn es mit Rußland temporär sich zu einem besondern Zweck vereinigte, wie bei Navarin und einigen ähnlichen Gelegenheiten, der Schaden am Ende nur auf seiner Seite war, und daß es dießmal über etwas mehr als ein untoward event zu klagen haben würde.</p><lb/>
        <p>Doch zur Sache. Frankreichs Bündniß mit Mehemed Ali ist seit geraumer Zeit kein Geheimniß mehr: es hat den Uebergang der Flotte begünstigt, wo nicht gar veranlaßt; es hat durch sein Hinhalten Mehemed Ali Zeit verschafft, seine Stellung zu befestigen, und hat ihn endlich, wie manche Umstände mit großer Wahrscheinlichkeit vermuthen lassen, mit Geld unterstützt, um sie behaupten zu können. Es ist kein Zweifel, daß Frankreich dieß nur in seinem eigenen Interesse that, sey es nun mit einer Aussicht auf künftige Erwerbung Aegyptens oder bloß in der Absicht, sich Mehemed Ali's als Bundesgenossen gegen die Engländer im Mittelmeer zu versichern. So lange Frankreich dabei stehen blieb, handelte es mittelbar im Interesse Rußlands; aber die Zeit kam, wo es gegen Rußlands wie gegen Englands Interesse handelte, indem es folgerecht auch Mehemed Ali's Umsichgreifen in Kurdistan gutheißen mußte &#x2013; da wurden England von Seite Rußlands Eröffnungen und wirkliche oder angebliche Concessionen gemacht.</p><lb/>
        <p>Wenn man das Benehmen Frankreichs selbstsüchtig und anmaßend findet, so kann man doch auf der andern Seite nicht verkennen, daß sein System allein die Türkei zu halten vermöchte, während die entgegengesetzte Bahn sie unwiderbringlich vernichten muß. Wenn die Plane Frankreichs in Bezug auf Europa Widerstand gegen sich hervorrufen müssen, so sollte man sich dadurch nicht verblenden lassen, gegen seine Politik in Asien mit gleichem Eifer anzukämpfen. &#x2013; Was Asien betrifft, so kommen natürlich nicht Oesterreich und Preußen, sondern nur England und Rußland in Betracht; aus welchen Motiven handeln diese? Dieß ist die Frage. England hat seit drei Jahren Mehemed Ali mit einer Art von fanatischem Hasse verfolgt; seit Rußland vermittelst Persien sich in den Besitz von Herat setzen wollte, wurde für England der Weg über Aegypten nach Indien zur Nothwendigkeit. Mehemed Ali machte Schwierigkeiten, seine Unternehmungen in Arabien und seine Plane gegen Abyssinien flößten der selbstsüchtigen, harten Krämerpolitik Englands Besorgnisse ein; es wollte nicht mit Mehemed Ali als mit einer Macht unterhandeln, und wandte sich kurzweg an die Türkei, um unter dem Deckmantel des Sultans die Macht Mehemed Ali's ohne Mühe zu brechen. Der Streich mißlang, die Türkei unterlag, und da sich jetzt unter dem Beistand Rußlands eine Gelegenheit bietet, um die unbequeme Macht Mehemeds doch noch zu unterdrücken und zu beseitigen, so, hofft man, werde England diese ohne weiteres, ohne auf die Folgen und auf die Umstände zu achten, unter denen Rußland dazu seine Hand bietet, ergreifen. Rußland widersetzt sich einer größern selbstständigen Herrschaft Mehemed Ali's, weil eine Macht, die sich auf den Taurus, das rothe Meer und den persischen Golf stützt, von Europa anerkannt und von einer europäischen Macht geleitet wäre, den Operationen Rußlands gegen die Tscherkessen und in Persien, so wie seinem weitern Vorschreiten in der Türkei wesentliche Hindernisse entgegensetzen würde. Rußland könnte seinen alten moslemitischen Feind auf einem andern, diesem weit günstigern Schlachtfeld wieder finden; es weiß vollkommen, daß, wenn Mehemed Ali stirbt, ohne sein Werk vollendet zu haben, Syrien wieder durch die unaufhörlichen Einfälle der verschiedenen Araberstämme in dieselbe Anarchie, wie Mesopotamien und die andern Provinzen, zurücksänke, und in der Anarchie dieser Länder liegt Rußlands Aussicht auf Erfolg. Hinterläßt aber Mehemed Ali seinem Sohn eine anerkannte, erbliche Herrschaft, so wird dieß arabische Reich, wenn auch unter türkischen Herrschern, mit jedem Jahr eine größere Stärke entfalten. Rußland weiß, daß hierin der Keim einer türkischen Regeneration liegt, da kein Reich ganz todt ist, so lange noch irgendwo ein Keim unabhängiger Macht Schößlinge treiben kann. Der Geist der Türkei ist moslemitisch und arabisch, nicht national-türkisch, und behauptet sich eine arabische Macht in irgend einem Theile der Türkei, so ist diese noch nicht todt, und kann, wenn auch nicht ganz sich Rußlands erwehren, doch alle seine Schritte hemmen. Der Thron der Ottomanen kann sinken, die Provinzen des ehemaligen griechischen Reichs können wieder an einen christlichen Monarchen fallen, so lange aber die arabisch redenden Völker unter einem unabhängigen, moslemitischen und noch dazu türkischen Monarchen stehen, so lange gibt es auch noch eine Türkei. Man kann kaum sagen, daß Kleinasien und Rumelien je ein Reich gebildet haben, sie glichen mehr den Eroberungen einer darin lagernden Kriegsmacht. Die wahre Stärke des Reichs, das religiöse Band desselben, lag jenseits des Taurus. Dieß Land war zerbröckelt, in sich zerrissen, blieb aber stets moslemitisch und arabisch, und endlich fand sich eine kraftvolle Hand, welche die einzelnen Theile verband. Dieß war Mehemed Ali. Rußland bediente sich seiner, um die Türkei zu schwächen, und nun dieser Zweck erreicht ist, will es ihn in seine alte Unbedeutendheit zurückstoßen.</p><lb/>
        <p>Aus dieser Ansicht der Dinge fließen eine Menge Folgerungen ganz ungezwungen. Man ersieht hieraus, warum Rußland die Erklärung, daß die Pforte unter dem Schutz der fünf Mächte stehe, betrieb und unterzeichnete; diese Erklärung vernichtete die moralische Kraft der türkischen Moslems. Damit aber, was der türkische Sultan verliert, nicht Mehemed Ali zu Gute komme, soll dieser jetzt, angeblich um das Wort der Mächte, welche der Pforte Schutz versprachen, zu lösen, auf Aegypten und Palästina beschränkt werden, und selbst St. Jean<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0117/0013] werde. – Reductionen aller Art und Ersparungen sind in voller Arbeit; namentlich gehen diese jetzt auf eine durchgreifende Beschränkung des so unverhältnißmäßig kostbaren Hofetats aus. Dem Vernehmen nach soll der sogenannte Küchenetat ganz abgeschafft und der große Stalletat bedeutend eingeschränkt werden. (Hamb. C.) Der Orient und die europäischen Mächte. Die Sendung des Hrn. v. Brunnow nach London, und die bekannten Vorschläge, die derselbe dem Londoner Cabinet gemacht haben soll, geben zu verschiedenen Commentarien Anlaß, und man ist endlich so weit gegangen, einen Vertrag zwischen England, Rußland, Oesterreich und Preußen als schon fertig anzukündigen. Die wirkliche oder angebliche Veranlassung zu diesem bis jetzt noch mehr als problematischen Vertrage *) *) soll die Haltung Frankreichs seyn, das freilich einerseits durch die hinterlistige Art, wie es seit dem Beginn des Kriegs zwischen der Türkei und Aegypten verfuhr, andrerseits durch seine dictatorische Schiedsrichterstellung Unwillen genug gegen sich rege machte, um seine jetzige Isolirung in der orientalischen Angelegenheit zu erklären. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die Idee zu einem solchen Vertrage von Rußland ausging, und daß Hr. v. Brunnow denselben während seines zweimaligen Aufenthalts in London unterhandeln sollte, denn Rußland allein könnte von einem solchen Vertrag einen angemessenen Vortheil erringen; England aber wird sich vielleicht erinnern, daß jedesmal, wenn es mit Rußland temporär sich zu einem besondern Zweck vereinigte, wie bei Navarin und einigen ähnlichen Gelegenheiten, der Schaden am Ende nur auf seiner Seite war, und daß es dießmal über etwas mehr als ein untoward event zu klagen haben würde. Doch zur Sache. Frankreichs Bündniß mit Mehemed Ali ist seit geraumer Zeit kein Geheimniß mehr: es hat den Uebergang der Flotte begünstigt, wo nicht gar veranlaßt; es hat durch sein Hinhalten Mehemed Ali Zeit verschafft, seine Stellung zu befestigen, und hat ihn endlich, wie manche Umstände mit großer Wahrscheinlichkeit vermuthen lassen, mit Geld unterstützt, um sie behaupten zu können. Es ist kein Zweifel, daß Frankreich dieß nur in seinem eigenen Interesse that, sey es nun mit einer Aussicht auf künftige Erwerbung Aegyptens oder bloß in der Absicht, sich Mehemed Ali's als Bundesgenossen gegen die Engländer im Mittelmeer zu versichern. So lange Frankreich dabei stehen blieb, handelte es mittelbar im Interesse Rußlands; aber die Zeit kam, wo es gegen Rußlands wie gegen Englands Interesse handelte, indem es folgerecht auch Mehemed Ali's Umsichgreifen in Kurdistan gutheißen mußte – da wurden England von Seite Rußlands Eröffnungen und wirkliche oder angebliche Concessionen gemacht. Wenn man das Benehmen Frankreichs selbstsüchtig und anmaßend findet, so kann man doch auf der andern Seite nicht verkennen, daß sein System allein die Türkei zu halten vermöchte, während die entgegengesetzte Bahn sie unwiderbringlich vernichten muß. Wenn die Plane Frankreichs in Bezug auf Europa Widerstand gegen sich hervorrufen müssen, so sollte man sich dadurch nicht verblenden lassen, gegen seine Politik in Asien mit gleichem Eifer anzukämpfen. – Was Asien betrifft, so kommen natürlich nicht Oesterreich und Preußen, sondern nur England und Rußland in Betracht; aus welchen Motiven handeln diese? Dieß ist die Frage. England hat seit drei Jahren Mehemed Ali mit einer Art von fanatischem Hasse verfolgt; seit Rußland vermittelst Persien sich in den Besitz von Herat setzen wollte, wurde für England der Weg über Aegypten nach Indien zur Nothwendigkeit. Mehemed Ali machte Schwierigkeiten, seine Unternehmungen in Arabien und seine Plane gegen Abyssinien flößten der selbstsüchtigen, harten Krämerpolitik Englands Besorgnisse ein; es wollte nicht mit Mehemed Ali als mit einer Macht unterhandeln, und wandte sich kurzweg an die Türkei, um unter dem Deckmantel des Sultans die Macht Mehemed Ali's ohne Mühe zu brechen. Der Streich mißlang, die Türkei unterlag, und da sich jetzt unter dem Beistand Rußlands eine Gelegenheit bietet, um die unbequeme Macht Mehemeds doch noch zu unterdrücken und zu beseitigen, so, hofft man, werde England diese ohne weiteres, ohne auf die Folgen und auf die Umstände zu achten, unter denen Rußland dazu seine Hand bietet, ergreifen. Rußland widersetzt sich einer größern selbstständigen Herrschaft Mehemed Ali's, weil eine Macht, die sich auf den Taurus, das rothe Meer und den persischen Golf stützt, von Europa anerkannt und von einer europäischen Macht geleitet wäre, den Operationen Rußlands gegen die Tscherkessen und in Persien, so wie seinem weitern Vorschreiten in der Türkei wesentliche Hindernisse entgegensetzen würde. Rußland könnte seinen alten moslemitischen Feind auf einem andern, diesem weit günstigern Schlachtfeld wieder finden; es weiß vollkommen, daß, wenn Mehemed Ali stirbt, ohne sein Werk vollendet zu haben, Syrien wieder durch die unaufhörlichen Einfälle der verschiedenen Araberstämme in dieselbe Anarchie, wie Mesopotamien und die andern Provinzen, zurücksänke, und in der Anarchie dieser Länder liegt Rußlands Aussicht auf Erfolg. Hinterläßt aber Mehemed Ali seinem Sohn eine anerkannte, erbliche Herrschaft, so wird dieß arabische Reich, wenn auch unter türkischen Herrschern, mit jedem Jahr eine größere Stärke entfalten. Rußland weiß, daß hierin der Keim einer türkischen Regeneration liegt, da kein Reich ganz todt ist, so lange noch irgendwo ein Keim unabhängiger Macht Schößlinge treiben kann. Der Geist der Türkei ist moslemitisch und arabisch, nicht national-türkisch, und behauptet sich eine arabische Macht in irgend einem Theile der Türkei, so ist diese noch nicht todt, und kann, wenn auch nicht ganz sich Rußlands erwehren, doch alle seine Schritte hemmen. Der Thron der Ottomanen kann sinken, die Provinzen des ehemaligen griechischen Reichs können wieder an einen christlichen Monarchen fallen, so lange aber die arabisch redenden Völker unter einem unabhängigen, moslemitischen und noch dazu türkischen Monarchen stehen, so lange gibt es auch noch eine Türkei. Man kann kaum sagen, daß Kleinasien und Rumelien je ein Reich gebildet haben, sie glichen mehr den Eroberungen einer darin lagernden Kriegsmacht. Die wahre Stärke des Reichs, das religiöse Band desselben, lag jenseits des Taurus. Dieß Land war zerbröckelt, in sich zerrissen, blieb aber stets moslemitisch und arabisch, und endlich fand sich eine kraftvolle Hand, welche die einzelnen Theile verband. Dieß war Mehemed Ali. Rußland bediente sich seiner, um die Türkei zu schwächen, und nun dieser Zweck erreicht ist, will es ihn in seine alte Unbedeutendheit zurückstoßen. Aus dieser Ansicht der Dinge fließen eine Menge Folgerungen ganz ungezwungen. Man ersieht hieraus, warum Rußland die Erklärung, daß die Pforte unter dem Schutz der fünf Mächte stehe, betrieb und unterzeichnete; diese Erklärung vernichtete die moralische Kraft der türkischen Moslems. Damit aber, was der türkische Sultan verliert, nicht Mehemed Ali zu Gute komme, soll dieser jetzt, angeblich um das Wort der Mächte, welche der Pforte Schutz versprachen, zu lösen, auf Aegypten und Palästina beschränkt werden, und selbst St. Jean *) Wir verweisen in dieser Beziehung auf die in der heutigen Zeitung unter der Rubrik Türkei gelieferten Briefe aus London, Wien und Paris.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_015_18400115
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_015_18400115/13
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 15. Augsburg, 15. Januar 1840, S. 0117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_015_18400115/13>, abgerufen am 26.11.2024.