Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Meine Frau muß dir von der Fränz ein anderes Kleid geben. So darfst du nicht durch das Dorf. Ich will der Welt zeigen, wer ich bin. Wuth gegen die Welt, die seinen Ehrennamen so grundlos angriff, und ein freudiger Hohn, daß er es in der Gewalt habe, Rache zu nehmen, alle bösen Nachreden zu Schanden zu machen, kochten in seinem Herzen. Er stand gerechtfertigt vor sich da, das Schlechteste zu thun; traute man ihm ja das Schlechteste zu, und Niemand hatte ein Recht oder einen Grund dafür. Das Mädchen, das sich wohl auf einen scharfen Zank gefaßt gemacht hatte, schaute mit gefalteten Händen wie anbetend zu Diethelm auf, der ihm liebreich die Wangen streichelte, denn ein freudiger Gedanke erhob ihn; sichtbarlich zeigte es sich ihm, er mußte die That thun, um die Stütze seiner Familie zu retten. Die ganze Macht seiner Familienliebe erwachte in ihm; nicht für sich, für alle seine Angehörigen mußte er der bleiben, der er war, alles Verdammungswürdige in seiner That war nur verkannte Tugend. Medard kam in die Stube und berichtete die Zahl der Lämmer, die in diesen Tagen sich zahlreich eingestellt hatten, indem er dabei bemerkte, der Meister möge doch auch wieder einmal in den Stall kommen und nachschauen. Diethelm wies den Medard mit strengem Blick ab und sagte, er habe jetzt Anderes zu thun; als er aber dem stechenden Blick Medard's begegnete, sagte er: ich komme gleich. Er überdachte schnell, daß er nichts auf sich kommen lassen dürfe, was als Fahrlässigkeit gegen sein Eigenthum erscheinen könne. Sonst hatte er im Winter immer seine besondere Freude an den Schafen gehabt; im Sommer sind sie auf der Weide, dem Auge entrückt, im Winter aber giebt es oft täglich Junge, und Stundenlang war Diethelm im warmen Schafstalle gesessen. Als er jetzt dahin kam, drängten sich alle Schafe auf ihn zu, so daß ihm ganz ängstlich' zu Muthe wurde, er zählte die Lämmer kaum und machte sich wieder davon. Meine Frau muß dir von der Fränz ein anderes Kleid geben. So darfst du nicht durch das Dorf. Ich will der Welt zeigen, wer ich bin. Wuth gegen die Welt, die seinen Ehrennamen so grundlos angriff, und ein freudiger Hohn, daß er es in der Gewalt habe, Rache zu nehmen, alle bösen Nachreden zu Schanden zu machen, kochten in seinem Herzen. Er stand gerechtfertigt vor sich da, das Schlechteste zu thun; traute man ihm ja das Schlechteste zu, und Niemand hatte ein Recht oder einen Grund dafür. Das Mädchen, das sich wohl auf einen scharfen Zank gefaßt gemacht hatte, schaute mit gefalteten Händen wie anbetend zu Diethelm auf, der ihm liebreich die Wangen streichelte, denn ein freudiger Gedanke erhob ihn; sichtbarlich zeigte es sich ihm, er mußte die That thun, um die Stütze seiner Familie zu retten. Die ganze Macht seiner Familienliebe erwachte in ihm; nicht für sich, für alle seine Angehörigen mußte er der bleiben, der er war, alles Verdammungswürdige in seiner That war nur verkannte Tugend. Medard kam in die Stube und berichtete die Zahl der Lämmer, die in diesen Tagen sich zahlreich eingestellt hatten, indem er dabei bemerkte, der Meister möge doch auch wieder einmal in den Stall kommen und nachschauen. Diethelm wies den Medard mit strengem Blick ab und sagte, er habe jetzt Anderes zu thun; als er aber dem stechenden Blick Medard's begegnete, sagte er: ich komme gleich. Er überdachte schnell, daß er nichts auf sich kommen lassen dürfe, was als Fahrlässigkeit gegen sein Eigenthum erscheinen könne. Sonst hatte er im Winter immer seine besondere Freude an den Schafen gehabt; im Sommer sind sie auf der Weide, dem Auge entrückt, im Winter aber giebt es oft täglich Junge, und Stundenlang war Diethelm im warmen Schafstalle gesessen. Als er jetzt dahin kam, drängten sich alle Schafe auf ihn zu, so daß ihm ganz ängstlich' zu Muthe wurde, er zählte die Lämmer kaum und machte sich wieder davon. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="11"> <p><pb facs="#f0082"/> Meine Frau muß dir von der Fränz ein anderes Kleid geben. So darfst du nicht durch das Dorf. 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Die ganze Macht seiner Familienliebe erwachte in ihm; nicht für sich, für alle seine Angehörigen mußte er der bleiben, der er war, alles Verdammungswürdige in seiner That war nur verkannte Tugend.</p><lb/> <p>Medard kam in die Stube und berichtete die Zahl der Lämmer, die in diesen Tagen sich zahlreich eingestellt hatten, indem er dabei bemerkte, der Meister möge doch auch wieder einmal in den Stall kommen und nachschauen. Diethelm wies den Medard mit strengem Blick ab und sagte, er habe jetzt Anderes zu thun; als er aber dem stechenden Blick Medard's begegnete, sagte er: ich komme gleich. Er überdachte schnell, daß er nichts auf sich kommen lassen dürfe, was als Fahrlässigkeit gegen sein Eigenthum erscheinen könne. Sonst hatte er im Winter immer seine besondere Freude an den Schafen gehabt; im Sommer sind sie auf der Weide, dem Auge entrückt, im Winter aber giebt es oft täglich Junge, und Stundenlang war Diethelm im warmen Schafstalle gesessen. Als er jetzt dahin kam, drängten sich alle Schafe auf ihn zu, so daß ihm ganz ängstlich' zu Muthe wurde, er zählte die Lämmer kaum und machte sich wieder davon.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0082]
Meine Frau muß dir von der Fränz ein anderes Kleid geben. So darfst du nicht durch das Dorf. Ich will der Welt zeigen, wer ich bin.
Wuth gegen die Welt, die seinen Ehrennamen so grundlos angriff, und ein freudiger Hohn, daß er es in der Gewalt habe, Rache zu nehmen, alle bösen Nachreden zu Schanden zu machen, kochten in seinem Herzen. Er stand gerechtfertigt vor sich da, das Schlechteste zu thun; traute man ihm ja das Schlechteste zu, und Niemand hatte ein Recht oder einen Grund dafür. Das Mädchen, das sich wohl auf einen scharfen Zank gefaßt gemacht hatte, schaute mit gefalteten Händen wie anbetend zu Diethelm auf, der ihm liebreich die Wangen streichelte, denn ein freudiger Gedanke erhob ihn; sichtbarlich zeigte es sich ihm, er mußte die That thun, um die Stütze seiner Familie zu retten. Die ganze Macht seiner Familienliebe erwachte in ihm; nicht für sich, für alle seine Angehörigen mußte er der bleiben, der er war, alles Verdammungswürdige in seiner That war nur verkannte Tugend.
Medard kam in die Stube und berichtete die Zahl der Lämmer, die in diesen Tagen sich zahlreich eingestellt hatten, indem er dabei bemerkte, der Meister möge doch auch wieder einmal in den Stall kommen und nachschauen. Diethelm wies den Medard mit strengem Blick ab und sagte, er habe jetzt Anderes zu thun; als er aber dem stechenden Blick Medard's begegnete, sagte er: ich komme gleich. Er überdachte schnell, daß er nichts auf sich kommen lassen dürfe, was als Fahrlässigkeit gegen sein Eigenthum erscheinen könne. Sonst hatte er im Winter immer seine besondere Freude an den Schafen gehabt; im Sommer sind sie auf der Weide, dem Auge entrückt, im Winter aber giebt es oft täglich Junge, und Stundenlang war Diethelm im warmen Schafstalle gesessen. Als er jetzt dahin kam, drängten sich alle Schafe auf ihn zu, so daß ihm ganz ängstlich' zu Muthe wurde, er zählte die Lämmer kaum und machte sich wieder davon.
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Zitationshilfe: | Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/auerbach_diethelm_1910/82>, abgerufen am 25.07.2024. |