Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

ginge es zu einer besondern Festlichkeit, und in seltsamer Laune schickte er nach dem Bader und ließ sich von ihm mitten in der Woche die Bartstoppeln abnehmen.

Achtes Kapitel.

Mit Aufsehen erregendem Wagengerassel fuhr Diethelm in Buchenberg ein, aber es schaute Niemand nach ihm, denn eben läutete die große Glocke, die sogenannte alte Kathrin', die nur bei Sterbefällen und in Feuersgefahr allein angezogen wurde. Diethelm fühlte, wie dieser Klang ihm den Athem stellte. Wär's möglich, daß seine Frau sich ein Leid angethan? Er mußte die Leute auf der Straße für die arme Seele beten lassen und konnte nicht fragen.

Wer ist gestorben? fragte er beim Wirthshause zum Waldhorn anhaltend, und erhielt zur Antwort, daß man dem alten Küfermichel zum Verscheiden läute. Diethelm knallte mit der Peitsche. Es war nicht der Mühe werth, um den alten Mann so viel Aufhebens zu machen.

Heitern Sinnes fuhr er das Dorf hinaus nach seinem Gehöfte. Im hellen Mittagsglanze lag Haus und Scheuer und Ställe stattlich da. Das Haus, mit der Giebelseite nach der Straße gekehrt, von den Grundmauem bis zum Dache um und um mit graugewordenen Schindeln vertäfelt, die als Wetterpanzer dienten, öffnete jetzt so zu sagen seinen Mund und erhielt große Brocken; denn in dem Vorbaue am Dache standen zwei Männer und zogen an der Radwinde die Wollballen herein, die von unten hinaufgeschrotet wurden. Aus dem Schornstein stieg kein mittäglicher Rauch auf, und es war nun doppelt gut, daß in der kalten Herberge vorgesorgt war. Während er den kleinen Hügel hinanfuhr, überlegte Diet-

ginge es zu einer besondern Festlichkeit, und in seltsamer Laune schickte er nach dem Bader und ließ sich von ihm mitten in der Woche die Bartstoppeln abnehmen.

Achtes Kapitel.

Mit Aufsehen erregendem Wagengerassel fuhr Diethelm in Buchenberg ein, aber es schaute Niemand nach ihm, denn eben läutete die große Glocke, die sogenannte alte Kathrin', die nur bei Sterbefällen und in Feuersgefahr allein angezogen wurde. Diethelm fühlte, wie dieser Klang ihm den Athem stellte. Wär's möglich, daß seine Frau sich ein Leid angethan? Er mußte die Leute auf der Straße für die arme Seele beten lassen und konnte nicht fragen.

Wer ist gestorben? fragte er beim Wirthshause zum Waldhorn anhaltend, und erhielt zur Antwort, daß man dem alten Küfermichel zum Verscheiden läute. Diethelm knallte mit der Peitsche. Es war nicht der Mühe werth, um den alten Mann so viel Aufhebens zu machen.

Heitern Sinnes fuhr er das Dorf hinaus nach seinem Gehöfte. Im hellen Mittagsglanze lag Haus und Scheuer und Ställe stattlich da. Das Haus, mit der Giebelseite nach der Straße gekehrt, von den Grundmauem bis zum Dache um und um mit graugewordenen Schindeln vertäfelt, die als Wetterpanzer dienten, öffnete jetzt so zu sagen seinen Mund und erhielt große Brocken; denn in dem Vorbaue am Dache standen zwei Männer und zogen an der Radwinde die Wollballen herein, die von unten hinaufgeschrotet wurden. Aus dem Schornstein stieg kein mittäglicher Rauch auf, und es war nun doppelt gut, daß in der kalten Herberge vorgesorgt war. Während er den kleinen Hügel hinanfuhr, überlegte Diet-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="7">
        <p><pb facs="#f0055"/>
ginge es zu einer besondern Festlichkeit, und                in seltsamer Laune schickte er nach dem Bader und ließ sich von ihm mitten in der                Woche die Bartstoppeln abnehmen.</p><lb/>
      </div>
      <div type="chapter" n="8">
        <head>Achtes Kapitel.</head><lb/>
        <p>Mit Aufsehen erregendem Wagengerassel fuhr Diethelm in Buchenberg ein, aber es                schaute Niemand nach ihm, denn eben läutete die große Glocke, die sogenannte alte                Kathrin', die nur bei Sterbefällen und in Feuersgefahr allein angezogen wurde.                Diethelm fühlte, wie dieser Klang ihm den Athem stellte. Wär's möglich, daß seine                Frau sich ein Leid angethan? Er mußte die Leute auf der Straße für die arme Seele                beten lassen und konnte nicht fragen.</p><lb/>
        <p>Wer ist gestorben? fragte er beim Wirthshause zum Waldhorn anhaltend, und erhielt zur                Antwort, daß man dem alten Küfermichel zum Verscheiden läute. Diethelm knallte mit                der Peitsche. Es war nicht der Mühe werth, um den alten Mann so viel Aufhebens zu                machen.</p><lb/>
        <p>Heitern Sinnes fuhr er das Dorf hinaus nach seinem Gehöfte. Im hellen Mittagsglanze                lag Haus und Scheuer und Ställe stattlich da. Das Haus, mit der Giebelseite nach der                Straße gekehrt, von den Grundmauem bis zum Dache um und um mit graugewordenen                Schindeln vertäfelt, die als Wetterpanzer dienten, öffnete jetzt so zu sagen seinen                Mund und erhielt große Brocken; denn in dem Vorbaue am Dache standen zwei Männer und                zogen an der Radwinde die Wollballen herein, die von unten hinaufgeschrotet wurden.                Aus dem Schornstein stieg kein mittäglicher Rauch auf, und es war nun doppelt gut,                daß in der kalten Herberge vorgesorgt war. Während er den kleinen Hügel hinanfuhr,                überlegte Diet-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0055] ginge es zu einer besondern Festlichkeit, und in seltsamer Laune schickte er nach dem Bader und ließ sich von ihm mitten in der Woche die Bartstoppeln abnehmen. Achtes Kapitel. Mit Aufsehen erregendem Wagengerassel fuhr Diethelm in Buchenberg ein, aber es schaute Niemand nach ihm, denn eben läutete die große Glocke, die sogenannte alte Kathrin', die nur bei Sterbefällen und in Feuersgefahr allein angezogen wurde. Diethelm fühlte, wie dieser Klang ihm den Athem stellte. Wär's möglich, daß seine Frau sich ein Leid angethan? Er mußte die Leute auf der Straße für die arme Seele beten lassen und konnte nicht fragen. Wer ist gestorben? fragte er beim Wirthshause zum Waldhorn anhaltend, und erhielt zur Antwort, daß man dem alten Küfermichel zum Verscheiden läute. Diethelm knallte mit der Peitsche. Es war nicht der Mühe werth, um den alten Mann so viel Aufhebens zu machen. Heitern Sinnes fuhr er das Dorf hinaus nach seinem Gehöfte. Im hellen Mittagsglanze lag Haus und Scheuer und Ställe stattlich da. Das Haus, mit der Giebelseite nach der Straße gekehrt, von den Grundmauem bis zum Dache um und um mit graugewordenen Schindeln vertäfelt, die als Wetterpanzer dienten, öffnete jetzt so zu sagen seinen Mund und erhielt große Brocken; denn in dem Vorbaue am Dache standen zwei Männer und zogen an der Radwinde die Wollballen herein, die von unten hinaufgeschrotet wurden. Aus dem Schornstein stieg kein mittäglicher Rauch auf, und es war nun doppelt gut, daß in der kalten Herberge vorgesorgt war. Während er den kleinen Hügel hinanfuhr, überlegte Diet-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T13:04:01Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T13:04:01Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: nicht gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/auerbach_diethelm_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/auerbach_diethelm_1910/55
Zitationshilfe: Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/auerbach_diethelm_1910/55>, abgerufen am 22.11.2024.