Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

auf Ostern oder noch weiter hinaus. Wie berauscht ging Diethelm von Stapel zu Stapel und wiederum hinaus auf den Schafmarkt von Hurde zu Hurde; ihm war's, als hätte alles Besitzthum der Welt gesagt: ich will dein sein, du mußt mich nehmen.

Das Lärmen und Rennen um ihn her, das ferne verworrene Brausen des städtischen Marktgewühls, aus dem bisweilen einzelne Accorde der Musik, die jetzt zum Tanze aufspielte, wie aus dem Stimmengedränge heraus schlüpften, Alles das machte einen sinnverwirrenden Eindruck auf Diethelm; bald lächelte er Jedem, und sein Antlitz war hochgeröthet, bald wurde es schlaff und verdrossen, und alles Blut wich daraus zurück. Auf einem Wollsacke nicht weit von der großen Feuerspritze, die im Hofe stand, saß er mit entblößtem Haupte und gekreuzten Beinen, und sein Auge schaute hinein in die rothe Schreibtafel, in die er sich seine Einkäufe nach Sorte u. s. w. eingezeichnet hatte, um ihn her lagen in verschiedenen Papieren Wollproben. Diethelm fuhr sich mit der Hand über das Haupt, und er meinte, er spüre es, wie ihm die Haare jetzt plötzlich grauer werden. Eben kam der Reppenberger wieder und brachte einen Mann, der eine überaus feine und haartreue Wolle habe, da sei jedes Härchen von unten bis oben gleich und Alles im Vließ gewaschen. Diethelm nebelte es vor den Augen, und er ersuchte den Reppenberger, vor Allem einen guten Trunk Wein herbeizuschaffen; er fühlte sich so matt, daß er auf keinem Beine mehr stehen konnte, und besonders in den Knieen spürte er eine unerhörte Müdigkeit. Er gab den Umstehenden wenig Bescheid und starrte hinein in seine Schreibtafel und sprach mit den Lippen lautlos die Zahlen vor sich hin. Vom Hauptthurm der Stadtkirche bliesen eben die Stadtzinkenisten den althergebrachten Mittagschoral; sie standen eben auf der Westseite der Thurmgallerie, und diese Posaunen und Trompeten strömten ihre langgezogenen Töne gerade zu Häupten Diethelm's nieder. Er zuckte zusammen und schaute auf, als

auf Ostern oder noch weiter hinaus. Wie berauscht ging Diethelm von Stapel zu Stapel und wiederum hinaus auf den Schafmarkt von Hurde zu Hurde; ihm war's, als hätte alles Besitzthum der Welt gesagt: ich will dein sein, du mußt mich nehmen.

Das Lärmen und Rennen um ihn her, das ferne verworrene Brausen des städtischen Marktgewühls, aus dem bisweilen einzelne Accorde der Musik, die jetzt zum Tanze aufspielte, wie aus dem Stimmengedränge heraus schlüpften, Alles das machte einen sinnverwirrenden Eindruck auf Diethelm; bald lächelte er Jedem, und sein Antlitz war hochgeröthet, bald wurde es schlaff und verdrossen, und alles Blut wich daraus zurück. Auf einem Wollsacke nicht weit von der großen Feuerspritze, die im Hofe stand, saß er mit entblößtem Haupte und gekreuzten Beinen, und sein Auge schaute hinein in die rothe Schreibtafel, in die er sich seine Einkäufe nach Sorte u. s. w. eingezeichnet hatte, um ihn her lagen in verschiedenen Papieren Wollproben. Diethelm fuhr sich mit der Hand über das Haupt, und er meinte, er spüre es, wie ihm die Haare jetzt plötzlich grauer werden. Eben kam der Reppenberger wieder und brachte einen Mann, der eine überaus feine und haartreue Wolle habe, da sei jedes Härchen von unten bis oben gleich und Alles im Vließ gewaschen. Diethelm nebelte es vor den Augen, und er ersuchte den Reppenberger, vor Allem einen guten Trunk Wein herbeizuschaffen; er fühlte sich so matt, daß er auf keinem Beine mehr stehen konnte, und besonders in den Knieen spürte er eine unerhörte Müdigkeit. Er gab den Umstehenden wenig Bescheid und starrte hinein in seine Schreibtafel und sprach mit den Lippen lautlos die Zahlen vor sich hin. Vom Hauptthurm der Stadtkirche bliesen eben die Stadtzinkenisten den althergebrachten Mittagschoral; sie standen eben auf der Westseite der Thurmgallerie, und diese Posaunen und Trompeten strömten ihre langgezogenen Töne gerade zu Häupten Diethelm's nieder. Er zuckte zusammen und schaute auf, als

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="2">
        <p><pb facs="#f0019"/>
auf Ostern oder noch weiter hinaus. Wie berauscht                ging Diethelm von Stapel zu Stapel und wiederum hinaus auf den Schafmarkt von Hurde                zu Hurde; ihm war's, als hätte alles Besitzthum der Welt gesagt: ich will dein sein,                du mußt mich nehmen.</p><lb/>
        <p>Das Lärmen und Rennen um ihn her, das ferne verworrene Brausen des städtischen                Marktgewühls, aus dem bisweilen einzelne Accorde der Musik, die jetzt zum Tanze                aufspielte, wie aus dem Stimmengedränge heraus schlüpften, Alles das machte einen                sinnverwirrenden Eindruck auf Diethelm; bald lächelte er Jedem, und sein Antlitz war                hochgeröthet, bald wurde es schlaff und verdrossen, und alles Blut wich daraus                zurück. Auf einem Wollsacke nicht weit von der großen Feuerspritze, die im Hofe                stand, saß er mit entblößtem Haupte und gekreuzten Beinen, und sein Auge schaute                hinein in die rothe Schreibtafel, in die er sich seine Einkäufe nach Sorte u. s. w.                eingezeichnet hatte, um ihn her lagen in verschiedenen Papieren Wollproben. Diethelm                fuhr sich mit der Hand über das Haupt, und er meinte, er spüre es, wie ihm die Haare                jetzt plötzlich grauer werden. Eben kam der Reppenberger wieder und brachte einen                Mann, der eine überaus feine und haartreue Wolle habe, da sei jedes Härchen von unten                bis oben gleich und Alles im Vließ gewaschen. Diethelm nebelte es vor den Augen, und                er ersuchte den Reppenberger, vor Allem einen guten Trunk Wein herbeizuschaffen; er                fühlte sich so matt, daß er auf keinem Beine mehr stehen konnte, und besonders in den                Knieen spürte er eine unerhörte Müdigkeit. Er gab den Umstehenden wenig Bescheid und                starrte hinein in seine Schreibtafel und sprach mit den Lippen lautlos die Zahlen vor                sich hin. Vom Hauptthurm der Stadtkirche bliesen eben die Stadtzinkenisten den                althergebrachten Mittagschoral; sie standen eben auf der Westseite der Thurmgallerie,                und diese Posaunen und Trompeten strömten ihre langgezogenen Töne gerade zu Häupten                Diethelm's nieder. Er zuckte zusammen und schaute auf, als<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0019] auf Ostern oder noch weiter hinaus. Wie berauscht ging Diethelm von Stapel zu Stapel und wiederum hinaus auf den Schafmarkt von Hurde zu Hurde; ihm war's, als hätte alles Besitzthum der Welt gesagt: ich will dein sein, du mußt mich nehmen. Das Lärmen und Rennen um ihn her, das ferne verworrene Brausen des städtischen Marktgewühls, aus dem bisweilen einzelne Accorde der Musik, die jetzt zum Tanze aufspielte, wie aus dem Stimmengedränge heraus schlüpften, Alles das machte einen sinnverwirrenden Eindruck auf Diethelm; bald lächelte er Jedem, und sein Antlitz war hochgeröthet, bald wurde es schlaff und verdrossen, und alles Blut wich daraus zurück. Auf einem Wollsacke nicht weit von der großen Feuerspritze, die im Hofe stand, saß er mit entblößtem Haupte und gekreuzten Beinen, und sein Auge schaute hinein in die rothe Schreibtafel, in die er sich seine Einkäufe nach Sorte u. s. w. eingezeichnet hatte, um ihn her lagen in verschiedenen Papieren Wollproben. Diethelm fuhr sich mit der Hand über das Haupt, und er meinte, er spüre es, wie ihm die Haare jetzt plötzlich grauer werden. Eben kam der Reppenberger wieder und brachte einen Mann, der eine überaus feine und haartreue Wolle habe, da sei jedes Härchen von unten bis oben gleich und Alles im Vließ gewaschen. Diethelm nebelte es vor den Augen, und er ersuchte den Reppenberger, vor Allem einen guten Trunk Wein herbeizuschaffen; er fühlte sich so matt, daß er auf keinem Beine mehr stehen konnte, und besonders in den Knieen spürte er eine unerhörte Müdigkeit. Er gab den Umstehenden wenig Bescheid und starrte hinein in seine Schreibtafel und sprach mit den Lippen lautlos die Zahlen vor sich hin. Vom Hauptthurm der Stadtkirche bliesen eben die Stadtzinkenisten den althergebrachten Mittagschoral; sie standen eben auf der Westseite der Thurmgallerie, und diese Posaunen und Trompeten strömten ihre langgezogenen Töne gerade zu Häupten Diethelm's nieder. Er zuckte zusammen und schaute auf, als

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T13:04:01Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T13:04:01Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: nicht gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/auerbach_diethelm_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/auerbach_diethelm_1910/19
Zitationshilfe: Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/auerbach_diethelm_1910/19>, abgerufen am 24.11.2024.