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Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 2. Grünberg u. a., 1840.

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von ihm und die Großmama würde mir noch manches
erzählen, ich hab sie noch nie ordentlich ausgefragt, und
besonders hab ich mich immer gescheut sie über ihre re¬
ligiösen Ansichten zu fragen weil ich fürchtete sie zu be¬
leidigen, aber bei diesem Gespräch sagte sie von selbst,
"siehst Du mein Kind, so trägt die goldne Au der Ver¬
gangenheit die Ähren, ohne welche so mancher an Gei¬
stesnahrung Hunger sterben müßte, und rund um uns,
wo die Sonne ihren Lauf öffnet und wo sie ihn schließt,
wo sie mit sengendem Strahl die Fluren brennt, und
wo sie lange ihr freundlich Antlitz verbirgt, allenthalben
keimen Blumen, deren vereinter Strauß uns ein Anden¬
ken ist an die Kindheit unseres Geschlechts. So gehört
die Vergangenheit zum Tag des Lebens. Sie ist die
Wurzel des meinen. Dein Großvater war guter Mensch
und guter Staatsbürger, er hat als solcher auf Fürsten
und Unterthanen gewirkt, und auch bis heute noch auf
seine Frau. Eine Vergangenheit ist also nicht für das
wahre Gute, es wirkt ohne Ende, es kommt aus dem
Geist wie Dein Großvater sagte, und alles andre was
vergänglich ist das ist auch geistlos." --

Es war Mittag, ich wär gern den ganzen Tag bei
der Großmama geblieben, wenn man in Frankfurt ge¬
wußt hätte wo ich war. -- An der Gerbermühl begeg¬

von ihm und die Großmama würde mir noch manches
erzählen, ich hab ſie noch nie ordentlich ausgefragt, und
beſonders hab ich mich immer geſcheut ſie über ihre re¬
ligiöſen Anſichten zu fragen weil ich fürchtete ſie zu be¬
leidigen, aber bei dieſem Geſpräch ſagte ſie von ſelbſt,
„ſiehſt Du mein Kind, ſo trägt die goldne Au der Ver¬
gangenheit die Ähren, ohne welche ſo mancher an Gei¬
ſtesnahrung Hunger ſterben müßte, und rund um uns,
wo die Sonne ihren Lauf öffnet und wo ſie ihn ſchließt,
wo ſie mit ſengendem Strahl die Fluren brennt, und
wo ſie lange ihr freundlich Antlitz verbirgt, allenthalben
keimen Blumen, deren vereinter Strauß uns ein Anden¬
ken iſt an die Kindheit unſeres Geſchlechts. So gehört
die Vergangenheit zum Tag des Lebens. Sie iſt die
Wurzel des meinen. Dein Großvater war guter Menſch
und guter Staatsbürger, er hat als ſolcher auf Fürſten
und Unterthanen gewirkt, und auch bis heute noch auf
ſeine Frau. Eine Vergangenheit iſt alſo nicht für das
wahre Gute, es wirkt ohne Ende, es kommt aus dem
Geiſt wie Dein Großvater ſagte, und alles andre was
vergänglich iſt das iſt auch geiſtlos.“ —

Es war Mittag, ich wär gern den ganzen Tag bei
der Großmama geblieben, wenn man in Frankfurt ge¬
wußt hätte wo ich war. — An der Gerbermühl begeg¬

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[54/0068] von ihm und die Großmama würde mir noch manches erzählen, ich hab ſie noch nie ordentlich ausgefragt, und beſonders hab ich mich immer geſcheut ſie über ihre re¬ ligiöſen Anſichten zu fragen weil ich fürchtete ſie zu be¬ leidigen, aber bei dieſem Geſpräch ſagte ſie von ſelbſt, „ſiehſt Du mein Kind, ſo trägt die goldne Au der Ver¬ gangenheit die Ähren, ohne welche ſo mancher an Gei¬ ſtesnahrung Hunger ſterben müßte, und rund um uns, wo die Sonne ihren Lauf öffnet und wo ſie ihn ſchließt, wo ſie mit ſengendem Strahl die Fluren brennt, und wo ſie lange ihr freundlich Antlitz verbirgt, allenthalben keimen Blumen, deren vereinter Strauß uns ein Anden¬ ken iſt an die Kindheit unſeres Geſchlechts. So gehört die Vergangenheit zum Tag des Lebens. Sie iſt die Wurzel des meinen. Dein Großvater war guter Menſch und guter Staatsbürger, er hat als ſolcher auf Fürſten und Unterthanen gewirkt, und auch bis heute noch auf ſeine Frau. Eine Vergangenheit iſt alſo nicht für das wahre Gute, es wirkt ohne Ende, es kommt aus dem Geiſt wie Dein Großvater ſagte, und alles andre was vergänglich iſt das iſt auch geiſtlos.“ — Es war Mittag, ich wär gern den ganzen Tag bei der Großmama geblieben, wenn man in Frankfurt ge¬ wußt hätte wo ich war. — An der Gerbermühl begeg¬

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 2. Grünberg u. a., 1840, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode02_1840/68>, abgerufen am 27.11.2024.