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Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 2. Grünberg u. a., 1840.

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"über manches andere belehrt uns die Zeit, und man
"lernt daß wahre Schätzung nicht ohne Schonung sein
"kann; seit der Zeit ist mir jedes ideale Streben wo
"ich es antreffe werth und lieb." -- So sehr ich sonst
eine Sehnsucht hatte allein und heimlich ihn aufzusu¬
chen, jetzt ists nicht mehr so; -- ich möchte gar nicht zu
ihm wenn ich nicht Dich an der Hand führte -- nur als
zeigte ich Dir den Weg, -- und nur daß ich mir den
Dank von ihm und Dir verdienen will, denn was er
im Brief sagt berechtigt Euch gegenseitig auf einander
Anspruch zu machen, denn wie freudig würd er erstau¬
nen über das Ideal in Deiner Brust, so wie Du Dich
aussprichst in jenem Brief, wo Dir auf einmal so hell
dies Ideal erschien, als sähest Du voraus in Deine Un¬
sterblichkeit. -- Und mit was könnt ich ihm entgegen¬
kommen? -- ich hab keine Vorrechte, ich hab nichts,
als den geheimen Werth von Dir nicht verlassen zu
sein, sondern angesehen mit Deinen Geistesaugen die
Gedanken in mich hineinzaubern, welche ich nie geahnt
haben würde, läse ich sie nicht in Deinem Geist.

Gestern Abend haben sich Jung und Alt bescheert,
mir sind die leeren Weihnachtsbäume zu Theil gewor¬
den, ich hab mir sie ausgebeten, ich hab sie vor die
Thür gepflanzt, man geht durch eine Allee von der

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„über manches andere belehrt uns die Zeit, und man
„lernt daß wahre Schätzung nicht ohne Schonung ſein
„kann; ſeit der Zeit iſt mir jedes ideale Streben wo
„ich es antreffe werth und lieb.“ — So ſehr ich ſonſt
eine Sehnſucht hatte allein und heimlich ihn aufzuſu¬
chen, jetzt iſts nicht mehr ſo; — ich möchte gar nicht zu
ihm wenn ich nicht Dich an der Hand führte — nur als
zeigte ich Dir den Weg, — und nur daß ich mir den
Dank von ihm und Dir verdienen will, denn was er
im Brief ſagt berechtigt Euch gegenſeitig auf einander
Anſpruch zu machen, denn wie freudig würd er erſtau¬
nen über das Ideal in Deiner Bruſt, ſo wie Du Dich
ausſprichſt in jenem Brief, wo Dir auf einmal ſo hell
dies Ideal erſchien, als ſäheſt Du voraus in Deine Un¬
ſterblichkeit. — Und mit was könnt ich ihm entgegen¬
kommen? — ich hab keine Vorrechte, ich hab nichts,
als den geheimen Werth von Dir nicht verlaſſen zu
ſein, ſondern angeſehen mit Deinen Geiſtesaugen die
Gedanken in mich hineinzaubern, welche ich nie geahnt
haben würde, läſe ich ſie nicht in Deinem Geiſt.

Geſtern Abend haben ſich Jung und Alt beſcheert,
mir ſind die leeren Weihnachtsbäume zu Theil gewor¬
den, ich hab mir ſie ausgebeten, ich hab ſie vor die
Thür gepflanzt, man geht durch eine Allee von der

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[243/0257] „über manches andere belehrt uns die Zeit, und man „lernt daß wahre Schätzung nicht ohne Schonung ſein „kann; ſeit der Zeit iſt mir jedes ideale Streben wo „ich es antreffe werth und lieb.“ — So ſehr ich ſonſt eine Sehnſucht hatte allein und heimlich ihn aufzuſu¬ chen, jetzt iſts nicht mehr ſo; — ich möchte gar nicht zu ihm wenn ich nicht Dich an der Hand führte — nur als zeigte ich Dir den Weg, — und nur daß ich mir den Dank von ihm und Dir verdienen will, denn was er im Brief ſagt berechtigt Euch gegenſeitig auf einander Anſpruch zu machen, denn wie freudig würd er erſtau¬ nen über das Ideal in Deiner Bruſt, ſo wie Du Dich ausſprichſt in jenem Brief, wo Dir auf einmal ſo hell dies Ideal erſchien, als ſäheſt Du voraus in Deine Un¬ ſterblichkeit. — Und mit was könnt ich ihm entgegen¬ kommen? — ich hab keine Vorrechte, ich hab nichts, als den geheimen Werth von Dir nicht verlaſſen zu ſein, ſondern angeſehen mit Deinen Geiſtesaugen die Gedanken in mich hineinzaubern, welche ich nie geahnt haben würde, läſe ich ſie nicht in Deinem Geiſt. Geſtern Abend haben ſich Jung und Alt beſcheert, mir ſind die leeren Weihnachtsbäume zu Theil gewor¬ den, ich hab mir ſie ausgebeten, ich hab ſie vor die Thür gepflanzt, man geht durch eine Allee von der 11*

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 2. Grünberg u. a., 1840, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode02_1840/257>, abgerufen am 23.11.2024.