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Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 1. Grünberg u. a., 1840.

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Treue von selbst stark geworden, kann man ihr nichts
zumuthen, sie würde nur bei einer Anforderung ihr auf¬
keimendes Leben einbüßen, wenn sie aber einmal voll¬
kommen ausgebildet ist, dann ist sie kein Verdienst
mehr, dann ist sie Bedürfniß geworden, Lebensathem; --
sie hat keine Rechte mehr zu befriedigen, weil sie ganz
organisches Leben geworden ist. -- Das sei unsre Sorge,
daß jede Lebensregung eigenthümliches, organisches Le¬
ben werde, das sei unsre Fundamental-Treue, durch die
wir in allem Erhabenen mit den Göttern uns vermäh¬
len. Bis dahin laß uns einander treffen in ihrem Tem¬
pel, die Gewohnheit, uns da zu finden, einander die
Hand zu bieten in gleicher Absicht, die wird den Baum
der Treue in uns pflegen, daß er als selbstständiges
Leben von uns beiden ausgehe und stark werde.

Ich habe mich mit dem Gedanken oft herumgetra¬
gen, ob nicht alles, was sich vollkommen und also le¬
bendig in der Seele ausbilde, ein selbstständiges Leben
gewinnen müsse, das dann, als willenskräftige Macht,
(wie jene Treue, mit der Du mich magnetisirst) Men¬
schengeister durchdringt, und sie zu höherem Dasein in¬
spirirt. -- Was sich im Geist ereignet ist Vorbereitung
einer sich ausbildenden Zukunft, und diese Zukunft sind
wir selber. -- Du sagst, alles gehe ins Innere herein

Treue von ſelbſt ſtark geworden, kann man ihr nichts
zumuthen, ſie würde nur bei einer Anforderung ihr auf¬
keimendes Leben einbüßen, wenn ſie aber einmal voll¬
kommen ausgebildet iſt, dann iſt ſie kein Verdienſt
mehr, dann iſt ſie Bedürfniß geworden, Lebensathem; —
ſie hat keine Rechte mehr zu befriedigen, weil ſie ganz
organiſches Leben geworden iſt. — Das ſei unſre Sorge,
daß jede Lebensregung eigenthümliches, organiſches Le¬
ben werde, das ſei unſre Fundamental-Treue, durch die
wir in allem Erhabenen mit den Göttern uns vermäh¬
len. Bis dahin laß uns einander treffen in ihrem Tem¬
pel, die Gewohnheit, uns da zu finden, einander die
Hand zu bieten in gleicher Abſicht, die wird den Baum
der Treue in uns pflegen, daß er als ſelbſtſtändiges
Leben von uns beiden ausgehe und ſtark werde.

Ich habe mich mit dem Gedanken oft herumgetra¬
gen, ob nicht alles, was ſich vollkommen und alſo le¬
bendig in der Seele ausbilde, ein ſelbſtſtändiges Leben
gewinnen müſſe, das dann, als willenskräftige Macht,
(wie jene Treue, mit der Du mich magnetiſirſt) Men¬
ſchengeiſter durchdringt, und ſie zu höherem Daſein in¬
ſpirirt. — Was ſich im Geiſt ereignet iſt Vorbereitung
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[45/0061] Treue von ſelbſt ſtark geworden, kann man ihr nichts zumuthen, ſie würde nur bei einer Anforderung ihr auf¬ keimendes Leben einbüßen, wenn ſie aber einmal voll¬ kommen ausgebildet iſt, dann iſt ſie kein Verdienſt mehr, dann iſt ſie Bedürfniß geworden, Lebensathem; — ſie hat keine Rechte mehr zu befriedigen, weil ſie ganz organiſches Leben geworden iſt. — Das ſei unſre Sorge, daß jede Lebensregung eigenthümliches, organiſches Le¬ ben werde, das ſei unſre Fundamental-Treue, durch die wir in allem Erhabenen mit den Göttern uns vermäh¬ len. Bis dahin laß uns einander treffen in ihrem Tem¬ pel, die Gewohnheit, uns da zu finden, einander die Hand zu bieten in gleicher Abſicht, die wird den Baum der Treue in uns pflegen, daß er als ſelbſtſtändiges Leben von uns beiden ausgehe und ſtark werde. Ich habe mich mit dem Gedanken oft herumgetra¬ gen, ob nicht alles, was ſich vollkommen und alſo le¬ bendig in der Seele ausbilde, ein ſelbſtſtändiges Leben gewinnen müſſe, das dann, als willenskräftige Macht, (wie jene Treue, mit der Du mich magnetiſirſt) Men¬ ſchengeiſter durchdringt, und ſie zu höherem Daſein in¬ ſpirirt. — Was ſich im Geiſt ereignet iſt Vorbereitung einer ſich ausbildenden Zukunft, und dieſe Zukunft ſind wir ſelber. — Du ſagſt, alles gehe ins Innere herein

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 1. Grünberg u. a., 1840, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode01_1840/61>, abgerufen am 23.11.2024.