Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 1. Grünberg u. a., 1840.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Manen.

Schüler. Weiser Meister! ich war in den Kata¬
komben der Schwedenkönige, ich nahte mich dem Sarg
des Gustav Adolph mit sonderbarem schmerzlichem Ge¬
fühl, seine Thaten gingen an meinem Geist vorüber,
ich sah zugleich sein Leben und seinen Tod, seine über¬
schwengliche Thatkraft und die tiefe Ruhe, in der er
schon dem zweiten Jahrhundert entgegenschlummert; ich
rief mir die grausenvolle Zeit zurück, in der er lebte,
mein Gemüth glich einer Gruft, aus der die schwan¬
kenden Schatten der Vergangenheit heraufsteigen. Ich
weinte so heiße Thränen seinem Tod, als sei er heute
erst gefallen. Dahin! Verloren! Vergangen! sagte ich
mir, sind dies des großen Lebens Früchte alle? --
Ach! -- ich mußte die Gruft verlassen, ich suchte Zer¬
streuung, ich suchte andre Schmerzen, aber der unterir¬
dische trübe Geist verfolgt mich, ich kann die Wehmuth
nicht los werden, die wie ein Trauerflor über meine Gegen¬
wart sich legt, dies Zeitalter ist mir nichtig und leer, sehn¬
lich und gewaltig zieht michs in die Vergangenheit dahin!
Vergangen, so ruft mein Geist. O möcht ich mit vergan¬
gen sein und diese schlechte Zeit nie gesehen haben, in der
die Vorwelt vergeht, an der ihre Größe verloren ist. --

Die Manen.

Schüler. Weiſer Meiſter! ich war in den Kata¬
komben der Schwedenkönige, ich nahte mich dem Sarg
des Guſtav Adolph mit ſonderbarem ſchmerzlichem Ge¬
fühl, ſeine Thaten gingen an meinem Geiſt vorüber,
ich ſah zugleich ſein Leben und ſeinen Tod, ſeine über¬
ſchwengliche Thatkraft und die tiefe Ruhe, in der er
ſchon dem zweiten Jahrhundert entgegenſchlummert; ich
rief mir die grauſenvolle Zeit zurück, in der er lebte,
mein Gemüth glich einer Gruft, aus der die ſchwan¬
kenden Schatten der Vergangenheit heraufſteigen. Ich
weinte ſo heiße Thränen ſeinem Tod, als ſei er heute
erſt gefallen. Dahin! Verloren! Vergangen! ſagte ich
mir, ſind dies des großen Lebens Früchte alle? —
Ach! — ich mußte die Gruft verlaſſen, ich ſuchte Zer¬
ſtreuung, ich ſuchte andre Schmerzen, aber der unterir¬
diſche trübe Geiſt verfolgt mich, ich kann die Wehmuth
nicht los werden, die wie ein Trauerflor über meine Gegen¬
wart ſich legt, dies Zeitalter iſt mir nichtig und leer, ſehn¬
lich und gewaltig zieht michs in die Vergangenheit dahin!
Vergangen, ſo ruft mein Geiſt. O möcht ich mit vergan¬
gen ſein und dieſe ſchlechte Zeit nie geſehen haben, in der
die Vorwelt vergeht, an der ihre Größe verloren iſt. —

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0022" n="6"/>
        </div>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#g">Die Manen.</hi><lb/>
          </head>
          <p><hi rendition="#g">Schüle</hi>r. Wei&#x017F;er Mei&#x017F;ter! ich war in den Kata¬<lb/>
komben der Schwedenkönige, ich nahte mich dem Sarg<lb/>
des Gu&#x017F;tav Adolph mit &#x017F;onderbarem &#x017F;chmerzlichem Ge¬<lb/>
fühl, &#x017F;eine Thaten gingen an meinem Gei&#x017F;t vorüber,<lb/>
ich &#x017F;ah zugleich &#x017F;ein Leben und &#x017F;einen Tod, &#x017F;eine über¬<lb/>
&#x017F;chwengliche Thatkraft und die tiefe Ruhe, in der er<lb/>
&#x017F;chon dem zweiten Jahrhundert entgegen&#x017F;chlummert; ich<lb/>
rief mir die grau&#x017F;envolle Zeit zurück, in der er lebte,<lb/>
mein Gemüth glich einer Gruft, aus der die &#x017F;chwan¬<lb/>
kenden Schatten der Vergangenheit herauf&#x017F;teigen. Ich<lb/>
weinte &#x017F;o heiße Thränen &#x017F;einem Tod, als &#x017F;ei er heute<lb/>
er&#x017F;t gefallen. Dahin! Verloren! Vergangen! &#x017F;agte ich<lb/>
mir, &#x017F;ind dies des großen Lebens Früchte alle? &#x2014;<lb/>
Ach! &#x2014; ich mußte die Gruft verla&#x017F;&#x017F;en, ich &#x017F;uchte Zer¬<lb/>
&#x017F;treuung, ich &#x017F;uchte andre Schmerzen, aber der unterir¬<lb/>
di&#x017F;che trübe Gei&#x017F;t verfolgt mich, ich kann die Wehmuth<lb/>
nicht los werden, die wie ein Trauerflor über meine Gegen¬<lb/>
wart &#x017F;ich legt, dies Zeitalter i&#x017F;t mir nichtig und leer, &#x017F;ehn¬<lb/>
lich und gewaltig zieht michs in die Vergangenheit dahin!<lb/>
Vergangen, &#x017F;o ruft mein Gei&#x017F;t. O möcht ich mit vergan¬<lb/>
gen &#x017F;ein und die&#x017F;e &#x017F;chlechte Zeit nie ge&#x017F;ehen haben, in der<lb/>
die Vorwelt vergeht, an der ihre Größe verloren i&#x017F;t. &#x2014;</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[6/0022] Die Manen. Schüler. Weiſer Meiſter! ich war in den Kata¬ komben der Schwedenkönige, ich nahte mich dem Sarg des Guſtav Adolph mit ſonderbarem ſchmerzlichem Ge¬ fühl, ſeine Thaten gingen an meinem Geiſt vorüber, ich ſah zugleich ſein Leben und ſeinen Tod, ſeine über¬ ſchwengliche Thatkraft und die tiefe Ruhe, in der er ſchon dem zweiten Jahrhundert entgegenſchlummert; ich rief mir die grauſenvolle Zeit zurück, in der er lebte, mein Gemüth glich einer Gruft, aus der die ſchwan¬ kenden Schatten der Vergangenheit heraufſteigen. Ich weinte ſo heiße Thränen ſeinem Tod, als ſei er heute erſt gefallen. Dahin! Verloren! Vergangen! ſagte ich mir, ſind dies des großen Lebens Früchte alle? — Ach! — ich mußte die Gruft verlaſſen, ich ſuchte Zer¬ ſtreuung, ich ſuchte andre Schmerzen, aber der unterir¬ diſche trübe Geiſt verfolgt mich, ich kann die Wehmuth nicht los werden, die wie ein Trauerflor über meine Gegen¬ wart ſich legt, dies Zeitalter iſt mir nichtig und leer, ſehn¬ lich und gewaltig zieht michs in die Vergangenheit dahin! Vergangen, ſo ruft mein Geiſt. O möcht ich mit vergan¬ gen ſein und dieſe ſchlechte Zeit nie geſehen haben, in der die Vorwelt vergeht, an der ihre Größe verloren iſt. —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode01_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode01_1840/22
Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 1. Grünberg u. a., 1840, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode01_1840/22>, abgerufen am 24.11.2024.