giebt uns den Vergleich von der Gewalt ihrer Willens¬ kraft, die stärker war, als die jetzige Zeit zugiebt, und leitet zu dem Begriff hin, was die menschliche Seele sein könnte, wenn sie fort und fort wüchse, im einfachen Dienst ihrer selbst. Es ist mit der Seelennatur wohl wie mit der irdischen, ein Rebgarten auf einen öden Berg gepflanzt, wird die Kraft des Bodens bald durch den Wein auf Deine Sinne wirken lassen; so auch wird die Seele auf Deine Sinne wirken, die vom Geist durch¬ drungen den Wein Dir spendet der Kunst oder der Dich¬ tung oder auch höherer Offenbarung. Die Seele ist gleich einem steinigten Acker, der dem Reben vielleicht grade das eigenthümliche Feuer giebt, verborgne Kräfte zu wecken; und zu erreichen, zu was wir vielleicht uns kein Genie zutrauen dürften. Du stehst aber wie ein läs¬ siger Knabe vor seinem Tagwerk, Du entmuthigst Dich selbst, indem Du Dir den steinigten Boden, über den Dorn und Distel ihren Flügelsamen hin und her jagen, nicht urbar zu machen getraust. Unterdeß hat der Wind manch edlen Keim in diese verwilderte Steppe gebettet, der aufgeht um tausendfältig zu prangen. -- Dein scheuer Blick wagt nicht den Geist in Dir selber aufzufassen. Du gehst trutzig an Deiner eignen Natur vorüber, Du dämpfst ihre üppige Kraft mit muthwilliger Verschwörung
giebt uns den Vergleich von der Gewalt ihrer Willens¬ kraft, die ſtärker war, als die jetzige Zeit zugiebt, und leitet zu dem Begriff hin, was die menſchliche Seele ſein könnte, wenn ſie fort und fort wüchſe, im einfachen Dienſt ihrer ſelbſt. Es iſt mit der Seelennatur wohl wie mit der irdiſchen, ein Rebgarten auf einen öden Berg gepflanzt, wird die Kraft des Bodens bald durch den Wein auf Deine Sinne wirken laſſen; ſo auch wird die Seele auf Deine Sinne wirken, die vom Geiſt durch¬ drungen den Wein Dir ſpendet der Kunſt oder der Dich¬ tung oder auch höherer Offenbarung. Die Seele iſt gleich einem ſteinigten Acker, der dem Reben vielleicht grade das eigenthümliche Feuer giebt, verborgne Kräfte zu wecken; und zu erreichen, zu was wir vielleicht uns kein Genie zutrauen dürften. Du ſtehſt aber wie ein läſ¬ ſiger Knabe vor ſeinem Tagwerk, Du entmuthigſt Dich ſelbſt, indem Du Dir den ſteinigten Boden, über den Dorn und Diſtel ihren Flügelſamen hin und her jagen, nicht urbar zu machen getrauſt. Unterdeß hat der Wind manch edlen Keim in dieſe verwilderte Steppe gebettet, der aufgeht um tauſendfältig zu prangen. — Dein ſcheuer Blick wagt nicht den Geiſt in Dir ſelber aufzufaſſen. Du gehſt trutzig an Deiner eignen Natur vorüber, Du dämpfſt ihre üppige Kraft mit muthwilliger Verſchwörung
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0192"n="176"/>
giebt uns den Vergleich von der Gewalt ihrer Willens¬<lb/>
kraft, die ſtärker war, als die jetzige Zeit zugiebt, und<lb/>
leitet zu dem Begriff hin, was die menſchliche Seele<lb/>ſein könnte, wenn ſie fort und fort wüchſe, im einfachen<lb/>
Dienſt ihrer ſelbſt. Es iſt mit der Seelennatur wohl<lb/>
wie mit der irdiſchen, ein Rebgarten auf einen öden<lb/>
Berg gepflanzt, wird die Kraft des Bodens bald durch<lb/>
den Wein auf Deine Sinne wirken laſſen; ſo auch wird<lb/>
die Seele auf Deine Sinne wirken, die vom Geiſt durch¬<lb/>
drungen den Wein Dir ſpendet der Kunſt oder der Dich¬<lb/>
tung oder auch höherer Offenbarung. Die Seele iſt<lb/>
gleich einem ſteinigten Acker, der dem Reben vielleicht<lb/>
grade das eigenthümliche Feuer giebt, verborgne Kräfte<lb/>
zu wecken; und zu erreichen, zu was wir vielleicht uns<lb/>
kein Genie zutrauen dürften. Du ſtehſt aber wie ein läſ¬<lb/>ſiger Knabe vor ſeinem Tagwerk, Du entmuthigſt Dich<lb/>ſelbſt, indem Du Dir den ſteinigten Boden, über den<lb/>
Dorn und Diſtel ihren Flügelſamen hin und her jagen,<lb/>
nicht urbar zu machen getrauſt. Unterdeß hat der Wind<lb/>
manch edlen Keim in dieſe verwilderte Steppe gebettet,<lb/>
der aufgeht um tauſendfältig zu prangen. — Dein ſcheuer<lb/>
Blick wagt nicht den Geiſt in Dir ſelber aufzufaſſen.<lb/>
Du gehſt trutzig an Deiner eignen Natur vorüber, Du<lb/>
dämpfſt ihre üppige Kraft mit muthwilliger Verſchwörung<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[176/0192]
giebt uns den Vergleich von der Gewalt ihrer Willens¬
kraft, die ſtärker war, als die jetzige Zeit zugiebt, und
leitet zu dem Begriff hin, was die menſchliche Seele
ſein könnte, wenn ſie fort und fort wüchſe, im einfachen
Dienſt ihrer ſelbſt. Es iſt mit der Seelennatur wohl
wie mit der irdiſchen, ein Rebgarten auf einen öden
Berg gepflanzt, wird die Kraft des Bodens bald durch
den Wein auf Deine Sinne wirken laſſen; ſo auch wird
die Seele auf Deine Sinne wirken, die vom Geiſt durch¬
drungen den Wein Dir ſpendet der Kunſt oder der Dich¬
tung oder auch höherer Offenbarung. Die Seele iſt
gleich einem ſteinigten Acker, der dem Reben vielleicht
grade das eigenthümliche Feuer giebt, verborgne Kräfte
zu wecken; und zu erreichen, zu was wir vielleicht uns
kein Genie zutrauen dürften. Du ſtehſt aber wie ein läſ¬
ſiger Knabe vor ſeinem Tagwerk, Du entmuthigſt Dich
ſelbſt, indem Du Dir den ſteinigten Boden, über den
Dorn und Diſtel ihren Flügelſamen hin und her jagen,
nicht urbar zu machen getrauſt. Unterdeß hat der Wind
manch edlen Keim in dieſe verwilderte Steppe gebettet,
der aufgeht um tauſendfältig zu prangen. — Dein ſcheuer
Blick wagt nicht den Geiſt in Dir ſelber aufzufaſſen.
Du gehſt trutzig an Deiner eignen Natur vorüber, Du
dämpfſt ihre üppige Kraft mit muthwilliger Verſchwörung
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 1. Grünberg u. a., 1840, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode01_1840/192>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.