alten wurmstichigen Vorurtheilslasten, und erschaffen Räthe aller Art, geheime und öffentliche, die weder heim¬ lich noch öffentlich anders als verkehrt sind; -- denn das rechte Wahre ist so unerhört einfach, daß schon deswegen es nie an die Reihe kommt. Wenn alle Pharisäer an der Regierungsmaschine auf einmal die Staarsucht bekämen, es würde der Welt nichts ab¬ gehen an ihrer Gesundheit, nicht einmal verschnupfen würde sie." -- So politisirt mir der Voigt gewöhn¬ lich unterm Sternenhimmel noch eine Stunde vor, wo ich bei schönem Wetter auf der menschenleeren Terrasse mit ihm wandle; er sagt: hören Sie mir immer zu, Sie sind noch jung und haben mehr Energie im Judi¬ cium vor den andern Allen, oder vielmehr: wo ists ge¬ blieben könnte man die andern fragen, denen die Oh¬ ren nach Fablen jücken, und die sich von der Wahr¬ heit abwenden oder sie nach eignem Gelüst auslegen, daß sie ihnen zur Fabel wird. -- Den Voigt will kein Mensch anhören, jedermann schreit über ihn, ich aber fühl mich sehr geehrt, daß er mir gern das ernste Große seines Geistes darlegt, ich hör ihm begierig zu. Er ist so kurz und entschieden zwischen Recht und Unrecht, daß man keine Zeit im Schwanken verliert und daß man einen Heldencharakter bedarf ihm zu folgen. "Für
alten wurmſtichigen Vorurtheilslaſten, und erſchaffen Räthe aller Art, geheime und öffentliche, die weder heim¬ lich noch öffentlich anders als verkehrt ſind; — denn das rechte Wahre iſt ſo unerhört einfach, daß ſchon deswegen es nie an die Reihe kommt. Wenn alle Phariſäer an der Regierungsmaſchine auf einmal die Staarſucht bekämen, es würde der Welt nichts ab¬ gehen an ihrer Geſundheit, nicht einmal verſchnupfen würde ſie.“ — So politiſirt mir der Voigt gewöhn¬ lich unterm Sternenhimmel noch eine Stunde vor, wo ich bei ſchönem Wetter auf der menſchenleeren Terraſſe mit ihm wandle; er ſagt: hören Sie mir immer zu, Sie ſind noch jung und haben mehr Energie im Judi¬ cium vor den andern Allen, oder vielmehr: wo iſts ge¬ blieben könnte man die andern fragen, denen die Oh¬ ren nach Fablen jücken, und die ſich von der Wahr¬ heit abwenden oder ſie nach eignem Gelüſt auslegen, daß ſie ihnen zur Fabel wird. — Den Voigt will kein Menſch anhören, jedermann ſchreit über ihn, ich aber fühl mich ſehr geehrt, daß er mir gern das ernſte Große ſeines Geiſtes darlegt, ich hör ihm begierig zu. Er iſt ſo kurz und entſchieden zwiſchen Recht und Unrecht, daß man keine Zeit im Schwanken verliert und daß man einen Heldencharakter bedarf ihm zu folgen. „Für
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alten wurmſtichigen Vorurtheilslaſten, und erſchaffen
Räthe aller Art, geheime und öffentliche, die weder heim¬
lich noch öffentlich anders als verkehrt ſind; — denn
das rechte Wahre iſt ſo unerhört einfach, daß ſchon
deswegen es nie an die Reihe kommt. Wenn alle
Phariſäer an der Regierungsmaſchine auf einmal
die Staarſucht bekämen, es würde der Welt nichts ab¬
gehen an ihrer Geſundheit, nicht einmal verſchnupfen
würde ſie.“ — So politiſirt mir der Voigt gewöhn¬
lich unterm Sternenhimmel noch eine Stunde vor, wo
ich bei ſchönem Wetter auf der menſchenleeren Terraſſe
mit ihm wandle; er ſagt: hören Sie mir immer zu,
Sie ſind noch jung und haben mehr Energie im Judi¬
cium vor den andern Allen, oder vielmehr: wo iſts ge¬
blieben könnte man die andern fragen, denen die Oh¬
ren nach Fablen jücken, und die ſich von der Wahr¬
heit abwenden oder ſie nach eignem Gelüſt auslegen,
daß ſie ihnen zur Fabel wird. — Den Voigt will kein
Menſch anhören, jedermann ſchreit über ihn, ich aber
fühl mich ſehr geehrt, daß er mir gern das ernſte Große
ſeines Geiſtes darlegt, ich hör ihm begierig zu. Er iſt
ſo kurz und entſchieden zwiſchen Recht und Unrecht,
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Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 1. Grünberg u. a., 1840, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode01_1840/101>, abgerufen am 27.11.2024.
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