[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.meine Sprache. Am hohen Traubengeländer, das sich O Weh über mich, daß mir im Herzen so unend- Aber da war ein hoher Baum mit feinen phanta- Tagebuch. 3
meine Sprache. Am hohen Traubengeländer, das ſich O Weh über mich, daß mir im Herzen ſo unend- Aber da war ein hoher Baum mit feinen phanta- Tagebuch. 3
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0059" n="49"/> meine Sprache. Am hohen Traubengeländer, das ſich<lb/> an die Kirchenmauer anlehnte ſtieg ich hinauf, und hörte<lb/> die Schwalben in ihrem Neſtchen plaudern; halb träu-<lb/> mend zwitſchern ſie zwei- dreiſylbige Töne und aus<lb/> tiefer Ruhe ſeufzt die kleine Bruſt, einen ſüßen Wohl-<lb/> laut der Befriedigung. Lauter Liebesglück, lauter Be-<lb/> hagen, daß ihr Bettchen von befreundeter Wärme durch-<lb/> ſtrömt iſt.</p><lb/> <p>O Weh über mich, daß mir im Herzen ſo unend-<lb/> lich weh iſt, blos weil ich dies Leben der Natur mit<lb/> angeſchaut habe in meinen Kindertagen; dieſe tauſend-<lb/> fältigen Liebesſeufzer, die die Sommernacht durchſtöhnen,<lb/> und inmitten dieſer ein einſames Kind, einſam bis in's<lb/> innerſte Mark, das da lauſcht, ihren Seeligkeiten, ihrer<lb/> Inbrunſt, das in dem Kelch der Blumen nach ihren Ge-<lb/> heimniſſen forſcht, das ihren Duft in ſich ſaugt wie eine<lb/> Lehre der Weisheit, das erſt über die Traube den See-<lb/> gen ſpricht ehe es ſie genießt.</p><lb/> <p>Aber da war ein hoher Baum mit feinen phanta-<lb/> ſtiſchen Zweigen, breiten Sammtblättern, die ſich wie<lb/> ein Laubdach ausdehnten; oft lag ich in ſeiner kühlen<lb/> Umwölbung und ſah hinauf wie das Licht durch ihn<lb/> äugelte, und da lag ich mit freier Bruſt in tiefem<lb/> Schlaf; ja mir träumte von ſüßen Gaben der Liebe,<lb/> <fw place="bottom" type="sig">Tagebuch. 3</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [49/0059]
meine Sprache. Am hohen Traubengeländer, das ſich
an die Kirchenmauer anlehnte ſtieg ich hinauf, und hörte
die Schwalben in ihrem Neſtchen plaudern; halb träu-
mend zwitſchern ſie zwei- dreiſylbige Töne und aus
tiefer Ruhe ſeufzt die kleine Bruſt, einen ſüßen Wohl-
laut der Befriedigung. Lauter Liebesglück, lauter Be-
hagen, daß ihr Bettchen von befreundeter Wärme durch-
ſtrömt iſt.
O Weh über mich, daß mir im Herzen ſo unend-
lich weh iſt, blos weil ich dies Leben der Natur mit
angeſchaut habe in meinen Kindertagen; dieſe tauſend-
fältigen Liebesſeufzer, die die Sommernacht durchſtöhnen,
und inmitten dieſer ein einſames Kind, einſam bis in's
innerſte Mark, das da lauſcht, ihren Seeligkeiten, ihrer
Inbrunſt, das in dem Kelch der Blumen nach ihren Ge-
heimniſſen forſcht, das ihren Duft in ſich ſaugt wie eine
Lehre der Weisheit, das erſt über die Traube den See-
gen ſpricht ehe es ſie genießt.
Aber da war ein hoher Baum mit feinen phanta-
ſtiſchen Zweigen, breiten Sammtblättern, die ſich wie
ein Laubdach ausdehnten; oft lag ich in ſeiner kühlen
Umwölbung und ſah hinauf wie das Licht durch ihn
äugelte, und da lag ich mit freier Bruſt in tiefem
Schlaf; ja mir träumte von ſüßen Gaben der Liebe,
Tagebuch. 3
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