Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Manche Nächte hab' ich da im Freien zugebracht,
ich kleines Ding von acht Jahren; meinst Du das war
nichts? -- mein Heldenthum wars, denn ich war kühn
und wußte nichts davon. Die ganze Gegend, so weit ich
sie ermessen konnte war mein Bett; ob ich an Ufers-
rand von Wellen umspühlt, oder auf steilem Fels, vom
fallenden Thau durchnäßt schlief, das war mir einerlei.
Aber Freund! wenn die Dämmerung wich, und der
Morgen seinen Purpur über mir ausbreitete, und mich,
nachdem ich dem Gesang der steigenden Lerche schon im
Traum gelauscht hatte, unter tausendfachem Jubel aller
befiederten Kehlen weckte, was meinst Du wie ich mich
fühlte? -- nichts geringer als göttlicher Natur fühlt'
ich mich, und ich sah herab auf die ganze Menschheit.
Solcher Nächte zwei erinnere ich mich, die schwül wa-
ren wo ich aus den beklommenen Schlafsälen zwischen
den Reihen von Tiefschlafenden mich schlich und hinaus
in's Freie eilte, und mich die Gewitter überraschten, und
die breite blühende Linde mich unter Dach nahm; die
Blitze feuerten durch ihre tiefhängenden Zweige; dies
urplötzliche Erleuchten des fernen Waldes und der ein-
zelnen Felszacken erregte mir Schauer, ich fürchtete mich
und umklammerte den Baum der kein Herz hatte was
dem meinen entgegen schlug.

Manche Nächte hab' ich da im Freien zugebracht,
ich kleines Ding von acht Jahren; meinſt Du das war
nichts? — mein Heldenthum wars, denn ich war kühn
und wußte nichts davon. Die ganze Gegend, ſo weit ich
ſie ermeſſen konnte war mein Bett; ob ich an Ufers-
rand von Wellen umſpühlt, oder auf ſteilem Fels, vom
fallenden Thau durchnäßt ſchlief, das war mir einerlei.
Aber Freund! wenn die Dämmerung wich, und der
Morgen ſeinen Purpur über mir ausbreitete, und mich,
nachdem ich dem Geſang der ſteigenden Lerche ſchon im
Traum gelauſcht hatte, unter tauſendfachem Jubel aller
befiederten Kehlen weckte, was meinſt Du wie ich mich
fühlte? — nichts geringer als göttlicher Natur fühlt'
ich mich, und ich ſah herab auf die ganze Menſchheit.
Solcher Nächte zwei erinnere ich mich, die ſchwül wa-
ren wo ich aus den beklommenen Schlafſälen zwiſchen
den Reihen von Tiefſchlafenden mich ſchlich und hinaus
in's Freie eilte, und mich die Gewitter überraſchten, und
die breite blühende Linde mich unter Dach nahm; die
Blitze feuerten durch ihre tiefhängenden Zweige; dies
urplötzliche Erleuchten des fernen Waldes und der ein-
zelnen Felszacken erregte mir Schauer, ich fürchtete mich
und umklammerte den Baum der kein Herz hatte was
dem meinen entgegen ſchlug.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0054" n="44"/>
          <p>Manche Nächte hab' ich da im Freien zugebracht,<lb/>
ich kleines Ding von acht Jahren; mein&#x017F;t Du das war<lb/>
nichts? &#x2014; mein Heldenthum wars, denn ich war kühn<lb/>
und wußte nichts davon. Die ganze Gegend, &#x017F;o weit ich<lb/>
&#x017F;ie erme&#x017F;&#x017F;en konnte war mein Bett; ob ich an Ufers-<lb/>
rand von Wellen um&#x017F;pühlt, oder auf &#x017F;teilem Fels, vom<lb/>
fallenden Thau durchnäßt &#x017F;chlief, das war mir einerlei.<lb/>
Aber Freund! wenn die Dämmerung wich, und der<lb/>
Morgen &#x017F;einen Purpur über mir ausbreitete, und mich,<lb/>
nachdem ich dem Ge&#x017F;ang der &#x017F;teigenden Lerche &#x017F;chon im<lb/>
Traum gelau&#x017F;cht hatte, unter tau&#x017F;endfachem Jubel aller<lb/>
befiederten Kehlen weckte, was mein&#x017F;t Du wie ich mich<lb/>
fühlte? &#x2014; nichts geringer als göttlicher Natur fühlt'<lb/>
ich mich, und ich &#x017F;ah herab auf die ganze Men&#x017F;chheit.<lb/>
Solcher Nächte zwei erinnere ich mich, die &#x017F;chwül wa-<lb/>
ren wo ich aus den beklommenen Schlaf&#x017F;älen zwi&#x017F;chen<lb/>
den Reihen von Tief&#x017F;chlafenden mich &#x017F;chlich und hinaus<lb/>
in's Freie eilte, und mich die Gewitter überra&#x017F;chten, und<lb/>
die breite blühende Linde mich unter Dach nahm; die<lb/>
Blitze feuerten durch ihre tiefhängenden Zweige; dies<lb/>
urplötzliche Erleuchten des fernen Waldes und der ein-<lb/>
zelnen Felszacken erregte mir Schauer, ich fürchtete mich<lb/>
und umklammerte den Baum der kein Herz hatte was<lb/>
dem meinen entgegen &#x017F;chlug.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[44/0054] Manche Nächte hab' ich da im Freien zugebracht, ich kleines Ding von acht Jahren; meinſt Du das war nichts? — mein Heldenthum wars, denn ich war kühn und wußte nichts davon. Die ganze Gegend, ſo weit ich ſie ermeſſen konnte war mein Bett; ob ich an Ufers- rand von Wellen umſpühlt, oder auf ſteilem Fels, vom fallenden Thau durchnäßt ſchlief, das war mir einerlei. Aber Freund! wenn die Dämmerung wich, und der Morgen ſeinen Purpur über mir ausbreitete, und mich, nachdem ich dem Geſang der ſteigenden Lerche ſchon im Traum gelauſcht hatte, unter tauſendfachem Jubel aller befiederten Kehlen weckte, was meinſt Du wie ich mich fühlte? — nichts geringer als göttlicher Natur fühlt' ich mich, und ich ſah herab auf die ganze Menſchheit. Solcher Nächte zwei erinnere ich mich, die ſchwül wa- ren wo ich aus den beklommenen Schlafſälen zwiſchen den Reihen von Tiefſchlafenden mich ſchlich und hinaus in's Freie eilte, und mich die Gewitter überraſchten, und die breite blühende Linde mich unter Dach nahm; die Blitze feuerten durch ihre tiefhängenden Zweige; dies urplötzliche Erleuchten des fernen Waldes und der ein- zelnen Felszacken erregte mir Schauer, ich fürchtete mich und umklammerte den Baum der kein Herz hatte was dem meinen entgegen ſchlug.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/54
Zitationshilfe: [Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/54>, abgerufen am 22.11.2024.