sie als etwas Erlebtes bezeichne. -- In der Natur ist's auch so, was spiegeln kann, das giebt wieder die Schrift der Liebe, der See malt die hohen Bäume, die ihn umge- ben, grade die höchsten Wipfel in die tiefste Tiefe, und die erhabenen Sterne finden noch tiefere Tiefe in ihm, und die Liebe, die alles erzeugte, bildet zu allem den Grund, und so kann ich mit Recht sagen: unergründ- lich Geheimniß lockt alles zum Spiegel der Liebe, sei es auch noch so gering, sei es auch noch so entfernt.
Wie ich ihn zum erstenmal sah, da erzählte ich ihm wie mich die Eifersucht gequält habe, seit ich von ihm wisse; es waren nicht seine Gedichte, nicht seine Bücher, die mich so ganz leidenschaftlich stimmten, ich war viel zu bewegt noch eh ich ihn gesehen hatte, meine Sinne waren viel zu verwirrt, um den Inhalt der Bü- cher zu fassen, ich war im Kloster erzogen und hatte noch nicht Poesie verstehen lernen; aber ich war schon im sechszehnten Jahr so von ihm hingerissen, daß wenn man seinen Namen nannte, man mochte ihn loben oder tadeln, so befiel mich Herzklopfen; ich glaub', es war Eifersucht, ich ward schwindlich, war es bei Tisch wo meine Großmutter manchmal von ihm sprach, so konnt' ich nicht mehr essen, währte das Gespräch länger, so vergingen mir die Sinne, ich ward nichts mehr gewahr,
ſie als etwas Erlebtes bezeichne. — In der Natur iſt's auch ſo, was ſpiegeln kann, das giebt wieder die Schrift der Liebe, der See malt die hohen Bäume, die ihn umge- ben, grade die höchſten Wipfel in die tiefſte Tiefe, und die erhabenen Sterne finden noch tiefere Tiefe in ihm, und die Liebe, die alles erzeugte, bildet zu allem den Grund, und ſo kann ich mit Recht ſagen: unergründ- lich Geheimniß lockt alles zum Spiegel der Liebe, ſei es auch noch ſo gering, ſei es auch noch ſo entfernt.
Wie ich ihn zum erſtenmal ſah, da erzählte ich ihm wie mich die Eiferſucht gequält habe, ſeit ich von ihm wiſſe; es waren nicht ſeine Gedichte, nicht ſeine Bücher, die mich ſo ganz leidenſchaftlich ſtimmten, ich war viel zu bewegt noch eh ich ihn geſehen hatte, meine Sinne waren viel zu verwirrt, um den Inhalt der Bü- cher zu faſſen, ich war im Kloſter erzogen und hatte noch nicht Poeſie verſtehen lernen; aber ich war ſchon im ſechszehnten Jahr ſo von ihm hingeriſſen, daß wenn man ſeinen Namen nannte, man mochte ihn loben oder tadeln, ſo befiel mich Herzklopfen; ich glaub', es war Eiferſucht, ich ward ſchwindlich, war es bei Tiſch wo meine Großmutter manchmal von ihm ſprach, ſo konnt' ich nicht mehr eſſen, währte das Geſpräch länger, ſo vergingen mir die Sinne, ich ward nichts mehr gewahr,
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ſie als etwas Erlebtes bezeichne. — In der Natur iſt's auch
ſo, was ſpiegeln kann, das giebt wieder die Schrift der
Liebe, der See malt die hohen Bäume, die ihn umge-
ben, grade die höchſten Wipfel in die tiefſte Tiefe, und
die erhabenen Sterne finden noch tiefere Tiefe in ihm,
und die Liebe, die alles erzeugte, bildet zu allem den
Grund, und ſo kann ich mit Recht ſagen: unergründ-
lich Geheimniß lockt alles zum Spiegel der Liebe, ſei
es auch noch ſo gering, ſei es auch noch ſo entfernt.
Wie ich ihn zum erſtenmal ſah, da erzählte ich
ihm wie mich die Eiferſucht gequält habe, ſeit ich von
ihm wiſſe; es waren nicht ſeine Gedichte, nicht ſeine
Bücher, die mich ſo ganz leidenſchaftlich ſtimmten, ich
war viel zu bewegt noch eh ich ihn geſehen hatte, meine
Sinne waren viel zu verwirrt, um den Inhalt der Bü-
cher zu faſſen, ich war im Kloſter erzogen und hatte
noch nicht Poeſie verſtehen lernen; aber ich war ſchon
im ſechszehnten Jahr ſo von ihm hingeriſſen, daß wenn
man ſeinen Namen nannte, man mochte ihn loben oder
tadeln, ſo befiel mich Herzklopfen; ich glaub', es war
Eiferſucht, ich ward ſchwindlich, war es bei Tiſch wo
meine Großmutter manchmal von ihm ſprach, ſo konnt'
ich nicht mehr eſſen, währte das Geſpräch länger, ſo
vergingen mir die Sinne, ich ward nichts mehr gewahr,
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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/240>, abgerufen am 22.07.2024.
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