wunderschön in Stein gehauen, bilden einen Kranz, Schlangen winden sich durch und strecken ihre gekrönte Köpfchen aus, und bilden so einen zweiten Kranz; es ist gar zu schön, hätt' ich's mitnehmen können, ich hätte Dir's gebracht! Während ich's durchzeichnen wollte, kam eine kleine Schlange unter dem Gras hervor, und richtete sich vor mir auf, als wollte sie zusehen, wie ich das Bild ihrer Ahnen nachzeichnete, und das erschreckte mich in der Einsamkeit, so daß ich mit einem Schauder davon eilte.
In dem äußeren Burgthor sind noch die Thüran- geln, über dem innersten Burgthor auf dem Söller ist ein Steinheerd mit einer kleinen Brandmauer umgeben, die wie eine Nische gebildet ist. Da haben sie das Pech glühend gemacht und durch ein Loch über der Mitte des Thores durchgegossen; alles wurde betrachtet, beach- tet, erklärt, zurecht gerückt, noch manches blieb uner- klärt, die Verwundrung über vorige Zeiten, und daß sie mit ihren Resten noch so derb in unsre hineinreichte, machte uns zu einfältigen Leuten; ja mir ward angst, diese alte grobknochige Zeit könne plötzlich über den Augenblick der Gegenwart kommen und ihn verschlin- gen. O Goethe, mir ist nur eins wichtig, mein Dasein in Dir! und nach diesem komme das End' aller Dinge.
wunderſchön in Stein gehauen, bilden einen Kranz, Schlangen winden ſich durch und ſtrecken ihre gekrönte Köpfchen aus, und bilden ſo einen zweiten Kranz; es iſt gar zu ſchön, hätt' ich's mitnehmen können, ich hätte Dir's gebracht! Während ich's durchzeichnen wollte, kam eine kleine Schlange unter dem Gras hervor, und richtete ſich vor mir auf, als wollte ſie zuſehen, wie ich das Bild ihrer Ahnen nachzeichnete, und das erſchreckte mich in der Einſamkeit, ſo daß ich mit einem Schauder davon eilte.
In dem äußeren Burgthor ſind noch die Thüran- geln, über dem innerſten Burgthor auf dem Söller iſt ein Steinheerd mit einer kleinen Brandmauer umgeben, die wie eine Niſche gebildet iſt. Da haben ſie das Pech glühend gemacht und durch ein Loch über der Mitte des Thores durchgegoſſen; alles wurde betrachtet, beach- tet, erklärt, zurecht gerückt, noch manches blieb uner- klärt, die Verwundrung über vorige Zeiten, und daß ſie mit ihren Reſten noch ſo derb in unſre hineinreichte, machte uns zu einfältigen Leuten; ja mir ward angſt, dieſe alte grobknochige Zeit könne plötzlich über den Augenblick der Gegenwart kommen und ihn verſchlin- gen. O Goethe, mir iſt nur eins wichtig, mein Daſein in Dir! und nach dieſem komme das End' aller Dinge.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0180"n="170"/>
wunderſchön in Stein gehauen, bilden einen Kranz,<lb/>
Schlangen winden ſich durch und ſtrecken ihre gekrönte<lb/>
Köpfchen aus, und bilden ſo einen zweiten Kranz; es<lb/>
iſt gar zu ſchön, hätt' ich's mitnehmen können, ich hätte<lb/>
Dir's gebracht! Während ich's durchzeichnen wollte,<lb/>
kam eine kleine Schlange unter dem Gras hervor, und<lb/>
richtete ſich vor mir auf, als wollte ſie zuſehen, wie ich<lb/>
das Bild ihrer Ahnen nachzeichnete, und das erſchreckte<lb/>
mich in der Einſamkeit, ſo daß ich mit einem Schauder<lb/>
davon eilte.</p><lb/><p>In dem äußeren Burgthor ſind noch die Thüran-<lb/>
geln, über dem innerſten Burgthor auf dem Söller iſt<lb/>
ein Steinheerd mit einer kleinen Brandmauer umgeben,<lb/>
die wie eine Niſche gebildet iſt. Da haben ſie das Pech<lb/>
glühend gemacht und durch ein Loch über der Mitte<lb/>
des Thores durchgegoſſen; alles wurde betrachtet, beach-<lb/>
tet, erklärt, zurecht gerückt, noch manches blieb uner-<lb/>
klärt, die Verwundrung über vorige Zeiten, und daß<lb/>ſie mit ihren Reſten noch ſo derb in unſre hineinreichte,<lb/>
machte uns zu einfältigen Leuten; ja mir ward angſt,<lb/>
dieſe alte grobknochige Zeit könne plötzlich über den<lb/>
Augenblick der Gegenwart kommen und ihn verſchlin-<lb/>
gen. O Goethe, mir iſt nur eins wichtig, mein Daſein<lb/>
in Dir! und nach dieſem komme das End' aller Dinge.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[170/0180]
wunderſchön in Stein gehauen, bilden einen Kranz,
Schlangen winden ſich durch und ſtrecken ihre gekrönte
Köpfchen aus, und bilden ſo einen zweiten Kranz; es
iſt gar zu ſchön, hätt' ich's mitnehmen können, ich hätte
Dir's gebracht! Während ich's durchzeichnen wollte,
kam eine kleine Schlange unter dem Gras hervor, und
richtete ſich vor mir auf, als wollte ſie zuſehen, wie ich
das Bild ihrer Ahnen nachzeichnete, und das erſchreckte
mich in der Einſamkeit, ſo daß ich mit einem Schauder
davon eilte.
In dem äußeren Burgthor ſind noch die Thüran-
geln, über dem innerſten Burgthor auf dem Söller iſt
ein Steinheerd mit einer kleinen Brandmauer umgeben,
die wie eine Niſche gebildet iſt. Da haben ſie das Pech
glühend gemacht und durch ein Loch über der Mitte
des Thores durchgegoſſen; alles wurde betrachtet, beach-
tet, erklärt, zurecht gerückt, noch manches blieb uner-
klärt, die Verwundrung über vorige Zeiten, und daß
ſie mit ihren Reſten noch ſo derb in unſre hineinreichte,
machte uns zu einfältigen Leuten; ja mir ward angſt,
dieſe alte grobknochige Zeit könne plötzlich über den
Augenblick der Gegenwart kommen und ihn verſchlin-
gen. O Goethe, mir iſt nur eins wichtig, mein Daſein
in Dir! und nach dieſem komme das End' aller Dinge.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/180>, abgerufen am 23.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.