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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.

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Menschheit durch Dich angethan, ist Spiegel ihrer (Ide-
alität
) reinsten unverkümmerten Natur. Und nun kam
ich von meinem Weg um die Burg, die ich zweimal in
beflügeltem Lauf, wie Pindar sagt, umkreis't habe, sie
liegt auf runder kurzbegraster Kuppe, die Schaafheerde
drängte sich wie ein Pelzkragen um ihre Zwinger; ein
blöckender Pelzkragen! ich hatte Brod bei mir, das ich
unter sie theilte, wie Deutschlands Kaiser unter die Ty-
roler, aber sie drängten mich auch, wie jene den Kaiser
und schrieen: "mehr Brod! mehr Brod! -- blä! blä!"
-- ich hatte keins mehr, wie der Kaiser auch; ich war
in Gefahr umgerissen zu werden wie er; ich riß mich
durch, und im vollem Galopp den Berg hinunter, die
ganze Heerde hinter mir drein, mit sammt dem bellen-
den Hund, kam ich am Fuß des Berges vor dem Wirths-
haus an, dort weckten sie die ganze Reisegesellschaft mit
ihrem Geblök, und ich sage Dir, sie wollten mit Gewalt
in die Wirthsstube, ich mußte sie zuriegeln, ich glaub'
der Bock hätte sie sonst mit seinen Hörnern aufgeklemmt.
Ei, hätten's die Tyroler auch so gemacht, der Kaiser
hätte Brod schaffen müssen; die machten's aber wie der
Schäfer, der blieb verdattert auf dem Berge stehen und
sah seine Heerde davoneilen; "Du kannst tausend Dumm-
heiten in einen kleinen Raum einpferchen, wie der Schä-

Menſchheit durch Dich angethan, iſt Spiegel ihrer (Ide-
alität
) reinſten unverkümmerten Natur. Und nun kam
ich von meinem Weg um die Burg, die ich zweimal in
beflügeltem Lauf, wie Pindar ſagt, umkreiſ't habe, ſie
liegt auf runder kurzbegraster Kuppe, die Schaafheerde
drängte ſich wie ein Pelzkragen um ihre Zwinger; ein
blöckender Pelzkragen! ich hatte Brod bei mir, das ich
unter ſie theilte, wie Deutſchlands Kaiſer unter die Ty-
roler, aber ſie drängten mich auch, wie jene den Kaiſer
und ſchrieen: „mehr Brod! mehr Brod! — blä! blä!“
— ich hatte keins mehr, wie der Kaiſer auch; ich war
in Gefahr umgeriſſen zu werden wie er; ich riß mich
durch, und im vollem Galopp den Berg hinunter, die
ganze Heerde hinter mir drein, mit ſammt dem bellen-
den Hund, kam ich am Fuß des Berges vor dem Wirths-
haus an, dort weckten ſie die ganze Reiſegeſellſchaft mit
ihrem Geblök, und ich ſage Dir, ſie wollten mit Gewalt
in die Wirthsſtube, ich mußte ſie zuriegeln, ich glaub'
der Bock hätte ſie ſonſt mit ſeinen Hörnern aufgeklemmt.
Ei, hätten's die Tyroler auch ſo gemacht, der Kaiſer
hätte Brod ſchaffen müſſen; die machten's aber wie der
Schäfer, der blieb verdattert auf dem Berge ſtehen und
ſah ſeine Heerde davoneilen; „Du kannſt tauſend Dumm-
heiten in einen kleinen Raum einpferchen, wie der Schä-

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[167/0177] Menſchheit durch Dich angethan, iſt Spiegel ihrer (Ide- alität) reinſten unverkümmerten Natur. Und nun kam ich von meinem Weg um die Burg, die ich zweimal in beflügeltem Lauf, wie Pindar ſagt, umkreiſ't habe, ſie liegt auf runder kurzbegraster Kuppe, die Schaafheerde drängte ſich wie ein Pelzkragen um ihre Zwinger; ein blöckender Pelzkragen! ich hatte Brod bei mir, das ich unter ſie theilte, wie Deutſchlands Kaiſer unter die Ty- roler, aber ſie drängten mich auch, wie jene den Kaiſer und ſchrieen: „mehr Brod! mehr Brod! — blä! blä!“ — ich hatte keins mehr, wie der Kaiſer auch; ich war in Gefahr umgeriſſen zu werden wie er; ich riß mich durch, und im vollem Galopp den Berg hinunter, die ganze Heerde hinter mir drein, mit ſammt dem bellen- den Hund, kam ich am Fuß des Berges vor dem Wirths- haus an, dort weckten ſie die ganze Reiſegeſellſchaft mit ihrem Geblök, und ich ſage Dir, ſie wollten mit Gewalt in die Wirthsſtube, ich mußte ſie zuriegeln, ich glaub' der Bock hätte ſie ſonſt mit ſeinen Hörnern aufgeklemmt. Ei, hätten's die Tyroler auch ſo gemacht, der Kaiſer hätte Brod ſchaffen müſſen; die machten's aber wie der Schäfer, der blieb verdattert auf dem Berge ſtehen und ſah ſeine Heerde davoneilen; „Du kannſt tauſend Dumm- heiten in einen kleinen Raum einpferchen, wie der Schä-

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Zitationshilfe: [Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/177>, abgerufen am 24.11.2024.