abwechselnd umkränzt von Wald und Berggipfeln. Da stehe ich in der Mitte im wogenden Korn! hätte ich Pfeil und Bogen und schösse nach allen Richtungen vom Mittelpunkt aus, so würde mein Pfeil einer alten Burg zu fliegen, ich lauf' nach allen Seiten, und wo eine auftaugt, da wandre ich hin; da hab' ich manchen Graben zu überspringen, manch Wasser zu durchwaten, Wälder zu durchkreuzen, steile Klippen zu erklettern; wären's Abgründe, reißende Ströme, Wüsteneien und schwindelhohe Felswände, so wär' ich der kühnste Aben- theurer. -- An jeder alten Ruine ein kleines Schwal- bennest von Menschenwohnung angemörtelt, wo wun- derliche steinalte Leute wohnen, abgelöst von den mei- sten Beziehungen mit ihres Gleichen, und doch mit ei- nem herzrührenden wolkendurchblitz[t]en Blick versehen. -- Gestern gingen wir wohl eine gute Stunde durch schön geordnete Traubengänge, bis wir an die steile Höhe ka- men, wo die Festungsmauern beginnen, und das Hinan- steigen nur durch Geübtheit oder Kunstsprünge erleich- tert wird. Da oben haben sich ein paar mitleidige Birnbäume erhalten, und Eichen mit großem breitem Laubdach, und eine Linde im schwimmenden, heißen Dampf ihrer Blüthe. Mitten in dieser ehrwürdigen Ge- sellschaft, den Zeugen früherer Tage, lag auf spärlichem
abwechſelnd umkränzt von Wald und Berggipfeln. Da ſtehe ich in der Mitte im wogenden Korn! hätte ich Pfeil und Bogen und ſchöſſe nach allen Richtungen vom Mittelpunkt aus, ſo würde mein Pfeil einer alten Burg zu fliegen, ich lauf' nach allen Seiten, und wo eine auftaugt, da wandre ich hin; da hab' ich manchen Graben zu überſpringen, manch Waſſer zu durchwaten, Wälder zu durchkreuzen, ſteile Klippen zu erklettern; wären's Abgründe, reißende Ströme, Wüſteneien und ſchwindelhohe Felswände, ſo wär' ich der kühnſte Aben- theurer. — An jeder alten Ruine ein kleines Schwal- benneſt von Menſchenwohnung angemörtelt, wo wun- derliche ſteinalte Leute wohnen, abgelöſt von den mei- ſten Beziehungen mit ihres Gleichen, und doch mit ei- nem herzrührenden wolkendurchblitz[t]en Blick verſehen. — Geſtern gingen wir wohl eine gute Stunde durch ſchön geordnete Traubengänge, bis wir an die ſteile Höhe ka- men, wo die Feſtungsmauern beginnen, und das Hinan- ſteigen nur durch Geübtheit oder Kunſtſprünge erleich- tert wird. Da oben haben ſich ein paar mitleidige Birnbäume erhalten, und Eichen mit großem breitem Laubdach, und eine Linde im ſchwimmenden, heißen Dampf ihrer Blüthe. Mitten in dieſer ehrwürdigen Ge- ſellſchaft, den Zeugen früherer Tage, lag auf ſpärlichem
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abwechſelnd umkränzt von Wald und Berggipfeln.
Da ſtehe ich in der Mitte im wogenden Korn! hätte
ich Pfeil und Bogen und ſchöſſe nach allen Richtungen
vom Mittelpunkt aus, ſo würde mein Pfeil einer alten
Burg zu fliegen, ich lauf' nach allen Seiten, und wo
eine auftaugt, da wandre ich hin; da hab' ich manchen
Graben zu überſpringen, manch Waſſer zu durchwaten,
Wälder zu durchkreuzen, ſteile Klippen zu erklettern;
wären's Abgründe, reißende Ströme, Wüſteneien und
ſchwindelhohe Felswände, ſo wär' ich der kühnſte Aben-
theurer. — An jeder alten Ruine ein kleines Schwal-
benneſt von Menſchenwohnung angemörtelt, wo wun-
derliche ſteinalte Leute wohnen, abgelöſt von den mei-
ſten Beziehungen mit ihres Gleichen, und doch mit ei-
nem herzrührenden wolkendurchblitzten Blick verſehen. —
Geſtern gingen wir wohl eine gute Stunde durch ſchön
geordnete Traubengänge, bis wir an die ſteile Höhe ka-
men, wo die Feſtungsmauern beginnen, und das Hinan-
ſteigen nur durch Geübtheit oder Kunſtſprünge erleich-
tert wird. Da oben haben ſich ein paar mitleidige
Birnbäume erhalten, und Eichen mit großem breitem
Laubdach, und eine Linde im ſchwimmenden, heißen
Dampf ihrer Blüthe. Mitten in dieſer ehrwürdigen Ge-
ſellſchaft, den Zeugen früherer Tage, lag auf ſpärlichem
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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/170>, abgerufen am 03.12.2024.
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