[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.Bäume ihre silbernen Zweige unter dem wandelnden Bäume ihre ſilbernen Zweige unter dem wandelnden <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0122" n="112"/> Bäume ihre ſilbernen Zweige unter dem wandelnden<lb/> Mondlicht aus. Dieſe Kälte war ſo warm, ſo freund-<lb/> lich, hier war nichts unverſtändlich, nichts zu fürchten,<lb/> es war, als ſei ich den böſen Geiſtern da drinnen ent-<lb/> wiſcht; hier draußen ſprachen die guten um ſo vernehm-<lb/> licher zu mir, ich zauderte keinen Augenblick mehr, ih-<lb/> rem Geheiß zu folgen. Wie es auch werden mag, leiſe<lb/> und behend kletterte ich über das Hofthor, jenſeits werfe<lb/> ich mein Kleid über den Kopf um mich zu verhüllen,<lb/> und in flüchtigen Sprüngen ſetze ich über den Schnee.<lb/> Manches begegnet mir, dem ich ausbeuge, mit geſtei-<lb/> gerter Angſt und klopfendem Herzen komme ich an,<lb/> ſcheu und furchtſam ſeh ich mich um, aber ich zaudere<lb/> nicht, den öden Platz zu betreten; ich bahne mir einen<lb/> Weg durch das zuſammengefallne, überſchneite Geſtein,<lb/> bis zur Kirchmauer, an die ich den Kopf anlehnte. Ich<lb/> lauſche, ich höre das Klappern der Ziegeln im Dach,<lb/> und wie der Wind in dem loſen Sparrwerk raſſelt,<lb/> ich denke: „ob das die Geiſter ſind?“ — ſie ſenken<lb/> ſich herab, — ich ſuche meine Angſt zu bekämpfen, ſie<lb/> ſchweben in geringer Höhe über mir, — die Furcht be-<lb/> ſchwichtigt ſich allmählig; es war, als ob ich die<lb/> offne Bruſt dem Hauch des Freundes biete, den ich kurz<lb/> vorher noch für meinen Feind gehalten hatte.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [112/0122]
Bäume ihre ſilbernen Zweige unter dem wandelnden
Mondlicht aus. Dieſe Kälte war ſo warm, ſo freund-
lich, hier war nichts unverſtändlich, nichts zu fürchten,
es war, als ſei ich den böſen Geiſtern da drinnen ent-
wiſcht; hier draußen ſprachen die guten um ſo vernehm-
licher zu mir, ich zauderte keinen Augenblick mehr, ih-
rem Geheiß zu folgen. Wie es auch werden mag, leiſe
und behend kletterte ich über das Hofthor, jenſeits werfe
ich mein Kleid über den Kopf um mich zu verhüllen,
und in flüchtigen Sprüngen ſetze ich über den Schnee.
Manches begegnet mir, dem ich ausbeuge, mit geſtei-
gerter Angſt und klopfendem Herzen komme ich an,
ſcheu und furchtſam ſeh ich mich um, aber ich zaudere
nicht, den öden Platz zu betreten; ich bahne mir einen
Weg durch das zuſammengefallne, überſchneite Geſtein,
bis zur Kirchmauer, an die ich den Kopf anlehnte. Ich
lauſche, ich höre das Klappern der Ziegeln im Dach,
und wie der Wind in dem loſen Sparrwerk raſſelt,
ich denke: „ob das die Geiſter ſind?“ — ſie ſenken
ſich herab, — ich ſuche meine Angſt zu bekämpfen, ſie
ſchweben in geringer Höhe über mir, — die Furcht be-
ſchwichtigt ſich allmählig; es war, als ob ich die
offne Bruſt dem Hauch des Freundes biete, den ich kurz
vorher noch für meinen Feind gehalten hatte.
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