Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Gott ist Mensch geworden in dem Geliebten, in
welcher Gestalt Du auch liebst, -- es ist das Ideal
Deiner eignen höheren Natur, was Du im Geliebten
berührst.

Die wahre Liebe ist keiner Untreue fähig, sie sucht
den Geliebten, den Genius, wie den Proteus unter jeg-
licher Verwandlung.

Geist ist göttlicher Kunststoff, in der sinnlichen Na-
tur liegt er als unberührtes Material. Das himmlische
Leben aber ist, wenn Gott ihn als Kunststoff benützt,
um seinen Geist in ihm zu erzeugen.

Drum ist das ganze himmlische Leben nur Geist, --
und jeder Irrthum ist Verlust des Himmlischen. Darum
ist jede Wahrheit eine Knospe, die durch die himmlischen
Elemente blühen und Früchte tragen wird. Darum sol-
len wir die Wahrheit in uns aufnehmen wie die Erde
den Saamen, als Mittel, durch welches unsere sinnlichen
Kräfte in ein höheres Element hinüberblühen.

Indem Du denkst, sei immer liebend gegen Deinen
Genius, so wird Dir die Fülle des Geistes nie ausgehen.

Die echte Liebe empfindet den Geist auch im Leib,
in der sinnlichen Schönheit. Schönheit ist Geist, der ei-
nen sinnlichen Leib hat.

Aller Geist geht aus Selbstbeherrschung hervor.

Gott iſt Menſch geworden in dem Geliebten, in
welcher Geſtalt Du auch liebſt, — es iſt das Ideal
Deiner eignen höheren Natur, was Du im Geliebten
berührſt.

Die wahre Liebe iſt keiner Untreue fähig, ſie ſucht
den Geliebten, den Genius, wie den Proteus unter jeg-
licher Verwandlung.

Geiſt iſt göttlicher Kunſtſtoff, in der ſinnlichen Na-
tur liegt er als unberührtes Material. Das himmliſche
Leben aber iſt, wenn Gott ihn als Kunſtſtoff benützt,
um ſeinen Geiſt in ihm zu erzeugen.

Drum iſt das ganze himmliſche Leben nur Geiſt, —
und jeder Irrthum iſt Verluſt des Himmliſchen. Darum
iſt jede Wahrheit eine Knoſpe, die durch die himmliſchen
Elemente blühen und Früchte tragen wird. Darum ſol-
len wir die Wahrheit in uns aufnehmen wie die Erde
den Saamen, als Mittel, durch welches unſere ſinnlichen
Kräfte in ein höheres Element hinüberblühen.

Indem Du denkſt, ſei immer liebend gegen Deinen
Genius, ſo wird Dir die Fülle des Geiſtes nie ausgehen.

Die echte Liebe empfindet den Geiſt auch im Leib,
in der ſinnlichen Schönheit. Schönheit iſt Geiſt, der ei-
nen ſinnlichen Leib hat.

Aller Geiſt geht aus Selbſtbeherrſchung hervor.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0116" n="106"/>
          <p>Gott i&#x017F;t Men&#x017F;ch geworden in dem Geliebten, in<lb/>
welcher Ge&#x017F;talt Du auch lieb&#x017F;t, &#x2014; es i&#x017F;t das Ideal<lb/>
Deiner eignen höheren Natur, was Du im Geliebten<lb/>
berühr&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Die wahre Liebe i&#x017F;t keiner Untreue fähig, &#x017F;ie &#x017F;ucht<lb/>
den Geliebten, den Genius, wie den Proteus unter jeg-<lb/>
licher Verwandlung.</p><lb/>
          <p>Gei&#x017F;t i&#x017F;t göttlicher Kun&#x017F;t&#x017F;toff, in der &#x017F;innlichen Na-<lb/>
tur liegt er als unberührtes Material. Das himmli&#x017F;che<lb/>
Leben aber i&#x017F;t, wenn Gott ihn als Kun&#x017F;t&#x017F;toff benützt,<lb/>
um &#x017F;einen Gei&#x017F;t in ihm zu erzeugen.</p><lb/>
          <p>Drum i&#x017F;t das ganze himmli&#x017F;che Leben nur Gei&#x017F;t, &#x2014;<lb/>
und jeder Irrthum i&#x017F;t Verlu&#x017F;t des Himmli&#x017F;chen. Darum<lb/>
i&#x017F;t jede Wahrheit eine Kno&#x017F;pe, die durch die himmli&#x017F;chen<lb/>
Elemente blühen und Früchte tragen wird. Darum &#x017F;ol-<lb/>
len wir die Wahrheit in uns aufnehmen wie die Erde<lb/>
den Saamen, als Mittel, durch welches un&#x017F;ere &#x017F;innlichen<lb/>
Kräfte in ein höheres Element hinüberblühen.</p><lb/>
          <p>Indem Du denk&#x017F;t, &#x017F;ei immer liebend gegen Deinen<lb/>
Genius, &#x017F;o wird Dir die Fülle des Gei&#x017F;tes nie ausgehen.</p><lb/>
          <p>Die echte Liebe empfindet den Gei&#x017F;t auch im Leib,<lb/>
in der &#x017F;innlichen Schönheit. Schönheit i&#x017F;t Gei&#x017F;t, der ei-<lb/>
nen &#x017F;innlichen Leib hat.</p><lb/>
          <p>Aller Gei&#x017F;t geht aus Selb&#x017F;tbeherr&#x017F;chung hervor.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[106/0116] Gott iſt Menſch geworden in dem Geliebten, in welcher Geſtalt Du auch liebſt, — es iſt das Ideal Deiner eignen höheren Natur, was Du im Geliebten berührſt. Die wahre Liebe iſt keiner Untreue fähig, ſie ſucht den Geliebten, den Genius, wie den Proteus unter jeg- licher Verwandlung. Geiſt iſt göttlicher Kunſtſtoff, in der ſinnlichen Na- tur liegt er als unberührtes Material. Das himmliſche Leben aber iſt, wenn Gott ihn als Kunſtſtoff benützt, um ſeinen Geiſt in ihm zu erzeugen. Drum iſt das ganze himmliſche Leben nur Geiſt, — und jeder Irrthum iſt Verluſt des Himmliſchen. Darum iſt jede Wahrheit eine Knoſpe, die durch die himmliſchen Elemente blühen und Früchte tragen wird. Darum ſol- len wir die Wahrheit in uns aufnehmen wie die Erde den Saamen, als Mittel, durch welches unſere ſinnlichen Kräfte in ein höheres Element hinüberblühen. Indem Du denkſt, ſei immer liebend gegen Deinen Genius, ſo wird Dir die Fülle des Geiſtes nie ausgehen. Die echte Liebe empfindet den Geiſt auch im Leib, in der ſinnlichen Schönheit. Schönheit iſt Geiſt, der ei- nen ſinnlichen Leib hat. Aller Geiſt geht aus Selbſtbeherrſchung hervor.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/116
Zitationshilfe: [Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/116>, abgerufen am 24.11.2024.