auf das Schaffot. Ach Gott ach Gott! welch lauter Schrei der Verzweiflung durchfährt mich bei diesen ein- bilderischen Träumen. Warum muß ich verzagen da noch nichts verloren ist? -- ich hab ein Fieber so glüht mir der Kopf. Auf dem tonnenförmigen Gipfel des Kofels, Speckbachers Horst der schlaflos, keiner Speise bedürfend, mit besserer Hoffnung beflügelt, leicht wie ein Vogel schwebt über dem Augenblick da es Zeit ist. Auf dem Brenner wo Hofers unwandelbarer Gleichmuth die Geschicke lenkt die Todtenopfer der Treue anordnet. Am Berge Ischel wo der Kapuziner den weisen Stecken in der Hand, alles errathend und vorbeugend sich allen voranwagend, an der Spitze des Landvolks, Siegbewußt über die Saaten niederjagt in's Thal. Da seh ich auch mich unter diesen, die kurze grün und weiße Standarte schwingend weit voran auf steilstem Gipfel, und der Sieg brennt mir in den Gliedern, und da kommt der böse Traum und haut mit geschwungener Axt mir die feste Hand ab, die niederstürzt mit sammt der Fahne in den Abgrund, und dann ist alles so öde und stumm, und die Finsterniß bricht ein und alles verschwunden, nur ich allein auf der Felswand ohne Fahne, ohne Hand, verzeih's daß ich so rase aber so ist's.
Heute Morgen noch mein letzter Traum, da trat
auf das Schaffot. Ach Gott ach Gott! welch lauter Schrei der Verzweiflung durchfährt mich bei dieſen ein- bilderiſchen Träumen. Warum muß ich verzagen da noch nichts verloren iſt? — ich hab ein Fieber ſo glüht mir der Kopf. Auf dem tonnenförmigen Gipfel des Kofels, Speckbachers Horſt der ſchlaflos, keiner Speiſe bedürfend, mit beſſerer Hoffnung beflügelt, leicht wie ein Vogel ſchwebt über dem Augenblick da es Zeit iſt. Auf dem Brenner wo Hofers unwandelbarer Gleichmuth die Geſchicke lenkt die Todtenopfer der Treue anordnet. Am Berge Iſchel wo der Kapuziner den weiſen Stecken in der Hand, alles errathend und vorbeugend ſich allen voranwagend, an der Spitze des Landvolks, Siegbewußt über die Saaten niederjagt in's Thal. Da ſeh ich auch mich unter dieſen, die kurze grün und weiße Standarte ſchwingend weit voran auf ſteilſtem Gipfel, und der Sieg brennt mir in den Gliedern, und da kommt der böſe Traum und haut mit geſchwungener Axt mir die feſte Hand ab, die niederſtürzt mit ſammt der Fahne in den Abgrund, und dann iſt alles ſo öde und ſtumm, und die Finſterniß bricht ein und alles verſchwunden, nur ich allein auf der Felswand ohne Fahne, ohne Hand, verzeih's daß ich ſo raſe aber ſo iſt's.
Heute Morgen noch mein letzter Traum, da trat
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auf das Schaffot. Ach Gott ach Gott! welch lauter
Schrei der Verzweiflung durchfährt mich bei dieſen ein-
bilderiſchen Träumen. Warum muß ich verzagen da
noch nichts verloren iſt? — ich hab ein Fieber ſo glüht
mir der Kopf. Auf dem tonnenförmigen Gipfel des
Kofels, Speckbachers Horſt der ſchlaflos, keiner Speiſe
bedürfend, mit beſſerer Hoffnung beflügelt, leicht wie
ein Vogel ſchwebt über dem Augenblick da es Zeit iſt.
Auf dem Brenner wo Hofers unwandelbarer Gleichmuth
die Geſchicke lenkt die Todtenopfer der Treue anordnet.
Am Berge Iſchel wo der Kapuziner den weiſen Stecken
in der Hand, alles errathend und vorbeugend ſich allen
voranwagend, an der Spitze des Landvolks, Siegbewußt
über die Saaten niederjagt in's Thal. Da ſeh ich auch
mich unter dieſen, die kurze grün und weiße Standarte
ſchwingend weit voran auf ſteilſtem Gipfel, und der
Sieg brennt mir in den Gliedern, und da kommt der
böſe Traum und haut mit geſchwungener Axt mir die
feſte Hand ab, die niederſtürzt mit ſammt der Fahne
in den Abgrund, und dann iſt alles ſo öde und ſtumm,
und die Finſterniß bricht ein und alles verſchwunden,
nur ich allein auf der Felswand ohne Fahne, ohne
Hand, verzeih's daß ich ſo raſe aber ſo iſt's.
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/80>, abgerufen am 24.11.2024.
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