Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835.außer Dir. -- Außer der Sonne, die den Thautropfen Heute ist so warm, heute sei ergeben in die Gedan- Bettine. Von Goethes Hand auf diesen Brief geschrieben: An Goethe. Schon oft hab ich mich im Geist vorbereitet Dir So ist denn die Wahrheit eine Muse, die das außer Dir. — Außer der Sonne, die den Thautropfen Heute iſt ſo warm, heute ſei ergeben in die Gedan- Bettine. Von Goethes Hand auf dieſen Brief geſchrieben: An Goethe. Schon oft hab ich mich im Geiſt vorbereitet Dir So iſt denn die Wahrheit eine Muſe, die das <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0320" n="310"/> außer Dir. — Außer der Sonne, die den Thautropfen<lb/> in ſich faſſet ſoll er nichts faſſen. — Jede Blüthe, die<lb/> ſich dem Lichte öffnet faſſet einen Thautropfen, der das<lb/> Bild der wärmenden belebenden Kraft aufnimmt; aber<lb/> Stamm und Wurzel ſind belaſtet mit der finſteren fe-<lb/> ſten Erde; und wenn die Blüthe keine Wurzel hätte,<lb/> ſo hätte ſie wohl Flügel. —</p><lb/> <p>Heute iſt ſo warm, heute ſei ergeben in die Gedan-<lb/> ken die Dir dies Papier bringt. Zeit und Raum laß<lb/> weichen zwiſchen unſern Herzen, und wenns ſo iſt dann<lb/> hab ich keine Bitte mehr, denn da muß das Herz ver-<lb/> ſtummen.</p> <closer> <salute> <hi rendition="#et">Bettine.</hi> </salute> </closer><lb/> <postscript> <p>Von Goethes Hand auf dieſen Brief geſchrieben:<lb/> Empfangen</p> </postscript><lb/> <dateline> <hi rendition="#et">den 4. Juli 1822.</hi> </dateline> </div><lb/> <div n="2"> <opener> <salute>An Goethe.</salute> </opener><lb/> <p>Schon oft hab ich mich im Geiſt vorbereitet Dir<lb/> zu ſchreiben, aber Gedanken und Empfindungen, wie<lb/> die Sprache ſie nicht ausdrücken kann, erfüllen die Seele,<lb/> und ſie vermag nicht ihr Schweigen zu brechen.</p><lb/> <p>So iſt denn die Wahrheit eine Muſe, die das<lb/> Kunſtgebilde ihrer Melodieen zwar in dem den ſie durch-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [310/0320]
außer Dir. — Außer der Sonne, die den Thautropfen
in ſich faſſet ſoll er nichts faſſen. — Jede Blüthe, die
ſich dem Lichte öffnet faſſet einen Thautropfen, der das
Bild der wärmenden belebenden Kraft aufnimmt; aber
Stamm und Wurzel ſind belaſtet mit der finſteren fe-
ſten Erde; und wenn die Blüthe keine Wurzel hätte,
ſo hätte ſie wohl Flügel. —
Heute iſt ſo warm, heute ſei ergeben in die Gedan-
ken die Dir dies Papier bringt. Zeit und Raum laß
weichen zwiſchen unſern Herzen, und wenns ſo iſt dann
hab ich keine Bitte mehr, denn da muß das Herz ver-
ſtummen.
Bettine.
Von Goethes Hand auf dieſen Brief geſchrieben:
Empfangen
den 4. Juli 1822.
An Goethe.
Schon oft hab ich mich im Geiſt vorbereitet Dir
zu ſchreiben, aber Gedanken und Empfindungen, wie
die Sprache ſie nicht ausdrücken kann, erfüllen die Seele,
und ſie vermag nicht ihr Schweigen zu brechen.
So iſt denn die Wahrheit eine Muſe, die das
Kunſtgebilde ihrer Melodieen zwar in dem den ſie durch-
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