Was kann uns ergreifen an der Darstellung einer Gestalt die sich nicht regt, die den Moment ihrer gei- stigen Tendenz nicht zu entwickeln vermag? -- Was kann uns durchdringen in einer gemalten Luftschicht, in welcher die Ahnung des steigenden Lichts nie erfüllt wird? -- was bewegt uns zu heimathlichem Sehnen in der gemalten Hütte sogar? was zu dem vertraulichen Hinneigen zum nachgeahmten Thiere? -- wenn es nicht eine Sanction des keimenden Geistes der Erzeugung ist!
Ach was fragst Du nach der Kunst, ich kann Dir nichts genügendes sagen? frage nach der Liebe, die ist meine Kunst, in ihr soll ich darstellen, in ihr soll ich mich fassen und heiligen.
Ich fürchte mich vor Dir, ich fürchte mich vor dem Geist den Du in mir aufstehen heißest, weil ich ihn nicht aussprechen kann. Du sagst in Deinem Brief der ganze Mensch müsse aus sich heraustreten an's Licht; nie hat dies einfache untrügliche Gebot mir früher eingeleuchtet, jetzt aber wo Deine Weisheit mich an's Licht fordert, was hab ich da aufzuweisen als nur Verschuldungen gegen diesen inneren Menschen; siehe da! er war miß- handelt und unterdrückt. -- Ist aber dieses Hervortre- ten des inneren Menschen an's Licht nicht die Kunst? -- Dieser innere Mensch der ans Licht begehrt, daß ihm
13*
Was kann uns ergreifen an der Darſtellung einer Geſtalt die ſich nicht regt, die den Moment ihrer gei- ſtigen Tendenz nicht zu entwickeln vermag? — Was kann uns durchdringen in einer gemalten Luftſchicht, in welcher die Ahnung des ſteigenden Lichts nie erfüllt wird? — was bewegt uns zu heimathlichem Sehnen in der gemalten Hütte ſogar? was zu dem vertraulichen Hinneigen zum nachgeahmten Thiere? — wenn es nicht eine Sanction des keimenden Geiſtes der Erzeugung iſt!
Ach was fragſt Du nach der Kunſt, ich kann Dir nichts genügendes ſagen? frage nach der Liebe, die iſt meine Kunſt, in ihr ſoll ich darſtellen, in ihr ſoll ich mich faſſen und heiligen.
Ich fürchte mich vor Dir, ich fürchte mich vor dem Geiſt den Du in mir aufſtehen heißeſt, weil ich ihn nicht ausſprechen kann. Du ſagſt in Deinem Brief der ganze Menſch müſſe aus ſich heraustreten an's Licht; nie hat dies einfache untrügliche Gebot mir früher eingeleuchtet, jetzt aber wo Deine Weisheit mich an's Licht fordert, was hab ich da aufzuweiſen als nur Verſchuldungen gegen dieſen inneren Menſchen; ſiehe da! er war miß- handelt und unterdrückt. — Iſt aber dieſes Hervortre- ten des inneren Menſchen an's Licht nicht die Kunſt? — Dieſer innere Menſch der ans Licht begehrt, daß ihm
13*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0301"n="291"/><p>Was kann uns ergreifen an der Darſtellung einer<lb/>
Geſtalt die ſich nicht regt, die den Moment ihrer gei-<lb/>ſtigen Tendenz nicht zu entwickeln vermag? — Was<lb/>
kann uns durchdringen in einer gemalten Luftſchicht, in<lb/>
welcher die Ahnung des ſteigenden Lichts nie erfüllt<lb/>
wird? — was bewegt uns zu heimathlichem Sehnen<lb/>
in der gemalten Hütte ſogar? was zu dem vertraulichen<lb/>
Hinneigen zum nachgeahmten Thiere? — wenn es nicht<lb/>
eine Sanction des keimenden Geiſtes der Erzeugung iſt!</p><lb/><p>Ach was fragſt Du nach der Kunſt, ich kann Dir<lb/>
nichts genügendes ſagen? frage nach der Liebe, die iſt<lb/>
meine Kunſt, in ihr ſoll ich darſtellen, in ihr ſoll ich<lb/>
mich faſſen und heiligen.</p><lb/><p>Ich fürchte mich vor Dir, ich fürchte mich vor dem<lb/>
Geiſt den Du in mir aufſtehen heißeſt, weil ich ihn nicht<lb/>
ausſprechen kann. Du ſagſt in Deinem Brief der ganze<lb/>
Menſch müſſe aus ſich heraustreten an's Licht; nie hat<lb/>
dies einfache untrügliche Gebot mir früher eingeleuchtet,<lb/>
jetzt aber wo Deine Weisheit mich an's Licht fordert,<lb/>
was hab ich da aufzuweiſen als nur Verſchuldungen<lb/>
gegen dieſen inneren Menſchen; ſiehe da! er war miß-<lb/>
handelt und unterdrückt. — Iſt aber dieſes Hervortre-<lb/>
ten des inneren Menſchen an's Licht nicht die Kunſt? —<lb/>
Dieſer innere Menſch der ans Licht begehrt, daß ihm<lb/><fwplace="bottom"type="sig">13*</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[291/0301]
Was kann uns ergreifen an der Darſtellung einer
Geſtalt die ſich nicht regt, die den Moment ihrer gei-
ſtigen Tendenz nicht zu entwickeln vermag? — Was
kann uns durchdringen in einer gemalten Luftſchicht, in
welcher die Ahnung des ſteigenden Lichts nie erfüllt
wird? — was bewegt uns zu heimathlichem Sehnen
in der gemalten Hütte ſogar? was zu dem vertraulichen
Hinneigen zum nachgeahmten Thiere? — wenn es nicht
eine Sanction des keimenden Geiſtes der Erzeugung iſt!
Ach was fragſt Du nach der Kunſt, ich kann Dir
nichts genügendes ſagen? frage nach der Liebe, die iſt
meine Kunſt, in ihr ſoll ich darſtellen, in ihr ſoll ich
mich faſſen und heiligen.
Ich fürchte mich vor Dir, ich fürchte mich vor dem
Geiſt den Du in mir aufſtehen heißeſt, weil ich ihn nicht
ausſprechen kann. Du ſagſt in Deinem Brief der ganze
Menſch müſſe aus ſich heraustreten an's Licht; nie hat
dies einfache untrügliche Gebot mir früher eingeleuchtet,
jetzt aber wo Deine Weisheit mich an's Licht fordert,
was hab ich da aufzuweiſen als nur Verſchuldungen
gegen dieſen inneren Menſchen; ſiehe da! er war miß-
handelt und unterdrückt. — Iſt aber dieſes Hervortre-
ten des inneren Menſchen an's Licht nicht die Kunſt? —
Dieſer innere Menſch der ans Licht begehrt, daß ihm
13*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/301>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.