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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835.

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decke hin und her gefahren endlich zweimal tief aufge-
seufzt und dann war er verschieden; obschon nun das
was auf dem Papiere geschrieben war nichts entschei-
dendes besagte, so konnte sich die Freundin doch vor-
stellen was seine letzte Bitte gewesen, dein edler Groß-
vater nahm sich einer kleinen Waise jenes Freundes, die
keine rechtlichen Ansprüche an sein Erbe hatte an, ward
ihr Vormund, legte eine Summe aus eignen Mitteln
für sie an, die deine Großmutter mit manchem kleinen
Ersparniß mehrte.

Seit diesem Augenblick verschmähte deine Mutter
keine Vorbedeutungen, noch ähnliches, sie sagte: wenn
man es auch nicht glaubt so soll man es auch nicht
läugnen oder gar verachten, das Herz werde durch der-
gleichen tief gerührt. Das ganze Schicksal entwickle sich
oft an Begebenheiten die so unbedeutend erscheinen daß
man ihrer gar nicht erwähne, und innerlich so gelenk
und heimlich arbeiten daß man es kaum empfinde; noch
täglich, sagte sie, erleb ich Begebenheiten die kein and-
rer Mensch beachten würde, aber sie sind meine Welt,
mein Genuß und meine Herrlichkeit; wenn ich in einen
Kreis von langweiligen Menschen trete, denen die auf-
gehende Sonne kein Wunder mehr ist, und die sich über
alles hinaus glauben was sie nicht verstehen, so denk ich

decke hin und her gefahren endlich zweimal tief aufge-
ſeufzt und dann war er verſchieden; obſchon nun das
was auf dem Papiere geſchrieben war nichts entſchei-
dendes beſagte, ſo konnte ſich die Freundin doch vor-
ſtellen was ſeine letzte Bitte geweſen, dein edler Groß-
vater nahm ſich einer kleinen Waiſe jenes Freundes, die
keine rechtlichen Anſprüche an ſein Erbe hatte an, ward
ihr Vormund, legte eine Summe aus eignen Mitteln
für ſie an, die deine Großmutter mit manchem kleinen
Erſparniß mehrte.

Seit dieſem Augenblick verſchmähte deine Mutter
keine Vorbedeutungen, noch ähnliches, ſie ſagte: wenn
man es auch nicht glaubt ſo ſoll man es auch nicht
läugnen oder gar verachten, das Herz werde durch der-
gleichen tief gerührt. Das ganze Schickſal entwickle ſich
oft an Begebenheiten die ſo unbedeutend erſcheinen daß
man ihrer gar nicht erwähne, und innerlich ſo gelenk
und heimlich arbeiten daß man es kaum empfinde; noch
täglich, ſagte ſie, erleb ich Begebenheiten die kein and-
rer Menſch beachten würde, aber ſie ſind meine Welt,
mein Genuß und meine Herrlichkeit; wenn ich in einen
Kreis von langweiligen Menſchen trete, denen die auf-
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[268/0278] decke hin und her gefahren endlich zweimal tief aufge- ſeufzt und dann war er verſchieden; obſchon nun das was auf dem Papiere geſchrieben war nichts entſchei- dendes beſagte, ſo konnte ſich die Freundin doch vor- ſtellen was ſeine letzte Bitte geweſen, dein edler Groß- vater nahm ſich einer kleinen Waiſe jenes Freundes, die keine rechtlichen Anſprüche an ſein Erbe hatte an, ward ihr Vormund, legte eine Summe aus eignen Mitteln für ſie an, die deine Großmutter mit manchem kleinen Erſparniß mehrte. Seit dieſem Augenblick verſchmähte deine Mutter keine Vorbedeutungen, noch ähnliches, ſie ſagte: wenn man es auch nicht glaubt ſo ſoll man es auch nicht läugnen oder gar verachten, das Herz werde durch der- gleichen tief gerührt. Das ganze Schickſal entwickle ſich oft an Begebenheiten die ſo unbedeutend erſcheinen daß man ihrer gar nicht erwähne, und innerlich ſo gelenk und heimlich arbeiten daß man es kaum empfinde; noch täglich, ſagte ſie, erleb ich Begebenheiten die kein and- rer Menſch beachten würde, aber ſie ſind meine Welt, mein Genuß und meine Herrlichkeit; wenn ich in einen Kreis von langweiligen Menſchen trete, denen die auf- gehende Sonne kein Wunder mehr iſt, und die ſich über alles hinaus glauben was ſie nicht verſtehen, ſo denk ich

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/278>, abgerufen am 22.11.2024.