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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835.

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Kleiderpracht und Lesen genannt) sei närrisch, sie aber
versicherte ihnen, sie würden bald hinter die Bettvor-
hänge kriechen, wenn die Rathsherrn kommen würden,
Ihnen wegen dem Vater der heute zum Syndicus er-
wählt werde, zu gratuliren, da nun die Schwestern sie
noch wegen ihrer Leichtgläubigkeit verlachten, sah sie
vom hohen Sitz am Fenster den Vater im stattlichen
Gefolge vieler Rathsherrn daher kommen, versteckt Euch,
rief sie, dort kommt er und alle Rathsherrn mit; keine
wollt es glauben, bis eine nach der andern den unfrisirten
Kopf zum Fenster hinaus steckte, und die feierliche Pro-
zession daher schreiten sah liefen alle davon und ließen
die Prinzeß allein im Zimmer um sie zu empfangen.

Diese Traumgabe schien auf die eine Schwester fort-
geerbt zu haben, denn gleich nach deines Großvaters
Tod da man in Verlegenheit war das Testament zu
finden, träumte ihr es sei zwischen zwei Brettchen im
Pult des Vaters zu finden die durch ein geheimes Schloß
verbunden waren, man untersuchte den Pult und fand
alles richtig. Deine Mutter aber hatte das Talent nicht,
sie meinte es komme von ihrer heitern sorgelosen Stim-
mung und ihrer großen Zuversicht zu allem Guten,
grade dies mag wohl ihre prophetische Gabe gewesen

Kleiderpracht und Leſen genannt) ſei närriſch, ſie aber
verſicherte ihnen, ſie würden bald hinter die Bettvor-
hänge kriechen, wenn die Rathsherrn kommen würden,
Ihnen wegen dem Vater der heute zum Syndicus er-
wählt werde, zu gratuliren, da nun die Schweſtern ſie
noch wegen ihrer Leichtgläubigkeit verlachten, ſah ſie
vom hohen Sitz am Fenſter den Vater im ſtattlichen
Gefolge vieler Rathsherrn daher kommen, verſteckt Euch,
rief ſie, dort kommt er und alle Rathsherrn mit; keine
wollt es glauben, bis eine nach der andern den unfriſirten
Kopf zum Fenſter hinaus ſteckte, und die feierliche Pro-
zeſſion daher ſchreiten ſah liefen alle davon und ließen
die Prinzeß allein im Zimmer um ſie zu empfangen.

Dieſe Traumgabe ſchien auf die eine Schweſter fort-
geerbt zu haben, denn gleich nach deines Großvaters
Tod da man in Verlegenheit war das Teſtament zu
finden, träumte ihr es ſei zwiſchen zwei Brettchen im
Pult des Vaters zu finden die durch ein geheimes Schloß
verbunden waren, man unterſuchte den Pult und fand
alles richtig. Deine Mutter aber hatte das Talent nicht,
ſie meinte es komme von ihrer heitern ſorgeloſen Stim-
mung und ihrer großen Zuverſicht zu allem Guten,
grade dies mag wohl ihre prophetiſche Gabe geweſen

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[266/0276] Kleiderpracht und Leſen genannt) ſei närriſch, ſie aber verſicherte ihnen, ſie würden bald hinter die Bettvor- hänge kriechen, wenn die Rathsherrn kommen würden, Ihnen wegen dem Vater der heute zum Syndicus er- wählt werde, zu gratuliren, da nun die Schweſtern ſie noch wegen ihrer Leichtgläubigkeit verlachten, ſah ſie vom hohen Sitz am Fenſter den Vater im ſtattlichen Gefolge vieler Rathsherrn daher kommen, verſteckt Euch, rief ſie, dort kommt er und alle Rathsherrn mit; keine wollt es glauben, bis eine nach der andern den unfriſirten Kopf zum Fenſter hinaus ſteckte, und die feierliche Pro- zeſſion daher ſchreiten ſah liefen alle davon und ließen die Prinzeß allein im Zimmer um ſie zu empfangen. Dieſe Traumgabe ſchien auf die eine Schweſter fort- geerbt zu haben, denn gleich nach deines Großvaters Tod da man in Verlegenheit war das Teſtament zu finden, träumte ihr es ſei zwiſchen zwei Brettchen im Pult des Vaters zu finden die durch ein geheimes Schloß verbunden waren, man unterſuchte den Pult und fand alles richtig. Deine Mutter aber hatte das Talent nicht, ſie meinte es komme von ihrer heitern ſorgeloſen Stim- mung und ihrer großen Zuverſicht zu allem Guten, grade dies mag wohl ihre prophetiſche Gabe geweſen

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/276>, abgerufen am 22.11.2024.