da kam ich aus dem Rheingau, um sie zu besuchen, sie war freudig überrascht, wir fuhren in's Kirschenwäld- chen; es war so schön Wetter, die Blüthen wirbelten leise um uns herab wie Schnee, ich erzählte ihr von einem ähnlichen schönen Feiertag wie ich erst dreizehn Jahr alt gewesen, da hab ich Nachmittags allein auf einer Rasenbank gesessen, und da habe sich ein Kätzchen auf meinen Schooß in die Sonne gelegt und sei einge- schlafen, und ich bin sitzen geblieben, um sie nicht zu stören, bis die Sonne unterging, da sprang die Katze fort. Die Mutter lachte und sagte: damals hast Du vom Wolfgang noch nichts gewußt, da hast Du mit der Katze vorlieb genommen.
Ja, hätte ich die Mutter noch! mit ihr brauchte man nichts Großes zu erleben, ein Sonnenstrahl, ein Schneegestöber, der Schall eines Posthorns weckte Ge- fühle, Erinnerung und Gedanken. -- Ich muß mich schä- men vor Dir daß ich so verzagt bin. Bist Du mir nicht gut, und nimmst mich auf wie eine gute Gabe? -- und kann einer Gabe annehmen, der sich nicht hin- giebt der Gabe? -- und ist das Gabe, die nicht ganz und immerdar sich giebt? -- Geht auch ein Schritt vor- wärts, der nicht in ein neues Leben geht? -- geht einer rückwärts, der nicht mit dem ewigen Leben verfallen
wäre? --
da kam ich aus dem Rheingau, um ſie zu beſuchen, ſie war freudig überraſcht, wir fuhren in's Kirſchenwäld- chen; es war ſo ſchön Wetter, die Blüthen wirbelten leiſe um uns herab wie Schnee, ich erzählte ihr von einem ähnlichen ſchönen Feiertag wie ich erſt dreizehn Jahr alt geweſen, da hab ich Nachmittags allein auf einer Raſenbank geſeſſen, und da habe ſich ein Kätzchen auf meinen Schooß in die Sonne gelegt und ſei einge- ſchlafen, und ich bin ſitzen geblieben, um ſie nicht zu ſtören, bis die Sonne unterging, da ſprang die Katze fort. Die Mutter lachte und ſagte: damals haſt Du vom Wolfgang noch nichts gewußt, da haſt Du mit der Katze vorlieb genommen.
Ja, hätte ich die Mutter noch! mit ihr brauchte man nichts Großes zu erleben, ein Sonnenſtrahl, ein Schneegeſtöber, der Schall eines Poſthorns weckte Ge- fühle, Erinnerung und Gedanken. — Ich muß mich ſchä- men vor Dir daß ich ſo verzagt bin. Biſt Du mir nicht gut, und nimmſt mich auf wie eine gute Gabe? — und kann einer Gabe annehmen, der ſich nicht hin- giebt der Gabe? — und iſt das Gabe, die nicht ganz und immerdar ſich giebt? — Geht auch ein Schritt vor- wärts, der nicht in ein neues Leben geht? — geht einer rückwärts, der nicht mit dem ewigen Leben verfallen
wäre? —
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0226"n="216"/>
da kam ich aus dem Rheingau, um ſie zu beſuchen, ſie<lb/>
war freudig überraſcht, wir fuhren in's Kirſchenwäld-<lb/>
chen; es war ſo ſchön Wetter, die Blüthen wirbelten<lb/>
leiſe um uns herab wie Schnee, ich erzählte ihr von<lb/>
einem ähnlichen ſchönen Feiertag wie ich erſt dreizehn<lb/>
Jahr alt geweſen, da hab ich Nachmittags allein auf<lb/>
einer Raſenbank geſeſſen, und da habe ſich ein Kätzchen<lb/>
auf meinen Schooß in die Sonne gelegt und ſei einge-<lb/>ſchlafen, und ich bin ſitzen geblieben, um ſie nicht zu<lb/>ſtören, bis die Sonne unterging, da ſprang die Katze<lb/>
fort. Die Mutter lachte und ſagte: damals haſt Du<lb/>
vom Wolfgang noch nichts gewußt, da haſt Du mit<lb/>
der Katze vorlieb genommen.</p><lb/><p>Ja, hätte ich die Mutter noch! mit ihr brauchte<lb/>
man nichts Großes zu erleben, ein Sonnenſtrahl, ein<lb/>
Schneegeſtöber, der Schall eines Poſthorns weckte Ge-<lb/>
fühle, Erinnerung und Gedanken. — Ich muß mich ſchä-<lb/>
men vor Dir daß ich ſo verzagt bin. Biſt Du mir<lb/>
nicht gut, und nimmſt mich auf wie eine gute Gabe?<lb/>— und kann einer Gabe annehmen, der ſich nicht hin-<lb/>
giebt der Gabe? — und iſt das Gabe, die nicht ganz<lb/>
und immerdar ſich giebt? — Geht auch ein Schritt vor-<lb/>
wärts, der nicht in ein neues Leben geht? — geht einer<lb/>
rückwärts, der nicht mit dem ewigen Leben verfallen<lb/><fwplace="bottom"type="catch">wäre? —</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[216/0226]
da kam ich aus dem Rheingau, um ſie zu beſuchen, ſie
war freudig überraſcht, wir fuhren in's Kirſchenwäld-
chen; es war ſo ſchön Wetter, die Blüthen wirbelten
leiſe um uns herab wie Schnee, ich erzählte ihr von
einem ähnlichen ſchönen Feiertag wie ich erſt dreizehn
Jahr alt geweſen, da hab ich Nachmittags allein auf
einer Raſenbank geſeſſen, und da habe ſich ein Kätzchen
auf meinen Schooß in die Sonne gelegt und ſei einge-
ſchlafen, und ich bin ſitzen geblieben, um ſie nicht zu
ſtören, bis die Sonne unterging, da ſprang die Katze
fort. Die Mutter lachte und ſagte: damals haſt Du
vom Wolfgang noch nichts gewußt, da haſt Du mit
der Katze vorlieb genommen.
Ja, hätte ich die Mutter noch! mit ihr brauchte
man nichts Großes zu erleben, ein Sonnenſtrahl, ein
Schneegeſtöber, der Schall eines Poſthorns weckte Ge-
fühle, Erinnerung und Gedanken. — Ich muß mich ſchä-
men vor Dir daß ich ſo verzagt bin. Biſt Du mir
nicht gut, und nimmſt mich auf wie eine gute Gabe?
— und kann einer Gabe annehmen, der ſich nicht hin-
giebt der Gabe? — und iſt das Gabe, die nicht ganz
und immerdar ſich giebt? — Geht auch ein Schritt vor-
wärts, der nicht in ein neues Leben geht? — geht einer
rückwärts, der nicht mit dem ewigen Leben verfallen
wäre? —
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/226>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.