und Beeren am Aste, hohe Dolden, schöngeformte Blät- ter, Käfer, Moose, Saamendolden, bunte Steine, sie nannte es eine Musterkarte der Natur, und bewahrte es immer mehrere Tage; manchmal bracht ich ihr aus- erlesene Früchte und verbot ihr, sie zu essen, weil sie zu schön waren, sie brach gleich einen schön gestreiften Pfir- sich auf und sagte: man muß allem Ding seinen Wil- len thun, der Pfirsich läßt mir nun doch keine Ruh bis er verzehrt ist. In allem, was sie that, glaubt ich Dich zu erkennen, ihre Eigenheiten und Ansichten waren mir liebe Räthsel, in denen ich Dich errieth.
Hätt ich die Mutter noch, so wüßt ich wo ich zu Haus wär, ich würde ihren Umgang allem andern vor- ziehen, sie machte mich sicher im Denken und Handeln, manchmal verbot sie mir etwas, wenn ich aber doch als meinem Eigensinn gefolgt war, vertheidigte sie mich ge- gen alle, und da holte sie aus in ihrem Enthusiasmus, wie der Schmidt, der das glühende Eisen auf dem Am- bos hat, sie sagte: wer der Stimme in seiner Brust folgt, der wird seine Bestimmung nicht verfehlen, dem wächst ein Baum aus der Seele, aus dem jede Tugend und jede Kraft blüht, und der die schönsten Eigenschaf- ten wie köstliche Äpfel trägt, und Religion, die ihm nicht im Weg ist, sondern seiner Natur angemessen,
und Beeren am Aſte, hohe Dolden, ſchöngeformte Blät- ter, Käfer, Mooſe, Saamendolden, bunte Steine, ſie nannte es eine Muſterkarte der Natur, und bewahrte es immer mehrere Tage; manchmal bracht ich ihr aus- erleſene Früchte und verbot ihr, ſie zu eſſen, weil ſie zu ſchön waren, ſie brach gleich einen ſchön geſtreiften Pfir- ſich auf und ſagte: man muß allem Ding ſeinen Wil- len thun, der Pfirſich läßt mir nun doch keine Ruh bis er verzehrt iſt. In allem, was ſie that, glaubt ich Dich zu erkennen, ihre Eigenheiten und Anſichten waren mir liebe Räthſel, in denen ich Dich errieth.
Hätt ich die Mutter noch, ſo wüßt ich wo ich zu Haus wär, ich würde ihren Umgang allem andern vor- ziehen, ſie machte mich ſicher im Denken und Handeln, manchmal verbot ſie mir etwas, wenn ich aber doch als meinem Eigenſinn gefolgt war, vertheidigte ſie mich ge- gen alle, und da holte ſie aus in ihrem Enthuſiasmus, wie der Schmidt, der das glühende Eiſen auf dem Am- bos hat, ſie ſagte: wer der Stimme in ſeiner Bruſt folgt, der wird ſeine Beſtimmung nicht verfehlen, dem wächſt ein Baum aus der Seele, aus dem jede Tugend und jede Kraft blüht, und der die ſchönſten Eigenſchaf- ten wie köſtliche Äpfel trägt, und Religion, die ihm nicht im Weg iſt, ſondern ſeiner Natur angemeſſen,
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und Beeren am Aſte, hohe Dolden, ſchöngeformte Blät-
ter, Käfer, Mooſe, Saamendolden, bunte Steine, ſie
nannte es eine Muſterkarte der Natur, und bewahrte
es immer mehrere Tage; manchmal bracht ich ihr aus-
erleſene Früchte und verbot ihr, ſie zu eſſen, weil ſie zu
ſchön waren, ſie brach gleich einen ſchön geſtreiften Pfir-
ſich auf und ſagte: man muß allem Ding ſeinen Wil-
len thun, der Pfirſich läßt mir nun doch keine Ruh bis
er verzehrt iſt. In allem, was ſie that, glaubt ich Dich
zu erkennen, ihre Eigenheiten und Anſichten waren mir
liebe Räthſel, in denen ich Dich errieth.
Hätt ich die Mutter noch, ſo wüßt ich wo ich zu
Haus wär, ich würde ihren Umgang allem andern vor-
ziehen, ſie machte mich ſicher im Denken und Handeln,
manchmal verbot ſie mir etwas, wenn ich aber doch als
meinem Eigenſinn gefolgt war, vertheidigte ſie mich ge-
gen alle, und da holte ſie aus in ihrem Enthuſiasmus,
wie der Schmidt, der das glühende Eiſen auf dem Am-
bos hat, ſie ſagte: wer der Stimme in ſeiner Bruſt
folgt, der wird ſeine Beſtimmung nicht verfehlen, dem
wächſt ein Baum aus der Seele, aus dem jede Tugend
und jede Kraft blüht, und der die ſchönſten Eigenſchaf-
ten wie köſtliche Äpfel trägt, und Religion, die ihm
nicht im Weg iſt, ſondern ſeiner Natur angemeſſen,
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/223>, abgerufen am 24.11.2024.
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