Angst, der Schulmeister möge aufwachen, draußen machte ich meinen Reim und schlich wieder auf den Zehen herbei, um ihn mit einer einseitigen Feder, die wahrscheinlich mit dem Brodkneip zugeschnitten war, aufzuschreiben, zuletzt nahm ich das blaue Band von meinem Strohhut und machte eine schöne Schleife um das Buch, damit er's doch sehen möge, denn sonst hätte dies schöne Gedicht leicht unter dem Wust der Schreib- bücher verloren gehen können. Vor der Thür saß Ru- mohr, mein Begleiter, und hatte unterdessen eine Schüs- sel mit saurer Milch ausgespeist, ich wollte nichts essen und auch mich nicht mehr aufhalten, aus Furcht, der Schulmeister könne aufwachen, unterwegs sprach Ru- mohr sehr schön über den Bauernstand, über ihre Be- dürfnisse und wie das Wohl des Staats von dem ih- rigen abhinge, und wie man ihnen keine Kenntnisse auf- zwingen müsse, die sie nicht selbst in ihrem Beruf un- mittelbar benützen könnten, und daß man sie zu freien Menschen bilden müsse, das heißt: zu Leuten, die sich alles selbst verschaffen was sie brauchen. Dann sprach er auch über ihre Religion, und da hat er etwas sehr schönes gesagt, er meinte nämlich, jedem Stand müsse das als Religion gelten, was sein höchster Beruf sei, des Bauern Beruf sei, das ganze Land vor Hungers-
Angſt, der Schulmeiſter möge aufwachen, draußen machte ich meinen Reim und ſchlich wieder auf den Zehen herbei, um ihn mit einer einſeitigen Feder, die wahrſcheinlich mit dem Brodkneip zugeſchnitten war, aufzuſchreiben, zuletzt nahm ich das blaue Band von meinem Strohhut und machte eine ſchöne Schleife um das Buch, damit er's doch ſehen möge, denn ſonſt hätte dies ſchöne Gedicht leicht unter dem Wuſt der Schreib- bücher verloren gehen können. Vor der Thür ſaß Ru- mohr, mein Begleiter, und hatte unterdeſſen eine Schüſ- ſel mit ſaurer Milch ausgeſpeiſt, ich wollte nichts eſſen und auch mich nicht mehr aufhalten, aus Furcht, der Schulmeiſter könne aufwachen, unterwegs ſprach Ru- mohr ſehr ſchön über den Bauernſtand, über ihre Be- dürfniſſe und wie das Wohl des Staats von dem ih- rigen abhinge, und wie man ihnen keine Kenntniſſe auf- zwingen müſſe, die ſie nicht ſelbſt in ihrem Beruf un- mittelbar benützen könnten, und daß man ſie zu freien Menſchen bilden müſſe, das heißt: zu Leuten, die ſich alles ſelbſt verſchaffen was ſie brauchen. Dann ſprach er auch über ihre Religion, und da hat er etwas ſehr ſchönes geſagt, er meinte nämlich, jedem Stand müſſe das als Religion gelten, was ſein höchſter Beruf ſei, des Bauern Beruf ſei, das ganze Land vor Hungers-
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Angſt, der Schulmeiſter möge aufwachen, draußen
machte ich meinen Reim und ſchlich wieder auf den
Zehen herbei, um ihn mit einer einſeitigen Feder, die
wahrſcheinlich mit dem Brodkneip zugeſchnitten war,
aufzuſchreiben, zuletzt nahm ich das blaue Band von
meinem Strohhut und machte eine ſchöne Schleife um
das Buch, damit er's doch ſehen möge, denn ſonſt hätte
dies ſchöne Gedicht leicht unter dem Wuſt der Schreib-
bücher verloren gehen können. Vor der Thür ſaß Ru-
mohr, mein Begleiter, und hatte unterdeſſen eine Schüſ-
ſel mit ſaurer Milch ausgeſpeiſt, ich wollte nichts eſſen
und auch mich nicht mehr aufhalten, aus Furcht, der
Schulmeiſter könne aufwachen, unterwegs ſprach Ru-
mohr ſehr ſchön über den Bauernſtand, über ihre Be-
dürfniſſe und wie das Wohl des Staats von dem ih-
rigen abhinge, und wie man ihnen keine Kenntniſſe auf-
zwingen müſſe, die ſie nicht ſelbſt in ihrem Beruf un-
mittelbar benützen könnten, und daß man ſie zu freien
Menſchen bilden müſſe, das heißt: zu Leuten, die ſich
alles ſelbſt verſchaffen was ſie brauchen. Dann ſprach
er auch über ihre Religion, und da hat er etwas ſehr
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das als Religion gelten, was ſein höchſter Beruf ſei,
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/173>, abgerufen am 25.11.2024.
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