hin, so wie sie vom Sturm gebrochen ist, und erblaßt mit ihr und stirbt mit ihr, und wenn er dann wieder auflebt, so ist er neu geboren in schönerer Jugend. -- Durch deinen Genius, Goethe. Dies sag ich Dir von dem Eindruck jenes Buchs: die Wahlverwandtschaften.
Eine helle Mondnacht hab ich durchwacht, um dein Buch zu lesen, das mir erst vor wenig Tagen in die Hände kam. Du kannst Dir denken daß in dieser Nacht eine ganze Welt sich durch meine Seele drängte. Ich fühle, daß man nur bei Dir Balsam für die Wunde holen kann, die Du schlägst; denn als am andern Mor- gen dein Brief kam mit allen Zeichen deiner Güte, da wußte ich ja daß Du lebst, und auch für mich; ich fühlte, daß mir der Sinn mehr geläutert war, mich dei- ner Liebe zu würdigen. Dies Buch ist ein sturmerregtes Meer, da die Wellen drohend an mein Herz schlagen, mich zu zermalmen. Dein Brief ist das liebliche Ufer, wo ich lande, und alle Gefahr mit Ruhe, ja sogar mit Wohlbehagen übersehe.
Du bist in sie verliebt, Goethe, es hat mir schon lange geahnt, jene Venus ist dem brausenden Meer dei- ner Leidenschaft entstiegen, und nachdem sie eine Saat von Thränenperlen ausgesäet, da verschwindet sie wie- der in überirdischem Glanz. Du bist gewaltig, Du
hin, ſo wie ſie vom Sturm gebrochen iſt, und erblaßt mit ihr und ſtirbt mit ihr, und wenn er dann wieder auflebt, ſo iſt er neu geboren in ſchönerer Jugend. — Durch deinen Genius, Goethe. Dies ſag ich Dir von dem Eindruck jenes Buchs: die Wahlverwandtſchaften.
Eine helle Mondnacht hab ich durchwacht, um dein Buch zu leſen, das mir erſt vor wenig Tagen in die Hände kam. Du kannſt Dir denken daß in dieſer Nacht eine ganze Welt ſich durch meine Seele drängte. Ich fühle, daß man nur bei Dir Balſam für die Wunde holen kann, die Du ſchlägſt; denn als am andern Mor- gen dein Brief kam mit allen Zeichen deiner Güte, da wußte ich ja daß Du lebſt, und auch für mich; ich fühlte, daß mir der Sinn mehr geläutert war, mich dei- ner Liebe zu würdigen. Dies Buch iſt ein ſturmerregtes Meer, da die Wellen drohend an mein Herz ſchlagen, mich zu zermalmen. Dein Brief iſt das liebliche Ufer, wo ich lande, und alle Gefahr mit Ruhe, ja ſogar mit Wohlbehagen überſehe.
Du biſt in ſie verliebt, Goethe, es hat mir ſchon lange geahnt, jene Venus iſt dem brauſenden Meer dei- ner Leidenſchaft entſtiegen, und nachdem ſie eine Saat von Thränenperlen ausgeſäet, da verſchwindet ſie wie- der in überirdiſchem Glanz. Du biſt gewaltig, Du
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hin, ſo wie ſie vom Sturm gebrochen iſt, und erblaßt
mit ihr und ſtirbt mit ihr, und wenn er dann wieder
auflebt, ſo iſt er neu geboren in ſchönerer Jugend. —
Durch deinen Genius, Goethe. Dies ſag ich Dir von
dem Eindruck jenes Buchs: die Wahlverwandtſchaften.
Eine helle Mondnacht hab ich durchwacht, um dein
Buch zu leſen, das mir erſt vor wenig Tagen in die
Hände kam. Du kannſt Dir denken daß in dieſer Nacht
eine ganze Welt ſich durch meine Seele drängte. Ich
fühle, daß man nur bei Dir Balſam für die Wunde
holen kann, die Du ſchlägſt; denn als am andern Mor-
gen dein Brief kam mit allen Zeichen deiner Güte, da
wußte ich ja daß Du lebſt, und auch für mich; ich
fühlte, daß mir der Sinn mehr geläutert war, mich dei-
ner Liebe zu würdigen. Dies Buch iſt ein ſturmerregtes
Meer, da die Wellen drohend an mein Herz ſchlagen,
mich zu zermalmen. Dein Brief iſt das liebliche Ufer,
wo ich lande, und alle Gefahr mit Ruhe, ja ſogar mit
Wohlbehagen überſehe.
Du biſt in ſie verliebt, Goethe, es hat mir ſchon
lange geahnt, jene Venus iſt dem brauſenden Meer dei-
ner Leidenſchaft entſtiegen, und nachdem ſie eine Saat
von Thränenperlen ausgeſäet, da verſchwindet ſie wie-
der in überirdiſchem Glanz. Du biſt gewaltig, Du
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/145>, abgerufen am 21.11.2024.
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