zu einem gefühligen Leib, jeder Ton berührt sie; Musik wirkt sinnlich auf die Seele, wer nicht so erregt ist im Spiel wie in der Composition, der bringt nichts ge- scheutes hervor; die scheinheiligen, moralischen Tenden- zen seh ich so alle zum Teufel gehen mit ihrem erloge- nen Plunder, denn nur die Sinne erzeugen in der Kunst wie in der Natur, und Du weißt das am besten.
Am 18. October.
Von Klotzens Farbenmartyrthum hab ich Dir noch Rechenschaft zu geben; es ist nichts mit ihm anzufan- gen, ich habe zum Theil mit Langerweile, aber doch auch mit Theilnahme, mein Ohr seinem fünfundzwanzigjährigen Manuscriptgeliehen, mich mühsam durchgearbeitet, und mit Verwunderung entdeckt, daß er sich selbst in höchst pro- saischem Wahnsinn hinten angehängt hat; nichts hab ich besser verstanden als dies eine: Ich bin Ich, und beim Lichte besehen, hat er sich durch häufiges Hinein- sinnen endlich selbst in drei grobe, schmutzige Stofffar- ben verwandelt. Nachdem ich eine wahre Marter bei ihm ausgestanden hatte, besonders durch sein schauer- liches Gesicht, so konnt ich nach endlich beendigten Col- legien nicht mehr über mich gewinnen ihn zu besuchen,
zu einem gefühligen Leib, jeder Ton berührt ſie; Muſik wirkt ſinnlich auf die Seele, wer nicht ſo erregt iſt im Spiel wie in der Compoſition, der bringt nichts ge- ſcheutes hervor; die ſcheinheiligen, moraliſchen Tenden- zen ſeh ich ſo alle zum Teufel gehen mit ihrem erloge- nen Plunder, denn nur die Sinne erzeugen in der Kunſt wie in der Natur, und Du weißt das am beſten.
Am 18. October.
Von Klotzens Farbenmartyrthum hab ich Dir noch Rechenſchaft zu geben; es iſt nichts mit ihm anzufan- gen, ich habe zum Theil mit Langerweile, aber doch auch mit Theilnahme, mein Ohr ſeinem fünfundzwanzigjährigen Manuſcriptgeliehen, mich mühſam durchgearbeitet, und mit Verwunderung entdeckt, daß er ſich ſelbſt in höchſt pro- ſaiſchem Wahnſinn hinten angehängt hat; nichts hab ich beſſer verſtanden als dies eine: Ich bin Ich, und beim Lichte beſehen, hat er ſich durch häufiges Hinein- ſinnen endlich ſelbſt in drei grobe, ſchmutzige Stofffar- ben verwandelt. Nachdem ich eine wahre Marter bei ihm ausgeſtanden hatte, beſonders durch ſein ſchauer- liches Geſicht, ſo konnt ich nach endlich beendigten Col- legien nicht mehr über mich gewinnen ihn zu beſuchen,
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zu einem gefühligen Leib, jeder Ton berührt ſie; Muſik
wirkt ſinnlich auf die Seele, wer nicht ſo erregt iſt im
Spiel wie in der Compoſition, der bringt nichts ge-
ſcheutes hervor; die ſcheinheiligen, moraliſchen Tenden-
zen ſeh ich ſo alle zum Teufel gehen mit ihrem erloge-
nen Plunder, denn nur die Sinne erzeugen in der Kunſt
wie in der Natur, und Du weißt das am beſten.
Am 18. October.
Von Klotzens Farbenmartyrthum hab ich Dir noch
Rechenſchaft zu geben; es iſt nichts mit ihm anzufan-
gen, ich habe zum Theil mit Langerweile, aber doch auch
mit Theilnahme, mein Ohr ſeinem fünfundzwanzigjährigen
Manuſcriptgeliehen, mich mühſam durchgearbeitet, und mit
Verwunderung entdeckt, daß er ſich ſelbſt in höchſt pro-
ſaiſchem Wahnſinn hinten angehängt hat; nichts hab
ich beſſer verſtanden als dies eine: Ich bin Ich, und
beim Lichte beſehen, hat er ſich durch häufiges Hinein-
ſinnen endlich ſelbſt in drei grobe, ſchmutzige Stofffar-
ben verwandelt. Nachdem ich eine wahre Marter bei
ihm ausgeſtanden hatte, beſonders durch ſein ſchauer-
liches Geſicht, ſo konnt ich nach endlich beendigten Col-
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/135>, abgerufen am 21.11.2024.
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