Der Mond scheint weit her über die Berge, die Winterwolken ziehen Heerdenweis vorüber. Ich habe schon eine Weile am Fenster gestanden und zugesehen wie's oben jagt und treibt. Lieber Goethe, guter Goethe, ich bin allein, es hat mich wieder ganz aus den Angeln gehoben und zu Dir hinauf! wie ein neugeboren Kind- chen, so muß ich diese Liebe pflegen zwischen uns; schöne Schmetterlinge wiegen sich auf den Blumen die ich um seine Wiege gepflanzt habe, goldne Fabeln schmücken seine Träume, ich scherze und spiele mit ihm, jede List versuch ich um seine Gunst. Du aber beherrsch'st es mü- helos, durch das herrliche Ebenmaaß deines Geistes; es bedarf bei Dir keiner zärtlichen Ausbrüche keiner Be- theuerungen. Während ich sorge um jeden Augenblick der Gegenwart, geht eine Kraft von Dir aus des See- gens, die da reicht über alle Vernunft und über alle Welt.
Am 22. Oktober.
Ich fange gern hoch oben am Blatt an zu schrei- ben, und endige gern tief unten, ohne einen Platz zu
lassen
Am 23. Oktober.
Der Mond ſcheint weit her über die Berge, die Winterwolken ziehen Heerdenweis vorüber. Ich habe ſchon eine Weile am Fenſter geſtanden und zugeſehen wie's oben jagt und treibt. Lieber Goethe, guter Goethe, ich bin allein, es hat mich wieder ganz aus den Angeln gehoben und zu Dir hinauf! wie ein neugeboren Kind- chen, ſo muß ich dieſe Liebe pflegen zwiſchen uns; ſchöne Schmetterlinge wiegen ſich auf den Blumen die ich um ſeine Wiege gepflanzt habe, goldne Fabeln ſchmücken ſeine Träume, ich ſcherze und ſpiele mit ihm, jede Liſt verſuch ich um ſeine Gunſt. Du aber beherrſch'ſt es mü- helos, durch das herrliche Ebenmaaß deines Geiſtes; es bedarf bei Dir keiner zärtlichen Ausbrüche keiner Be- theuerungen. Während ich ſorge um jeden Augenblick der Gegenwart, geht eine Kraft von Dir aus des See- gens, die da reicht über alle Vernunft und über alle Welt.
Am 22. Oktober.
Ich fange gern hoch oben am Blatt an zu ſchrei- ben, und endige gern tief unten, ohne einen Platz zu
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Am 23. Oktober.
Der Mond ſcheint weit her über die Berge, die
Winterwolken ziehen Heerdenweis vorüber. Ich habe
ſchon eine Weile am Fenſter geſtanden und zugeſehen
wie's oben jagt und treibt. Lieber Goethe, guter Goethe,
ich bin allein, es hat mich wieder ganz aus den Angeln
gehoben und zu Dir hinauf! wie ein neugeboren Kind-
chen, ſo muß ich dieſe Liebe pflegen zwiſchen uns; ſchöne
Schmetterlinge wiegen ſich auf den Blumen die ich um
ſeine Wiege gepflanzt habe, goldne Fabeln ſchmücken
ſeine Träume, ich ſcherze und ſpiele mit ihm, jede Liſt
verſuch ich um ſeine Gunſt. Du aber beherrſch'ſt es mü-
helos, durch das herrliche Ebenmaaß deines Geiſtes; es
bedarf bei Dir keiner zärtlichen Ausbrüche keiner Be-
theuerungen. Während ich ſorge um jeden Augenblick
der Gegenwart, geht eine Kraft von Dir aus des See-
gens, die da reicht über alle Vernunft und über alle
Welt.
Am 22. Oktober.
Ich fange gern hoch oben am Blatt an zu ſchrei-
ben, und endige gern tief unten, ohne einen Platz zu
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/130>, abgerufen am 18.12.2024.
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