Dir, und so erkennt der Menschengeist diese Seeligkeit, das ist deine Liebe zu mir: Geheimnißvolle Frage und unentbehrliche Antwort.
Genug! lasse mich nicht vergebens bei Dir ange- klopft haben, nimm mich auf, und verhülle mich in dein tieferes Bewußtsein.
Dein zweiter Brief ist auch hier der mir das glück- liche Einfangen des vagabondirenden Kunstwerkes mel- det, möge es Dir bei deiner Heimkehr einleuchten; es ist ein Gesicht, zwar nur ein gemaltes, aber unter tausend lebendigen wird Dir kein so durchdringender Blick be- gegnen, der hat sich angesehen, hat sich sein tiefestes Herz abgefragt und auf die Leinwand gemalt daß es Rechen- schaft gebe von ihm den nachkommenden Geschlechtern als der Würdiger unter den besten.
Vom Welttheater auf den Felsspitzen ist nur zu melden, daß sie gut balancieren. Am 3. September am Geburtstag deines gnädigsten Herrn und Freundes hat ganz Tyrol mit allen Glocken geläutet und Te Deum gesungen, es ist grade Platz genug dort, daß von allen Seiten Heldenthaten dargestellt werden die so kühn sind, so himmelanstrebend wie die Felszacken von denen sie ausgehen, und bald so tief vergessen sein werden wie die tiefen Klüfte in denen sie ihre Feinde begraben. Ent-
Dir, und ſo erkennt der Menſchengeiſt dieſe Seeligkeit, das iſt deine Liebe zu mir: Geheimnißvolle Frage und unentbehrliche Antwort.
Genug! laſſe mich nicht vergebens bei Dir ange- klopft haben, nimm mich auf, und verhülle mich in dein tieferes Bewußtſein.
Dein zweiter Brief iſt auch hier der mir das glück- liche Einfangen des vagabondirenden Kunſtwerkes mel- det, möge es Dir bei deiner Heimkehr einleuchten; es iſt ein Geſicht, zwar nur ein gemaltes, aber unter tauſend lebendigen wird Dir kein ſo durchdringender Blick be- gegnen, der hat ſich angeſehen, hat ſich ſein tiefeſtes Herz abgefragt und auf die Leinwand gemalt daß es Rechen- ſchaft gebe von ihm den nachkommenden Geſchlechtern als der Würdiger unter den beſten.
Vom Welttheater auf den Felsſpitzen iſt nur zu melden, daß ſie gut balancieren. Am 3. September am Geburtstag deines gnädigſten Herrn und Freundes hat ganz Tyrol mit allen Glocken geläutet und Te Deum geſungen, es iſt grade Platz genug dort, daß von allen Seiten Heldenthaten dargeſtellt werden die ſo kühn ſind, ſo himmelanſtrebend wie die Felszacken von denen ſie ausgehen, und bald ſo tief vergeſſen ſein werden wie die tiefen Klüfte in denen ſie ihre Feinde begraben. Ent-
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Dir, und ſo erkennt der Menſchengeiſt dieſe Seeligkeit,
das iſt deine Liebe zu mir: Geheimnißvolle Frage und
unentbehrliche Antwort.
Genug! laſſe mich nicht vergebens bei Dir ange-
klopft haben, nimm mich auf, und verhülle mich in dein
tieferes Bewußtſein.
Dein zweiter Brief iſt auch hier der mir das glück-
liche Einfangen des vagabondirenden Kunſtwerkes mel-
det, möge es Dir bei deiner Heimkehr einleuchten; es iſt
ein Geſicht, zwar nur ein gemaltes, aber unter tauſend
lebendigen wird Dir kein ſo durchdringender Blick be-
gegnen, der hat ſich angeſehen, hat ſich ſein tiefeſtes Herz
abgefragt und auf die Leinwand gemalt daß es Rechen-
ſchaft gebe von ihm den nachkommenden Geſchlechtern
als der Würdiger unter den beſten.
Vom Welttheater auf den Felsſpitzen iſt nur zu
melden, daß ſie gut balancieren. Am 3. September am
Geburtstag deines gnädigſten Herrn und Freundes hat
ganz Tyrol mit allen Glocken geläutet und Te Deum
geſungen, es iſt grade Platz genug dort, daß von allen
Seiten Heldenthaten dargeſtellt werden die ſo kühn ſind,
ſo himmelanſtrebend wie die Felszacken von denen ſie
ausgehen, und bald ſo tief vergeſſen ſein werden wie
die tiefen Klüfte in denen ſie ihre Feinde begraben. Ent-
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/124>, abgerufen am 22.11.2024.
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