gleich dem Aufgang der Sonne; da wird ihm Tag, da sieht er deutlich was noth thut; und thut alles, indem er seinen Enthusiasmus beherrscht, er denkt auf seine Ehre und auf seine Verantwortung zugleich, er richtet alles durch sich allein aus, die Befehle der Comman- danten und seine eignen wohl berechneten Pläne, und auch noch was der Augenblick erheischt; unter dem Ka- nonenfeuer der Festung verwüstet er die Mühlen, er- beutet das Getreide und löscht die Haubitzen mit dem Hut; keinen gefahrvollen Plan überläßt er einem an- dern, die kleine Stadt Kuffstein steckte er selbst in Brand mitten unter den Feinden; eine Schiffbrücke der Baiern macht er flott. In einer stürmischen Nacht, im Wasser bis an die Brust, hält er aus bis zum Morgen mit zwei Kameraden, wo er noch die letzten Schiffe un- ter einem Hagel von Kartätschen flott macht. -- List ist seine göttlichste Eigenschaft, den verwilderten Bart, der ihm das halbe Gesicht bedeckt, nimmt er ab, ver- ändert Kleidung und Geberde, und so verlangt er den Commandanten der Festung zu sprechen, man läßt ihn ein, er macht ihnen was weis von Verrath, und erräth unterdessen alles was er wissen will, in dieser großen Gefahr, mit noch zwei andern Kameraden, ist er keinen Augenblick verlegen, läßt sich beleuchten, untersuchen,
gleich dem Aufgang der Sonne; da wird ihm Tag, da ſieht er deutlich was noth thut; und thut alles, indem er ſeinen Enthuſiasmus beherrſcht, er denkt auf ſeine Ehre und auf ſeine Verantwortung zugleich, er richtet alles durch ſich allein aus, die Befehle der Comman- danten und ſeine eignen wohl berechneten Pläne, und auch noch was der Augenblick erheiſcht; unter dem Ka- nonenfeuer der Feſtung verwüſtet er die Mühlen, er- beutet das Getreide und löſcht die Haubitzen mit dem Hut; keinen gefahrvollen Plan überläßt er einem an- dern, die kleine Stadt Kuffſtein ſteckte er ſelbſt in Brand mitten unter den Feinden; eine Schiffbrücke der Baiern macht er flott. In einer ſtürmiſchen Nacht, im Waſſer bis an die Bruſt, hält er aus bis zum Morgen mit zwei Kameraden, wo er noch die letzten Schiffe un- ter einem Hagel von Kartätſchen flott macht. — Liſt iſt ſeine göttlichſte Eigenſchaft, den verwilderten Bart, der ihm das halbe Geſicht bedeckt, nimmt er ab, ver- ändert Kleidung und Geberde, und ſo verlangt er den Commandanten der Feſtung zu ſprechen, man läßt ihn ein, er macht ihnen was weis von Verrath, und erräth unterdeſſen alles was er wiſſen will, in dieſer großen Gefahr, mit noch zwei andern Kameraden, iſt er keinen Augenblick verlegen, läßt ſich beleuchten, unterſuchen,
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gleich dem Aufgang der Sonne; da wird ihm Tag, da
ſieht er deutlich was noth thut; und thut alles, indem
er ſeinen Enthuſiasmus beherrſcht, er denkt auf ſeine
Ehre und auf ſeine Verantwortung zugleich, er richtet
alles durch ſich allein aus, die Befehle der Comman-
danten und ſeine eignen wohl berechneten Pläne, und
auch noch was der Augenblick erheiſcht; unter dem Ka-
nonenfeuer der Feſtung verwüſtet er die Mühlen, er-
beutet das Getreide und löſcht die Haubitzen mit dem
Hut; keinen gefahrvollen Plan überläßt er einem an-
dern, die kleine Stadt Kuffſtein ſteckte er ſelbſt in
Brand mitten unter den Feinden; eine Schiffbrücke der
Baiern macht er flott. In einer ſtürmiſchen Nacht, im
Waſſer bis an die Bruſt, hält er aus bis zum Morgen
mit zwei Kameraden, wo er noch die letzten Schiffe un-
ter einem Hagel von Kartätſchen flott macht. — Liſt
iſt ſeine göttlichſte Eigenſchaft, den verwilderten Bart,
der ihm das halbe Geſicht bedeckt, nimmt er ab, ver-
ändert Kleidung und Geberde, und ſo verlangt er den
Commandanten der Feſtung zu ſprechen, man läßt ihn
ein, er macht ihnen was weis von Verrath, und erräth
unterdeſſen alles was er wiſſen will, in dieſer großen
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/104>, abgerufen am 25.11.2024.
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