du doch über die Gasse, und ich sagte, wenn ich die alte Stadt Frankfurt nicht wie einen Hühnerhof trak- tiren sollte, so würd' ich nicht weit in der Welt kom- men, und da meinte Sie, mir sei gewiß kein Wasser zu tief und kein Berg zu hoch; und ich dachte damals schon: ja, wenn Weimar der höchste Berg und das tiefste Wasser ist. Jetzt kann ich's Ihr noch besser sa- gen daß mein Herz schwer ist und bleiben wird so lang' ich nicht bei ihm bin, und das mag Sie nun in der Ordnung finden oder nicht.
Adieu, leb' Sie recht wohl. Ich werd' nächstens bei Ihr angerutscht kommen.
An Goethe's Mutter.
Winckel am 12. Juni.
Ein Brief von Ihr macht immer groß Aufsehen unter den Leuten; die möchten gern wissen was wir uns zu sagen haben, da ich ihnen so unklug vorkomme. Sie kann getrost glauben, ich werd' auch nie klug wer- den. Wie soll ich Klugheit erwerben, mein einsamer Lebenslauf führt nicht dazu. Was hab' ich dies Jahr erlebt? -- Im Winter war ich krank; dann macht' ich ein Schattenspiel von Pappendeckel, da hatten die Katze
du doch über die Gaſſe, und ich ſagte, wenn ich die alte Stadt Frankfurt nicht wie einen Hühnerhof trak- tiren ſollte, ſo würd' ich nicht weit in der Welt kom- men, und da meinte Sie, mir ſei gewiß kein Waſſer zu tief und kein Berg zu hoch; und ich dachte damals ſchon: ja, wenn Weimar der höchſte Berg und das tiefſte Waſſer iſt. Jetzt kann ich's Ihr noch beſſer ſa- gen daß mein Herz ſchwer iſt und bleiben wird ſo lang' ich nicht bei ihm bin, und das mag Sie nun in der Ordnung finden oder nicht.
Adieu, leb' Sie recht wohl. Ich werd' nächſtens bei Ihr angerutſcht kommen.
An Goethe's Mutter.
Winckel am 12. Juni.
Ein Brief von Ihr macht immer groß Aufſehen unter den Leuten; die möchten gern wiſſen was wir uns zu ſagen haben, da ich ihnen ſo unklug vorkomme. Sie kann getroſt glauben, ich werd' auch nie klug wer- den. Wie ſoll ich Klugheit erwerben, mein einſamer Lebenslauf führt nicht dazu. Was hab' ich dies Jahr erlebt? — Im Winter war ich krank; dann macht' ich ein Schattenſpiel von Pappendeckel, da hatten die Katze
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0064"n="32"/>
du doch über die Gaſſe, und ich ſagte, wenn ich die<lb/>
alte Stadt Frankfurt nicht wie einen Hühnerhof trak-<lb/>
tiren ſollte, ſo würd' ich nicht weit in der Welt kom-<lb/>
men, und da meinte Sie, mir ſei gewiß kein Waſſer<lb/>
zu tief und kein Berg zu hoch; und ich dachte damals<lb/>ſchon: ja, wenn Weimar der höchſte Berg und das<lb/>
tiefſte Waſſer iſt. Jetzt kann ich's Ihr noch beſſer ſa-<lb/>
gen daß mein Herz ſchwer iſt und bleiben wird ſo lang'<lb/>
ich nicht bei ihm bin, und das mag Sie nun in der<lb/>
Ordnung finden oder nicht.</p><lb/><closer><salute>Adieu, leb' Sie recht wohl. Ich werd' nächſtens<lb/>
bei Ihr angerutſcht kommen.</salute></closer></div><lb/><divn="2"><opener><salute>An Goethe's Mutter.</salute><lb/><dateline><hirendition="#et"><choice><sic>Wicknel</sic><corr>Winckel</corr></choice> am 12. Juni.</hi></dateline></opener><lb/><p>Ein Brief von Ihr macht immer groß Aufſehen<lb/>
unter den Leuten; die möchten gern wiſſen was wir<lb/>
uns zu ſagen haben, da ich ihnen ſo unklug vorkomme.<lb/>
Sie kann getroſt glauben, ich werd' auch nie klug wer-<lb/>
den. Wie ſoll ich Klugheit erwerben, mein einſamer<lb/>
Lebenslauf führt nicht dazu. Was hab' ich dies Jahr<lb/>
erlebt? — Im Winter war ich krank; dann macht' ich<lb/>
ein Schattenſpiel von Pappendeckel, da hatten die Katze<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[32/0064]
du doch über die Gaſſe, und ich ſagte, wenn ich die
alte Stadt Frankfurt nicht wie einen Hühnerhof trak-
tiren ſollte, ſo würd' ich nicht weit in der Welt kom-
men, und da meinte Sie, mir ſei gewiß kein Waſſer
zu tief und kein Berg zu hoch; und ich dachte damals
ſchon: ja, wenn Weimar der höchſte Berg und das
tiefſte Waſſer iſt. Jetzt kann ich's Ihr noch beſſer ſa-
gen daß mein Herz ſchwer iſt und bleiben wird ſo lang'
ich nicht bei ihm bin, und das mag Sie nun in der
Ordnung finden oder nicht.
Adieu, leb' Sie recht wohl. Ich werd' nächſtens
bei Ihr angerutſcht kommen.
An Goethe's Mutter.
Winckel am 12. Juni.
Ein Brief von Ihr macht immer groß Aufſehen
unter den Leuten; die möchten gern wiſſen was wir
uns zu ſagen haben, da ich ihnen ſo unklug vorkomme.
Sie kann getroſt glauben, ich werd' auch nie klug wer-
den. Wie ſoll ich Klugheit erwerben, mein einſamer
Lebenslauf führt nicht dazu. Was hab' ich dies Jahr
erlebt? — Im Winter war ich krank; dann macht' ich
ein Schattenſpiel von Pappendeckel, da hatten die Katze
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/64>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.