Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

du doch über die Gasse, und ich sagte, wenn ich die
alte Stadt Frankfurt nicht wie einen Hühnerhof trak-
tiren sollte, so würd' ich nicht weit in der Welt kom-
men, und da meinte Sie, mir sei gewiß kein Wasser
zu tief und kein Berg zu hoch; und ich dachte damals
schon: ja, wenn Weimar der höchste Berg und das
tiefste Wasser ist. Jetzt kann ich's Ihr noch besser sa-
gen daß mein Herz schwer ist und bleiben wird so lang'
ich nicht bei ihm bin, und das mag Sie nun in der
Ordnung finden oder nicht.

Adieu, leb' Sie recht wohl. Ich werd' nächstens
bei Ihr angerutscht kommen.
An Goethe's Mutter.


Ein Brief von Ihr macht immer groß Aufsehen
unter den Leuten; die möchten gern wissen was wir
uns zu sagen haben, da ich ihnen so unklug vorkomme.
Sie kann getrost glauben, ich werd' auch nie klug wer-
den. Wie soll ich Klugheit erwerben, mein einsamer
Lebenslauf führt nicht dazu. Was hab' ich dies Jahr
erlebt? -- Im Winter war ich krank; dann macht' ich
ein Schattenspiel von Pappendeckel, da hatten die Katze

du doch über die Gaſſe, und ich ſagte, wenn ich die
alte Stadt Frankfurt nicht wie einen Hühnerhof trak-
tiren ſollte, ſo würd' ich nicht weit in der Welt kom-
men, und da meinte Sie, mir ſei gewiß kein Waſſer
zu tief und kein Berg zu hoch; und ich dachte damals
ſchon: ja, wenn Weimar der höchſte Berg und das
tiefſte Waſſer iſt. Jetzt kann ich's Ihr noch beſſer ſa-
gen daß mein Herz ſchwer iſt und bleiben wird ſo lang'
ich nicht bei ihm bin, und das mag Sie nun in der
Ordnung finden oder nicht.

Adieu, leb' Sie recht wohl. Ich werd' nächſtens
bei Ihr angerutſcht kommen.
An Goethe's Mutter.


Ein Brief von Ihr macht immer groß Aufſehen
unter den Leuten; die möchten gern wiſſen was wir
uns zu ſagen haben, da ich ihnen ſo unklug vorkomme.
Sie kann getroſt glauben, ich werd' auch nie klug wer-
den. Wie ſoll ich Klugheit erwerben, mein einſamer
Lebenslauf führt nicht dazu. Was hab' ich dies Jahr
erlebt? — Im Winter war ich krank; dann macht' ich
ein Schattenſpiel von Pappendeckel, da hatten die Katze

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0064" n="32"/>
du doch über die Ga&#x017F;&#x017F;e, und ich &#x017F;agte, wenn ich die<lb/>
alte Stadt Frankfurt nicht wie einen Hühnerhof trak-<lb/>
tiren &#x017F;ollte, &#x017F;o würd' ich nicht weit in der Welt kom-<lb/>
men, und da meinte Sie, mir &#x017F;ei gewiß kein Wa&#x017F;&#x017F;er<lb/>
zu tief und kein Berg zu hoch; und ich dachte damals<lb/>
&#x017F;chon: ja, wenn Weimar der höch&#x017F;te Berg und das<lb/>
tief&#x017F;te Wa&#x017F;&#x017F;er i&#x017F;t. Jetzt kann ich's Ihr noch be&#x017F;&#x017F;er &#x017F;a-<lb/>
gen daß mein Herz &#x017F;chwer i&#x017F;t und bleiben wird &#x017F;o lang'<lb/>
ich nicht bei ihm bin, und das mag Sie nun in der<lb/>
Ordnung finden oder nicht.</p><lb/>
          <closer>
            <salute>Adieu, leb' Sie recht wohl. Ich werd' näch&#x017F;tens<lb/>
bei Ihr angerut&#x017F;cht kommen.</salute>
          </closer>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <opener>
            <salute>An Goethe's Mutter.</salute><lb/>
            <dateline> <hi rendition="#et"><choice><sic>Wicknel</sic><corr>Winckel</corr></choice> am 12. Juni.</hi> </dateline>
          </opener><lb/>
          <p>Ein Brief von Ihr macht immer groß Auf&#x017F;ehen<lb/>
unter den Leuten; die möchten gern wi&#x017F;&#x017F;en was wir<lb/>
uns zu &#x017F;agen haben, da ich ihnen &#x017F;o unklug vorkomme.<lb/>
Sie kann getro&#x017F;t glauben, ich werd' auch nie klug wer-<lb/>
den. Wie &#x017F;oll ich Klugheit erwerben, mein ein&#x017F;amer<lb/>
Lebenslauf führt nicht dazu. Was hab' ich dies Jahr<lb/>
erlebt? &#x2014; Im Winter war ich krank; dann macht' ich<lb/>
ein Schatten&#x017F;piel von Pappendeckel, da hatten die Katze<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[32/0064] du doch über die Gaſſe, und ich ſagte, wenn ich die alte Stadt Frankfurt nicht wie einen Hühnerhof trak- tiren ſollte, ſo würd' ich nicht weit in der Welt kom- men, und da meinte Sie, mir ſei gewiß kein Waſſer zu tief und kein Berg zu hoch; und ich dachte damals ſchon: ja, wenn Weimar der höchſte Berg und das tiefſte Waſſer iſt. Jetzt kann ich's Ihr noch beſſer ſa- gen daß mein Herz ſchwer iſt und bleiben wird ſo lang' ich nicht bei ihm bin, und das mag Sie nun in der Ordnung finden oder nicht. Adieu, leb' Sie recht wohl. Ich werd' nächſtens bei Ihr angerutſcht kommen. An Goethe's Mutter. Winckel am 12. Juni. Ein Brief von Ihr macht immer groß Aufſehen unter den Leuten; die möchten gern wiſſen was wir uns zu ſagen haben, da ich ihnen ſo unklug vorkomme. Sie kann getroſt glauben, ich werd' auch nie klug wer- den. Wie ſoll ich Klugheit erwerben, mein einſamer Lebenslauf führt nicht dazu. Was hab' ich dies Jahr erlebt? — Im Winter war ich krank; dann macht' ich ein Schattenſpiel von Pappendeckel, da hatten die Katze

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/64
Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/64>, abgerufen am 25.11.2024.